Redaktion: Kornilows Staatsstreich [Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 1, 15. Sept. 1917, S. 7-9 Als am 9 September der Telegraf den Aufruf Kerenskis über die Absetzung Kornilows verbreitete, da sah der europäische Philister und der russische Sozialpatriot auf einmal das Medusenhaupt der Konterrevolution vor sich auftauchen. Die Verhaftungen der Großfürsten, die dem Bruch mit Kornilow vorhergingen, wiesen auf Verbindungen des tapferen Generals mit den alten zaristischen Machthabern hin. Kornilow selbst ist ein Mann des Junkertums. Erst vor paar Wochen ging durch die russische Presse folgendes Telegramm der Petrograder Telegrafenagentur: „der Höchstkommandierende wandte sich an die provisorische Regierung mit dem Gesuch um Abänderung eines Beschlusses des Minsker landwirtschaftlichen Gouvernementskomitees über die Ausnützung der Regierungs- und Privatgüter und Wälder, da dieser Beschluss in entschiedener Weise den Grundlagen des Privateigentums widerspricht, die durch die bestehenden Gesetze geschützt werden, und unvereinbar ist mit den Beschlüssen der lokalen Militärgewalten". Der General befasste sich also nicht nur mit der Verteidigung des Vaterlands, sondern auch des heiligen junkerlichen Besitzes, und stellte in einer Angelegenheit, die nichts mit militärischen Fragen zu tun hatte die Gewalt der Militärbehörden über die der Bauernkomitees. Der pompöse Gottesdienst, den Kornilow nach seiner Ankunft nach Moskau abhalten lies, liefert einen weiteren Strich zu seinem Bilde. Aber trotzdem wäre es vollkommen unrichtig ihn als den Mann der rein junkerlichen Konterrevolution darzustellen. Es gilt nur zu fragen: wer überbrachte Kornilows Forderung der ganzen Macht an Kerenski? Es war dies der rechte Kadett Lwow, der den Auftrag Kornilows Kerenski überbracht. Und als sich der Konflikt verschärfte, da erschien als Vermittler auf der Oberfläche der sehr geehrte Pawel Nikolajewitsch Miljukow. Die weitere Entwicklung der Krise führte aber zur Verhaftung unseres guten Bekannten. Gutschkow, des Führers der industriellen Bourgeoisie, des Kriegsministers der ersten provisorischen Regierung, der repräsentativsten Persönlichkeit des kapitalistischen Russlands. Herr Kornilow, der Staatsstreichmann, der Kerenski die Macht aus den Händen reißen wollte, ist kein beliebiger militärischer Abenteurer, der die Hand nach der Staatsgewalt ausstreckte, weil sie auf der Straße lag, ist auch kein Verteidiger der verflossenen zarischen Legalität und Legitimität. Kornilow ist der Mann der kapitalistischen Konterrevolution, die ihn in dem Theater von Moskau während des Nationalkongresses stürmisch begrüßte, ihn auf den Schild erhob. In dem Kornilowschen Staatsstreich vereinigen sich alle konterrevolutionären Bestrebungen: die der Großfürsten, der Generalität, der Junker, wie der Kapitalisten. Aber diese Feststellung genügt nicht um den Mechanismus des Kornilowschen Staatsstreiches vollkommen aufzudecken. Was wollte Kornilow? Wollte er die Macht aus den Händen der Sowjets reißen? Sie haben keine Macht mehr. Seit der Bildung der neuen Regierung durch Kerenski, seit der historischen Sitzung vom 4. August haben die Sowjets auf die Macht vollkommen verzichtet. Sie haben sie doch in die Hände Kerenskis gelegt, ihm die Bildung der Regierung überwiesen. Kerenski erklärte im Briefe an den Kadetten Kischkin ausdrücklich, dass er sich „selbstverständlich" nur vor seinem Gewissen und vor niemand anderem verantwortlich fühle. Kornilow konnte den Sowjets keine Macht rauben, weil sie keine mehr besitzen. Das ist doch die Grundlagen de Änderung in der politischen Lage Russlands der letzten 6 Wochen, das ist doch das Merkmal der Situation. Wollte Kornilow die Gewaltmaßregel gegen die revolutionären Arbeiter und die kriegsmüden Soldaten einführen? Dass hieße Eulen nach Athen bringen. An der Front wurden Soldaten zum Tode verurteilt wegen Diebstahls von 15 Äpfeln und Herr Kerenski veröffentlichte zusammen mit Herrn Sarudny, seinem Beilis-Justizminister erst in diesen Tagen, die neue Fassung des § 100 und 101, die lebenslänglichen Zuchthaus für den Versuch des Umsturz der Regierung bestimmen. Wollte Herr Kornilow Russland vor der Republik retten? Aber das tat Herr Kerenski außerordentlich gut, indem er die konstituierende Versammlung verschob und den Zaren nach Tobolsk transportieren ließ. von wo er so leicht nach England flüchten kann. Was wollte also Herr Kornilow und seine Hintermänner? War er schließlich doch ein gewöhnlicher Abenteurer? Im Staatsstreichversuch Kornilows wollte die Konterrevolution die erste Phase der Revolution, den Zyklus ihrer Bürgerkriege wirklich abschließen. Die kleinbürgerliche Demokratie zeigte sich unfähig die Revolution weiterzuführen sie dankte zu Gunsten des Kapitals faktisch ab, sie wandte die Gewaltmittel des Staates gegen das Bauerntum und die Arbeiterschaft. Aber das Kleinbürgertum ist in Russland bis zur Lösung der Agrarfrage keine konterrevolutionäre Klasse. Seine Interessen erfordern die Konfiskation des Großgrundbesitzes, und der Kampf um sie wird neue revolutionäre Kämpfe erzeugen", die auch dem Proletariat erlauben werden, vom neuen in Bewegung zu treten. Weil dem so ist, sind die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie keine sicheren Bundesgenossen der Konterrevolution. Herr Kerenski kann noch so sehr gegen die Bolschewiki wüten, er hat bisher nicht gewagt formell die Sowjets aufzulösen, ja mit ihnen offen zu brechen. Nachdem er erklärt hat, von ihnen unabhängig zu sein, ging er trotzdem in ihr Zentralkomitee, um ihm einen Bericht zu erstatten. Und Tschernow, der Ackerbauminister frondierte immerfort im Kabinett, er suchte seine Partei zum Drucke auf Kerenski zu überreden, suchte die Agrarfrage, die Hauptfrage der Revolution, ins Rollen zu bringen. Jeder wuchtige Stoß von unten konnte zum Resultat den Umfall der kleinbürgerlichen Führer haben. Wie unsicher sie als Bundesgenossen für die proletarische Demokratie bisher waren, so unsicher konnten sie sich als Bundesgenossen der Konterrevolution zeigen. Momentan war die Diktatur Kerenskis die Diktatur des Kapitals, Junkertums und der Generalität. Sie nützte ihnen, indem sie die Volksmassen zu bändigen suchte. Aber morgen konnte sie sich gegen die Konterrevolution zu wenden suchen. Die Konterrevolution sah das neue Anwachsen einer Volksbewegung. Der Ausfall der Wahlen in Petrograd, die Erstarkung des linken Flügels der Sozialistenrevolutionäre, das waren gefährliche Sturmzeichen. Die Konterrevolution hatte Eile. Die Konterrevolution wollte direkt an der Gewalt im Augenblick sitzen, wo die Massen zu einem neuen Ansturm übergehen würden. Sie wollte die Gewaltmittel direkt beherrschen, um vermittels ihrer den Ansturm der Massen verhindern zu können. Sie wollte die Macht zur gesetzlichen Vollendung des Sieges über die Massen gebrauchen. Und schließlich handelte es sich für sie um vollkommen freie Hand für den Friedensschluss Wie die auswärtige Politik der Konterrevolution aussehen würde, weiß sie wahrscheinlich in diesen Moment selbst nicht. Sie kann sich ebenso gut in die Arme der Geld spendenden Entente, wie der Hohenzollern werfen. Die Nowoje Wremja, das Organ des bürokratischen Flügels der Konterrevolution, das sich bisher aus der Deutschenfresserei direkt ein Gewerbe machte, schrieb paar Tage vor dem Kornilowschen Staatsstreich: „Wofür und warum sollen wir kämpfen? Kämpfen verfolgt, unter Gefahr, dass du deswegen „sozialisiert" und „annektiert" wirst? Die Hände versagen, der Wille wird gelähmt. Der gewöhnliche Bürger und die Bourgeoisie versteht doch gut, dass es ihnen unter der Herrschaft der Deutschen nicht schlechter gehen wird, als unter der „revolutionären Demokratie". Der Kornilowsche Staatsstreich sollte die Konterrevolutionären Klassen zur ungeteilten Herrschaft bringen. Aber worauf rechnete Kornilow? Mit welchen Mitteln wollte er sein Ziel erreichen? Er hatte für sich die Generalität, die Junker, Kapitalisten und den „Obywatel", den revolutionsmüden Kleinbürger. Konnte er aber auf die revolutionäre Armee rechnen? Um diese Frage zu beantworten muss man in Betracht ziehen, dass die Armee als ganzes kein aktiver Faktor der Revolution war, sondern Zuschauer, dass der Umbildungsprozess der Armee sich erst im Anfange befindet. Es gibt ganz gewiss noch Teile der Armee die sich überall vom Offizierskorps führen lassen. War er einmal an der Spitze eines Truppenteils in Petrograd, hatte er dieses Machtzentrum mit all seinen politischen und sozialen Machtmitteln in der Hand, so konnte Kornilow zweifelsohne den weiteren Kampf aufnehmen. Am Tage, wo wir unseren Artikel in Druck geben, wissen wir noch nicht ob Kornilow die Waffen gestreckt hat. Es scheint jedoch, dass er in der Armee auf großen Widerstand gestoßen ist. Wenn man auch über den endlichen Ausgang des Kampfes nichts Sicheres sagen kann, so ergibt sich aus den Telegrammen für den Kenner der russischen Verhältnisse eins: die kleinbürgerlichen Führer sind auch heute außerstande ernst gegen die Konterrevolution zu kämpfen. Kerenski ernennt an Stelle Kornilows zum Generalissimus den General Klembowski. Nach zwei Tagen steht Klembowski an Seite Kornilows. Zum Generalstabschef ernennt Kerenski den alten Zarenlakaien General Alexejew, der beim Beginn der Revolution Befehl gab, Revolutionäre standrechtlich zu erschießen. Gleichzeitig übergibt Kerenski das Marineministerium dem Admiral Werderewski, gegen den er vor Kurzem die Untersuchung einleiten ließ wegen Gehorsamsverweigerung: Werderewski ist der frühere Kommandant der baltischen Flotte, der sich weigerte, Kriegsschiffe nach Petrograd zu senden oder solche, die Kronstadt zu Hilfe eilen würden, zu torpedieren. Aber neben Werderewski wird zum Militärgouverneur von Petrograd Palczynski ernannt, der Vertrauensmann des metallurgischen Kapitals, ein von Arbeitern direkt gehasster Mann. Kurz und gut: Kerenski will, die Konterrevolution bekämpfen, indem er einem Konterrevolutionären andere gegenüber stellt. Mit solchen Mitteln kann es ihm vielleicht gelingen den Staatsstreich Kornilows, aber nicht die Konterrevolution zu besiegen. Daraus ergibt sich folgendes. Wenn es dem deutschen Imperialismus nicht gelingt den Bürgerkrieg in Russland zur Köpfung der russischen Revolution, zur Einnahme Petrograds auszunützen, wenn der Staatsstreich Kornilows misslingt, dann wird selbst die schwankende kleinbürgerliche Demokratie zu energischen Kampfmitteln greifen müssen. Der Kornilowsche Staatsstreich hat den Volksmassen die Gefahr der Konterrevolution in konkreter Gestalt gezeigt, alle ihre Kräfte entblößt. Mögen danach die kleinbürgerlichen Führer versuchen, den Volksmassen einzureden, man könne die Revolution zusammen mit den Generälen, großen Kapitalisten, den Kadetten retten. „Der Aufruf Zeretellis zu Opfern, den er unter der Adresse der großen Bourgeoisie wie des Proletariats richtete, seine Bitten für eine gewisse Zeit die Klassenmissverständnisse zu vergessen, einen Weg zu beschreiten, den Weg der Rettung der Revolution, wurden durch Händeklatschen von Rechts und Links begrüßt" schrieben triumphierend die Iswestija, das Organ des Petrograder Sowjet nach der Moskauer Beratung. Nun, die „Klassenmissverständnisse" sind vollkommen geklärt. Für die Volksmassen wird es klar sein: wer für die Revolution ist, der muss mit der Generalität, Bourgeoisie und dem Junkertum brechen. D. h.: alle Gewalt den Sowjets, diese Losung wird als die der gesamten Demokratie auferstehen. Die Annahme der bolschewistischen Plattform durch den Petrograder Sowjet, von der wir eben erfahren, besagt: Ça ira! Der Kornilowaufstand war gedacht als Abschluss der Revolution. Er kann den Ausgangspunkt einer neuen Phase der Revolution bilden. – |