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Friedrich Adler zur Machtfrage

Lenin meint das Referat F. Adlers „Die Aufgaben der Arbeiterräte und die politische Lage“ auf der Konferenz der Arbeiterräte Österreichs in Wien, Juli 1919. Als Adler in seinem Referat die Frage der Möglichkeit des Übergangs der Macht in die Hände des österreichischen Proletariats streifte, musste er erklären: „Es hat tatsächlich in Deutschösterreich seit dem Umsturz im Oktober keinen Moment gegeben, wo es dem Proletariat nicht möglich gewesen wäre, die Macht zu ergreifen. An der Möglichkeit der Errichtung einer sozialistischen Herrschaft habe ich niemals gezweifelt, und es haben dies auch nicht jene Genossen, die man als die rechtsstehenden in der Partei bezeichnet, getan. Aber die Frage, die für den ernsthaften und gewissenhaften Vertreter proletarischer Interessen aufgetaucht ist, war nicht nur die, ob die Möglichkeit besteht, die Macht zu ergreifen, sondern vor allem, ob es im Interesse des Proletariats gelegen ist, unter diesen bestimmten historischen Bedingungen die Macht tatsächlich zu ergreifen. Denn es kommt nicht nur darauf an, dass man die Macht ergreift, sondern vor allem auch darauf, wie lange man die Macht zu behaupten in der Lage ist. Man kann dies machen, wie man es in München gemacht hat; man kann es auch vernünftiger machen, und trotzdem kann es scheitern. Wenn wir also einen derartigen Schritt einmal machen müssen und wir als sozialistisches Proletariat, durch die Umstände gedrängt, in Deutschösterreich die Macht in die Hand nehmen müssten, dann werden wir es nicht tun in dem Bewusstsein, eine Episode sozialistischer Herrschaft herbeizuführen, sondern wir werden es tun, wenn wir wissen, dass es historisch möglich und für das Proletariat in Deutschösterreich zweckentsprechend ist.

Deshalb sind wir Sozialdemokraten auf dem Standpunkt gestanden, dass es uns viel lieber gewesen wäre, wenn wir während dieser ganzen Zeit und auch noch in diesem schönen Monat Juli, wo der Friede geschlossen wird, an der Regierung überhaupt nicht beteiligt wären, sondern wenn jene die Verantwortung während dieser ganzen Periode, die der Niederlage gefolgt ist, übernommen hätten, die die Schuld am Kriege gehabt haben, wenn jene das auch ausgelöffelt hätten, was sie dem Volke in Deutschösterreich eingebrockt haben. Wir waren der Meinung, dass wir unter diesen Umständen nichts sehnlicher zu wünschen hätten, als dass eine bürgerliche Regierung diese Verantwortung allein trägt. Aber das Bürgertum war im November und auch noch später in einer derartigen Lage, dass es sich vor der Macht gefürchtet hat und alles lieber getan hätte, als in diesem Staat die Verantwortung allein zu übernehmen. So oft wir dies zu erkennen gegeben haben, entstand bleicher Schrecken im Bürgertum.

Das Bürgertum wollte nicht herrschen, weil es weiß, dass es in Österreich soweit heruntergekommen ist, dass es in der gegenwärtigen Zeit nicht herrschen kann. Nun befinden wir uns in der schwierigen Lage, dass das Bürgertum nicht herrschen will und nicht herrschen kann, das Proletariat aber, wenn es die Herrschaft übernehmen würde, auch nicht auf die Dauer herrschen könnte – oder wenigstens während dieser Zeit des Überganges unbedingt eine politische Niederlage erlitten hätte.“ [Lenin, Sämtliche Werke, Band 25, Anm. 16]

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