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VII. Sowjetkongress

Der Leninsche „Bericht des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare auf dem VII. Sowjetkongress“ wie überhaupt der ganze VII. Kongress, der in der Zeit vom 6. bis zum 9. Dezember 1919 tagte, kennzeichnet einen Wendepunkt in der Epoche des „Kriegskommunismus“: die erste, schärfste Periode der Intervention der Entente und des Bürgerkrieges war zu Ende, die Kommunistische Partei und die Sowjetmacht wandten sich zum ersten Mal seit dem Frühjahr 1918 den Aufgaben des Wirtschaftsaufbaus zu. Die militärische Situation zur Zeit des VII. Rätekongresses wurde bestimmt durch einen entscheidenden Umschwung an allen Fronten des Bürgerkrieges, der bald danach zur Liquidierung Koltschaks und Denikins – der Hauptkräfte der weißgardistischen Konterrevolution – führte. In Bezug auf die internationale Lage ist für diesen Zeitpunkt die Schwenkung der kleinen Randstaaten (Finnlands, Estlands, Lettlands) zum Frieden mit Sowjetrussland kennzeichnend, die im Laufe des Jahres 1920 in einer Reihe von Friedensverträgen ihren Abschluss fand.

Der Bericht Lenins auf dem VII. Rätekongress ist für die allgemeine Charakteristik der Aufgaben und der Lage in der Epoche des Kriegskommunismus von gewaltiger Bedeutung, und zwar vor allem dadurch, dass dieser Bericht eine tiefschürfende Analyse der ersten Periode der Intervention und des Bürgerkrieges gibt und die Ursachen der Niederlage der Imperialisten in diesem ersten Feldzug gegen Sowjetrussland klargelegt. Gleichzeitig gibt Lenin in dem Bericht einen Umriss der Hauptetappen der Intervention, der ein in seiner Knappheit und Exaktheit geniales historisches Schema des Bürgerkrieges darstellt. Im Zusammenhang damit legt Lenin die Grundlagen der Außenpolitik des Sowjetstaates dar, wie sie sich unter den Verhältnissen des Bürgerkrieges herausbildete: Kurs auf die internationale proletarische Solidarität zum Schutze des Sowjetlandes vor imperialistischen Überfällen, Ausnutzung der Widersprüche zwischen den „Siegerstaaten“ und den besiegten Ländern; Ausnutzung der Widersprüche zwischen den „Großmächten“ und den von ihnen abhängigen kleinen Ländern; Ausnutzung der inneren Widersprüche zwischen den verschiedenen Gruppen der Bourgeoisie in den imperialistischen Staaten sowie der versöhnlichen Tendenzen der kleinbürgerlichen und intellektuellen Schichten gegenüber dem Land der Sowjets.

Was die Fragen innerpolitischer Natur betrifft, die Lenin in seinem Bericht streift, so bilden die Frage des Terrors und die Frage der Wendung der Partei zum Wirtschaftsaufbau die Hauptfragen.

Auf dem VII. Rätekongress stieß Lenin auf unverhüllte Vorstöße der kleinbürgerlichen Parteien (der Menschewiki, des „Bund“ und der Sozialrevolutionäre), die zu dem Rätekongress zugelassen worden waren, gegen den bolschewistischen Terror (die Frage der Tscheka, d. h. der Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution). Es müssen folgende Momente aus Lenins Erwiderung unterstrichen werden: 1. „Der Terror ist uns durch den Terrorismus der Entente, durch den Terror der Weltmacht des Kapitalismus aufgezwungen worden, der die Arbeiter und Bauern würgte, würgt und zum Verhungern verdammt, weil sie für die Freiheit ihres Landes kämpfen“. 2. Die Erfahrungen des ganzen Bürgerkrieges in Sowjetrussland sowie der blutigen Niederschlagung von Arbeiterrevolutionen in anderen Ländern durch die weißgardistisch-bürgerliche Reaktion zeugen davon, dass der Terror eine unvermeidliche Waffe des revolutionären Kampfes ist. 3. Der Terror hebt die Bedeutung des Sowjetstaates als Demokratie für die werktätige Mehrheit der Bevölkerung nicht auf.

Kennzeichnend sind die allgemeinen Richtlinien über die Aufgaben des Wirtschaftsaufbaus, die Lenin in seinem Bericht auf dem VII. Rätekongress gibt. Angesichts der äußersten wirtschaftlichen Zerrüttung und des Elends der Arbeiterklasse, die eine Folge des imperialistischen und des Bürgerkrieges sind, erblickt Lenin die wirtschaftlichen Aufgaben in erster Linie in einem Kampf um die elementaren Grundlagen der wirtschaftlichen Stabilität des Landes – nämlich im Kampf um das Getreide und die Brennstoffe und im Kampf gegen den Flecktyphus („entweder besiegen die Läuse den Sozialismus, oder der Sozialismus besiegt die Läuse!“). Die Erreichung dieser wirtschaftlichen Stabilität ist für Lenin die Voraussetzung für den Aufbau des Fundaments des Sozialismus. Lenin betont mit allem Nachdruck, dass wir in der Periode des Bürgerkrieges „beim Dach, an irgendeinem Nebengebäude, einem Gesims zu bauen anfingen, dem Fundament aber nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuwandten“. Später fand dieser Gedanke Lenins in seiner Rede über den Wirtschaftsaufbau auf dem IX. Parteitag im Plan der Elektrifizierung des Landes seinen stärksten Ausdruck.

Daneben setzt Lenin bei der Darlegung der wirtschaftlichen Aufgaben seine Hoffnung auf die „Disziplin und Selbstaufopferung der Arbeiter“, auf jenen gigantischen Aufschwung des „Heroismus der Arbeiter im Hinterland“, der seinen Ausdruck in den Subbotniks, in der Wiederherstellung des Transportwesens mit den Kräften der organisierten Arbeiter usw. fand. Dieser Zug ist für das Verständnis der ganzen Periode des „Kriegskommunismus“ außerordentlich wichtig. [...]

Die zweite Voraussetzung, die von Lenin ebenfalls besonders hervorgehoben wird und auf die er die besondere Aufmerksamkeit des Rätekongresses lenkt, war die Sympathie für die Räterepublik und ihre Unterstützung durch die Arbeitermassen (und im gewissen Maße auch die Bauernmassen) des Westens. Dadurch wurde es den Ententemächten unmöglich gemacht, ihre Militärstreitkräfte gegen die Sowjetrepublik einzusetzen, sie wurden vielmehr gezwungen, ihre Truppen von den Sowjetfronten zurückzuziehen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, dass diese Truppen auf die Seite der Sowjets übergingen. Die Sympathie und die Unterstützung der Arbeitermassen des Westens hebt Lenin in seinem Bericht als eines der wichtigsten und entscheidendsten Momente im Kampf gegen die Intervention hervor. Das gilt auch für die gegenwärtige Lage, wo im Westen bereits nicht nur bloße „Sympathie“ und halb passive Unterstützung der Sowjetunion durch die Arbeitermassen festzustellen sind, sondern wo sich in einer ganzen Reihe von Ländern des Westens und des Ostens ein neuer revolutionärer Aufschwung und das Anwachsen einer revolutionären Krise bemerkbar machen.

Schließlich ist die dritte Voraussetzung für unsere wirtschaftlichen Erfolge die Gewinnung der Bauernmassen, auf die Lenin ebenfalls die Aufmerksamkeit des Rätekongresses lenkte. Es handelt sich hier bei Lenin selbstredend um die Mittelbauernschaft, da die Dorfarmut auch früher schon, vor dem Bürgerkrieg, mit dem Proletariat ging, der Kulak dagegen auf der Seite der Konterrevolution war und blieb. Gewinnung der Mittelbauernschaft, die bereits in der ersten Periode des Kampfes gegen Koltschak und Denikin zwischen diesen und der Sowjetmacht gewählt und ein militärisch-politisches Bündnis mit dem Proletariat geschlossen hatte – das ist es, was hier betont wird. Davon geht Lenin aus, wenn er im gleichen Bericht bei der Erörterung der nächsten wirtschaftlichen Aufgaben sagt, dass der Bauer das Getreide als „Darlehn“ geben soll und dass der Arbeiter dem Bauern seine Schuld hundertfältig zurückerstatten wird. Dabei ist es kennzeichnend, dass Lenin mit allem Nachdruck die führende Rolle der proletarischen Diktatur bei der Lösung der Frage des „Getreidedarlehns“ betont und von einem „energischen Appell“ der Arbeiterklasse an die Bauern spricht. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 8]

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