Antonow 19170910 Ein Petrograder Brief: Die Kornilowtage

Antonow: Ein Petrograder Brief: Die Kornilowtage

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 3, 29. Sept. 1917, S. 15 f.]

Sonntag den 27 August1. Der Vollzugausschuss der Sowjets organisiert Meetings und Sammlungen zur Feier des halben Jahres der Revolution. Aber schon vom Morgen an fallen auf die Stadt Schatten, die nichts Gutes verkünden. Es schleichen dunkle Gerüchte und erfüllen die Arbeitervorstädte mit Angst, die Reichenviertel mit Erwartung. Auf den Meetings ballen sich unruhige Massen zusammen. Die Redner des Vollzugsausschusses machen Andeutungen über irgendwelche Generäle, die der Regierung irgend ein Ultimatum gestellt haben; sie sagen, gegen Petrograd eile eine „wilde" Division, die Regierung greife zu entschiedenen Mitteln, um die Konterrevolution zu besiegen. Abends werde der Kriegszustand in Petrograd eingeführt. Aber die Arbeiter und Soldaten sollen sich nicht beunruhigen – erklären die Redner – sie werden durch diese Maßregel nicht berührt. Die Arbeiter fragen erstaunt: wer leitet diese Vorbereitungen, weswegen wurden erst vor paar Tagen aus Petrograd drei revolutionäre Regimenter nach der Rigaer Front ohne Waffen abgeführt zum Ausheben der Schützengräben? Auf alle diese Fragen haben die offiziellen Sowjetredner keine Antwort. Sie fordern nur rücksichtsloses Vertrauen zu den „Führern der revolutionären Demokratie", sie fordern zur Einigung aller revolutionären Kräfte im Augenblick der Gefahr auf. Dann … erklären sie die Meetings für geschlossen. Es sollen keine Diskussionen stattfinden. Aber die Arbeiter sind empört, folgen nicht. Unter anderem Vorsitz werden die Meetings neu eröffnet. Es ergießen sich bittere, leidenschaftliche Reden gegen die Politik, die die Revolution an den Abgrund gebracht hat. Heute haben die Bolschewiki das Wort.

Montag am 28 August. Die Zeitungen sind erschienen als Extrablätter. In den Arbeitervierteln warten vor den Verkaufsstellen lange „Schwänze". Alles ist aufgewühlt, empört: „Tod, Tod – Kornilow!" – hört man. In den Fabriken Versammlungen! „Waffen! Waffen!" – tönt es von allen Seiten. Es werden Rayonskampforganisationen organisiert, in den Rayons beständige Wachen aufgestellt. Die Rayonvertreter eilen in den Sowjet, ins Smolny-Institut Dort ist das Nervenzentrum.

Unruhe erweckende Nachrichten. Alle Frontkommandierenden sind auf die Seite Kornilows getreten. Seine Truppen haben schon Luga eingenommen, sie nähern sich der Gatschina, ein Zusammenstoße mit den revolutionären Truppen ist schon erfolgt, die „wilde" Division hat die Front durchbrochen … Die Deutschen haben ein höllisches Feuer auf Dwinsk eröffnet …

Die schwarzen Kräfte erheben ihr Haupt. Die Kadetten sind aus der Regierung ausgetreten und fordern Versöhnung mit Kornilow. Die Militär-Liga hat eine Zeitung erscheinen lassen: „Auf der Wacht", die zur Unterstützung Kornilows auffordert. Die Fähnrichschulen stehen auf Seiten Kornilows. Der Generalstab markiert nur den Kampf. Das alles wird im Sowjet erzählt.

Es versammeln sich die Vertreter der Fabrikkomitees, die Bolschewistischen Sowjetmitglieder: überall ungebrochener Kampfesgeist. In ihre Adern ergießt sich der Kampfeswille der Arbeitervorstädte. In der Sitzung des Zentralkomitees der Sowjets ertönt laut und bestimmt der Wille der Arbeiterdemokratie: es ertönt der Ruf nach der revolutionären Gewalt, die die Nester der Konterrevolution ausfegt, den Bauern den Grund und Boden gibt, die Industrie unter die Kontrolle der Arbeiterorganisationen stellt, die Armee demokratisiert. Eine Regierung ist nötig, die die Konterrevolution entwaffnet, die Arbeiter bewaffnet. Aber der Geist des Kompromisses lebt noch im Smolny-Institut Die Mehrheit des Zentralkomitees der Sowjets schwankt und nimmt die ausweichende Resolution Dans an: Kerenski soll eine Regierung bilden, die vor dem Zentralkomitee der Sowjets und einer ständigen Beratung aller „lebendigen Kräfte" – mit Ausnahme der Mitglieder der vier Dumas – verantwortlich sein wird. Kerenski lehnt diese Vorschläge ab, er will die Regierung dem Zentralkomitee überlassen, er will aber dann jede Verantwortung ablehnen. Das Zentralkomitee verliert angesichts der Drohung Kerenskis den Kopf. Aber es wagt auch nicht der Bildung des Direktoriums durch Kerenski zu zustimmen. Es nimmt keinen Beschluss an. Zeretelli sagt im Privatgespräch zu den Bolschewiki: „Eure Stunde kommt. Es war euch bestimmt, zur Regierung zu gelangen. Nun, wir werden Euch weder helfen, noch stören."

Ein Komitee zum Kampf gegen die Konterrevolution wurde gebildet. Die Militärabteilung des Zentralkomitees spricht sich für die Bewaffnung der Arbeiter aus. Aber das Zentralkomitee spricht sich gegen die Enthaltung der Bolschewiki aus: in ihrer Mehrheit sind es Soldaten und Offiziere!

Im Smolny-Institut wachsen die Gerüchte, wie Pilze nach dem Regen, sie verbreiten sich in der ganzen Stadt. Die Vorstädte fiebern. „Waffen! Waffen" – so tönt es immer leidenschaftlicher.

Na, sie rühren sich. Nachts erfolgten Verhaftungen von Konterrevolutionären, es werden einige ihrer Zeitungen geschlossen. Die Vertreter des Zentralkomitees der Sowjets sind in den Generalstab eingetreten, der schläfrig irgend was gegen Kornilow unternimmt „Sie sind zwecks gemeinsamer Arbeit eingetreten, nicht zwecks Reinigung des Stabes von den konterrevolutionären Elementen" – wie sich Martow ausgedrückt hat. Das Zentralkomitee handelt auf eigene Faust. Die Regierung folgt ihm langsam, legt ihren Stempel auf seine Beschlüsse. Das Zentralkomitee hat 300 Telegramme aus der Provinz erhalten: alle sind bereit zum Kampfe. Aber das Zentralkomitee wankt und schwankt, Kerenski wiederholt dieselben Bewegungen – die Regierung bleibt ohne Kopf. Es kommen beruhigende Nachrichten aus der Provinz." Die Armeekomitees haben sich auf der Höhe gezeigt, sie verhafteten die Generäle, die auf Seiten Kornilows stehen, sie umzingeln das Hauptquartier. Die Heere Kornilows sind abgeschnitten vom Hauptquartier, aber sie bewegen sich noch auf Petrograd. Die Arbeiter heben die Schützengräben um die Stadt aus, bauen Stacheldrahtverhaue, und warten mit Ungeduld auf die versprochenen Waffen. Im Wiborgrayon hat man schon angefangen, die Waffen auszugeben. Langsam, sich misstrauisch umschauend. Sonst wartet die Regierung, zögert…

Aus Kronstadt kamen 3.000 Matrosen. Abends werden sie die Fahnenjunker entwaffnen. Gegen Kornilow marschieren Truppen. In der Newa erschienen die Kronstadter Torpedoboote. Unsere. Im Smolny-Institut fieberhafte Bewegung. Jetzt lässt es sich hier atmen… In den Arbeitervierteln wartet man auf Waffen …

1 Alten Stils: 9. Sept. neuen.

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