Rosa Luxemburg: Zur Märzkonferenz der Opposition 24. Februar 1917 [Der Kampf (Duisburg) Nr. 38, 24. Februar 1917. Nach Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 15, S. 705-707. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel in Wirklichkeit von Rosa Luxemburg] Durch den Aufruf der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, den wir vor acht Tagen an dieser Stelle besprochen haben, tritt an die Gruppe Internationale die Frage heran, ob sie die für den März geplante Konferenz der Opposition beschicken soll oder nicht. Wenn wir diese Frage heute zum Gegenstand einiger Bemerkungen machen, so selbstverständlich nicht in der Absicht, damit eine bindende Direktive auszugeben, wozu uns jede Befugnis fehlen würde, sondern nur zu dem Zwecke, die Erörterung überhaupt anzuregen, eine Erörterung, die um so notwendiger ist, als wir binnen weniger Wochen uns in jedem Falle so oder so entscheiden müssen. Über die innere Schwäche der Arbeitsgemeinschaft haben wir uns vor acht Tagen mit aller Unumwundenheit ausgesprochen, und wir sind deshalb vor dem Verdacht einer parteiischen Vorliebe für sie geschützt, wenn wir die Frage, um die es sich handelt, mit Ja beantworten. Wir können uns von der Beteiligung an der Konferenz schon aus dem sehr einfachen, aber sehr zwingenden Grunde nicht ausschließen, weil die Arbeitsgemeinschaft mit der Einberufung der Konferenz – sehr spät zwar, aber doch nicht zu spät – nur einer Forderung nachkommt, die die Gruppe Internationale selbst vor Jahr und Tag mit allem Nachdruck gestellt hat. Man muss die Dinge immer ein wenig unter historischem Gesichtspunkt betrachten. Bei allen Beschwerden über die Halbheiten und Schwankungen der Arbeitsgemeinschaft darf man doch nicht übersehen, dass auch sie ein Produkt der historischen Entwicklung ist. Es gehört einiger Götterglaube dazu, sich vorzustellen, als könne aus dem ungeheuren Zusammenbruch einer großen Arbeiterpartei eine neue Partei emporsteigen wie Pallas Athene, nach der griechischen Göttersage, aus dem Haupte des Zeus, in blanker Rüstung, bewaffnet mit Speer und Schild. Im wirklichen Leben gehen die Dinge viel nüchterner vor sich. Bricht ein Haus zusammen oder wird es von frevelnden Händen niedergerissen, so bauen sich die einen der bisherigen Bewohner gleich auf sicherem Felsengrunde ein neues Hüttlein, während andere – und es brauchen keineswegs die Schlechtesten zu sein; es sprechen dabei die verschiedensten psychologischen Antriebe mit – schon froh sind, wenn sie vorläufig ein notdürftiges Schutzdach finden. Ein solches notdürftiges Schutzdach – das höchstens vorläufig Unterschlupf gewährt – ist die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft. In ihr sind sehr verschiedene Elemente zusammengeflüchtet, wie wir schon vor acht Tagen ausgeführt haben: alte sturmerprobte Kämpfer des Proletariats, mit denen wir uns freuen würden Schulter an Schulter zu kämpfen, und politisch ganz unsichere Kantonisten, denen wir ein aufrichtiges Glück auf die Reise! mitgeben würden, wenn sie dahin zurück trotten möchten, wohin sie ihr Herz zieht, nämlich zu den Scheidemännern. In der Arbeitsgemeinschaft brodelt und gärt es wild durcheinander, und in ihrer gegenwärtigen Form sind ihre Tage gezählt. Sie muss entweder vorwärts oder zurück, und wir haben allen Grund, ihre Entwicklung nach vorwärts zu beschleunigen, soweit das in unsern Kräften steht. Sicherlich wenn unsere Beteiligung an der Konferenz, die die Arbeitsgemeinschaft zu berufen beabsichtigt, irgendein Abweichen von dem Felsengrunde unserer Prinzipien bedeutete, so wären wir die ersten, die Beteiligung abzulehnen. Davon darf und kann in keiner Weise die Rede sein. Aber darum handelt es sich ja gar nicht. Es handelt sich nur darum, dass die Arbeitsgemeinschaft einen Schritt in der Richtung tun will, die wir von jeher befürwortet und gewünscht haben, und uns auffordert, sie zu begleiten. Was soll uns hindern, dieser Aufforderung zu folgen, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass wir dabei unsern Grundsätzen nichts vergeben? Weil bittere Worte und heftige Anklagen zwischen beiden Richtungen gefallen sind? Du lieber Himmel! „In der Politik ist nichts abgeschmackter als der Groll", sagt Cavour einmal, und noch schlagender schreibt Marx: „Das bloß stumme Einhüllen in die Tiefe der eignen sittlichen Entrüstung lockt keinen Hund vom Ofen." Gewichtiger ist der Einwand, dass, wenn wir uns unter ungeschmälerter Wahrung unserer Grundsätze an der geplanten Konferenz beteiligen, doch nichts dabei herauskommen wird. Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, aber das wird nur der Schaden der Arbeitsgemeinschaft sein und ihren Auflösungsprozess beschleunigen, während es unser Nutzen sein und unsere Auffassung in den Arbeitermassen immer tiefere Wurzeln schlagen lassen wird. Vergeben werden wir uns durch unsere Beteiligung an der Konferenz nicht das Geringste, solange wir sie als einen aufrichtig und ehrlich gemeinten Versuch der Arbeitsgemeinschaft betrachten dürfen, sich nach vorwärts zu entwickeln. Und an der Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit dieses Versuchs zu zweifeln, liegt kein Anlass vor. Gewiss, große und tönende Worte verbürgen noch keine kräftigen und starken Handlungen, aber auf die braven Scheidemänner können wir uns sicher verlassen. Es heißt auch hier: Es leben unsere Freunde, die Feinde! Die brutale Gewaltpolitik des Rumpfparteivorstandes peitscht die Arbeitsgemeinschaft vorwärts, ob sie nun will oder nicht, und da können wir nicht tatlos beiseite stehen und uns trösten: Es geschieht ihnen ganz recht, weshalb haben sie eine halbe Politik getrieben? Das wäre nicht einmal eine halbe, sondern überhaupt keine Politik. Mit einem Worte: Mit der Beteiligung an der Konferenz der Opposition vergeben wir uns prinzipiell nicht das Geringste; praktisch kann sie uns aber nur fördern, gleichviel ob die Konferenz vorwärts führt oder ob sie ausgeht wie das Hornberger Schießen. gezeichnet |
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