Die Broschüre „Über Agitation“ erschien in der ersten Hälfte der neunziger Jahre und war von dem Funktionär der jüdischen sozialdemokratischen Organisation in Riga A. Kremer verfasst. Redigiert hatte sie Martow. Die Broschüre war stark verbreitet und allgemein bekannt. Es wurde in ihr die Forderung gestellt, dass die sozialdemokratischen Organisationen aus dem engen Rahmen des Zirkelwesens heraustreten und in der Masse des Proletariats untertauchen, an der konkreten Agitation für den wirtschaftlichen Kampf unter den Arbeitern teilnehmen sollen. Zugleich aber vertrat die Broschüre die falsche Theorie, dass man erst in einem bestimmten Stadium der Entwicklung zum politischen Kampfe übergehen könne. Diese „Stadien-Theorie“ war in der Broschüre so formuliert: das Proletariat beschreitet den Weg des politischen Kampfes erst dann, „wenn der Wirtschaftskampf ihm die Unmöglichkeit der Erkämpfung einer Verbesserung seines Loses unter den gegebenen politischen Verhältnissen augenscheinlich gezeigt hat“. Diese Stadien-Theorie (anfangs nur wirtschaftlicher Kampf und erst dann Übergang zum politischen Kampf) wurde von den Ökonomisten für ihre Taktik ausgenützt. [Ausgewählte Werke, Band 2] Die Broschüre „Über Agitation" war im Jahre 1894 in Wilna von A. Kremer, der in der Broschüre die Erfahrung der Arbeit der Ortsorganisation des „Bund" auswertete, geschrieben und von J. Martow redigiert worden. Sie erschien im Ausland im Jahre 1897 mit einem Vorwort, das vom Juni 1896 datiert ist, und mit einem Nachwort von P. Axelrod. Die Broschüre hatte einen großen Einfluss auf die sozialdemokratischen Kreise jener Zeit, soweit sie die Sozialdemokraten aufforderte, von der Zirkelpropaganda überzugehen zur Massenagitation in der Arbeiterschaft auf dem Boden der kleinen wirtschaftlichen Nöte und Forderungen der Arbeiter. Die Broschüre war jedoch etwas einseitig, denn sie betonte zu sehr die Rolle und die Bedeutung des rein ökonomischen Kampfes. Manche Formulierungen der Broschüre konnten im Geiste des Ökonomismus ausgelegt werden, der die Aufmerksamkeit der Arbeiter nur auf den ökonomischen Kampf konzentrierte und den Kampf für politische Forderungen in den Hintergrund schob. Von diesem Standpunkt aus hat G. Plechanow die Broschüre einer kritischen Analyse unterzogen in dem Artikel: „Noch einmal Sozialismus und politischer Kampf" („Sarja" Nr. 1, April 1901); das Vorwort Axelrods erwähnte ebenfalls kurz die Mängel der Broschüre. Der Tätigkeit der Petersburger Sozialdemokraten, unter denen Lenin arbeitete, und die die Broschüre kannten, war, wie aus der Darstellung Lenins ersichtlich ist, die Einseitigkeit fremd, die in der Broschüre zweifellos vorhanden ist. |
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