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Beratung der erweiterten Redaktion des „Proletarij"

In der Fraktionsberatung der Bolschewiki während des Londoner Parteitages der SDAPR (im Jahre 1907) wurde beschlossen, dass als führendes Organ der bolschewistischen Strömung das Bolschewistische Zentrum (BZ) gelten soll, das aus den bolschewistischen Mitgliedern und Kandidaten des ZK und aus der Redaktion der Zeitung „Proletarij bestand. Vom 21.-30. Juni/4.-13. Juli 1909 fand eine Sitzung dieses BZ statt, an der auch die Vertreter einer Reihe größerer Parteiorganisationen (Petersburg, Moskau, Ural), ein Vertreter des bolschewistischen Teils der Dumafraktion und andere Genossen teilnahmen. Diese Sitzung, die unter der Bezeichnung „Beratung der erweiterten Redaktion des ,Proletarij‘“ bekannt ist, hat in dem Kampf für die Leninsche Linie der Partei in der Zeit der Reaktion eine bedeutende Rolle gespielt. Aus der Reihe der auf dieser Beratung angenommenen Resolutionen, die von Lenin redigiert und zum Teil auch geschrieben wurden, sind hier zwei abgedruckt. Die letzte von ihnen ist, wie aus der Benennung hervorgeht, gegen den Otsowismus und Ultimatismus gerichtet. [...]

Das hartnäckige Verharren der Otsowisten und der Ultimatisten bei ihren politischen Fehlern und der Schaden, den sie durch ihre Propaganda stifteten, machten es notwendig, in der erweiterten Beratung der Redaktion des „Proletarij“ sich mit dieser Strömung zu beschäftigen und sie entschieden zu verurteilen. Aber die Hartnäckigkeit der Otsowisten und Ultimatisten war mit ihren politischen Fehlern nicht erschöpft. Sie begannen in den Reihen der Bolschewiki selbst eine besondere Fraktion zu bilden. Das kam besonders darin zum Ausdruck, dass sie auf der Insel Capri (Italien) eine eigene fraktionelle „Parteischule“ veranstalteten. Nicht genug damit, entfernten sie sich in dem gleichen Maße, wie sie die Positionen des Bolschewismus in der Politik verließen, auch von den theoretischen Grundlagen des Marxismus in der Richtung zum Idealismus und gelangten dabei bis zur sogenannten „Gottbildnerei“, zu einer besonderen „sozialistischen“ Religion, in die sie – vor allem Lunatscharski und Gorki – den wissenschaftlichen Sozialismus zu verwandeln suchten. Unter solchen Verhältnissen gewann die Frage einer entschiedenen Verurteilung des Otsowismus und Ultimatismus und seiner Führer mit ihren anarchistischen und „gottbildnerischen“ Ideen eine besondere Schärfe. Darum verlief die Beratung der erweiterten Redaktion des „Proletarij“ in erster Linie im Zeichen des vollständigen Bruches mit dem Otsowismus und Ultimatismus als einer offen parteifeindlichen Strömung. Dies charakterisiert auch die hier abgedruckte Resolution über den Otsowismus und Ultimatismus. Außerdem wurde in der Beratung eine besondere Resolution über die gottbildnerischen Tendenzen in der sozialdemokratischen Bewegung angenommen. In dieser Resolution heißt es, dass die Beratung „in dieser Strömung, die besonders in den Artikeln des Genossen Lunatscharski propagiert wird, eine Strömung erblickt, die mit den Grundlagen des Marxismus bricht, die durch das ganze Wesen ihrer Propaganda und durchaus nicht nur durch ihre Terminologie allein der revolutionären sozialdemokratischen Aufklärungsarbeit unter den Arbeitermassen Schaden zufügt, und dass die bolschewistische Fraktion mit einer solchen Entstellung des wissenschaftlichen Sozialismus nichts gemein hat“. Den entschiedenen Kampf gegen derartige Tendenzen, die Aufdeckung ihres antimarxistischen Charakters stellte die Konferenz der Redaktion des „Proletarij“ zur Aufgabe. Ebenso entschieden verurteilte die Konferenz den Versuch des ideologischen Inspirators des Otsowismus und Ultimatismus, Bogdanow (Maximow), die „Gottbildnerei“ Lunatscharskis in Schutz zu nehmen (siehe den vollen Text der Resolutionen über die Gottbildnerei und über Bogdanow im Anhang zu Bd. XIV der Sämtlichen Werke). Das Ergebnis der Beratung war die Annahme einer Resolution über die Abspaltung Bogdanows (Maximows) von den Bolschewiki, mit der Feststellung, dass die Redaktion des „Proletarij“ jedwede Verantwortung für seine politischen Schritte ablehnt.

Die Beratung, die im Zeichen des vollständigen Bruches mit dem Otsowismus und Ultimatismus verlief, blieb dabei der Losung des Kampfes „an zwei Fronten“ treu und sprach sich in ihren Resolutionen mit derselben Entschiedenheit gegen das menschewistische Liquidatorentum aus, das als eine parteifeindliche Strömung bezeichnet wurde, die mit den Grundlagen der marxistischen Theorie und des Programms der Partei gebrochen habe. Die zweite hier abgedruckte Resolution der Beratung (über die Aufgaben der Bolschewiki in der Partei) war ganz und gar gegen dieses Liquidatorentum gerichtet, das sich jetzt schon endgültig als eine nicht nur gegen den Bestand der illegalen Partei, sondern auch gegen den revolutionären Marxismus überhaupt gerichtete Strömung herausgestellt hatte.

Außer den beiden Resolutionen, die hier erwähnt wurden, wurde von der Beratung auch eine Resolution „Über die Beziehung der Tätigkeit in der Duma zu den andern Zweigen der Parteiarbeit“ angenommen. Diese Resolution legt fest, worin die „revolutionäre sozialdemokratische Ausnützung des Parlamentarismus“ zum Unterschied von der opportunistischen Parlamentstätigkeit bestehen soll. Die Resolution warnt davor, „den Parlamentarismus als etwas Hauptsächliches, Grundlegendes, für sich selbst Bestehendes zu betrachten“, und stellt dem die Auffassung gegenüber, dass die parlamentarische Fraktion einer proletarischen Partei zu betrachten sei „als ein der sozialistischen Arbeiterbewegung untergeordnetes Organ, als eine der Organisationen der Partei, welche die Taktik der gesamten Partei durchzuführen hat“. Dementsprechend heißt es in der Resolution: „… die streng prinzipielle Klassenposition muss in den Vordergrund gerückt werden …, es muss auf der Verkündung des Sozialismus von der Dumatribüne, auf der Vertretung revolutionär-demokratischer Ziele und auf der Anwendung revolutionärer Methoden bei der Durchführung der Aufgaben des bürgerlich-demokratischen Umsturzes in Russland bestanden werden; bestanden werden muss auf der Verteidigung der Traditionen und der Losungen der Revolution, ohne jede Verkürzung gegen die konterrevolutionäre und besonders gegen die bürgerlich-liberale Strömung … Es muss der Kampf geführt werden gegen den (bei den Menschewiki und den Liquidatoren im Besonderen) sich zeigenden Reformismus; dem bürgerlichen Sozialreformertum und der Kriecherei vor jeder Scheinreform, die von dem Block der Kadetten und Oktobristen in der Duma verwirklicht wird, muss die revolutionäre sozialdemokratische Auffassung über die Reformen entgegengestellt werden. Die Agitation für Reformen soll zur Propaganda des Sozialismus ausgenützt werden mit dem Ziel, das Proletariat zusammenzuschließen und zu erziehen, und die Versuche des Absolutismus in der Durchführung sozialer Reformen sollen dazu benützt werden, um neue Stützpunkte der Arbeiterbewegung zu schaffen und den Angriff des Proletariats auf das Kapital und die Monarchie zu verstärken.“ [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 13]

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