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Rosa Luxemburg 19170317 Junker und Proletarier

Rosa Luxemburg: Junker und Proletarier

17. März 1917

[Nach Der Kampf (Duisburg), Nr. 41, 17. März 1917, S. 1. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel von Rosa Luxemburg]

Vor einer Reihe von Jahren wurde einmal vom Schreiber dieser Zeilen in der Neuen Zeitdie Ansicht entwickelt, dass der entscheidende Kampf um die deutsche Zukunft zwischen dem Junkertum und der Sozialdemokratie ausgefochten werden würde. Das Wort wurde von der „Deutschen Tageszeitung“ aufgegriffen, die seitdem oft daran erinnerte, natürlich in ihrem Sinne: Der ostpreußische Großgrundbesitzer sei das einzige Bollwerk gegen die heranwachsende rote Flut.

Nichts begreiflicher daher, als dass die Junker sich desto üppiger gebärden, je mehr die rote Flut, dank dem Umfall des Rumpfparteivorstandes und seines Gefolges von Regierungssozialisten, zu verebben scheint. Der preußische Landwirtschaftsminister v. Schorlemer schlug im preußischen Abgeordnetenhause einen Ton an, wie er selbst in diesem Hause seit den Tagen der Landratskammer kaum erhört gewesen ist, und wie ein Echo aus noch weiter entlegener Zeit klang die Rede, die der Graf York v. Wartenburg im preußischen Herrenhause hielt. Er zeigte sich als der würdige Nachfahr jenes Generals York, der, als vor hundertundzehn Jahren eine junkerliche Intrige – den in gewissem Sinne reformfreundlichen Minister Stein gestürzt hatte, in den Jubelschrei ausbrach: „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift auflösen.“

Man muss sich nicht einbilden, dass die ostelbischen Junker von den „Wehen einer großen Zeit“ irgendwie berührt wären. Sie sind immer dieselben, „ob trüber Tag, ob heller Sonnenschein“, wie es in dem Preußenliede heißt. Die schwersten Krisen des Gemeinwesens, worin sie leben, berühren sie gar nicht. Als der preußische Staat nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt durch den Frieden von Tilsit zertrümmert worden war, und in seinem kümmerlichen Rest die Erbuntertänigkeit der Bauern durch das sogenannte Oktoberedikt von 1807 aufgehoben wurde – e ine Reform, die, durch den bittersten Zwang hervorgerufen, durch die Art ihrer Ausführung die Bauern aus dem Regen unter die Traufe brachte –, da rief ein Führer der damaligen Junker: „Lieber drei Niederlagen bei Auerstedt als ein Oktoberedikt!“ Das ist derselbe Geist, der heute aus den Reden der Schorlemer und York spricht.

Sollen wir darüber jammern und schelten? Sicherlich nicht, wenn anders auch für die Politik das weise Wort Spinozas gilt: Man muss die Dinge nicht bejubeln und nicht beklagen, sondern man muss sie verstehen. Wären die Junker durch schöne Reden zu stürzen, so wären sie freilich schon längst in einem bodenlosen Abgrund verschwunden. Auf solche Reden geben die Junker so viel wie auf den Wind, der durch den Schornstein fahrt, und das ist ihnen bisher auch recht gut bekommen.

Auf die „glänzende“ Rede, womit Scheidemann neulich im Reichstage den preußischen Landwirtschaftsminister angriff, antwortete dieser kaltblütig: „Hier sitz’ ich und hier bleib’ ich.“ Das ist immer so gewesen. Der alte Ziegler sprach noch viel „glänzender“ als Scheidemann, indem er einmal dem damaligen Kultusminister zurief: „Herr v. Mühler muss fort von seinem Platze.“ Ziegler war einige Wochen lang der gefeiertste Mann im Lande und wurde mit Zustimmungsadressen überschüttet, aber Herr v. Mühler blieb kalt lächelnd auf seinem Platze. Immerhin gewann Ziegler nunmehr die richtige Einsicht und sagte zu Bebel, wie dieser in seinen Denkwürdigkeiten berichtet: „Hören Sie, wir sind allesamt Sch... bekommen Sie die Gewalt in die Hand, so hängen Sie uns samt und sonders an die Laterne!“ So hat Scheidemann allerdings noch nicht gesprochen, sei es aus Mangel an Einsicht, sei es, weil er die zusagende Antwort fürchtet, die Ziegler von Bebel erhielt.

Es gab und gibt nur ein Mittel, die Macht des Junkertums zu brechen, und dieses Mittel war und ist eine mächtige Arbeiterpartei, die ihm an kaltblütiger und unbeirrbarer Entschlossenheit gewachsen, aber in der Höhe der menschlichen Kultur und in der Weite des geschichtlichen Blicks unendlich überlegen ist. Es war nicht von ungefähr, dass der ostelbische Großgrundbesitz zwar, solange er die moderne Arbeiterbewegung für einen häuslichen Zwist zwischen Bourgeoisie und Proletariat hielt, mit ihr zu spielen versuchte, aber als er sich dabei die Finger verbrannt hatte, sie viel grimmiger noch hasste und härter verfolgte, als es die Bourgeoisie tat. Der untrügliche Instinkt, den jeder Machthaber besitzt, sagte ihm, dass es sich hier um Sein oder Nichtsein handele.

Von dieser Furcht ist das Junkertum vorläufig befreit, dank des Umfalls der Scheidemann und Genossen. Die Politik, die diese genialen Köpfe treiben, ist dieselbe Politik, die die Fortschrittler und Nationalliberalen, sagen wir immerhin in ihren besseren Tagen, etwa in der preußischen Konfliktszeit getrieben haben, und diese Politik achten die Junker nicht einmal, geschweige denn, dass sie sie fürchten Damit wissen sie vortrefflich fertig zu werden. Es lohnt ihnen sogar nicht die Mühe, das Gesicht zu wahren, sie sprechen eine Sprache, als ob der Weltkrieg, der die ganze Welt durcheinander wirft, ehrfurchtsvoll Halt machen müsse vor dem ehernen Felsen der preußischen Junkerherrlichkeit.

Das ist auch ein Posten aus dem Schuldkonto des Regierungssozialismus, und wahrlich nicht der Geringste.

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