Glossar‎ > ‎

Verhandlungen über die Zusammensetzung der Regierung November 1917

Die Verhandlungen mit dem Exekutivkomitee des Verbandes der Eisenbahnarbeiter und -angestellten über die Zusammensetzung der Regierung begannen, nachdem das Exekutivkomitee am 9. November (27. Oktober) eine Resolution fasste über die Notwendigkeit der Bildung einer Regierung aus allen sozialistischen Parteien, von den Bolschewiki bis zu den Volkssozialisten einschließlich, und nachdem die Fraktion der linken Sozialrevolutionäre auf dem II. Rätekongress einen analogen Beschluss gefasst hatte.

Das ZK der bolschewistischen Partei behandelte am selben Tage diese Frage, erklärte es für wünschenswert, die Regierung zu ergänzen (Bedingung war die Anerkennung der vom II. Rätekongress angenommenen Dekrete und der Verantwortlichkeit der Regierung ausschließlich vor dem Allrussischen Zentralexekutivkomitee), und bestimmte zu Delegierten für die Verhandlungen L. Kamenew und G. Sokolnikow. Auch das Allrussische Zentralexekutivkomitee fasste am selben Tage einen ähnlichen Beschluss, Verhandlungen mit dem Exekutivkomitee des Verbandes der Eisenbahnarbeiter und -angestellten über die Bildung einer Regierung unter den erwähnten Bedingungen aufzunehmen.

Die Menschewiki und die rechten Sozialrevolutionäre, die es zuerst abgelehnt hatten, an Verhandlungen mit den Bolschewiki teilzunehmen, machten später den Versuch, diese Verhandlungen für sich auszunutzen. Sie forderten bei den Verhandlungen am 12./13. November (30./31. Oktober) im Wikschel den Verzicht auf die Macht der Räte, die Verantwortung der Regierung vor dem sogenannten „Volksrat", in dem die Vertreter des alten Allrussischen Bauernrats, der Stadtverwaltungen, der alten Armeekomitees usw. die Mehrheit haben sollten. Sie bestanden darauf, dass die „personellen Schuldigen an dem Oktoberumsturz, Lenin und Trotzki", nicht in die Regierung aufgenommen werden, und schlugen vor, sofort eine Regierung zu bilden. Als Kandidaten empfahlen sie W. Tschernow und N. Awksentjew. Die Vertreter der Bolschewiki mit Kamenew an der Spitze stimmten zwar formell diesen Vorschlägen nicht zu, waren aber nicht gegen deren Beratung.

Die Taktik der bolschewistischen Delegation in diesen Beratungen wurde am 14. (1.) November in der erweiterten Sitzung des ZK der bolschewistischen Partei unter Teilnahme von Vertretern des Petrograder Parteikomitees, der Militärorganisation und der Mitglieder des Rates der Volkskommissare, die nicht zum ZK gehörten, behandelt. Lenin, L. Trotzki, F. Dsershinski, J. Swerdlow und G. Sokolnikow schlugen vor, alle Verhandlungen mit den rechten sozialistischen Parteien einzustellen oder zumindest diesen Verhandlungen einen ganz anderen Charakter zu geben. Die Minderheit dagegen, L. Kamenew, W. Miljutin, D. Rjasanow und A. Rykow, die nicht an die Konsolidierung der proletarischen Diktatur in Russland glaubten, forderten die Teilung der Macht mit den kleinbürgerlichen Parteien und die Fortführung der Verhandlungen mit dem Exekutivkomitee des Verbandes der Eisenbahnarbeiter und -angestellten. Nach längeren Debatten im ZK wurde mit Stimmenmehrheit eine Resolution angenommen, „die den Mitgliedern unserer Partei infolge des bereits gefassten Beschlusses des Zentralexekutivkomitees gestattete, heute an dem letzten Versuch der linken Sozialrevolutionäre, eine sogenannte einheitliche Regierung zu schaffen, teilzunehmen, um die Unhaltbarkeit eines solchen Versuches zu entlarven und weitere Verhandlungen über eine Koalitionsregierung endgültig einzustellen". Am Abend desselben Tages beschloss das Allrussische Zentralexekutivkomitee, dass seine Vertreter bei den Verhandlungen auf den Bedingungen bestehen müssen, die in der früheren Resolution des ZK der Bolschewiki aufgestellt wurden. Das Zentralkomitee der Partei bestätigte am Tage darauf abermals durch eine spezielle Resolution die völlige Unzulässigkeit von Konzessionen an die kleinbürgerlichen Parteien.

Als Antwort darauf traten am 15. (2.) November in der Abendsitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees die linken Sozialrevolutionäre mit einer Deklaration auf, in der sie erklärten: da die „von der Mehrheit des Zentralexekutivkomitees eingenommene Stellung in der Frage der Schaffung einer Regierung aus allen sozialistischen Parteien die Bildung einer solchen Regierung unmöglich macht und damit das Land in den Abgrund des weiteren Bürgerkrieges stößt, hält es die Fraktion der linken Sozialrevolutionäre für notwendig, abermals das Zentralexekutivkomitee auf die für die Revolution entstandene tragische Situation aufmerksam zu machen, und schlägt dem Zentralexekutivkomitee ultimativ vor, die Frage der Plattform eines Abkommens aller sozialistischen Parteien einer abermaligen Prüfung zu unterziehen. Die Fraktion der linken Sozialrevolutionäre ist der Auffassung, dass nur die sofortige Zusammenfassung der gesamten revolutionären Front imstande sein wird, die werktätigen Klassen vor der wirtschaftlichen Katastrophe und der Gefahr der heranbrechenden Konterrevolution zu schützen". Durch diese Erklärung hofften die linken Sozialrevolutionäre, wie später einer ihrer Führer, B. Malkiin, erklärte, „die Bolschewiki zu entzweien und die Schwankenden unter den Bolschewiki zu sich herüber zu ziehen".

Das erreichten die linken Sozialrevolutionäre zum Teil. G. Sinowjew, der in der Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees die Resolution des ZK der SDAPR (B) vom 15,. (2.) November über die Bedingungen eines Abkommens verlas, erklärte, dass diese Resolution von der bolschewistischen Fraktion des Allrussischen Zentralexekutivkomitees noch nicht beraten worden sei. Auf Verlangen der bolschewistischen Fraktion wurde sofort eine Pause von einer Stunde festgesetzt, damit die Fraktion die Resolution des ZK der Partei beraten könne. Ein Protokoll der Fraktionssitzung ist nicht erhalten geblieben. Bekannt ist nur, dass L. Kamenew und G. Sinowjew eine Reihe von Abänderungsanträgen zur Resolution über die Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften, in den Organen der Stadtverwaltungen, der Wikschel, in den alten Bauernräten usw. durch brachten, die faktisch eine Durchkreuzung der Politik des ZK bedeuteten.

Am Tage darauf richtete die Mehrheit des Zentralkomitees ein Ultimatum an die Minderheit und verlangte die Einstellung der desorganisatorischen Tätigkeit und die Unterordnung unter die Parteidisziplin. Die Minderheit antwortete darauf am 17. (4.) November mit dem Rücktritt von ihren verantwortlichen Posten, mit dem Austritt aus dem ZK der Partei und dem Rat der Volkskommissare. Nach der neuen ultimativen Forderung des ZK an die Minderheit, sich der Parteidisziplin unterzuordnen, veröffentlichte G. Sinowjew eine Erklärung, in der er sagte, dass er wieder ins ZK eintrete und alle Genossen auffordere, sich der Parteidisziplin unterzuordnen.

L. Kamenew, W. Miljutin, W. Nogin und A. Rykow nahmen die Arbeit in jenem ZK nicht wieder auf.

Lenin meint hier das Auftreten der Menschewiki am 3./16. November in einer Beratung, die von den linken Sozialrevolutionären und vom Exekutivkomitee des Eisenbahnerverbandes zur Frage der Bildung einer „homogenen sozialistischen Regierung“ einberufen worden war. Die Menschewiki – Abramowitsch und Martow – verlangten als Vorbedingung der Unterhandlungen die Einstellung des Kampfes gegen die konterrevolutionären Parteien (vor allem gegen die Kadetten) und die Herstellung der vollen Pressefreiheit. Die zweite Forderung figurierte auch in den Erklärungen der linken Sozialrevolutionäre und in den Vorschlägen der rechten Bolschewiki: in der Sitzung des Zentralexekutivkomitees vom 4./17. November 1917 traten nicht nur die linken Sozialrevolutionäre, sondern auch die rechten Bolschewiki (Larin) mit der Forderung der Aufhebung des Pressedekrets auf. Die Mehrheit des Zentralexekutivkomitees lehnte diese Forderung ab. In der von der bolschewistischen Fraktion vorgelegten Resolution hieß es: „Das Verbot der bürgerlichen Zeitungen war nicht nur durch die bloßen Kampferfordernisse in der Periode des Aufstandes und der Unterdrückung der konterrevolutionären Versuche hervorgerufen, sondern ist auch eine notwendige Maßnahme zur Einführung eines neuen Presseregimes, bei dem die Kapitalisten, die Eigentümer der Druckereien und des Papiers, nicht als selbstherrliche Fabrikanten der öffentlichen Meinung auftreten können … Die Wiederherstellung der sogenannten ,Pressefreiheit“, d. h. die einfache Zurückgabe der Druckereien und des Papiers an die Kapitalisten, die das Bewusstsein des Volkes vergiften, wäre eine unzulässige Kapitulation vor dem Willen der Kapitalisten, wäre die Preisgabe einer der wichtigsten Positionen der Arbeiter- und Bauernrevolution, d. h. eine Maßnahme unbedingt konterrevolutionären Charakters“. Die Resolution schloss mit einer Verurteilung „der Bestrebungen, die von kleinbürgerlichen Vorurteilen diktiert sind oder eine direkte Wahrnehmung der Interessen der konterrevolutionären Bourgeoisie bedeuten“. In derselben Sitzung des Zentralexekutivkomitees gaben die rechten Bolschewiki und die linken Sozialrevolutionäre ihre Erklärungen über den Rücktritt von ihren Posten ab. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 139]

Kommentare