Dem Stuttgarter Kongress folgte in Essen der Parteitag der deutschen Sozialdemokratischen Partei. Er stand unter dem Eindruck der sogenannten Hottentotten-Wahlen zum Reichstag 1907, als der vereinigte Block aller bürgerlichen Parteien durch seine rasende patriotische und nationalistische Agitation der Sozialdemokratie viele Stimmen kleinbürgerlicher Mitläufer und selbst Arbeiterstimmen entzog. Die auf dem Parteitag aufgetauchte Frage des Militarismus gewann große Schärfe infolge des „Falles Noske". Noske hielt im Reichstag eine Rede, in der er erklärte, im Falle eines Angriffskrieges gegen Deutschland würden die Sozialdemokraten hinter den bürgerlichen Parteien nicht zurückstehen und die Flinte auf den Buckel nehmen. Die Rede Noskes fand den Beifall der bürgerlichen und Regierungskreise. In den Reihen der Sozialdemokratie wurden aber nicht nur Proteste laut, sondern auch bestimmte Sympathien unter den rechten Elementen. In einem Landtag stimmte sogar die sozialdemokratische Fraktion für den Landesetat. Auf dem Essener Parteitag zogen es die Opportunisten vor, einem offenen Kampf aus dem Wege zu gehen. Es fehlten Auer, Legien, Bernstein, obwohl der letztgenannte fortfuhr, in der Presse seine offen chauvinistischen Anschauungen in der Kolonialfrage zu entwickeln. Besonders charakteristisch war auf diesem Parteitag das Verhalten des Parteizentrums – der führenden Gruppe Bebel-Singer. Bezüglich der opportunistischen Resolution zur Kolonialfrage meinte Singer, es handle sich bei diesem Streit mehr um Worte. Bebel sprach sich wohl gegen van Kol aus, wandte sich aber scharf gegen die „Linken" (Rosa Luxemburg und Parvus) und gegen ihre Methoden der Bekämpfung der Opportunisten und war bestrebt, die Meinungsverschiedenheiten als geringer hinzustellen, als sie in Wirklichkeit waren. Faktisch nahm er Noske in Schutz, indem er erklärte, seine Rede sei „im ganzen gut" gewesen. Das Referat Karl Liebknechts über die Organisierung der sozialistischen Jugend und über Verstärkung der antimilitaristischen Agitation wurde vom Parteitag nicht erörtert. Überhaupt waren sowohl der Parteitag als auch die offizielle Leitung der deutschen Partei in jeder Weise bestrebt, den Fragen des Kampfes gegen den Militarismus aus dem Wege zu gehen. In
einer weiteren Frage machte das Parteizentrum ebenfalls ein ernstes
Zugeständnis an die Revisionisten: bei der Erörterung der
politischen Lage wurde unter dem Druck Bebels eine Resolution, die
Abkommen mit der liberalen Bourgeoisie untersagte, abgelehnt, um „die
Partei nicht zu binden". [Band 12] Der Essener Parteitag der deutschen Sozialdemokratie fand im Jahre 1907 unmittelbar nach dem Stuttgarter Kongresse der II. Internationale statt. Auf diesem Parteitage griff in der Debatte über den Bericht der Reichstagsfraktion Vollmar Liebknecht an, der auf der Notwendigkeit einer antimilitaristischen Propaganda bestand. In dieser Rede entwickelte Vollmar jene Ansichten, auf deren Unrichtigkeit Lenin verweist. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 148] |
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