Polengeschichte – Am 22. Januar 1863 brach in Kongresspolen, d. h. dem von Russland beherrschten Teil Polens, ein Aufstand aus, der sich gegen die nationale Unterdrückung richtete. Das Zentrale Nationalkomitee, in dem revolutionär-demokratische Kräfte tonangebend waren, erließ als Provisorische Nationalregierung ein Manifest, das die rechtlichen Grundlagen eines bürgerlichen Nationalstaats schuf, indem es die Gleichheit aller Bürger und die Unabhängigkeit Polens proklamierte, die Bauern von allen feudalen Lasten befreite und sie zu vollen Eigentümern des von ihnen bebauten Bodens machte. Auf diese mit sozialen Forderungen verbundene nationale Zielsetzung sind auch die ersten Erfolge des Aufstands zurückzuführen. Der polnischen Bourgeoisie und den Großgrundbesitzern, die bisher dem Aufstand ablehnend gegenübergestanden hatten, gelang es, im März durch ihre Agenturen sich an die Spitze des Aufstands zu stellen, um ihm seinen revolutionären Inhalt zu nehmen. Sie erhofften die Befreiung vom zaristischen Joch nicht durch die Aktion der Volksmassen, denen sie soziale Zugeständnisse hätten machen müssen, sondern durch eine Intervention der Regierungen westeuropäischer Mächte. Daher begnügten sie sich damit, den Aufstand nur dahinschwelen zu lassen, ohne ihn zu großen Aktionen ausweiten zu lassen. Sie begrenzten den Aufstand auf Kongresspolen und verhinderten dadurch, dass der Aufstand zu einer Sache des ganzen polnischen Volkes wurde, obwohl er auch aus den anderen Annexionsgebieten Unterstützung erhielt. Mit Worten bekannten sich die konservativen Führer zwar zu dem Edikt über die Eigentumsverleihung an die Bauern, taten aber nichts, um es in die Tat umzusetzen. Die revolutionären Regierungen, die im Juni und September für kurze Zeit die Macht übernehmen konnten, bewirkten keinen grundlegenden Wandel. Romuald Traugutt, der Mitte Oktober 1863 die diktatorische Macht übernahm, stützte sich auch auf die revolutionär-demokratischen Kräfte und führte den Aufstand in eine neue Belebungsphase. Er forderte ebenfalls die konsequente Durchführung des Landverleihungsdekrets, um die Bauern um die Fahnen des Aufstands zu scharen. Doch da es ihm nicht gelang, die Sabotage der Gutsbesitzer zu brechen, weil er sich nicht auf die revolutionären Massen der Bauern stützte, nahm der Aufstand nicht den Charakter einer Agrarbewegung an. Die Bauern verließen seine Fahnen, vor allem als sich die zaristische Regierung mit ihrem Gesetz über die Agrarreform vom 2. März 1864 zum Vollstrecker des Januardekrets der Aufstandsregierung machte. Mit der Gefangennahme Traugutts und seiner Regierung im Mai 1864 erlosch der Aufstand. Der
polnische Aufstand von 1863/1864 war nicht nur eine wichtige Etappe
im nationalen Befreiungskampf des polnischen Volkes, er war auch von
großer internationaler Bedeutung. Die fortschrittlichsten Kräfte in
Europa unterstützten den Freiheitskampf des polnischen Volkes. Die
Protestaktionen des internationalen Proletariats gegen die grausame
Niederwerfung Polens durch den Zarismus und gegen die
Gleichgültigkeit, mit der die übrigen Regierungen diesem zusahen,
spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der Internationalen
Arbeiterassoziation (I. Internationale). [MEW 30, Anm. 334] Eine
Welle von Bauernerhebungen 1860/1861 führte zum Volksaufstand vom
22. Januar 1863 im Königreich Polen, in Litauen, Belorussland und
Teilen der Ukraine gegen nationale und soziale Unterdrückung, der
1863/1864 blutig niedergeschlagen werden konnte, weil keine nationale
Führung bestanden hatte. [RLGW] |
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