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Arbeiterkongress

Die Idee des „Arbeiterkongresses" wurde erstmals in Vorschlag gebracht von P. B. Axelrod 1905 in zwei Briefen an einen Genossen, die später von der Redaktion der „Iskra" („Funke") als besondere Broschüre: „Die Volksduma und der Arbeiterkongress' (Genf 1905, S. 15) herausgegeben wurden. P. Axelrod machte seinen Vorschlag im August im Zusammenhang mit den in der Presse auftauchenden bestimmten Gerüchten über die von der Regierung geplante Einberufung der Reichsduma, was eine starke Belebung in den sich zum Eintritt in die Duma anschickenden bürgerlich-liberalen Kreisen auslöste. P. B. Axelrod begriff, dass in einer Situation des revolutionären Aufschwungs, wo es offenbar wurde, dass nicht nur das radikale Kleinbürgertum, sondern auch ein gewisser Teil der liberalen Bourgeoisie sich in Opposition zur Bulyginschen Duma befand, an eine Beteiligung an den Dumawahlen gar nicht zu denken war, und trat mit der Idee des „Arbeiterkongresses" hervor. Im Grunde genommen war diese Idee einerseits eine negative Antwort auf den Vorschlag der Bolschewiki zur Boykottierung der Duma, andererseits aber eine konkrete Anwendung der menschewistischen Resolutionen über die Vorwärtstreibung der Bourgeoisie zur Machtübernahme. Im „Arbeiterkongress" sah Axelrod jene Organisation, durch die man die Bourgeoisie beeinflussen könnte. „Wir müssen bestrebt sein“ – schrieb er – „eine breite Arbeiterorganisation mit einem zentralen Klub an der Spitze ins Leben zu rufen … dessen Aufgabe es sein müsste, das örtliche Proletariat zusammenzuschließen und eine feste revolutionäre Atmosphäre zu schaffen, die die ;Reichsduma' sowohl wie die ,Volksduma' kontrollieren und ihr diktieren würde."

Nach der Auffassung von P. Axelrod sollte die Organisationskommission (menschewistische Zentrale) eine kleine Konferenz der Parteifunktionäre einberufen und sich in ihrem Namen in einem Aufruf an die Arbeitermassen wenden, mit dem Vorschlag, die Einberufung eines allrussischen Arbeiterkongresses in die Wege zu leiten. Die Hauptaufgabe eines solchen Kongresses sollte die Erörterung der dringendsten Fragen des öffentlichen Lebens sein, wie die Einberufung der Konstituante, die Ausarbeitung der Taktik und des Plans für den Kampf um die Einberufung der Konstituante, die Bedingungen, unter denen die Arbeiterklasse eine Vereinbarung mit den liberal-demokratischen Verbänden eingehen und ihnen Unterstützung gewähren kann und muss, die wirtschaftlichen und politischen Reformen, die die Konstituante einführen wird und für die schon vor der Einberufung der Konstituante agitiert werden muss.

Gleichzeitig mit dem „allgemeinen Arbeiterkongress" muss „aus jenen Mitgliedern des allgemeinen Kongresses, die unser Programm billigen, plus den Vertretern unserer Parteiorganisationen, zwecks Reformierung der gesamten Partei" ein sozialdemokratischer Kongress organisiert werden.

Der Arbeiterkongress sollte solcherart nicht bloß zur Anwendung der menschewistischen Taktik gegenüber den Repräsentativkörperschaften dienen, sondern auch zur konkreten Darstellung der menschewistischen Auffassung über die Organisationsfrage. Doch bestand Axelrod in diesem Augenblick der Revolution noch nicht darauf, dass der „Arbeiterkongress" der Beginn einer Reorganisation der Partei nach neuen Prinzipien sein müsse.

Im Jahre 1905 fand der Gedanke Axelrods keine besondere Verbreitung; mit dem weiteren Aufschwung der Revolution wurde die Frage hinfällig. Ein zweites Mal kehrte Axelrod zu seiner alten Idee im Jahre 1906 zurück.

Ich stellte für die unmittelbare nächste Zukunft“ – schrieb Axelrod am 15. August 1906 an G. V. Plechanow (,Korrespondenz von G. V. Plechanow und B. P. Axelrod', Band 2, S. 219, russisch), – „die Agitation zugunsten des Allrussischen Arbeiterkongresses in den Vordergrund, selbstverständlich im unmittelbaren Zusammenhang und auf dem Boden mit den brennenden Tagesfragen, in deren Mittelpunkt auch die Aufgabe der Vorbereitung zum Wahlkampf und zur konzentrierten und planmäßigen Druckausübung auf die Regierung und die kommende Duma stehen muss." Im Schreiben vom 2. September 1906 entwickelte P. Axelrod den Plan dieser Agitation ausführlicher: „Das erste Stadium – ist die starke … Gärung unter den Arbeitern zugunsten des Kongresses, das zweite Stadium – die literarische und organisierte Propaganda unter den Sozialdemokraten, das dritte – der organisierte Druck von unten auf das ZK, um es zu zwingen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, und schließlich, das vierte Stadium – die Arbeit zur Einberufung des Kongresses selbst." Gleichzeitig mit dem Brief schrieb P. Axelrod einen Artikel: „Über eine Notiz" (Brief an die Redaktion „Sozialdemokrat" Nr. 1 vom 30. [17.] September 1906), in dem er seine Gedanken erneut wiederholte.

Das ZK verhielt sich zunächst ablehnend zur Idee von P. Axelrod, beschloss aber, nachdem die Bolschewiki mit der Forderung der Einberufung eines außerordentlichen Parteitages aufgetreten waren, der Agitation für den Parteitag die Agitation für die Einberufung eines Arbeiterkongresses entgegenzustellen, um so mehr, als G. V. Plechanow in einem seiner Artikel dazu aufrief.

In der nun einsetzenden Diskussion rückten die Menschewiki den Arbeiterkongress als Mittel zur Lösung der Parteikrise immer mehr in den Vordergrund. Es traten unter den Menschewiki selbst mehrere Gruppen in Erscheinung. Für die einen, die sogenannten „Petersburger" Anhänger von P. B. Axelrod, sollte der Arbeiterkongress, wie sie betonten, zur Rettung vor dem Fraktionskampf dienen. Für die „Petersburger" war die Aufgabe des Arbeiterkongresses die Bildung einer „Allrussischen Arbeiterpartei". „Nicht alle Arbeiter sollen zu diesem Kongress wählen – schrieb Schtscheglo, die P. Axelrod unterstützte (,Wozu ist der Arbeiterkongress notwendig?' ,Nasche Djelo' Nr. 7) sondern nur jene, die die Notwendigkeit einer besonderen politischen Arbeiterpartei erkannt haben…" Gleichzeitig glaubte Genosse Larin, der derselben Gruppe angehörte, dass sich an dem Kongress alle sozialistischen Organisationen (mindestens 1000 Mann), die Gewerkschaften (ebenfalls mindestens 1000 Mitglieder) und alle Großbetriebe (2–3000 Arbeiter) beteiligen könnten.

Außer den „Petersburgern" bestand eine Gruppe der „Moskauer", für die der Arbeiterkongress ein Mittel „zur Befreiung der Arbeiter von der Führerschaft der Intelligenz" war. Diese sprach sich denn auch über den Kopf der Partei und ohne die Initiative der Partei für die Einberufung des Kongresses aus.

Die Lösung der Hauptaufgabe des gegenwärtigen Augenblicks – begründete einer der ,Moskauer' (El, „Zwei Strömungen in der Frage des Arbeiterkongresses") seine Idee – läuft darauf hinaus, durch organisatorische Rahmen alle auch nur irgendwie in Bewegung geratenen Schichten der Arbeiterklasse zu erfassen. Eine genügend breite organisatorische Form dieser Art ist der außerparteiliche ,Allrussische Arbeiterkongress'."

Der offenkundig parteifeindliche Charakter der Agitation für den Arbeiterkongress, die noch dazu von den Liberalen, den Syndikalisten und sogar den konterrevolutionären Elementen vom Schlage der Uschakow-Leute aufgegriffen wurde, zwang die Allrussische Novemberkonferenz der SDAPR zur einstimmigen Annahme einer Resolution, die jedwede konkreten Schritte zur Einberufung des Kongresses verbietet und vorschreibt, dass die Diskussion selbst ausschließlich auf dem Boden der Partei zu führen ist während der 5. (Londoner) Parteitag auch die Agitation selbst als parteischädigend bezeichnete. Die Kritik der Idee des Arbeiterkongresses gab Lenin in dem Artikel: „Die Krise des Menschewismus" (siehe S. 246 des vorliegenden Bandes) und „Die erboste Kopflosigkeit" (siehe Bd. XI der Werke [nicht auf deutsch erschienen).

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