Rosa Luxemburg: Maifeier und Unterstützungsfrage Rede auf dem Parteitag in Nürnberg 1908 [Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908, Berlin 1908, S. 267-269. Nach Gesammelte Werke Band 4, 1928, S. 281-283] Als der Mannheimer Parteitag die Frage der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in ihrer ganzen Tragweite aufrollte und nach Mitteln und Wegen suchte, wie wir das im Interesse der beiden Zweige der Arbeiterbewegung unumgänglich notwendige innige Zusammenarbeiten erzielen könnten, gehörte ich zu denjenigen Genossen, die sich am wenigsten eine ersprießliche Zusammenwirkung auf dem Wege versprachen, dass die obersten organisatorischen Spitzen beider Zweige der Arbeiterbewegung in dualistischer Weise miteinander verkehren und Vereinbarungen treffen, die dann für beide Teile der Arbeiterbewegung maßgebend sein sollten. Ich glaube, dass nach den ersten beiden wichtigen Proben des Zusammenwirkens nach diesem dualistischen System, die wir jetzt erlebt haben, unsere Befürchtungen von damals vollauf bestätigt werden. Diese zwei entmutigenden Proben sind die Maifeier und die Jugendorganisation. Die Frage der Maifeier ist auf sämtlichen deutschen Parteitagen verhandelt worden und mit Recht. Es entspricht das vollkommen der kolossalen Tragweite dieser Äußerung unserer Arbeiterbewegung. Aber erst seit kurzem ist eine ganz neue Seite in die Betrachtungen hineingeworfen worden, die von sehr verhängnisvoller Wirkung für die Sache der Maifeier sein kann. Das ist die Frage der Unterstützung. Als wir in Stuttgart1 in der deutschen Delegation die Bestimmung getroffen hatten, dass die Partei gleichfalls bereit ist, an der Unterstützung der Opfer der Maifeier sich zu beteiligen, sollte damit nur ausgesprochen werden, nach dem ganzen Sinn und Geist der Verhandlungen, dass auch die Partei ihrerseits alles tun will, was in ihrer Macht steht, um die Maifeier so würdig wie möglich auszubauen. In der Praxis hat sich die Unterstützungsfrage schon sehr bald als eine Schlinge erwiesen, in der die Maifeier erdrosselt werden kann, wenn wir nicht rechtzeitig der falschen Richtung in der Lösung dieser Frage vorbeugen. Genosse Fischer hat gesagt, er kann es nicht begreifen, wo die Logik liegt, wenn man den Gedanken vertritt, durch die Lösung der Unterstützungsfrage werde die Wirkung und Verbreitung der Maifeier vermindert. Umgekehrt sagt er: dadurch, dass wir Maßregeln treffen, um die tapfersten und kampfesmutigsten Opfer der Maifeier zu unterstützen und nicht auf dem Pflaster liegen zu lassen, wirken wir dafür, dass die Maifeier würdig gefeiert wird. Ich sehe keine Logik auf der Seite Fischers. Parteivorstand und Generalkommission haben vollständig recht, wenn sie erklären: wir haben vielleicht eine falsche Lösung der Unterstützungsfrage gefunden, nun, bitte, gebt uns eine bessere, dann werden wir sie ergreifen, wir haben bis jetzt keine bessere gefunden. Ich behaupte, eine vollkommene Lösung der Unterstützungsfrage in dem Sinne, dass einerseits die Maifeier immer mehr ausgedehnt wird, andererseits aber alle Opfer tatsächlich unterstützt werden, kann gar nicht gefunden werden. Darin liegt eben die Schlinge, in der die Maifeier erdrosselt wird, wenn wir uns weiter darauf einlassen, alle möglichen Kombinationen ausfindig zu machen, um die Unterstützung so zu regeln, dass alle Opfer gedeckt werden und doch die Maifeier ausgebaut wird. Die bisherige Praxis der Maifeier, nicht bloß in Deutschland, sondern in allen Ländern, hat gezeigt, dass es nur einen einzigen Weg gibt, um den Opfern der Maifeier vorzubeugen. Das ist nicht irgendeine Regelung der Unterstützung, sondern die möglichste Ausdehnung der Maifeier. Nur dann, wenn die Zahl der Feiernden eine so gewaltige wird, dass eine Maßregelung unmöglich wird, nur dann, wenn man die wirkliche Macht der klassenbewussten organisierten Kämpfer der Arbeiterschaft mit ihrer ganzen Wucht dem Unternehmertum entgegenstellt, erst dann wagt das Unternehmertum nicht, Maßregelungen gegen uns vorzunehmen. Wir haben Erfahrungen, die das auf Schritt und Tritt bestätigen. (Zuruf: Wo denn?) Ich bitte Sie, einen Blick zu werfen nach einem Lande, wo die Arbeiter genau aus demselben Teig gemacht sind, wie die deutschen Arbeiter, nach Russisch-Polen. (Widerspruch.) Wir haben dort in diesem Jahre wiederum in Warschau eine Maifeier gehabt, die einzig in der Welt dasteht. Sämtliche Fabrikarbeiter haben gefeiert. Es geschah das nicht etwa auf dem Höhepunkt der Revolution, wo alle Geister hochfliegen. Wir haben seit längerer Zeit bereits in Russland und Russisch-Polen einen Niedergang, einen gewissen Stillstand der Revolution, der revolutionären Bewegung zu verzeichnen. Wir haben eine furchtbare wirtschaftliche Depression, eine kolossale geistige Depression, und trotz alledem hat man dort massenhaft den 1. Mai gefeiert. Und gerade deswegen sind in diesem Jahre ebenso wie früher die Maßregelungen für die Maifeier minimal gewesen. Genau dieselben Erfahrungen hat man in Deutschland gemacht. Ich glaube, es war eine Zahlstelle der Holzarbeiter in Berlin, die in diesem Jahre genau dasselbe festgestellt hat in einer Sitzung nach der Maifeier, dass nämlich nur durch die möglichste Ausdehnung der Zahl der Feiernden ein Riegel dagegen vorgeschoben wird, dass die Maßregelungen die Masse der Feiernden treffen. Deshalb würden wir einen ganz falschen Weg einschlagen, wenn wir uns tatsächlich mit der uns hingeworfenen Frage des Langen und Breiten beschäftigen wollten, wie die Feiernden unterstützt werden sollen. Fischer hat selbst unwillkürlich gezeigt, wie ausweglos eigentlich dieser Weg ist, indem er sagte: Ihr seid alle unzufrieden mit der bisher getroffenen Regelung, dass die lokalen Organisationen die Gemaßregelten unterstützen sollen –, wer soll sie denn sonst unterstützen? Die zentrale Parteikasse ist nicht dazu da, sondern für politische Zwecke. Wir sind nicht imstande, diese kolossalen Opfer zu tragen. Die Zentralverbände ihrerseits erklären gleichfalls, sie müssten ihre Kassen für andere Kämpfe freihalten, ja, wer soll denn die Unterstützung zahlen? Auf diese Weise wird gezeigt, dass weder so noch so eine befriedigende Lösung der Unterstützungsfrage gefunden werden kann. Die einzige Lösung ist eben die, dass man unabhängig von dieser oder jener Regelung der Unterstützung den Gedanken der Maifeier mit allem Nachdruck propagiert und nicht in dem zaghaft bremsenden Geist, wie es im letzten Jahre vom Parteivorstand und der Generalkommission geschehen ist. (Sehr richtig! und Widerspruch.) Gerade auf diese Weise wirkt man dahin, dass die Opfer der Maifeier wachsen, denn durch diese Zaghaftigkeit der leitenden Behörden der Arbeiterbewegung bekommen die Unternehmer und ihre Verbände erst Mut, unsere Kämpfe mit Maßregelungen zu treffen. Wir haben um so mehr Ursache, mit aller Schärfe darauf zu bestehen, dass die Idee der Maifeier, ohne durch allerlei Nebenumstände, durch die Unterstützungsfrage verwirrt zu werden, mit vollem Nachdruck propagiert wird, als wir aller Voraussicht nach schweren Kämpfen entgegengehen. Die Maifeier hat, das muss man nach den bisherigen Erfahrungen sagen, in Deutschland nicht nur noch nicht gezeigt, was sie eigentlich leisten kann, sondern sie hat erst eine große Zukunft vor sich. Und um dieser Zukunft entgegenzugehen, haben wir allen Grund, jetzt mit aller Wucht darauf zu bestehen, dass der Gedanke der Maifeier in aller Reinheit und mit aller Schärfe propagiert wird. (Beifall.) 1 Internationaler Sozialistenkongress 1907. |
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