Nadeschda
Krupskaja: Sollen Jungen in „Weiberarbeit“ unterrichtet werden? [1910. Н. К. Крупская, Педагогические Сочинения в десяти томах. Том I. Автобиографические статьи. Дореволюционные работы (1899—1917 гг.). {Pädagogische Werke in zehn Bänden. Band 1. Autobiographische Artikel. Vorrevolutionäre Arbeiten (1899-1917)}, S 118-121, Nach Sozialistische Pädagogik, Band II, Berlin 1966, S. 143-146] Im „Bericht der Kommission für Volksbildung in St. Petersburg für das Jahr 1908“ sagt ein Sachverständiger in seinem Gutachten über den Handarbeitsunterricht: „Hinsichtlich der Handarbeit muss ich zu meiner größten Freude bezeugen, dass fast in allen gemischten Schulen nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen zu diesem Unterricht herangezogen wurden, und die Jungen beschäftigten sich so gern damit, dass sie in manchen Schulen beispielsweise im Nähen und Flechten bessere Leistungen aufzuweisen haben als die Mädchen.“ Dieses Zitat aus dem obenerwähnten Bericht stand im vorigen Jahr im Dezemberheft des „Wjestnik Wospitanija“ (Erziehungsbote), und zwar in der Rubrik „Chronik“, wobei der Verfasser der Chronik einen gewissen Zweifel äußerte, ob es wirklich von so großem Nutzen sei, den Jungen das Nähen beizubringen. Dazu möchte ich einige Worte sagen. Vor allem möchte ich die Frage in allgemeiner Form stellen: Sollen die Jungen in Arbeiten unterwiesen werden, die bisher ausschließlich als Frauensache galten, wie Nähen, Kochen, Waschen, auf die kleinen Kinder Aufpassen u. a.? In der heutigen Gesellschaft ist das Familienleben mit einer Reihe kleiner Sorgen verbunden, die mit der Führung eines eigenen Haushalts zusammenhängen, und das wird wahrscheinlich noch lange so sein. In Zukunft werden die Umgestaltung der Produktion und die veränderten Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens in dieser Hinsicht einen Wandel herbeiführen, vorläufig aber gehört die Zubereitung des Mittagessens, das Aufräumen der Zimmer, das Nähen und Flicken der Kleidung, die Pflege der Kinder u. a. zum Familienleben. Diese ganze Arbeit lastet voll und ganz auf der Frau. In wohlhabenden Familien wälzt man diese Arbeit auf weibliches Dienstpersonal ab, auf die Köchin, das Stubenmädchen und das Kindermädchen. Die wohlhabende Frau befreit sich von dieser Arbeit, indem sie sie auf eine andere Frau abwälzt, die nicht die Möglichkeit hat, sich davon frei zu machen. Doch wie dem auch sei, die ganze Arbeit im Haushalt lastet ausschließlich auf der Frau. In Arbeiterkreisen hilft der Mann der Frau manchmal im Haushalt. Dort zwingt die Not dazu. Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt oder an Feiertagen oder wenn er arbeitslos ist, geht der Arbeiter bisweilen einkaufen, fegt das Zimmer aus und passt auf das Kind auf. Das tut er natürlich nicht immer, und auch nicht jeder tut das, vieles kann er außerdem auch nicht (Nähen, Waschen), und wenn dann die Frau, die manchmal auch den ganzen Tag arbeiten gehen muss, von der Arbeit nach Hause kommt, fängt sie gleich an zu waschen und die Fußböden zu wischen, oder sitzt bis tief in die Nacht beim Nähen, wenn der Mann schon lange schläft. Doch während in Arbeiterkreisen der Mann der Frau bisweilen bei der Hausarbeit hilft, kümmert sich in sogenannten gebildeten Familien, auch wenn ihre Mittel noch so knapp sind, der Mann nie um den Haushalt und überlässt es der Frau, sich mit ihrer „Weiberarbeit“ herum zu plagen, wie sie es versteht. Ein „gebildeter“ Mann, der den Fußboden wischt oder die Wäsche stopft, würde den Spott seiner ganzen Umgebung herausfordern. In der bürgerlichen Presse (besonders im Westen) wird sehr viel über dieses Thema gesprochen, man sagt, die Hauswirtschaft sei das Gebiet, auf dem die Frau ihre Kräfte am nutzbringendsten anwenden könne. Wahrhaft Großes werde der Mensch nur auf dem Arbeitsgebiet schaffen, das seiner Individualität am meisten entspreche, die Individualität der Frau aber sei so geartet, dass ihr vor allem die kleinen wirtschaftlichen Sorgen entsprächen. Die Frau müsse sich bemühen, eine musterhafte Hausfrau zu sein, und dürfe nicht danach streben, die Sphäre des Familienlebens zu verlassen und mit dem Mann auf dem Gebiet der geistigen Arbeit zu konkurrieren. Man solle nicht geringschätzig auf Staubwischen und Strümpfe stopfen herabblicken, denn diese Beschäftigungen seien aller Ehren wert und keineswegs geringzuschätzen. Wie heuchlerisch diese Reden sind, ersieht man daraus, dass die Männer, obwohl sie von großer Hochachtung schwätzen, die die Arbeit im Haushalt verdiene, sich niemals herablassen, sich aktiv daran zu beteiligen. Und weshalb nicht? Doch nur deswegen nicht, weil sie im Grunde ihrer Seele diese Arbeit verachten und als etwas betrachten, das nur eines weniger entwickelten Wesens mit niedrigeren Bedürfnissen würdig ist. Dieses ganze Geschwätz, die Frau sei „von Natur aus“ zur Führung des Haushalts prädestiniert, ist ebenso unsinnig wie seinerzeit das Gerede der Sklavenhalter, die Sklaven seien „von Natur aus prädestiniert“, Sklave zu sein. Im Wesentlichen gibt es bei der Beschäftigung im Haushalt nichts, wodurch diese Beschäftigung der Individualität der Frau mehr entspräche als der des Mannes. Gewissen Arbeiten, die große Körperkraft verlangen, ist die Frau nicht gewachsen, doch warum kann der Mann die Arbeit im Haushalt nicht mit der Frau gemeinsam verrichten? Hier geht es nicht darum, dass die Hausarbeit das angeborene Betätigungsfeld der Frau ist, sondern darum, dass der Mann für den Broterwerb größtenteils außerhalb des Hauses arbeiten muss. Soweit das der Fall ist, hat die ausschließliche Haushaltsführung durch die Frau eine gewisse Berechtigung. Soweit aber die Frau gezwungen ist, ebenfalls Geld zu verdienen, liegt die Hausarbeit als zusätzliche Last auf ihren Schultern, und es ist ungerecht, wenn der Mann ihr dabei nicht zur Hand geht. Ebenso ungerecht ist es, wenn ein Mann mit einem Beruf, der ihm viel freie Zeit lässt, es für unter seiner Würde hält, ebenso wie die Frau Hausarbeiten zu verrichten. Die freie Schule kämpft gegen alle Vorurteile, die die Menschen im Leben benachteiligen. Das Vorurteil, die Beschäftigung im Haushalt sei etwas, was nur eines Wesens mit niedrigeren Bedürfnissen würdig sei, verdirbt das Verhältnis zwischen Mann und Frau, denn es trägt den Keim der Ungleichheit in dieses Verhältnis hinein. Mehr als ein Frauenleben wurde durch dieses Vorurteil zerstört, in mehr als eine Familie hat es Entfremdung und gegenseitiges Missverstehen gebracht. Die Vertreter der freien Schule sind glühende Verfechter der Koedukation, da sie der Meinung sind, dass gemeinsame Arbeit und gleiche Entwicklungsbedingungen zum gegenseitigen Verständnis und zur geistigen Annäherung der Jugend beider Geschlechter beitragen und dadurch eine Gewähr für normale Beziehungen zwischen Mann und Frau sein werden. Da sie einen solchen Standpunkt vertreten, dürften sie auch beim Handarbeitsunterricht keinen Unterschied zwischen Kindern verschiedenen Geschlechts machen. Jungen und Mädchen müssen in gleicher Weise lernen, alle im Haushalt notwendigen Arbeiten zu verrichten und dürfen die Verrichtung dieser Arbeit nicht als etwas ihrer Unwürdiges betrachten. Wer einmal Kinder beobachtet hat, der weiß, dass die Jungen in früher Kindheit ebenso gern wie die Mädchen bereit sind, der Mutter beim Kochen und Geschirrwaschen zu helfen und jede beliebige Arbeit im Haushalt zu leisten. Das alles ist doch so interessant für sie! Gewöhnlich aber macht man in der Familie schon sehr früh einen Unterschied zwischen Knaben und Mädchen. Die Mädchen erhalten den Auftrag, die Tassen abzuwaschen oder den Tisch zu decken, dem Jungen sagt man: „Was treibst du dich immer in der Küche herum, ist das vielleicht Männersache?“ Den Mädchen schenkt man Puppen und Geschirr, den Jungen Lokomotiven und Soldaten. Wenn der Junge in die Schule kommt, ist er schon hinlänglich dazu erzogen, die „Mädchen“ und ihre Beschäftigungen geringzuschätzen. Zwar ist diese Geringschätzung noch sehr oberflächlicher Natur, und man braucht in der Schule nur eine andere Linie durchzusetzen, so wird diese Geringschätzung gegenüber der „Weiberarbeit“ sehr bald verschwinden. Zu diesem Zweck müssen die Jungen ebenso wie die Mädchen im Nähen, Stricken und Wäscheflicken unterrichtet werden, das heißt in allen Dingen, ohne die man im Leben nicht auskommen kann und deren Unkenntnis einen hilflos und von anderen abhängig macht. Wenn dieser Unterricht richtig durchgeführt wird, besteht die begründete Annahme, dass die Jungen gern daran teilnehmen, wofür das Beispiel der Petersburger Schulen spricht (bezeichnend ist, dass dieser Versuch in gemischten Schulen durchgeführt wurde). Ferner muss den Kindern auch abwechselnd aufgetragen werden, das Schulfrühstück zuzubereiten, das Geschirr zu waschen, die Zimmer aufzuräumen, auf Sauberkeit zu achten und dergleichen mehr (ohne dass die Arbeit zwischen Jungen und Mädchen aufgeteilt wird). Der Wunsch, sich nützlich zu machen, die aufgetragene Arbeit gut zu erfüllen, sowie die Lust an der Arbeit werden den Jungen sehr bald seine Geringschätzung gegenüber der „Weiberarbeit“ vergessen lassen. Es wäre natürlich lächerlich, von dem Unterricht der Jungen in der „Weiberarbeit“ große Ergebnisse zu erwarten, doch das ist eines jener kleinen Dinge, die den gesamten Geist der Schule bestimmen und die man deshalb beachten muss. |
Nadeschda Krupskaja > 1910 >