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Guesdisten und Possibilisten

zwei Richtungen in der französischen sozialistischen Bewegung. Im Jahre 1879 fasste der in Marseille tagende Kongress der Arbeiterorganisationen, der unter dem geistigen Einfluss der Marxisten („Kollektivisten") stand, den Beschluss, die sozialistische Arbeiterpartei zu gründen. Das im Jahre 1880 angenommene Parteiprogramm wurde von Marx und Engels redigiert. Im Jahre 1882 spaltete sich die Partei in zwei Fraktionen: die Guesdisten (Guesde, Lafargue), die die Hauptaufgabe der selbständigen revolutionären Politik des Proletariats in der Eroberung der Staatsgewalt (Diktatur des Proletariats) sahen, die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie ablehnten und für den organisatorischen Zentralismus innerhalb der Partei eintraten, und die Possibilisten oder Broussisten (Brousse, Malon), die den gemäßigten reformistischen Flügel bildeten. Die Possibilisten versuchten den Marxismus mit dem Proudhonismus zu vereinigen, sie vertuschten die sozialistischen und kommunistischen Ziele des Proletariats und legten weit größeren Wert auf die Gewinnung von Mandaten in den städtischen Selbstverwaltungen, sie wollten die Partei nach dem Föderationsprinzip und auf autonomer Grundlage aufbauen und empfahlen dem Proletariat nur das zu fordern, was „möglich" (possible) war – daher der Name der neuen Partei. Im Jahre 1890 trennten sich von den Possibilisten die Allemannisten (mit Allemanne an der Spitze) – eine syndikalistische Strömung, die mit der allzu gemäßigten Politik der Possibilisten unzufrieden war, aber gleichzeitig den Guesdisten ablehnend gegenüberstand. (Die Allemannisten hielten den Generalstreik für das Hauptkampfmittel.) Außer den Guesdisten, Possibilisten und Allemannisten hatten in den neunziger Jahren Einfluss auf die Arbeiterbewegung die Blanquisten (Ed. Vaillant), die in vielem die Traditionen Blanquis aufgaben und zum Marxismus evolutionierten, ferner die „Föderation der Unabhängigen" (Jaurès), die die Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie propagierte. Im Zusammenhang mit der politischen Krise, die der Fall Dreyfus hervorrief, wurden im Jahre 1898 Versuche unternommen, die verschiedenen sozialistischen Strömungen miteinander zu vereinigen. Der Eintritt des „Sozialisten" Millerand in das bürgerliche Ministerium hatte jedoch eine neue Umgruppierung in den Reihen des französischen Sozialismus zur Folge, wobei die eine Richtung für den revolutionären Klassenkampf eintrat, die andere für den „Ministerialismus" und für die Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie (der Hauptvertreter des ersten Standpunktes war Guesde, der Hauptvertreter des zweiten – Jaurès). Es gelang auf den gemeinsamen Parteitagen nicht, in diesen Fragen eine Einigung zu erzielen, und im Jahre 1901 gründeten die Guesdisten die „Sozialistische Partei Frankreichs" (Parti Socialiste de France), während die Reformisten (Possibilisten, Allemannisten, Unabhängige) im Jahre 1902 die „Französische Sozialistische Partei (Parti Socialiste Français) gründeten. Der Richtungskampf in der französischen Arbeiterklasse trat in eine neue Phase.

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