Parvus (Aleksandr Helphand): Der Weltmarkt und die Agrarkrisis (November 1895-März 1896)1 [„Die Neue Zeit“, XIV. Jahrgang 1895-96, 1. Band, 1.: Nr. 7, S. 197f., 2.: Nr. 7, S. 199-202, 3.: Nr. 9, S. 276-283, 4.: Nr. 11, S. 335-341, 5.: Nr. 11, S. 341f., 6.: Nr. 17, S. 514-526 und Nr. 18, S. 554-560, 7.: Nr. 20, S. 621-631 und Nr. 21, S. 654-663, 8.: Nr. 24, 747-751, 9.: Nr. 24, 751-758 und Nr. 25, S. 781-788, 10.: Nr. 26, S. 818-827] 1. Zur Einleitung Der Einfluss des Weltmarkts auf die Produktion innerhalb der einzelnen Nationen ist bereits zum Gemeinplatz geworden. Dennoch ist dieser Einfluss noch sehr wenig erforscht. Die gewöhnliche Auffassung begnügt sich hier mit der einfachen Konstatierung der einzelnen Erscheinungen. Man weiß, der europäische Getreidebau leidet unter der Entwicklung des Getreideweltmarkts, man weiß, dass die europäische Schafzucht zurückgeht in Folge der Entwicklung des australischen Wollexports, dass die Lage der europäischen Baumwollindustrie wesentlich bestimmt wird durch den Ausfall der amerikanischen und ostindischen Baumwollernten, und Ähnliches mehr. Das sind aber nur die augenfälligen Zusammenhänge, die sich schon aus der Analogie mit der inneren Entwicklung des nationalen Markts aufdrängen. Der Weltmarkt erscheint hier nur als erweitertes Absatzgebiet und Produktionsfeld und nicht in seinen kapitalistischen Eigenschaften, als spezifisch kapitalistischer Markt. Die Konkurrenz, die hier ins Auge gefasst wird, ergibt sich schon aus der Entwicklung der Verkehrsmittel und verrät in nichts, dass es sich dabei um Entwicklungserscheinungen der kapitalistischen Weltproduktion handelt. Es gibt aber andere Zusammenhänge. Der Weltmarkt kann, und selbst in seinen Einzelerscheinungen, nur begriffen werden, wenn man ihn als Ganzes fasst, in der ungeheuren Mannigfaltigkeit seiner Beziehungen, Verbindungen und Verhältnisse, die aber zusammen nur der Ausdruck sind der kapitalistischen Produktion. Es ist eine große revolutionäre Eigenschaft des Kapitalismus, dass er die lokalen, natürlichen und technischen Abgrenzungen der Produktion ökonomisch überwindet und so erst eine gesellschaftliche Produktion in großem Maßstabe schafft. Dieses Ergebnis wird erzielt nicht bloß durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung, nicht bloß durch die Verkehrsmittel und nicht bloß durch die Warenproduktion, sondern außerdem und dies alles durchdringend und bestimmend durch die Reproduktion und Akkumulation des Kapitals. Die erweiterte Reproduktion des Kapitals, die Notwendigkeit, den Produktionsprozess stets in erweitertem Umfange zu erneuern ist es, die das Absatzgebiet und das Produktionsfeld fortgesetzt ausdehnt, die Produktion identifiziert, die alten Produktionsarten zerstört oder kapitalistisch umgestaltet, die entferntesten Länder in den Produktionsbereich des Kapitals zieht. Die nationalen Produktionen werden miteinander verbunden, aber nur, um dann ihren nationalen Charakter zu verlieren. An Stelle des Internationalismus tritt der Kosmopolitismus. Die nationalen Produktionen verlieren ihre Selbständigkeit. Sie werden zu untergeordneten, zusammenhängenden, einander wechselseitig bedingenden Teilen eines Produktionsganzen, das in keiner Nation liegt, und das ist eben der Weltmarkt. Je mehr die Entwicklung in dieser Richtung fortschreitet, desto weniger ist man im Stande, die Schicksale der nationalen Produktion vom nationalen Standpunkte, selbst unter dem Korrektiv der internationalen Konkurrenz, zu beleuchten, sondern man wird genötigt sein, sie aus der Entwicklung des Weltmarkts abzuleiten. Wir sind auch jetzt schon so weit, dass die ernste Erforschung jener ökonomischen Erscheinung von größerer Tragweite mit Notwendigkeit auf den Weltmarkt, als den Knotenpunkt der Produktionsbeziehungen zurückführt. Vieles, was soeben erst klar erschien, zeigt sich dann als ein vertracktes, kompliziertes Ding. Man sagt zum Beispiel, der niedrige Getreidepreis sei bedingt durch den großen Zufluss amerikanischen Getreides nach Europa. Es genügt zu fragen: Aber wodurch wird diese Zufuhr bedingt und wo liegen die Grenzen der normalen gegenüber der übermäßigen Zufuhr? — und man wird in eine Masse von Zusammenhängen eingeführt, die unentwirrbar ist, so lange man nicht die im Weltmarkt sich vollziehende große Verallgemeinerung und Vereinheitlichung der kapitalistischen Produktion begreift. Dann aber zeigt es sich, dass dieser Zusammenhang zwischen Getreidepreis und Getreidezufuhr ein sehr oberflächlicher ist, dass man mit fast dem gleichen Recht das Umgekehrte sagen könnte, nämlich, dass die große amerikanische Zufuhr durch die niedrigen europäischen Preise bedingt sei, dass aber vor allem, obwohl zweifellos der landwirtschaftliche Produktionscharakter Europas und Amerikas bestimmend sei für die Getreidepreise, dennoch diese und die Bewegungen des Getreidemarkts noch von einer Menge anderer Umstände abhängen, kurz, dass die landwirtschaftliche Produktionsentwicklung der einzelnen Länder nur im Zusammenhange der kapitalistischen Weltproduktion zu begreifen sei. Die Produktion wird zur Weltproduktion. Die ökonomischen Zustände der einzelnen Länder werden immer mehr durch Zusammenhänge bestimmt, die außerhalb ihrer politischen Machtsphäre liegen. Die Staatspolitik wird zum Spielball des Weltmarkts. Die Bourgeoisie zeigt sich immer weniger im Stande, ihre eigenen Schicksale zu meistern, und um ihre nationalen politischen Richtungen zu begreifen, wird es notwendig, die Lage des Weltmarkts zu studieren. Es soll nun der Versuch gemacht werden, die jetzige ökonomische und politische Situation in Europa und besonders in Deutschland auf Grund der tatsächlichen Entwicklung des Weltmarkts zu beleuchten. Es werden dadurch auch die landwirtschaftlichen Zustände und die damit zusammenhängenden politischen Bewegungen von einem Gesichtspunkte aus aufgeklärt, der bis jetzt außer Acht gelassen wurde. Selbstverständlich kann es sich hier nicht darum handeln, im Rahmen einer Wochenschrift eine vollkommene und umfassende wissenschaftliche Darlegung dieser äußerst komplizierten Verhältnisse zu geben. Wir werden uns damit begnügen, die allgemeinen Zusammenhänge anzudeuten. 2. England und Europa Jede Untersuchung des Weltmarkts wird noch immer England im Vordergrund haben. Erstens weil dessen Weltmarktverkehr noch immer quantitativ der hervorragendste. Zweitens, weil England, Dank seinem Kolonialbesitz, seiner mächtigen Flotte und seiner kolossalen Baumwollindustrie, den asiatischen und australischen Handelsverkehr, also den Handel mit den Ländern des stillen Ozeans beherrscht. Noch Anfangs der siebziger Jahre hatte es auch die Herrschaft über den Atlantischen Ozean, so dass der gesamte überseeische Markt in seiner Macht war. Das ist jetzt noch mehr der Fall. Noch wichtiger ist die Bedeutung Englands für die Entwicklung des Weltmarkts. Denn jede neu aufkommende nationale Industrie hatte sich vor allem mit England auseinanderzusetzen. Bis tief in die fünfziger Jahre hinein beherrschte England den Weltmarkt. Sein einziger ernster Konkurrent war Frankreich. Allein Frankreichs Industrie trug einen besonderen Charakter. Dominierend war hier die Seidenmanufaktur, die in England nie zu einer gleich großen Entwicklung gelangte. Außerdem hatte Frankreich schon damals seine spezialen Industrien. Direkt wettbewerbend mit England trat es nur in der Wollmanufaktur auf. Doch erreichte die französische Ausfuhr von Wollefabrikaten kaum zwei Drittel der englischen, die übrigen Länder standen aber noch weit hinter Frankreich zurück, so dass Großbritanniens Ausfuhr 50 bis 60 Prozent der gesamten Weltmarkts-Zufuhr von Wollwaren absorbierte. Absolut beherrschend, ohne jede nennenswerte Konkurrenz, war England in der Baumwoll- und in der Maschinenindustrie. Das allgemeine Verhältnis war dieses: England bezog industrielle Rohstoffe aus den Kolonien und aus den Vereinigten Staaten und bezahlte teils mit Fabrikaten, teils in Gold und Silber. In Europa und wiederum in den Vereinigten Staaten tauschte es Lebensmittel, fast durchweg landwirtschaftliche Produkte, dann Halbfabrikate wie Häute, Metalle gegen Fabrikate ein. So war England die große Weltfabrik, und die meisten anderen Länder standen zu ihm, wenn nicht politisch, so doch ökonomisch im Verhältnis der kapitalistischen Kolonie. In allen anderen Ländern, ausgenommen England, dessen kapitalistische Industrie, weil sie als erste auf dem Plane erschien, den Weltmarkt frei fand, zum Teil erst erzeugte, musste also jede sich entwickelnde nationale kapitalistische Produktion mit einer Rebellion gegen England beginnen. Es ist bekannt, welche Rolle dabei die Schutzzölle spielten. Doch nicht darauf kommt es für uns an, sondern auf die produktiven Zusammenhänge, die durch die fortschreitende Entwicklung der kapitalistischen Produktion in Europa zwischen dem Kontinent und England geschaffen wurden. Für jede neu auftretende kapitalistische Industrie ist die erste Frage die des Absatzes. Es scheint mir selbstverständlich zu sein, dass eine derartige Industrie ihren Markt in Ländern suchen und finden wird, in denen eine ihr gegenüber rückständige Produktionsart herrscht. So war es ja auch mit der englischen Industrie, die ihren Markt auf dem produktiv rückständigen Kontinent und in den Kolonien fand. Allein das wurde eben anders für die europäischen Industriestaaten, die nach England auf den Weltmarkt kamen. (Unsere Untersuchung wird später zeigen, wie durch Nordamerika, Ostindien, Japan und zum Teil Russland, ein neues drittes Stadium der Entwicklung eintritt.) Die überseeischen Kolonien waren die einzigen Länder, denen sie ökonomisch überlegen waren, aber in diesen herrschte England. Wohin also die Waren absetzen? Zunächst bot sich der innere Markt dar. Dieser, den England selbst geschaffen durch Vernichtung oder doch Zurückdrängung der entsprechenden Handwerke und primitiven Hausindustrien und durch Erweckung des Bedürfnisses für seine Fabrikate, hatte noch die Annehmlichkeit, durch Zölle geschützt werden zu können. Jedoch der nationale Markt allein genügt für die kapitalistische Produktion nicht. Der auswärtige aber wurde geöffnet gerade in den industriellen Ländern, und allen voran England. Diese Rolle der industriellen Länder als Absatzgebiet für die neu auftauchenden nationalen Industrien war so wichtig, dass z.B. in Deutschland zur Zeit seiner ersten großen Produktionsentwicklung, Anfangs der siebziger Jahre, die englische Einfuhr nicht abnahm (wie in Österreich), sondern stieg. Deutschlands Industrie brauchte also zunächst keineswegs die englische vom inneren Markt zu verdrängen, um sich entwickeln zu können. Wie kommt es aber, dass die verspäteten europäischen Industrien mit den ihnen vorangehenden in Ländern, die ihnen produktiv untergeordnet sind, nicht konkurrieren konnten, wohl aber in diesen Ländern einer alten eingebürgerten Industrie selbst einen Absatz fanden? Die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ist nicht schwer. Die Länder mit rückständiger Produktionsweise waren für Europa, wie erwähnt, die überseeischen Gebiete. Der Handelsverkehr mit ihnen erfordert vor allem eine große Handelsflotte. Diese aber setzt, sintemalen es sich nicht mehr um Ausraubung großer Kolonialgebiete handelt, bereits einen ziemlichen Grad der industriellen Entwicklung voraus. Die Hauptsache aber ist, dass je rückständiger die gesellschaftliche Produktionsweise, desto beschränkter, quantitativ und qualitativ, der Warenbedarf. Meistens bezieht sich dieser nur auf ein paar Artikel, die zur Produktionsspezialität des mit diesen Ländern in der nächsten Verbindung stehenden Industrielandes werden. Das Hauptgewicht in dem Handelsverkehr liegt hier deshalb in der Einfuhr und nicht in der Ausfuhr. Erst mit ihrer fortschreitenden kapitalistischen Umgestaltung wird das anders. Dagegen lagen den jungen europäischen Industrien die alten kapitalistischen Länder schon deshalb als Absatzgebiet am nächsten, weil sie bereits in einer ausgedehnten Handelsverbindung mit ihnen standen. Ja, es waren vielfach englisches oder französisches Kapital, englische oder französische Ingenieure und Maschinen, die von auswärts ihrem Heimatlande Konkurrenz machten. Dazu kommt, dass der Bedarf dieser Länder ein viel reicherer ist und deshalb eine größere Spezialisierung und Ausnützung der besonderen natürlichen oder ökonomischen Produktionsvorteile zulässt. Endlich kommt für England noch in Betracht, dass dort, gerade infolge der frühen Entwicklung einer Produktion für den Weltmarkt, die Produktion für den eigenen Landesbedarf relativ zurückstand. Man hat dabei nicht bloß den großen Gegensatz zwischen der landwirtschaftlichen und industriellen Entwicklung ins Auge zu fassen, sondern, teils damit zusammenhängend, die Produktion einer Anzahl von Massengebrauchs- und auch Luxusartikel. Das waren die Verhältnisse des Weltmarkts, unter denen die Industrien des europäischen Festlandes, vor allem jene Deutschlands, sich entwickelten.2 Das war in sehr bedeutendem Maße bestimmend für den Charakter, den die deutsche Produktionsentwicklung annahm. Über diesen selbst weiter unten. Um unsere allgemeinen Erörterungen zu bekräftigen, genügt Folgendes: Es betrug 1893 die Ausfuhr nach dem übrigen Europa in Teilen des Gesamtausfuhr: in Deutschland 76 Prozent, in Frankreich 74 Prozent. Dagegen machte der Export Großbritanniens nach dem übrigen Europa, ebenfalls in Teilen der Gesamtausfuhr ausgedrückt, folgende Bewegung durch:
Währenddem England drei Fünftel seines Absatzes außer Europa führt, geben Deutschland und Frankreich im Gegenteil drei Viertel ihres Warenexports nach Europa ab. England wird in der Bewegung des europäischen Warenmarkts von den übrigen Staaten wenigstens relativ immer mehr zurückgedrängt. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass der erste industrielle Aufschwung Deutschlands von einer Steigerung der englischen Warenzufuhr begleitet war. Das hielt nicht lange an, und die Krise von 1873 war die große Auseinandersetzung vor allem zwischen Deutschland und England. Nicht der „Schwindel“ erzeugte die siebziger Krise, sondern die Überproduktion. Was von Haus aus Schwindel war, gab nicht den Ausschlag, das Andere wurde aber in dem Moment Schwindel, wo die Überproduktion eintrat. Diese hatte sich aber für Österreich, in dem die Krise zuerst ausbrach, bereits 1872 angekündigt durch den Rückgang der Ausfuhr um etwa 17 Prozent, um mehr als ein Sechstel. Jedenfalls war die siebziger Krise insofern entscheidend, als durch die allgemeine Depression des Markts die Frage gestellt wurde: Wer weicht zurück und wer behauptet den Platz? Die Entscheidung zeigen die Zahlen der Ausfuhr. Es betrug die Ausfuhr in Millionen Pfund Sterling:
Man sieht, die Ausfuhr Englands ist unter der Krise unausgesetzt stark zurückgegangen, während die Ausfuhr Deutschlands unausgesetzt stieg — trotz der Krise. Dadurch hat es sich seine Stellung auf dem Weltmarkt erobert. Die Handelsbeziehungen Englands zu Deutschland und Frankreich haben sich seit den siebziger Jahren total verändert. Es betrug in Millionen Pfund Sterling:
Im Verkehr mit beiden Ländern hat die Einfuhr von diesen nach England zugenommen und die Ausfuhr von England nach ihnen abgenommen. Nunmehr empfängt England 20 bis 25 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhr. Eine Industrie, die für Europa und in erster Linie für England produziert, muss einen anderen Charakter tragen als eine Industrie, deren Absatzgebiet in den Kolonien liegt. Die Untersuchung der deutschen Industrie ihrer Art nach wird diesen Unterschied deutlicher zeigen. 3. Die Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkte Wir haben in Heft 7 der „Neuen Zeit“ die allgemeinen Zusammenhänge des Weltmarkts skizziert, unter denen die Entwicklung der später als die englische auftretenden nationalen Industrien Europas, deren reinster Typus die deutsche Industrie ist, sich vollzogen hat. Wir verweisen auf den Unterschied zwischen dem industriellen Absatzgebiet des europäischen Festlands und dem Englands und folgerten daraus, dass dem Unterschied des Absatzes Verschiedenheiten nachzuweisen. Den Mittelpunkt unserer jetzigen Untersuchung bildet deshalb Deutschland. Eins fällt sofort auf: die geringe Entwicklung der an die Landwirtschaft anknüpfenden Industriezweige in England gegenüber dem Kontinent. Die Spiritusbrennerei als Exportbetrieb und die Rübenzuckerfabrikation haben ihren Sitz in Deutschland und Frankreich, in Österreich und Russland. Anfang der siebziger Jahre schrieb Friedrich Engels: „Kartoffelsprit ist für Preußen das, was Eisen und Baumwollwaren für England sind, der Artikel, der es auf dem Weltmarkt repräsentiert.“3 Seitdem hat sich allerdings die Lage stark verändert. Der deutsche Spiritus ist vom Weltmarkt total zurückgedrängt worden (im Jahre 1884 wurden ausgeführt für 32,6 Millionen Mark, im Jahre 1893 für 4,7 Millionen!), und auch der an seine Stelle getretene Rübenzucker wird bereits bedrängt. Immerhin ist noch der Zucker der bedeutendste Ausfuhrartikel Deutschlands, der, im Werte von ca. 200 Millionen Mark, allein 5-7 Prozent der Gesamtausfuhr ausmacht. Aber viel wichtiger ist die Rolle der Zuckerfabrikation und der Spiritusbrennerei in der Entwicklung der deutschen Industrie. Beim Spiritus lagen die Verhältnisse ziemlich einfach. War es vorteilhaft, Korn auszuführen, und dass dies der Fall sei, dafür sorgte die industrielle Entwicklung Englands, so war es auch vorteilhaft, Kornbranntwein zu exportieren, dann aber Kartoffelspiritus erst recht. Komplizierter war die Entwicklung der Zuckerindustrie, und diese ist typisch dafür, wie überhaupt der Kampf gegen Englands industrielle Übermacht vor sich ging. England importierte zunächst Rohrzucker. Es besaß im Lande Raffinerien, die ihn zu Konsumzucker verarbeiteten. Es hatte dabei noch bis in die fünfziger Jahre eine relativ bedeutende Ausfuhr von rohem und raffiniertem Zucker. Der Kampf des Rübenzuckers mit dem Rohrzucker war zunächst eine Konkurrenz der Rohstoffe, von der die französischen und englischen Raffinerien den Vorteil hatten. In je größerem Maße aber der Rübenzucker den Rohrzucker vom europäischen Markte verdrängte, desto mehr wuchs die Konkurrenz von Rübenzuckerproduzenten untereinander. Zweierlei ergab sich daraus zu gleicher Zeit: erstens, die englische und französische Zuckerraffinerie wurde immer mehr abhängig vom europäischen (also auch französischen) Rübenbau, zweitens, das Sinken der Rohrzuckerpreise zwang dazu, statt des rohen raffinierten Zucker auf den Markt zu bringen. Das Resultat war die Vernichtung der englischen Zuckerraffinerie, die sich auf keinen heimischen Rübenbau stützen konnte. Diese Entwicklung wird von der englischen Handelsstatistik vorzüglich wieder[ge]spiegelt. Die Bewegung ging so regelmäßig vor sich, dass es genügt, durch einzelne Angaben ihre verschiedenen Stadien zu kennzeichnen. 1856 bildete noch der Rohrzucker 72 Prozent der gesamten Zuckereinfuhr Englands; zu gleicher Zeit bildete der raffinierte Zucker bloß 2½ Prozent der Einfuhr. 1865 wurde bereits zu gleichen Teilen Rohrzucker und roher Rübenzucker eingeführt, Raffinade machte 7 Prozent der Ausfuhr aus. 1870 geht der Rohrzucker auf kaum 32 Prozent der Zuckereinfuhr. 1880 bildete der raffinierte Zucker 15 Prozent der Einfuhr, 1885 21 Prozent und im Jahre 1894 beinahe die Hälfte des englischen Zuckerimports! So entwickelte sich in Deutschland aus der Ausfuhr eines Rohstoffs, der einer fremdländischen Industrie zu Gute kam, kraft der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion, eine nationale Fabrikation, die schließlich zur Herrschaft auf dem Weltmarkt gelangte. Abgesehen von den besonderen Umständen, die die Entwicklung der Zuckerfabrikation und der Branntweinbrennerei in den einzelnen Ländern begünstigten (auf die Rolle, die bei der letzteren in Preußen und Russland die Bauernablösung spielte, hat seinerzeit Fr. Engels verwiesen), scheint es Gesetz zu sein für die industrielle Entwicklung in den Staaten des europäischen Festlandes, dass sie durch den Zucker und den Schnaps hindurch müssen. Der Grund davon ist vor allem der, dass diese Produktionszweige direkt an die Landwirtschaft anknüpfen. Dann aber sind ihre Produkte Massenkonsumgegenstände in klassischer Form, die auch im Inlande selbst ein breites Absatzgebiet finden, und es sind in erster Linie europäische Verbrauchsgegenstände. So haben auch tatsächlich Frankreich, Deutschland, Österreich, Russland diese Entwicklung durchgemacht. Da die allgemeine Bewegung der kapitalistischen Produktion sich von keiner europäischen Macht vorschrieben lässt, so kann ihr selbstverständlich auch kein Halt geboten werden gerade in dem Moment, der etwa für den ostpreußischen Junker am vorteilhaftesten ist. Sie schreitet weiter und bringt neue Beziehungen zu Stande. Diese gehen uns aber vorläufig noch nichts an. Ist die deutsche Spiritusindustrie in den letzten Jahren auch auf den inländischen Markt beschränkt worden, so werden vom produzierten Zucker noch immer 50 bis 60 Prozent ausgeführt, wovon der weitaus größte Teil nach England abgeht. Welche Bedeutung diese Entwicklung für die deutsche Landwirtschaft hatte, darüber an anderer Stelle. Stellen wir nun einen allgemeinen Vergleich an zwischen der industriellen Gestaltung Deutschlands und Englands. Da möge zunächst folgende, nach der deutschen Berufszählung von 1882, der englischen von 1881 zusammengestellte Übersicht zur Orientierung dienen. Von 1000 Erwerbstätigen der nachstehend bezeichneten Berufsgruppen gehörten den einzelnen dieser Berufsgruppen an:
Die Tabelle zeigt deutlich eine Dreiteilung: I. Industriezweige, in denen England dem Deutschen Reich überlegen ist, II. Industriezweige, in denen das Übergewicht auf Seiten Deutschlands ist, III. Produktionszweige, die gleichmäßig in Deutschland und England vertreten sind. Diese Dreiteilung entspricht einer wichtigen allgemeinen Gruppierung der kapitalistischen Industrie. Die von uns unter III. aufgeführten Industriezweige hängen eng zusammen mit der Entwicklung der Städte. Beim Baugewerbe liegt das auf der Hand. Auch die Industrie der Reinigung (Badeanstalten, Wäscherei etc.) ist rein städtisch. Das sind Produktionen für den inländischen Markt. Zweifellos bedankt die Bekleidungsindustrie ebenfalls ihre Entwicklung den großen Massenansammlungen und dem verfeinerten Lebensbedarf der Städte. Auch diese Industrie wird stets in der Hauptsache auf den inländischen Konsum angewiesen sein, doch sind ihre Produkte auch exportfähig und bilden dadurch die Verbindung mit der Gruppe II, die später zu erörtern ist. Gruppe I enthält die Maschinen- und Textilindustrie nebst ihrem produktiven Anhang. Das ist die Produktion für den produktiven kapitalistischen Bedarf und für den Kolonialmarkt. Zu dem produktiven Bedarf ist ja auch der Bedarf der Textilstoffe zu rechnen, die die Grundlage der weit ausgedehnten Bekleidungsindustrie bilden. Hier hat, wie unsere Tabelle zeigt, England das große Übergewicht. Der Unterschied kommt aber, besonders für die Textilindustrie, in dieser Zusammenstellung nur sehr unvollkommen zur Geltung, da sie nur die Zahl der Erwerbstätigen angibt, ohne Unterscheidung der Groß- und Kleinbetriebe. Da in Deutschland das Handwerk und die Hausindustrie noch sehr stark vertreten sind, so verschiebt sich das Resultat zu Gunsten Deutschlands. Die große Gewerbegruppe der Textilindustrie bietet aber auch nach ihrer inneren Zusammensetzung Unterschiede zwischen England und Deutschland. Es betrugen die Verhältniszahlen der Erwerbstätigen:
Währenddem die Textilindustrie in England sich auf die Baumwollindustrie und die Wollmanufaktur konzentriert, zeigt sie in Deutschland eine viel gleichmäßigere Verteilung. Auffallend ist das relativ starke Hervortreten der Seidenindustrie, der Strumpfwirkerei und der Spitzenfabrikation in Deutschland. Das sind eben Industriezweige, die in erster Linie auf den europäischen Bedarf berechnet sind. Zum Teil handelt es sich auch um Spezialitäten, worauf wir schon früher verwiesen haben. Eine gesonderte Betrachtung der Baumwoll- und Wollindustrie zeigt, dass in Deutschland die Weberei relativ stärker vertreten ist. Das ist das Ergebnis der englischen Garnausfuhr. Wieder ein Beispiel, wie England sich selbst Konkurrenten großzog. Im Allgemeinen zeigt uns die spezialisierte Betrachtung der Textilindustrie, dass sie in Deutschland mehr zersplittert und, soweit sie hier stärker vertreten, im Gegensatz zu ihrem allgemeinen Charakter auf die Produktion von Gegenständen des persönlichen Gebrauchs in Europa berechnet ist. Soviel über die Gruppe I. Der Bergbau (Steinkohlen!) bildet die Verbindung mit der Gruppe III und die Eisenverarbeitung mit Gruppe II. Die Gruppe II, das Spezifikum der deutschen Industrie, ist gemischt. Die Hauptstelle nimmt in ihr die Industrie der Nahrungs- und Genussmittel ein. Das ist in der Hauptsache eine Produktion für den heimischen Bedarf. Doch sind hier auch die Exportindustrien: Spiritusbrennerei und Zuckerfabrikation, enthalten, die wir Eingangs erörtert haben. Die Industrie der Steine und Erden bildet die Verbindung dieser Gruppe und der Gruppe III, aber sie enthält außerdem die für den Export bedeutenden Produktionszweige: Glas und Glasverarbeitung (Spiegel) und die Porzellanmanufaktur. Die allgemeine Charakteristik dieser bunten Gruppe ist: Fabrikation von Gegenständen des feineren Lebensbedarfs und von Hilfsstoffen der europäischen Industrie (Farbstoffe). Wird Gruppe I als Produktion für den produktiven kapitalistischen Bedarf charakterisiert, so Gruppe II als Produktion für den Bedarf der europäischen städtischen Haushaltung. So zeigt es sich, dass die scheinbar zufällige Gestaltung der deutschen Industrie ihrer Art nach in Wirklichkeit bedingt war durch die Stellung Deutschlands innerhalb der Entwicklung des Weltmarkts. Diese Stellung haben wir im vorigen Artikel charakterisiert. Der durch das Absatzgebiet bedingte Charakter der Industrie kommt dann selbstverständlich in der qualitativen Zusammensetzung der Ausfuhr zum Ausdruck. Währenddem die englische Ausfuhr zu 44 Prozent aus Textilfabrikaten besteht, bilden diese in der deutschen Ausfuhr bloß 21 Prozent. Die Baumwollfabrikate bilden in England 30 Prozent der Ausfuhr, in Deutschland 5 Prozent. Der Wert der deutschen Ausfuhr (nicht bloß der Mehrausfuhr) an Baumwollfabrikaten steht noch ziemlich hinter dem Wert seiner Einfuhr von roher Baumwolle zurück, ein Beweis, dass der Absatz für diesen Produktionszweig noch weitaus ein inländischer ist. Umgekehrt beträgt in England der Wert der ausgeführten Baumwollfabrikate das Doppelte des Wertes der eingeführten Baumwolle. Wohl aber hat Deutschland eine relativ und absolut viel bedeutendere Ausfuhr an Strumpfwaren, Spitzen und Stickerei, Posamentierwaren. Der relative Ausfall der deutschen Ausfuhr an Textilfabrikaten gegenüber England wird bei weitem wettgemacht durch die Ausfuhr aus dem Gebiete unserer Gruppe II, die wir im Einzelnen nicht auseinanderzusetzen brauchen. Gruppe II liefert mehr als 40 Prozent der Gesamtausfuhr Deutschlands. Sie ist also für Deutschland, was Gruppe I für England: sie „repräsentiert“ es auf dem Weltmarkt. Wir waren bis jetzt bemüht. An dem Beispiele Deutschlands das Typische der Stellung einer festländisch-europäischen Industrie innerhalb des Weltmarkts hervorzuheben. (Wir werden später sehen, wie damit die Entwicklung der europäischen Landwirtschaft zusammenhängt.) Es ist jedoch klar, dass es in den Handelsbeziehungen Deutschlands mit einzelnen Ländern Variationen geben muss. Es lassen sich aber diese Verschiedenheiten in drei typische Gestaltungen zusammenfassen, für die wir als Vertreter wählen: den Handelsverkehr Deutschlands mit England, mit Frankreich, mit den Vereinigten Staaten. Diese Erörterung soll das Bild von der Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkte vervollständigen. Die Jahresnachweise über den auswärtigen Handel Deutschlands liefern uns in diesem Falle trefflich vorbereitetes Material. Der Handelsverkehr Deutschlands mit Großbritannien. Hier genügt es im Wesentlichen, die vom statistischen Büro für das Jahr 1893 gegebene allgemeine Charakteristik anzuführen: „Sowohl in der Einfuhr als auch in der Ausfuhr nimmt Großbritannien im auswärtigen Handel des deutschen Zollgebiets die erste Stelle ein. Letzteres bezieht von Großbritannien einen erheblichen Teil der Rohstoffe und Halbfabrikate, deren es für viele seiner Erwerbszweige bedarf. … In dieser Hinsicht sind hauptsächlich die Textil-, Metall- und Lederindustrie, sowie die chemische Industrie nebst der Industrie der Fette und Öle hervorzuheben. … Ein Teil der Rohprodukte, welche Großbritannien dem Zollgebiet liefert, entstammt überseeischen Ländern, ein anderer wird in Großbritannien selbst gewonnen. Zu den Letzteren gehören in erster Reihe Steinkohlen und Kupfer. Industrieprodukte kommen bei der Einfuhr von Großbritannien in das Zollgebiet, abgesehen von den Halbfabrikaten Baumwoll- und Wollgarn, erst in zweiter Linie in Betracht. Die Ausfuhr des Zollgebiets nach Großbritannien erstreckt sich besonders auf Fabrikate, während Rohprodukte und Halbfabrikate eine nur untergeordnete Rolle spielen.“ Die hervorragenden Ausfuhrartikel Deutschlands nach Großbritannien sind folgende: Zucker, Halbseidenwaren, Kleider- und Putzwaren, feine Lederwaren, Tuch- und Zeugwaren (wollene, unbedruckte), Farbendruckbilder, Kupferstiche, dichte Baumwollgewebe (gefärbt und bedruckt), Klaviere usw. Dieses spezifizierte Verzeichnis entspricht vollkommen unseren früheren Angaben über den allgemeinen Charakter der deutschen Ausfuhr. Es hat sich also scheinbar das Verhältnis zwischen Deutschland und England umgekehrt. Früher bezog Deutschland Fabrikate aus England und jetzt bezieht sie England aus Deutschland. Aber Deutschland bezahlte seinerseits die Einfuhr mit Lebensmitteln und erst in zweiter Linie mit Rohstoffen, England aber zahlt mit Rohstoffen bzw. Halbfabrikaten. Der erste Verkehr war ein abschließender, denn die Lebensmittel gingen in den englischen persönlichen Konsum ein, die Fabrikate in den deutschen — der zweite aber ist es durchaus nicht. Denn die Rohstoffe, die Deutschland von England bezieht, dienen nur dazu, die Produktion, nicht das Leben zu erneuern. Sie müssen, nimmt man diesen Verkehr für sich, dazu dienen, die Produktion zu erweitern, wenn die deutsche Fabrikatesausfuhr ihrem Wert nach vollständig gedeckt werden soll, denn Fabrikate sind der Natur der Dinge nach teurer als Rohstoffe. Je mehr der Verkehr Deutschlands mit England sich nach dieser Richtung hin ausdehnt, desto mehr muss sind, caeteris paribus [wenn alles andere gleich bleibt], seine Industrie erweitern, desto stärker sein Bedürfnis nach einer Fabrikatesausfuhr, desto schärfer im Lande der Gegensatz zwischen Industrie und Landwirtschaft, desto größer das Erfordernis nach Einfuhr von Lebensmitteln und desto größer die Notwendigkeit, in Handelsbeziehungen zu einem Lande zu treten, von dem man Lebensmittel gegen Fabrikate eintauschen könnte. Wie der aufgefundene Knochen dem Paläontologen die Gesamtheit des Gerippes angibt, so zeigt dem Ökonomen das aus dem Zusammenhang des Weltmarkts herausgerissene Handelsverkehr zweier Nationen, welcher Art der komplementäre Teil sein muss — und so organisch zusammenhängend ist der Weltmarkt. Andererseits, je mehr die Ausfuhr Deutschlands zur Fabrikatesausfuhr wird, die heimische Produktion den inländischen Markt deckt, desto mehr sieht sich England genötigt, diese Ausfuhr mit Rohstoffen zu decken. Es tauscht, wie früher, in den Kolonien Rohstoffe gegen Fabrikate ein, aber statt sie zu Hause zu verarbeiten und die gewonnenen Fabrikate in Deutschland gegen Lebensmittel einzutauschen, schickt es diese Rohstoffe nach Deutschland und bekommt dafür Fabrikate zurück. Da aber der zurückfließende Wertstrom von Fabrikaten größer ist als die Rohstoffabfuhr, so sieht es sich veranlasst, diese fortwährend zu steigern. Dann aber zeigt es sich schließlich außer Stande, die eingeführten Fabrikate selbst zu verbrauchen. Und dann muss es diese Fabrikate zum Teil wieder ausführen. Das konstatiert das deutsche statistische Büro: „Die vom Zollgebiete nach Großbritannien gelieferten Fabrikate werden vielfach wieder von dort nach überseeischen Ländern ausgeführt.“ Es ist diese Entwicklung keineswegs bloß Änderung des Handelsverkehrs. Zwischen Deutschland und Ostindien steht nicht bloß der englische Kaufmann, sondern es steht der Bedarf Englands nach Rohstoffen und Fabrikaten, kurz die englische Industrie. Es handelt sich um das Ineinander- und Dazwischengreifen der Umschlagszyklen der nationalen Kapitale und ihr Aufgehen in die Zirkulation eines einzigen gesellschaftlichen Kapitals, das keine nationalen und politischen Schranken kennt. Der Handelsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich zeigt uns das Verhältnis zweier gleichartigen nationalen Industrien. Die Spiritusbrennerei und Zuckerfabrikation haben ja Deutschland und Frankreich miteinander gemeinsam. Diese heben sich nunmehr im Handelsverkehr gegenseitig auf. Gemeinsam für Deutschland und Frankreich ist auch eine Anzahl anderer Fabrikationen. Deshalb sind Einfuhr und Ausfuhr der allgemeinen Art noch sehr oft identisch. So werden z.B. wollene Tuch- und Zeugwaren ein- und ausgeführt, desgleichen Handschuhleder, Florettseide, Schafwolle, feine Lederwaren und Ähnliches mehr. Der Handelsverkehr ist deshalb sehr zersplittert. Keine großen Warengruppen. Bei einem Gesamtwert der französischen Wareneinfuhr nach Deutschland von 241 Millionen Mark im Jahre 1893 war der Wert des wichtigsten Einfuhrartikels, des Weins, 16 Millionen Mark, zu gleicher Zeit war bei einer deutschen Ausfuhr nach Frankreich von 203 Millionen der Wert des hauptsächlichen Ausfuhrartikels, Koks,4 12 Millionen Mark. Der Verkehr besteht aus einer Fülle kleiner Warenposten, die dem Wert nach einander beinahe gleich sind. Volle 35 Warenarten werden in Summen von 1 bis 2 Millionen Mark eingeführt. Der nationale Unterschied der Industrien ist beinahe ausgelöscht. Die Handelsbewegung ähnelt dem Inlandsverkehr. Dass sie es nicht vollkommen wird, hindern die Zollschranken. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind jenes komplementäre Glied im auswärtigen Handel des Deutschen Reichs, auf das wir schon bei der Erörterung seiner Handelsbeziehungen zu England hingewiesen haben. Auch hier können wir uns mit der in der deutschen amtlichen Statistik gegebenen allgemeinen Charakterisierung begnügen. „In dem Handel der Vereinigten Staaten von Amerika mit dem deutschen Zollgebiet sind für die Einfuhr hauptsächlich Baumwolle, Getreide, Petroleum, unbearbeitete Tabakblätter, Kupfer, sodann Produkte der Viehzucht, wie Fleisch, Schmalz von Schweinen. Dagegen empfangen die Vereinigten Staaten von Amerika aus dem deutschen Zollgebiet die verschiedenartigsten Industrieprodukte, vornehmlich aber Fabrikate der Textilindustrie, als Strumpfladen, ferner halbseidene Waren und Zeugwaren, ferner Zucker, sowie Handschuhe und andere Produkte der Lederindustrie.“ Es ist der kapitalistische Kolonialverkehr. Nur dient als Kolonie nicht ein barbarisches, sondern ein kulturelles Land. Deshalb begegnen wir hier bei der deutschen Ausfuhr denselben Gegenständen wie für den europäischen Bedarf. Die Ausfuhr Deutschlands nach den Vereinigten Staaten macht 11 Prozent, also zusammen mit der Ausfuhr nach Europa 87 Prozent seiner Gesamtausfuhr aus. Indem das Verhältnis Deutschlands zu Europa und den Vereinigten Staaten dargestellt worden ist, ist seine gesamte Stellung auf dem Weltmarkt charakterisiert worden. Die Ansätze neuer Bildungen können an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden. Desgleichen konnte Nordamerika nur als Absatzgebiet und nicht in seiner allgemeinen industriellen und landwirtschaftlichen Entwicklung in Betracht gezogen werden. Soviel über Deutschlands Industrie und Handel. Dass sie typisch sind für das europäische Festland, zeigte ja zum Teil soeben die Betrachtung des Handelsverkehrs Deutschlands mit Frankreich. Zur Vervollständigung ein kurzer Überblick über den auswärtigen Handel Frankreichs. Wie in Deutschland, bildet auch hier die Ausfuhr von Textilfabrikaten nur 20 Prozent der Gesamtausfuhr. Daneben führt Frankreich bedeutende Quantitäten Rohseide und roher Wolle aus. Nun nehmen einen breiten Platz die Genussmittel ein: Zucker, Spiritus etc., aber auch Wein. Der Rest wird ausgeführt durch die übrigen Vertreter der bekannten Gruppe II unserer Übersicht: Papier- und Lederwaren, Glaswaren, Porzellan, für Frankreich besonders kennzeichnend: Juwelen und kleine Luxusgegenstände. Man sieht, auch hier entspricht die qualitative Zusammensetzung der Ausfuhr dem besonderen Charakter des europäischen Absatzgebiets. Es ist klar, dass die Industrien des europäischen Festlandes, die für den heimischen und den allgemeinen europäischen Markt produzieren, andere handelspolitische Interessen erzeugen müssen als die Industrie Englands, die für den Kolonialmarkt produziert. Tatsächlich kommt auch der Unterschied der Industrie scharf zur Geltung in dem Unterschied der Handelspolitik. Währenddem die Handelspolitik Englands darauf hinausging, sich auswärtige Märkte zu erschließen, bezweckt die Handelspolitik der europäischen Staaten vor allem, den heimischen Markt abzuschließen. Im europäischen Zollschutz kommt der Zusammenhang der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck, deshalb auch der Zusammenhang zwischen Industrie und Landwirtschaft, dies alles aber, dem Anspruch der kapitalistischen Produktion entsprechend, als Gegensatz und Widerspruch. 4. Städte und Eisenbahnen Während die Eisenbahnen in ihrem ganzen Wesen ihren modernen Ursprung zur Schau tragen, haben die Städte eine Jahrhunderte lange Geschichte hinter sich. Dennoch haben die Städte nunmehr einen ausgeprägt kapitalistischen Charakter und unterscheiden sich wesentlich von den Städten der vorangegangenen Gesellschaftsformen. Nicht nur darauf kommt es an, dass, wie Professor K. Bücher in seiner interessanten Schrift über die inneren Wanderungen es mit Recht hervorgehoben hat, die modernen Städte viel mehr differenziert sind. Das Interessanteste ist der Typus der kapitalistischen Großstadt. Das ist die Großstadt, die Hunderttausende auf Hunderttausende von Einwohnern häuft, alle erdenklichen Berufsarten in sich vereinigt, eine Unzahl neuer Berufsarten schafft, die ausgedehntesten wirtschaftlichen Verbindungen weit über die Grenzen des Inlandes hinaus eingeht, als selbständige wirtschaftliche Organisation innerhalb der Weltproduktion erscheint, ihre eigenartige Stadtwirtschaft, ihre eigenartige Finanzpolitik treibt, unausgesetzt, schrankenlos sich ausdehnen zu können scheint, nur im Grade des Wachstums, nicht im Wachstum selbst durch die allgemeine wirtschaftliche Lage beeinflusst, dabei aber der Grundlage der gesellschaftlichen Existenz, der Erzeugung von Nahrungsmitten, entbehrt, im Gegenteil durch die stete Aufsaugung der landwirtschaftlichen Bevölkerung die Klasse der Produzenten dieser Lebensmittel im Lande selbst relativ vermindert. Diese kapitalistische Großstadt, eine der wichtigsten und wunderlichsten Erscheinungen der kapitalistischen Produktion, ist bis jetzt so gut wie unerforscht geblieben. Man weiß wissenschaftlich mehr über die deutschen Städte des Mittelalters als über die deutschen Städte der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Und doch verfügt man dort nur über abgerissene Fetzen von Material, während hier ein fast kaum zu bewältigendes statistisches und deskriptives Material unter den Händen liegt. Nur Eins bildet den Unterschied: um die kapitalistische Städteentwicklung zu begreifen, muss man die kapitalistische Produktion begreifen, — für das Altertum braucht man freilich diese Kenntnis nicht. Auch genügt es hier nicht, im Staub der Archive noch so viele Aktenstöße zu durchwühlen, und es ist ein toter Körper, der auf den wissenschaftlichen Seziertisch gelegt werden kann, — sondern in das Gewühl der Wirklichkeit muss hineingegriffen und an dem stets wandelbaren Leben selbst muss erkannt werden, was dieses Leben ist. Man verzeihe uns diese Abschweifung. Es ist die Klage eines Publizisten, der, um praktische Fragen zu lösen, sich genötigt sieht, Forschungsgebiete zu streifen, die von Rechtswegen von Anderen so weit wissenschaftlich präpariert werden dürften, dass der Politiker nur noch nach den allgemeinen Ergebnissen zu greifen brauchte. Unsere Charakteristik des industriellen Marktes hätte eine empfindliche Lücke, würden wir die Rolle der Städte und Eisenbahnen bei der Schilderung des inneren Marktes unberücksichtigt lassen. Und nur in diesem Zusammenhang sollen sie behandelt werden. Wir beginnen mit den Eisenbahnen. Es mag befrieden, dass wir sie hauptsächlich vom Standpunkte des inländischen Verkehrs betrachten. Allein ihre ausgesprochene Aufgabe ist tatsächlich die: im Inlande den Verkehr der Städte untereinander und zwischen den Städten und der Landbevölkerung zu vermitteln. Für den Personenverkehr braucht dies nicht erst besonders nachgewiesen zu werden. Über den Güterverkehr geben folgende Nachweise Aufklärung. Von dem gesamten Güterverkehr der Eisenbahnen Deutschlands, das waren 162 Millionen Tonnen im Jahre 1891, entfielen auf den Inlandverkehr 137 Millionen Tonnen, von diesem Inlandsverkehr der Eisenbahnen ist freilich noch die Zufuhr nach den Häfen, um über die See nach fremden Ländern ausgeführt zu werden, sowie die überseeische Einfuhr abzurechnen. Es erreicht aber der gesamte Verkehr der deutschen Eisenbahnen mit den Häfen nicht 20 Millionen Tonnen (1894 circa 18 Millionen). In den 137 Millionen Tonnen des Inlandsverkehrs der Eisenbahnen bildeten folgende drei Gruppen von Gebrauchsgegenständen die Hauptbestandteile:
Es handelt sich bei diesen Warengruppen zweifellos in erster Linie um den städtischen Bedarf. Aber auch von dem übrigen Verkehr an Nahrungsmitteln und an industriellen Rohstoffen wird wohl der Löwenanteil den Städten zufallen. Dieses Verhältnis ist in einem Land wie Deutschland doch sehr begreiflich. Die Landbevölkerung ist hier das gedrückte, hungernde Bauerntum, das elend haust, sich schlecht kleidet, seine Bedürfnisse überhaupt auf ein Minimum beschränkt. Aber es hat auch noch eine andere Erklärung. Man hat stets den billigen Eisenbahntransport gepriesen. Man dachte dabei stets an den Massentransport. Dieser Massentransport ist aber erst durch die Eisenbahnen geschaffen. Ohne ihn wäre der Eisenbahntransport aus leicht erkenntlichen Gründen sehr kostspielig. Der Massenversand fordert aber große Handelszentren. So strömt alles nach den Städten und von den Städten. Es wachsen die Städte und der städtische Bedarf. Es wächst die städtische Industrie und es wächst der Eisenbahnverkehr. Die Städte erzeugen Eisenahnen und die Eisenbahnen erzeugen Städte. Selbstverständlich haben wir es weder auf der einen noch auf der anderen Seite mit der einzigen Entstehungsursache zu tun. Aber man schleife die Städte zu Boden und die Eisenbahnen sind ruiniert (selbstverständlich ist die Rede nur von kapitalistischen Zusammenhängen), — man beseitige die Eisenbahnen, und die Städte können nicht mehr bestehen. Für Berlin gewährt folgende Tabelle einen Einblick in den Zusammenhang:
Nicht immer freilich bedingt die Verbindung einer Stadt mit einer Eisenbahn einen Bevölkerungsfluss nach dieser Stadt. Eine vor Jahren in den Monatsheften zur Statistik des Deutschen Reichs veröffentlichte, allerdings sehr lückenhafte Untersuchung zeigt sogar für kleinere Städte eine Verminderung des relativen Zuwachses, selbst eine Einbuße durch Auswanderung unmittelbar nach Eröffnung der Eisenbahn.5 Hier vollzog sich, vermittelt durch die Eisenbahn, der Rückgang des Wachstums der kleineren Städte zu Gunsten der Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten. Die neueren österreichischen Arbeiten über Bevölkerungsstatistik haben diesen Prozess der Zurückdrängung der Kleinstädte durch die großen Städte in einem noch grelleren Lichte gezeigt. Die Eisenbahnen begünstigen nicht die Entwicklung der Städte überhaupt, sondern vor allem die Entwicklung der Großstädte. Je mehr das der Fall, desto mehr konzentriert sich der Warenverkehr nach den Großstädten, in denen schließlich das Schwergewicht der gesamten inländischen Produktion liegt. Die Eisenbahnen erscheinen als feinmaschiges Netz von Saugarmen, mittels deren die Großstädte Menschen und Waren aus dem ganzen Lande nach sich zusammenziehen. Dann aber hängt die Entwicklung der Produktion mit der Entwicklung der Großstädte eng zusammen. Was sind aber diese Großstädte? Wie existieren sie? Um auf diese Fragen Antwort zu geben müssen wir zunächst einen Blick werfen in die städtische Berufsstatistik. Die amtliche Bearbeitung der Berufszählung von 1882 gibt eine besondere Statistik der Großstädte (Städte mit über 100.000 Einwohnern). Danach betrug der Prozentsatz der Erwerbstätigen:
Man sieht, der Mangel an landwirtschaftlicher Produktion in den Städten wird nicht durch die Industrie ersetzt. Die deutschen Großstädte sind keine Fabrikstädte, sondern eher wären sie als Handelsstädte zu bezeichnen, da Rubrik C hier relativ fast dreimal so stark vertreten ist als im Reich (auch wenn man die Gastwirtschaft abrechnet, so bleibt das Verhältnis gleich). Allein für sich reicht die Handelstätigkeit bei Weitem nicht aus, um die deutschen Großstädte wirtschaftlich zu charakterisieren. Folgender allgemeine Unterschied springt in die Augen; Während im Reiche 72 Prozent der Erwerbstätigen in Landwirtschaft und Industrie, also mit der Produktion von Gebrauchsgegenständen beschäftigt sind, sind es in den Großstädten bloß 43 Prozent.9 Mag nun die Tätigkeit der anderen Erwerbenden gesellschaftlich noch so nützlich sein, sie basiert darauf, dass ihnen die Gebrauchsgegenstände von anderen produziert werden. Sie treten wirtschaftlich als Konsumenten auf und nicht als Produzenten. Insofern diese 47 Prozent der Erwerbstätigen der großstädtischen Bevölkerung in Betracht kommen, wird also der Warenverkehr der Großstädte mit dem Lande ein einseitiger sein: Empfang von Waren, ohne Zurückgabe von Waren. Bietet nun die produktive Tätigkeit der übrigen 43 Prozent genügend Ersatz für diese Einseitigkeit? Das wollen wir jetzt prüfen. Die Gesamtzahl der industriellen Erwerbstätigen der Großstädte betrug 744.534. Darunter gibt es aber eine große Anzahl von Berufsarten, die ihrem ganzen Wesen nach ausschließlich dem Bedarf dieser Großstädte selbst dienen. Da ist das Baugewerbe mit seinen Hilfsgewerben, dann Tätigkeiten, die durch die Existenz jeder Großstadt bedingt sind — die Stadtwirtschaft: Gasanstalten, Wasserversorgung etc., dann Berufe, die sich der Befriedigung des unmittelbaren Lebensbedarf widmen, wie Bäckerei, Metzgerei etc., hierher gehören auch die Apotheker, schließlich Produktionsarten, deren Betätigung räumlich von den Käufern des Produkts meistens untrennbar ist, wie die Fotografie. Diese Berufsarten kommen selbstverständlich für den Warenexport der Großstädte nach dem Lande nicht oder nur sehr einig in Betracht. Rechnet man die in ihnen Tätigen zusammen so erhält man die große Zahl von 233.176 Personen, das sind 13,7 Prozent der Erwerbstätigen. Es zahlen also für den Warenverkehr nach Außen nur noch 29,5 Prozent der Erwerbstätigen mit. Aber auch diese 30 Prozent produzieren keineswegs hauptsächlich für auswärts. Im Gegenteil, es gibt darunter Gewerbearten, die nicht einmal dem großstädtischen Bedarf selbst genügen. Um einen weiteren Vergleich zu ermöglichen, haben wir deshalb berechnet, wie viel Einwohner durchschnittlich in den Großstädten und im Reich auf jeden der in den einzelnen Industriegruppen Erwerbstätigen entfallen.
Je geringer die Zahl der Einwohner, die auf einen Erwerbstätigen entfällt, desto stärker ist die betreffende Industriegruppe vertreten. Unsere Tabelle zeigt, dass in den Großstädten der Bergbau, die Industrie der Steine und Erden, die Textilindustrie verhältnismäßig schwächer als im Reich überhaupt vertreten sind, folglich ist hier eher eine Warenzufuhr als eine Warenausfuhr zu erwarten. Für Berlin lässt sich das auch tatsächlich aus der Statistik der Güterbewegung auf den Eisenbahnen nachweisen. Die Eisenverarbeitung ist gleichmäßig verteilt. Die Industrie der Nahrungsmittel und Genussmittel ist zwar in den Großstädten zahlreicher, aber das ist wohl bedingt durch den größeren Warenbedarf der Großstädte an diesen Produkten. Schon nicht mehr in demselben Maße gilt das für die Industrie der Bekleidung und Reinigung.10 Dann erst folgen die auf den Versand berechneten Industriezweige der Großstädte. Die großstädtischen Exportindustrien beschäftigen zusammen 251.000 Personen, das sind 14,4 Prozent der Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Es ist demnach sehr hoch gerechnet, wenn wir annehmen, dass von Gesamtzahl der Erwerbstätigen der Großstädte 10 Prozent damit beschäftigt sind, Waren für den Umtausch der vom Lande empfangenen Gebrauchsgegenstände zu produzieren. Das gesamte wirtschaftliche Bild der deutschen Großstädte stellt sich nunmehr so dar: 56 Prozent der Erwerbstätigen produzieren nichts, 34 Prozent produzieren Industriewaren für diese 56 Prozent und für sich, 10 Prozent liefern Waren, um landwirtschaftliche Produkte und die noch mangelnden Industrieerzeugnisse vom Lande einzutauschen. Im Lande selbst aber braucht man von je 100 Erwerbstätigen 40 allein um den Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten zu decken. Wozu also die Arbeit von vier Zehntel der Erwerbstätigen notwendig ist und noch darüber hinaus, das soll mit dem Arbeitsprodukt eines Zehntels der Erwerbstätigen der Großstädte ausgetauscht werden. Offenbar ist das als Massenerscheinung undenkbar. Dann aber müssen die Großstädte mehr Waren vom Lande beziehen, als an das Land abgeben, und die Differenz mit Geld bezahlen. Wir besitzen keine Wertstatistik des inländischen Warenverkehrs, Nach dem Vorausgeschickten dient aber auch die Gewichtsstatistik als ausreichende Illustration. So hat 1894 Berlin im Eisenbahnverkehr 4,4 Millionen Tonnen Güter empfangen und nur 800.000 Tonnen versendet; Breslau hat 2,5 Millionen Tonnen empfangen und 500.000 Tonnen abgeschickt. Das wirft wieder ein Streiflicht auf die Rolle der Eisenbahnen: sie dienen nicht bloß als Vermittler eines gegenseitigen Verkehrs, sondern als Zufuhrmittel an die Städte. Woher nehmen aber die Großstädte das Geld, um den fehlenden Warenbedarf einzulaufen? Das zeigt uns wiederum ihre Berufsgliederung. Zunächst bringt der unverhältnismäßig stark vertretene Handel einen Teil des außerhalb der Städte erzeugten Mehrwerts in Geldform in die Städte hinein. Im Handel ist auch der durch die Banken vermittelte Kreditverkehr in dem Maße enthalten als er für die betreffenden Anstalten einen Profit abwirft. Die zweite Geldquelle sind die Beamtengehälter, die in Gestalt von Steuern erhoben werden. Die dritte Quelle ist der Tribut, den sich die Rentiers für ihr Kapital zahlen lassen. Diese Geldeinnahmen erscheinen aber nur insofern als vermehrte Kaufkraft der Städte gegenüber dem Lande, als sie nicht einer Verteilung der in den Städten produzierten Mehrwerte entspringen, sondern den Städten von außerhalb, oder, solange man beim inländischen Verkehr bleibt, vom Lande zufließen. So ist es das vom Lande bezogene Geld, mit dem die Großstädte ihren überschüssigen Warenbedarf vom Land einkaufen. Nach der sächsischen Einkommensstatistik bestehen 14 Prozent des städtischen Einkommens aus Renten, in den Dörfern nur 9 Prozent. Aber diese Zahlen zeigen das wirkliche Verhältnis noch nicht an. Denn die sächsische Statistik führt auch in den Städten das Einkommen aus Grundbesitz als besondere Einkommensquelle an, dieses ist aber in den Städten ein abgeleitetes Einkommen, das als Mietzins von den übrigen Einkommensarten abgeleitet wird, und zwar am wenigsten von Renteneinkommen, so wächst selbstverständlich der Prozentsatz des Renteneinkommens. Das Renteneinkommen zerfällt aber seinerseits in zwei große Gruppen: Staatsschulden und Hypotheken. Beide dienen dazu, das gesamte Land den Großstädten tributpflichtig zu machen. So erscheinen die Großstädte als Sammelbecken der Konsumtion und des Geldes. Der Mehrwert fließt hier zusammen, um zum Teil als Revenue vermehrt, zum Teil vermittelst der Kreditinstitute der Produktion wiedergegeben zu werden. Und darum ist hier auch der Sitz der Börse. Mittelst der Börse aber werden Verbindungen eingegangen, die viel weiter hinausreichen, als das inländische Eisenbahnnetz. Nunmehr gelangt Mehrwert aus den entferntesten Ländern nach der Großstadt, wird hier verhandelt, hier in Revenue und Kapital gespalten, um zwei verschiedene Zirkulationen zu beginnen. Die Großstadt wirft die nationalen Eierschalen ab und wird zum Knotenpunkt des Weltmarktes. Als Geschäftsführerin des kosmopolitischen Kapitals erscheint sie nun dem Inland gegenüber. Keine nationalen Schranken der Produktion mehr: auf einen Druck des Telegrafenknopfes erscheinen Geld, Produktionsmittel, Rohstoffe, Arbeiter aus den entferntesten Ländern. Und wie die Produktion zur Weltproduktion, so wird die Großstadt zur Weltstadt. Es kann aber nicht jede Stadt zum Zentralpunkt des Weltmarkts werden, und auf dem Wege zu dieser höchsten Verklärung des Warenverkehrs und der Kapitalakkumulation werden verschiedene Entwicklungsphasen und Entwicklungsformen durchgemacht. Im Allgemeinen lassen sich drei Erscheinungsformen der kapitalistischen Städte unterscheiden, die aber auch als ebenso viele Entwicklungsformen der einen Stadt auftreten können. I. Die Handels- und Gewerbestadt, die fremdländische Waren und Produkte der heimischen Gewerbetätigkeit der Landbevölkerung vermittelt. Voraussetzung ist eine große Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten. Ihr reinster Typus ist in Amerika zu studieren. II. Die Fabrikstadt, die meistens einen bestimmten Industriezweig in sich konzentriert. Sie setzt meistens einen kolonialen Absatz voraus. Jedenfalls erfordert sie diesen, um mehr zu sein als eine vereinzelte Erscheinung. Diese Art hat sich am vollendetsten in England entwickelt. III. Die Großstadt als Konsumtions- und Geldakkumulationszentrum. Die kapitalistische Entwicklung Deutschlands, dem weder eine alles beherrschende landwirtschaftliche Ausfuhr noch ein koloniales Absatzgebiet zu Gebote stand, bildete diese Städteform relativ früh aus. War diese Entwicklung auch begünstigt durch die spezifischen Eigenschaften des preußisch-deutschen Beamten- und Garnisonsstaat, so dient sie ihm andererseits als Stütze. Die deutschen Großstädte üben eine ungemein revolutionäre Wirkung auf die deutsche Landwirtschaft. Durch die kapitalistischen Verbindungen, die sie mit ihr eingehen, zerstören sie ihre Naturalwirtschaft. Sie bilden das erste Absatzgebiet für die an die Landwirtschaft anknüpfenden Industriezweige Sie liefern aber auch das Kapital, um diese Industriezweige zu entwickeln. Schließlich verknüpfen sie mittels des Warenverkehrs und mittels des Kreditverkehrs das Schicksal der Landwirtschaft aufs engste mit ihrem eigenen Schicksal. Die Zeiten sind vorbei, wo die Landwirtschaft die wirtschaftliche Grundlage des Staats bildete. Die Städte können jetzt auch ohne einheimische Landwirtschaft existieren. Aber ohne Städte keine Landwirtschaft. Man kann nicht aus der Entwicklung der Landwirtschaft die Entwicklung der Städte ableiten, wohl aber begreift man die Entwicklung der Landwirtschaft nicht mehr, wenn man nicht die Entwicklung der Städte in Betracht zieht. Mit der Charakteristik der Städte und Eisenbahnen schließen wir vorläufig die Betrachtung der industriellen Verhältnisse, um uns der Landwirtschaft zuzuwenden. 5. Agrarische Widersprüche Die landwirtschaftlichen Verhältnisse bieten in diesem Moment eine Menge einander widersprechender Erscheinungen. Wir wollen auf einige dieser Widersprüche kurz hinweisen, bevor wir eine positive Darlegung der landwirtschaftlichen Entwicklung geben. 1. Man klagt über den Druck, den die ausländische Getreidekonkurrenz auf dem Markt ausübt. Als solche Konkurrenten kamen bis auf die letzte Zeit vor allem in Betracht: Russland und die Vereinigten Staaten. Tatsächlich war auch ihre Konkurrenz so stark, dass sie aller Zollschranken spottete. Und doch haben wir soeben gesehen, wie Russland sich in eine Hungersnot hineinwirtschaftete. Und die Vereinigten Staaten, der mächtigste Konkurrent in der Weizenzufuhr, haben ihre Weizenanbaufläche in den letzten 15 Jahren, trotzdem die Bevölkerung dieses Landes um 25 Prozent gewachsen und der relative Produktionsertrag gleich geblieben ist, nicht ausgedehnt, im Gegenteil, sie ist in den letzten Jahren zurückgegangen. 2. Die Weltmarktproduktion an Brotfrüchten, sowie im Besonderen die Produktion Europas und der für den europäischen Markt in Betracht kommenden Länder zusammengenommen zeigt seit Jahren in absoluten Zahlen keine Steigerung, sie geht vielmehr im Verhältnis zur Bevölkerung zurück, auch sind die Produktionskosten weder in den Vereinigten Staaten noch in Europa gesunken (seit 1885 sind auch die Frachtsätze in den Vereinigten Staaten gleich geblieben), und dennoch sinken die Getreidepreise. 3. Nimmt man größere Perioden, so zeigt sich für Deutschland, dass, obwohl die Getreidepreise sinken, der Getreidekonsum zurückgeht. 4. Obwohl die Getreidepreise sinken und der Konsum pro Kopf der Bevölkerung zurückgeht, steigt in Deutschland der inländische Getreideverkehr. Diese agrarischen Widersprüche lösen sich von selbst, wenn an die landwirtschaftliche Entwicklung in Zusammenhang bringt mit der allgemeinen kapitalistischen Produktionsentwicklung. Der landwirtschaftliche Warenverkehr für sich, ohne Zusammenhang mit der Industrie und mit der kapitalistischen Weltproduktion überhaupt, ist ebenso wenig zu ergreifen wie die Blutzirkulation ohne Kenntnis der Herztätigkeit und des Atmungsprozesses. 6. Industrie und Landwirtschaft Es gilt vor allem die allgemeinen Zusammenhänge zwischen der industriellen Entwicklung und der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft klarzulegen. Dies bietet, nachdem der dritte Band des „Kapital“ von Karl Marx erschienen ist, keine großen Schwierigkeiten mehr. a. Einfluss der industriellen Entwicklung auf die Getreidepreise. Die Getreidepreise können steigen bei gleich bleibender Anbaufläche, gleich bleibender Bevölkerung und selbst gleich bleibender Getreideproduktion — einzig in Folge der Entwicklung der Industrie. Wir wollen diesen Satz zunächst an einem abstrakten Beispiel erläutern. Wir setzen voraus eine vollständige Entwicklung der kapitalistischen Produktion in Industrie und Landwirtschaft. In diesem Zustand gibt es auch auf dem Lande nur Lohnarbeiter und Kapitalisten respektive Grundbesitzer. Wir setzen weiter voraus, dass die Arbeiter nur in Geld entlohnt werden. Das ist nicht der leichteste Fall, sondern im Gegenteil derjenige, welcher der Beweisführung die meisten Schwierigkeiten bietet. Nehmen wir an, dass in diesem Lande, damit es keiner landwirtschaftlichen Zufuhr bedürfe, die gesellschaftliche Produktion so verteilt ist, dass eine Million Arbeiter in der Landwirtschaft und eine Million in der Industrie beschäftigt sind. Diese eine Million landwirtschaftlicher Arbeiter produzieren dann die Lebensmittel, die zum Unterhalt der ganzen Gesellschaft notwendig sind. Der leichteren Übersicht wegen nehmen wir statt Lebensmittel das hauptsächliche Nahrungsmittel, das Getreide. Unterstellen wir dann noch, dass die Anbaufläche eine Million Hektar beträgt — die Zahl ist ja gleichgültig. In diesem Lande wird es nun einen bestimmten Getreidepreis geben, der nach dem allgemeinen Wertgesetz und den Gesetzen der Grundrente gebildet wird. Denken wir uns aber, dass in Folge der Entwicklung des Weltmarkts in der Industrie dieses Landes sich ein stärkerer Bedarf an Arbeitern herausstellt. Dann wird, wenn der blühende Zustand der Industrie anhält, ein Teil der Arbeiter der Landwirtschaft entzogen werden müssen. Die Reservearmee ändert nichts an der Sache. Denn, erstens, ein bestimmter Stand der Arbeitslosen muss stets vorhanden sein. Er ergibt sich aus den inneren produktiven Zusammenhängen der Industrie wie Saisonarbeit, große, schnell auszuführende Bestellungen etc. Sodann, je mehr die Reservearmee absorbiert wird, desto mehr wächst der Arbeitslohn (wodurch der Beweis erbracht ist, dass ein relativer Mangel an Arbeitern besteht). Mit dem Wachstum des Arbeitslohnes in der Industrie muss sich aber ein Zufluss landwirtschaftlicher Arbeiter nach den Fabriken herausstellen, selbst wenn man von dem gewöhnlichen Unterschied im Arbeitslohn zwischen Landwirtschaft und Industrie absieht. Schließlich ist es ja die Tendenz der kapitalistischen Industrie, sich grenzenlos zu entwickeln. Wenn daher eine kapitalistisch überflüssige Reservearmee sich aufstaut, so ist das ein Beweis der ungenügenden Entwicklung des Weltmarkts. Aus diesem wäre also die Erklärung zu holen, währenddem es sich vorläufig nur noch um die allgemeinen Zusammenhänge zwischen Industrie und Landwirtschaft handelt. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Auswanderung das kapitalistische Regulativ der Reservearmee bildet. Gesetzt, die industrielle Arbeiterschaft vermehre sich auf 1.200.000, so bleiben in der Landwirtschaft nur noch 800.000. Wenn die Produktivkraft der Arbeit dieselbe bleibt, so können diese 800.000 nicht mehr die frühere Bodenfläche von einer Million Hektar bearbeiten. Die kapitalistischen Pächter und Grundbesitzer werden dann über den „Zug nach der Stadt“, Arbeitermangel und hohe Arbeitslöhne klagen (die jetzigen Klagen der preußischen Junker haben einen anderen Grund, der später erörtert werden wird), und im Lande wird sich ein Mangel an Getreide herausstellen. (Man behalte im Auge, dass wir eine rein kapitalistische Produktion voraussetzen, bei der die gesamte Bauernschaft bereits längst expropriiert und proletarisiert ist.) Dem Getreidemangel könnte durch Zufuhr abgeholfen werden. Allein das setzt bereits eine Steigerung des Getreidepreises voraus, sonst ist nicht abzusehen, warum diese Zufuhr nicht früher stattgefunden hat. Der Grad der Steigerung der Getreidepreise konnte wohl durch fremde Zufuhr beeinflusst werden. Wir dürfen aber von der auswärtigen Getreidezufuhr vollständig absehen: denn entweder befindet sich das Ausland auf einer anderen Stufe der kapitalistischen Entwicklung, und dann wird durch diese Verbindung unsere Voraussetzung einer rein kapitalistischen Produktion gestört, oder es steht auf der gleichen Entwicklungsstufe, hat aber eine andere Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit aus Industrie und Landwirtschaft, und dann würde sich die Notwendigkeit herausstellen, unser Beispiel umzurechnen, wodurch dem Wesen nach nichts geändert worden wäre, oder schließlich ist dieses andere Land unserem Musterland wirtschaftlich ähnlich und dann wird durch die Handelsverbindung erst recht nichts geändert. Um Missverständnissen vorzubeugen, möge noch erwähnt werden, dass damit keineswegs die Behauptung aufgestellt werden soll, dass der Getreidepreis sich nur im Inlande bildet. Es handelt sich nicht um die Preisbildung überhaupt, sondern um einen bestimmten Fall der Steigerung des Getreidepreises, wie er Eingangs näher charakterisiert worden ist. Und dieser Fall wird, wir wiederholen es, an einem abstrakten Beispiel erörtert.11 Es wird also nur übrig bleiben: entweder die Landeskultur so zu intensivieren, dass nunmehr 800.000 Hektar so viel Getreide liefern wie früher eine Million, oder die Produktivkraft der Arbeit, etwa durch Einführung neuer Maschinen, so zu steigern, dass 800.000 Arbeiter eine Million Hektar Land bearbeiten können, oder eine Kombination von beiden, was selbstverständlich ist. Wenn uns die Produktion des fehlenden Getreides, auch nur zum Teil, mit größerer Kapitalauslage respektive mehr Produktionskosten verbunden ist als jene waren, die soeben den Getreidepreis regulierten, so wird der Getreidepreis steigen. Ob die gesteigerten Kapitalauslagen in Maschinen, Dungmitteln oder Bodenmeliorationen gemacht werden, ob neue Verfahren eingeführt oder alte dort angewendet werden, wo es bis jetzt nicht der Fall war, ändert qualitativ nichts an der Sache. Quantitativ, d.h. für die Höhe des Preisunterschieds, ist unter Umständen das eine, unter Umständen auch das andere maßgebend. Es kann auch der Fall eintreten, dass in Folge der durchgeführten Verbesserungen der Landeskultur, weil dadurch die Nachfrage nach industriellen Produkten gesteigert wird, ein weiteres Steigen der Getreidepreise sich herausbildet, bis das Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie hergestellt ist. In der politischen Ökonomie wie in der Natur gibt es nur Wechselwirkungen. Wir haben also hier zunächst einen abstrakten Fall der Steigerung des Getreidepreises, obwohl 1) die Bevölkerung gleich bleibt, 2) die Getreideproduktion gleich bleibt, 3) die Anbaufläche gleich bleibt oder sich sogar verringert. Um unser abstraktes Beispiel der Wirklichkeit zu nähern, schieben wir zunächst ein Zwischenglied ein und nehmen an, dass die landwirtschaftlichen Arbeiter zum Teil in natura entlohnt werden. In unserem ersten Fall ging das gesamte Getreide zu Markte. Angebot und Nachfrage wurden gebildet: auf der einen Seite durch die Menge des produzierten Getreides, auf der anderen durch die Gesamtzahl der konsumierenden Bevölkerung (auf dem kapitalistischen Markte kommt selbstverständlich nicht bloß der Bedarf, sondern auch die Kaufkraft in Betracht). Bei der eingetretenen Veränderung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit ging immer noch der gesamte Ernteertrag zu Markte, nur war er anfangs kleiner als bis dahin. Anders in unserem zweiten Fall. Die zu Markt gelangende Getreidemenge ist hier die gesamte Ernte, abzüglich des von den Produzenten in natura verbrauchten Teils. Die Marktnachfrage dagegen ist nur der Bedarf der industriellen Bevölkerung. Rechnet man den Ertrag pro Hektar zu einer Tonne, so stand im ersten Fall ein Angebot von einer Million Tonnen einer Nachfrage von zwei Millionen Personen gegenüber, wenn wir nur die Arbeiterklasse als Getreidekonsumenten in Rechnung bringen, was der Einfachheit halber geschieht. Im zweiten Fall aber steht einem Angebot von 500.000 Tonnen eine Nachfrage von einer Million Personen gegenüber. Wie man sieht, sind nur die Quantitäten anders, während das Verhältnis beide Male das Gleiche bleibt, nämlich 1:2.12 Der Wert des Getreides wird dadurch nicht beeinflusst, ob die Landarbeiter in Geld oder in Lebensmitteln bezahlt werden. Das zeigt sich darin, dass der Pächter oder Grundbesitzer, wenn er den Produktionspreis des Getreides berechnet, entweder die den Arbeitern abgelieferte Getreidemenge von der Ernte abrechnen oder ihren Geldwert dem Lohn hinzurechnen muss. Aber bei der Bildung des Marktpreises kommt die den Arbeitern in natura abgegebene Getreidemenge ebenso wenig in Betracht, wie das zurückgehaltene Saatkorn oder die an das Vieh verfütterten Quantitäten. Sie üben einen passiven Einfluss auf die Bildung von Angebot und Nachfrage, indem sie beide um ihren Betrag vermindern. Aber in dem Moment, wo Nachfrage und Angebot einander auf dem Markte gegenübertreten, scheiden diese in natura verbrauchten Quantitäten aus dem Spiel. Man wird gleich sehen, welche Wirkung das hat. In unserem zweiten Fall ist das Verhältnis des Marktangebots an Getreide zur Marktnachfrage, wie schon erwähnt, dasselbe wie im ersten Fall = 1:2. Nun lassen wir auch hier die Änderung in den Produktionsverhältnissen eintreten wie dort: die industrielle Arbeiterschaft soll sich auf 1.200.000 vermehren, die agrikole auf 800.000 zurückgehen. Wie wird jetzt die Marktlage sich gestalten? 800.000 Arbeiter auf 800.000 Hektar produzieren zunächst nur 800.000 Tonnen Getreide. Davon erhalten die landwirtschaftlichen Arbeiter als Naturallohn, wenn der Lohnsatz gleich bleibt, 400.000 Tonnen. Es gelangen zum Markt 400.000 Tonnen, denen die gewachsene Nachfrage der industriellen Bevölkerung von 1.200.000 Köpfen gegenübersteht. Das Verhältnis von Marktangebot zur Marktnachfrage, letztere repräsentiert durch die Zahl der Nachfragenden, ist jetzt 4:12 oder 1:3. Versuchen wir die bei den betrachteten Änderungen der Produktionsverhältnisse eingetretenen Änderungen des Marktverhältnisses in vergleichbare Zahlen zu bringen, so erhalten wir folgende Übersicht:
Währenddem im ersten Fall, bei Geldlohn, das Verhältnis auf dem Markte von 2:4 auf 2:5 sich ändert, ändert es sich im zweiten Fall, bei Naturallohn, auf 2:6, d.h. bei Naturallohn ändert sich, in Folge der Verschiebung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit, das Marktverhältnis mehr zu Gunsten des Angebots, als bei Geldlohn. Es ist klar, warum. Bei Geldlohn vermindert sich nur das Angebot auf dem Markte, während die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene Gesamtheit der Bevölkerung vertreten wird, unverändert bleibt — bei Naturallohn aber vermindert sich nicht nur das Angebot, sondern zugleich steigt die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene industrielle Bevölkerung vertreten wird. Man sieht, dass in diesem Fall, dessen verschiedene Modifikationen wir bei Seite lassen, unter dem Einfluss der industriellen Entwicklung eine Steigerung des Getreidepreises noch eher eintreten würde. Nehmen wir jetzt an, dass die der Landwirtschaft fehlende Arbeiterzahl von außerhalb ersetzt wird — auf welche Weise ist uns diesmal gleichgültig. Dann wird, wenn die Anbaufläche respektive die Intensität der Landeskultur gleich bleiben, ein Marktanteil von 500.000 Tonnen einer Marktnachfrage von 1.200.000 Personen gegenüberstehen. Das Angebot bleibt unverändert, aber die Nachfrage ist gestiegen. Zu gleicher Zeit tritt eine Vermehrung der Bevölkerung ein, aber diese Vermehrung ist nicht die Ursache der Steigerung des Getreidepreises, sondern im Gegenteil, sie ist durch diese Steigerung bedingt worden. Ein wichtiges Moment unterscheidet diesen Fall von den vorangehenden: man braucht hier keine Steigerung des Arbeitslohnes in Betracht zu ziehen, um die Steigerung des Getreidepreises zu erklären. Die Löhne der Landarbeiter können sogar sinken, wenn die eingewanderten Arbeiter geringere Ansprüche machen, und dieses Sinken der landwirtschaftlichen Arbeitslöhne kann zu einem Sinken der Arbeitslöhne in der Industrie führen, wenn unter dem Lohndruck ein Teil der Landarbeiter den Fabriken zuströmt. In ähnlicher Weise vollzog sich auch die tatsächliche Entwicklung. Es bleibt uns noch das letzte Zwischenglied: das Bauerntum. Dieses kommt in zweierlei Beziehung in Betracht. Erstens als Quelle des Arbeiterzuflusses. Insoweit ist ja das Verhältnis bereits erörtert. Ein Unterschied besteht nur darin, dass bei Ergänzung der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter aus dem Bauerntum keine Vermehrung der Bevölkerung eintritt. Zweitens kommt der Bauer in Betracht als selbständiger landwirtschaftlicher Produzent. Zu letzterem Punkt ist Folgendes zu bemerken: Das Bauerntum ist nicht gleichartig. Es muss aus der Gesamtmasse vor allem das amerikanische Farmertum ausgeschieden werden. Dieses hat eine Entwicklung durchgemacht und produziert unter den Bedingungen einer kapitalistischen Kolonie. Es ist deshalb in einem anderen Zusammenhang zu erörtern. Der Bauer des europäischen Festlandes, dem das Gesetz der kapitalistischen Grundrente in der Gestalt des Bodenpreises entgegentritt, produziert deshalb unter den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen, wie der kapitalistische Grundbesitzer. Sofern er Knechte hält und Tagelöhner, wird er durch den Arbeiterabfluss nach der Fabrik ebenso getroffen wie dieser. Außer den allgemeinen kapitalistischen Mitteln, die Getreidezufuhr zu erweitern, steht ihm nur eines besonders zur Verfügung: die Beschränkung des eigenen Bedarfs. Dazu wird er aber durch den steigenden Getreidepreis am wenigsten veranlasst, im Gegenteil, als Verkäufer zieht er daraus seinen Vorteil wie jeder Andere. Darum kommt die Konkurrenz des europäischen Bauerntums erst dann scharf zur Geltung, wenn die Getreidepreise sinken. Der Einfluss der industriellen Entwicklung auf den Getreidepreis hebt das allgemeine Gesetz der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente nicht auf. Nach diesem Gesetz sind die Produktionskosten des Getreides unter den schlechtesten natürlichen Bedingungen, wenn diese Produktion zur Deckung des Bedarfs notwendig ist, für die Bildung des Getreidepreises maßgebend. Innerhalb der durch den Bedarf gesteckten Grenzen nur kommt also das allgemeine Preisbildungs- und Rentengesetz zur Geltung. Auf dem kapitalistischen Markte gilt aber nur der Warenbedarf. Das ist allgemein, und die Agrikulturprodukte machen hier keine Ausnahme. Die Bestimmungsgründe des kapitalistischen Marktbedarfs an Getreide sind also mit bestimmend für die Bildung des Getreidepreises, weil sie mitbestimmend sind für die Festsetzung der untersten Grenze des Getreideanbaues. Diese Bestimmungsgründe, wie überhaupt die Bestimmungsgründe von Nachfrage und Angebot gehören in die Lehre von der Konkurrenz, die, weil sie außerhalb des Plans des „Kapital“ fiel, von K. Marx nicht besonders entwickelt wurde.13 Das soeben angedeutete allgemeine Gesetz der Marktpreisbildung aber und dessen Wirkung bei der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente wird von ihm scharf und klar in verschiedenen Zusammenhängen hervorgehoben. Hier die für die Landwirtschaft am meisten kennzeichnende Stelle: „…die Rente, und damit der Wert des Bodens, um nur von der eigentlichen Ackerbaurente zu sprechen, entwickelt sich mit dem Markte für das Bodenprodukt und daher mit dem Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung; mit ihrem Bedürfnis und ihrer Nachfrage teils für Nahrungsmittel, teils für Rohstoffe. Es liegt in der Natur der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie die ackerbauende Bevölkerung fortwährend vermindert im Verhältnis zur nicht ackerbauenden, weil in der Industrie (im engeren Sinn) das Wachstum des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum variablen, verbunden ist mit dem absoluten Wachstum, obgleich der relativen Abnahme, des variablen Kapitals; während in der Agrikultur das variable Kapital absolut abnimmt, das zur Exploitation eines bestimmten Bodenstücks erfordert ist, also nur wachsen kann, soweit neuer Boden bebaut wird, dies aber wieder voraussetzt noch größeres Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung.“14 Dieser Zusammenhang zwischen der industriellen Entwicklung und der Steigerung der Getreidepreise, der in seiner allgemeinen Wirkung auf ein ganzes Land erst studiert werden muss, um erkannt zu werden, fällt sofort in die Augen, wenn es sich um eine Einzelwirkung auf beschränkten Gebiete handelt. So ist es bekannt, dass jede Großstadt auf einen bestimmten Umkreis der Lebensmittel verteuert. Die Entwicklung der Transportmittel und der überseeischen Zufuhr verwischt selbstverständlich diese Wirkung. Wie groß diese Wirkung vorher war, zeigt folgende Tabelle, die Arthur Young in seiner Reisebeschreibung England (1763) mitteilt:
Dass dieser Gegensatz noch jetzt nicht ausgelöscht ist, zeigt folgender Vergleich der Preise für Berlin und die Provinz Brandenburg (pro Kilogramm in Pfennigen für 1894):
Wie bei den Städten,15 so kommt dieses Verhältnis auch beim Vergleich verschiedener Gebiete desselben Landes untereinander zum Ausdruck. Rodbertus bringt in seinem dritten „sozialen Brief“, zu anderen Zwecken, eine Übersicht der Getreidepreise in den einzelnen preußischen Provinzen für 1816-1837, die diese Preisunterschiede schön beleuchtet. Wir bringen diese Tabelle hier an und fügen die entsprechenden Zahlen für 1894 hinzu.
Man sieht, trotz der gewaltigen produktiven Entwicklung und der Entwicklung des Verkehrs, die das Land während dieser drei Vierteljahrhunderte durchgemacht hat, sind es nach wie vor die industriereichen Provinzen: Sachsen, Westfalen, Rheinland, die die höchsten Getreidepreise aufweisen. Der Vergleich größerer Gebiete, z.B. ganzer Länder unter einander ist nur mit größter Vorsicht vorzunehmen, weil hier bei der Preisbildung zahlreiche andere Verschiedenheiten mitwirken. Am ehesten lässt sich die verschiedene Höhe der Preise agrikoler Produkte solcher großen Gebiete dann als Wirkung der industriellen Entwicklung betrachten, wenn der industrielle Unterschied zwischen ihnen am größten ist. So, wenn man etwa Sibirien mit Großbritannien vergleicht.16 In der Entwicklung eines ganzen Landes lässt sich die Steigerung des Preises landwirtschaftlicher Produkte und besonders des Getreides als Wirkung der industriellen Entwicklung aus folgenden Gründen statistisch schwer nachweisen: 1) Weil die Getreidepreise von Jahr zu Jahr und selbst für größere Zeiträume in hohem Grade vom Ausfall der Ernte beeinflusst werden. 2) Weil die auswärtige Getreidezufuhr die Bildung der inländischen Getreidepreise stört. 3) Weil dabei die Wirkung der allgemeinen Gesetze der Preisbildung und der Geldzirkulation auszuscheiden wäre. 4) Weil eine Steigerung des Getreidepreises, wie sich aus den vorangehenden Erörterungen ergibt, erst dann eintritt, wenn die Erzeugung des fehlenden Getreides relativ mehr Produktionskosten erfordert; das braucht aber keineswegs stets der Fall zu sein. Es gibt jedoch Zeitabschnitte, in denen die Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Steigerung des Getreidepreises so scharf zur Geltung kommt, dass diese Steigerung sich durch andere Gründe nicht erklären lässt. Das war in England im Ausgang des achtzehnten und anfangs des neunzehnten Jahrhunderts der Fall, zur Zeit also, als die großen Erfindungen stattfanden und die kapitalistische Industrie ihre erste Entwicklungsphase durchmachte. Bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte England eine bedeutende Ausfuhr von Getreide. Ein englischer Schriftsteller ruft nach 1739 klagend aus: „Was sollte aus dem Grundbesitzer werden, wenn nicht der Absatz im Ausland wäre?“ Die Wendung, d.h. die Umwandlung Englands in ein Getreide importierendes Land, trat so schroff ein, dass die Erklärung dieses Verhältnisses durch einfaches Wachstum der Bevölkerung von vornherein als unzulänglich sich erweist. Noch 1763 und 1764 hatte England eine Weizenausfuhr von 820.000 Quarter und in den Jahren 1767 und 1768 hatte es bereits eine Einfuhr von 830.000 Quarter. Dabei wurde sein Jahreskonsum um diese Zeit auf bloß 4.000.000 Quarter17 geschätzt. Diese rapide Umwandlung ist begünstigt worden durch eingetretene Missernten. Aber von nun an ist England für alle Zeiten ein Getreide einführendes Land geblieben, und das lässt sich durch den Zufall der Missernte nicht mehr erklären. Die Anbaufläche und die Intensität der Kultur nahmen in ungeahntem Umfange zu, dennoch blieben der Getreideimport ein eiserner Bestandteil der englischen Landwirtschaft — ein Beweis, dass er nicht durch absoluten, sondern durch den relativen Getreidemangel hervorgerufen wurde, d.h. durch den Preisunterschied gegenüber dem Auslande. Folgender Art war die durchgemachte Preisbewegung: Es betrug der durchschnittliche Weizenpreis:
Man sieht, die Periode der industriellen Entwicklung zeigt einen gewaltigen Preisunterschied gegenüber den vorangehenden Jahren und nimmt eine Ausnahmestellung im ganzen Jahrhundert ein. 1793 begann der Krieg mit Frankreich, der bis 1813 dauerte. Wie dieser Krieg auf die Entwicklung der englischen Industrie wirkte, ist hier nicht zu erörtern. Es genügt, darauf zu verweisen, dass, wenn auch der Handelsverkehr mit Europa zeitweise sehr empfindlich litt, England doch zu gleicher Zeit die absolute Herrschaft auf der See hatte und den Verkehr mit den tropischen Ländern stark entwickelte. Im Allgemeinen war das anerkanntermaßen eine Periode der aufsteigenden industriellen Entwicklung. Was aber diesen Zeitraum für uns besonders interessant macht, ist, dass während dieser Zeit die Getreidezufuhr nach England gehemmt wurde. Dies geschah zum Teil, weil der französische Bedarf an fremdländischem Getreide in Folge der Revolutionswirren und der nachfolgenden Kriege stark gestiegen war, sodann weil in Folge des allgemeinen Kriegszustandes die Exportfähigkeit Europas für Getreide überhaupt abnahm, schließlich seit Ende 1807 in Folge der bekannten Napoleonischen Kontinentalsperre. Da der überseeische Getreideverkehr damals noch sehr wenig entwickelt war und der Handel mit Nordamerika noch überhaupt an den Folgen des englisch-amerikanischen Krieges sehr litt, der Getreidebezug vom europäischen Festlande seinerseits mit stets wachsenden Kosten verbunden war, so haben wir einen äußerst günstigen Fall vor uns, den Einfluss der Industrie auf die Getreidepreise zu studieren. Im Durchschnitt betrug zwischen 1793 bis 1813 der Weizenpreis 86 Schilling 4 Pence — eine enorme Steigerung selbst gegenüber der vorangehenden Periode. Dieser Zeitraum von 21 Jahren zeigt selbstverständlich viele Schwankungen. Die Getreideteuerung musste, aus begreiflichen Gründen, dann am empfindlichsten sein, als mit der allgemeinen Preissteigerung sich die Wirkung einer ungünstigen Ernte vereinigte. In solche Jahrgänge fallen auch die parlamentarischen Versuche, der Teuerung abzuhelfen. Zuerst 1795. Das Parlament bestimmte Einfuhrprämien für Getreide, um der Teuerung entgegenzuwirken, währenddem in früheren Zeiten zu dem gleichen Zweck das gerade entgegengesetzte Mittel angewandt zu werden pflegte, nämlich Ausfuhrverbote. Diese Ansetzung von Einfuhrprämien wurde während unserer Periode mehrfach wiederholt. 1797 zeigt einen gesunkenen Getreidepreis. Dieses Sinken dauerte 1798 fort, aber immerhin beträgt der Weizenpreis 54 Schilling. 1799 steigt der Weizenpreis, desgleichen 1800, und 1801 erreicht er die Höhe von 128 Schilling 6 Pence. Das Jahr 1802 bringt die Möglichkeit einer freieren Getreidezufuhr und in Folge dessen geht der Weizenpreis wesentlich zurück. „Der Tod des Kaisers Paul und der Friede mit Dänemark nach der Schlacht von Kopenhagen öffneten den Ostseeverkehr wieder; und unter dem Einfluss der Prämie und der hohen Preise fanden große Getreidezufuhren statt, die im Laufe des Jahres anderthalb Millionen Qu. Weizen, 114.000 Qu. Gerste und 600.000 Qu. Hafer betrugen. Am 30. Juni standen die Weizenpreise auf 129 Schilling 8 Pence, Gerste 69 Schilling 7 Pence, Hafer 37 Schilling 2 Pence, und nach einer mäßig reichlichen Ernte am Schlusse des Jahres auf respektive 75 Schilling 6 Pence, 44 Schilling und 23 Schilling 4 Pence. Die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien mit Frankreich … diente zu einer Vermehrung der Zuflussquellen und Verminderung der Einfuhrkosten. Gegen den März des vorangegangenen Jahres waren die Preise um 50 Prozent niedriger.“ 1803 hält die sinkende Tendenz an. Dennoch beträgt selbst in diesem Jahre der Weizenpreis 60 Schilling, also 6 Schilling mehr als im Jahre 1798, 11 Jahre mehr als der von uns berechnete Durchschnittspreis der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Steigerung der Weizenpreise in Folge der industriellen Entwicklung ging also gleichsam terassenweise vor sich, so dass jedes Mal ein höheres Plateau erobert wurde, auf dem sich dann die Schwankungen des Preises unter der Wirkung anderer Ursachen abspielten. Nicht nur die Durchschnittspreise jedes nachfolgenden Zeitabschnitts sind höher, sondern auch die Minimalpreise.18 Nur zwei Jahre dauerte die relative Preisniedergang und 1804 beginnt wieder eine aufsteigende Bewegung. Nur 1807 zeigt eine kleine Abschwächung von 88 auf 78 Schilling pro Quarter. Im November dieses Jahres wird die große Blockade Englands eröffnet. Es ist kennzeichnend, dass trotz der ungeheuren Erschwerung des Verkehrs die Getreidezufuhr dennoch nicht nachließ. So wurden im Jahre 1810 wieder anderthalb Millionen Quarter Weizen eingeführt. Das war eine Periode großer Preissteigerung, und die hohen Preise deckten die Spesen der Zufuhr. Aber das Jahr 1811 zeigt ausnahmsweise einen relativen Preisniedergang, und das ist deshalb bemerkenswert, weil in diese Zeit eine Handelskrisis fällt. Die Kontinentalsperre hat, wie schon erwähnt, die industrielle Entwicklung Englands nicht verhindert. Zum Teil weil der Handelsverkehr mit den tropischen Ländern sich mächtig ausdehnte, zum anderen, weil besonders in der ersten Jahren Mittel und Wege gefunden wurden, die Sperre zu durchbrechen. Folgende Zahlen gewähren einen Einblick in die industrielle Entwicklung. Es betrug die Einfuhr nach England:
Man sieht, 1811 gab den Rückschlag der aufsteigenden Bewegung. Die tropischen Märkte waren mit englischen Waren überfüllt, so dass Rücksendungen eintraten, und in den deutschen Häfen wurde die Blockade schärfer gehandhabt. (Einzelnes bei Tooke und Newmarch.) Der Weizenpreis ging im Jahresdurchschnitt 1811 gegenüber 1810 von 112 Schilling auf 108 zurück; er betrug im August 1810 — 116 Schilling und fiel ununterbrochen bis auf 87 Schilling 2 Pence im Juni des Jahres 1811. Er stieg dann weiter, wie die Jahre 1813/1814 das Aufhören des Kriegszustands, die Beseitigung der Handelssperre, die Eröffnung der freien Getreidezufuhr und die große Handelskrisis mit sich brachten. Der Weizenpreis fiel von 120 Schilling im Jahre 1813 auf 85 Schilling im Jahre 1814. Folgendes ist die allgemeine Übersicht über dieses halbe Jahrhundert (1765-1813) steigende Getreidepreise:
Das war das goldene Zeitalter der englischen Landwirtschaft. Die rasche industrielle Entwicklung steigerte die Getreidepreise, noch mehr als diese stieg die Grundrente, mehr als die Grundrente der Pachtzins und mit ihm der Bodenpreis. Die Anbaufläche wurde erweitert, die Kultur intensiviert und der Großbetrieb griff rasch um sich. Den Grundbesitzern fielen enorme Reichtümer in den Schoß, und die Pächter machten ausgezeichnete Geschäfte. Nie gab es nachher eine ähnliche Entwicklung der Landwirtschaft. Sie steht ebenso einzig da wie die industrielle Entwicklung Englands jener Zeit. Wer aber diese ganze Herrlichkeit auf den Schultern zu tragen hatte, war die Arbeiterklasse. Ihre kargen Löhne wurden trotz der enormen Brotteuerung kaum erhöht. Welche Zustände das erzeugte, darüber nachzulesen bei K. Marx und Friedr. Engels. Selbst kühle Geschäftsleute wie Th. Tooke müssen zugeben, dass die Not der Arbeiter damals am stärksten war, und die Arbeiter nahe daran waren, vor Hunger umzukommen. Da aber die Löhne sich doch etwas erhöhten, meint Tooke: „so waren die Fälle eines Umkommens vor Not nur ganz vereinzelt.“ Um der Hungersnot der Arbeiterklasse abzuhelfen, legten damals die Mitglieder des Parlaments das hochherzige Gelübde ab, den Brotkonsum in ihren Familien um ein Drittel zu vermindern, d.h. ihn durch Fleisch und teuere Gemüse zu ersetzen! Außerdem wurde eine Steuer auf Puder festgesetzt, um den Verbrauch von Weizenmehl zu vermindern. Die Mode, sich die Haare mit Puder zu bestreuen, soll deshalb in Verfall gekommen sein. So streute man Sand in die Augen des hungernden Volkes! Auf diese Weise erzeugte die industrielle Entwicklung Englands steigende Getreidepreise, bereicherte die Grundbesitzer, ruinierte die Arbeiterklasse und verwandelte England aus einem Getreide ausführenden in ein Getreide einführendes Land. Unsere theoretische Ableitung, dass es die Tendenz der industriellen Entwicklung ist, die Preise der landwirtschaftlichen Produkte zu steigern, glauben wir nun auf Grund der tatsächlichen Entwicklung nachgewiesen zu haben. Wir haben dabei eine etwaige Erhöhung des relativen Konsums, d.h. des Verbrauchs pro Kopf der Bevölkerung, nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil, die Beweisführung ging geradezu darauf hinaus, bei gleich bleibendem Konsum die Preissteigerung nachzuweisen. Wir haben an dem Beispiele Englands gesehen, dass diese preissteigernde Tendenz stark genug sein kann, um selbst bei sinkendem relativem Verbrauch zum Ausdruck zu kommen. Es ist aber keineswegs allgemeines Gesetz der industriellen Entwicklung, dass sie den relativen Getreidekonsum vermindert Es gibt Periode, wo auch die relative Verbrauch steigt. A. de Foville (La France économique, 1889) stellt folgende Berechnung auf:
Wenn zu der steigernden Wirkung der industriellen Entwicklung noch eine relative Vermehrung des Verbrauchs sich gesellt, so müssen die Preise offenbar desto eher steigen. Andererseits muss eine relative Verminderung des Konsums der Steigerung entgegenwirken. Es ist klar, dass die gekennzeichnete Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Preise agrikoler Produkte auch dann ihre Geltung behält, wenn sie in der Preisbewegung nicht zum Ausdruck kommt. Wenn die Getreidepreise fallen, trotz der anhaltenden industriellen Blüte, so ist anzunehmen, dass sie noch mehr gesunken wären, wenn der industrielle Charakter der Periode ein anderer gewesen. Keine Bewegung kann als das Ergebnis nur einer Kraft betrachtet werden, die in ihrer Richtung wirkt, sondern jede Bewegung ist das Resultat mehrerer Wirkungen, die zum Teil einander aufheben — nimmt man nur eine Wirkung weg, so ändert sich sofort die Bewegung. b. Der Einfluss der industriellen Entwicklung auf die Grundrente, den Pachtzins und den Bodenpreis Der Zusammenhang zwischen Grundrente, Pachtzins und Bodenpreis ist von Karl Marx im dritten Band des „Kapital“ erschöpfend und außerordentlich klar dargelegt worden. Wir begnügen uns damit, in aller Kürze das Notwendigste in dem durch unser Thema gegebenen Zusammenhang zu rekapitulieren. Der Getreidepreis braucht nicht zu steigen, damit sich Grundrente herausbilde. Die Grundrente kann sich herausbilden auch bei stationärem und selbst sinkendem Getreidepreis. Wenn die Erweiterung der Getreideproduktion eines Landes in der Weise vor sich geht, dass immer besserer Boden in Bebauung genommen wird, so wird Folgendes eintreten: Wenn der schlechteste von früher auch weiter in Bebauung bleibt, so wird der Getreidepreis konstant bleiben. Zwischen dem neuen besseren Boden und den früheren schlechteren Arten wird aber Grundrente entstehen, weil die Produktionskosten auf dem neuen Boden geringere sein werden. Wenn besserer Boden in solchen Mengen in Bebauung genommen wird, dass der schlechteste Boden ausscheidet, so wird der Getreidepreis fallen. Aber Grundrente wird doch entstehen, weil der neu in Bebauung genommene Boden immerhin besserer Qualität ist als die älteren Bodenarten. In Wirklichkeit wird je nach den Umständen Boden verschiedener Art in Bebauung genommen: zum Teil vielleicht Bodenarten, die schlechter sind als die früheren, zum anderen Bodenarten bester Qualität oder einer solchen, die irgend in der Mitte liegt. Je nach der Kombination wird auch die Wirkung sein. Der Getreidepreis wird unter den verschiedenen Entwicklungen bald steigen, bald fallen. Aber jedes Mal, wenn neue Bodenarten in Bebauung genommen werden, entsteht Grundrente: sei es, dass die alten Bodenarten gegenüber den neuen ein Grundrente abwerfen, oder die neuen gegenüber den alten. Statt die Anbaufläche zu erweitern, kann auch die Kultur auf derselben Bodenfläche intensiviert werden, um größere Erträge zu erzielen. Auch hier ist ein steigender Getreidepreis keineswegs notwendige Voraussetzung. Der Getreidepreis wird nur steigen, wenn, um den Bedarf zu decken, an irgend einem Teile des Landes mehr Produktionskosten werden aufgewendet werden müssen, um die Mengeneinheit (Zentner, Hektoliter, Scheffel etc.) Getreide zu produzieren. Sonst wird der Getreidepreis gleich bleiben oder fallen. Die Grundrente wird aber immerhin entstehen, wenn ein Unterschied zwischen den Produktionskosten auf verschiedenen Bodenarten sich herausbilden wird. Wir haben gesehen, dass mit der Erweiterung der Marktnachfrage nach Getreide in Folge der industriellen Entwicklung die Notwendigkeit sich herausstellt: Entweder auf einer verringerten Bodenfläche das frühere Getreidequantum zu erlangen oder die frühere Bodenfläche mit einer geringeren Arbeiterzahl zu bearbeiten oder, wenn Ersatz für die angehenden agrikolen Arbeiter geschaffen wird, auf der gleichen Bodenfläche mehr Getreide zu gewinnen bzw. die Anbaufläche auszudehnen. Dies kann aber muss nicht von einer Steigerung der Getreidepreise begleitet sein. Aber in allen diesen Fällen wird neue Grundrente sich bilden. Unbestimmt bleibt jedoch noch immer, wie das Verhältnis der verschiedenen Grundrenten der verschiedenen Bodenqualitäten zu einander sich gestalten und wie groß die Grundrentensumme des ganzen Landes (Marx nannte es: das Rental) sein wird. Eine andere Frage ist es, wie sich die Grundrente eines bestimmten Grundstücks von bestimmter Qualität unter diesen Einflüssen gestalten wird. Wenn die Bodenqualität dieses Grundstücks in allen Teilen gleich ist, so wird die Grundrente, wenn man sie im Verhältnis zur Mengeneinheit des Produkts, zum Beispiel pro Zentner Getreide berechnet — oder auch, wenn die Berechnung nach der Bodenfläche (Hektar) aufgestellt wird, jedoch im Verhältnis zu dem angewandten Kapital (Das nennt Marx: die Rentrate) — so wird die Grundrente, vorausgesetzt, dass die Vermehrung des Getreideertrags dieses Grundstücks nicht relativ weniger Produktionskosten und Kapital erfordert, allerdings nur dann steigen, wenn der Getreidepreis steigt. Dieses Resultat erhält man aber nur bei der angegebenen Berechnungsweise. Rechnet man jedoch die Grundrente einfach pro Hektar ohne Zusammenhang mit dem angewandten Kapital — was gewöhnlich geschieht und auch rationell ist —, so hängt auch hier die Steigerung der Grundrente nicht nur vom Getreidepreis ab, sondern auch vom Ertrag, von der produzierten Getreidemenge. Dieses Moment ist sehr wichtig und muss deshalb näher erörtert werden. Nehmen wir ein Grundstück von 100 Hektar angebautes Land an. Der Getreidebetrag sei 600 Kilogramm vom Hektar. Zusammen also 600 Meterzentner. Die Produktionskosten betragen 6.000 Mark. Das angewandte Kapital sei = 60.000 Mark. Bei einer Profitrate von 5 Prozent muss der Boden einen Profit von 3.000 Mark abwerfen. 6.000 Mark Produktionskosten + 3.000 Mark Profit macht zusammen 9.000 Mark. Wenn der Getreidepreis 20 Mark pro Zentner ausmacht, so wird der Gesamtheit des Getreides von diesem Grundstück 12.000 Mark sein, und 3.000 Mark als Grundente verbleiben. Das macht pro Hektar eine Grundrente von 30 Mark. Pro Meterzentner berechnet beträgt die Grundrente 5 Mark. Und das Verhältnis der Grundrente zum angewandten Kapital, die Rentrate, ist 3.000 zu 60.000, oder pro Hektar wie 30 zu 600, also 5 Prozent. Nehmen wir nun an, es gelingt, durch eine Verdoppelung der Produktionskosten bei entsprechender Vermehrung des Kapitals den Bodenertrag dieses Grundstücks zu verdoppeln. Wir haben also Produktionskosten 12.000 Mark, Kapital 120.000 Mark, Profit bei 5 Prozent 6.000 Mark, Ertrag 1.200 Meterzentner. Dann ist der Produktionspreis (Produktionskosten nebst Profit) des Getreides pro Zentner, genau so viel wie früher. Aber die gesamte Grundrente des Grundstücks wird jetzt betragen 5 Mark multipliziert mit 1.200 = 6.000 Mark. Das macht pro Hektar 60 Mark, statt 30, d.h. die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche, hat sich verdoppelt, trotz stabilem Getreidepreis. Dagegen ist die Rentrate diesmal 6.000:120.000, wiederum 5 Prozent — sie blieb unverändert. Je nachdem mehr oder weniger Produktionsosten und Kapital angewendet werden müssen, um den Ertrag zu vermehren, und nach dem Verhältnis der Produktionskosten zum Kapital werden zahlreiche Variationen eintreten. Diese Variationen ändern das allgemeine Gesetz nicht, das sich so zusammenfassen lässt: Jede Steigerung die Getreideertrags steigert die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche,21 ausgenommen den einzigen Fall, wenn die Steigerung des Ertrags mit einer solchen Steigerung der Produktionskosten verbunden ist, dass dieser Mehraufwand nebst der auf ihn zu berechnenden Durchschnittsprofitrate den gesamten Preisunterschied der neu gewonnenen Getreidequalität, der sich herausgebildet hätte, absorbiert.22 Nimmt man die Gesamtsumme der verschiedenen Grundrenten eines ganzen Landes (das Rental), so hängt die Entwicklung dieser Gesamtsumme der Gesamtgrundrente des Landes, nicht bloß von den Gesetzen der Bildung und der Steigerung der Grundrente ab, sondern auch davon, wie die bebaute Fläche dieses Landes quantitativ aus verschiedenen Bodenarten zusammengesetzt ist. Wenn diese Anbaufläche etwa zu einem Zehntel aus Boden schlechter Art besteht, der keine Grundrente abwirft (wir sehen von der absoluten Rente und von der Rente auf schlechtestem Boden gänzlich ab, um die Darlegung zu vereinfachen) und zu neun Zehntel aus rentablem Boden, so wird die Summe der Grundrenten offenbar eine andere sein als wenn das Verhältnis ein umgekehrtes wäre, und nur ein Zehntel des Bodens Grundrente abwürfe. Mag die Grundrente pro Hektar dieselbe bleiben, so bringen doch 9 Hektar neunmal so viel ein als 1 Hektar. Dieser Unterschied wird sich selbstverständlich in gleicher Weise auch bei der Bewegung der Grundrente geltend machen. Wenn also ein Grundbesitzer über einen Güterkomplex verschiedener Bodenarten verfügt — was fast durchweg der Fall ist — so wird die Gesamtrente, die er von seinem Grundbesitz bezieht, mag sie auch durchschnittlich pro Hektar berechnet werden — aber im allgemeinen Durchschnitt — nicht bloß von der Höhe der Grundrente auf den verschiedenen Bodenarten abhängen, sondern noch von der quantitativen Zusammensetzung seines Grundbesitzes aus den einzelnen Bodenarten. Für den einzelnen Grundbesitzer ist es deshalb stets vorteilhaft, innerhalb seines Grundbesitzes die Anbaufläche auf besserem Boden zu erweitern, weil dieser ihm eine größere Rente abwirft und dadurch das Rental des Grundstücks wächst. Für die Grundbesitzerklasse als Ganzes aber wird meistens das Gegenteil, d.h. das Fortschreiten zum Anbau schlechteren Bodens, vorteilhafter sein, weil dann der Getreidepreis steigt und dadurch ein Aufrücken sämtlicher Grundrenten bedingt wird. So wirkt das Interesse der einzelnen Grundbesitzer ihrem eigenen Interesse als Klasse entgegen. Andererseits ist für die Lage der Grundeigentümer eines Landes nicht nur die Höhe der Grundrente maßgebend, sondern auch die quantitative Differenzierung des Bodens in Bezug auf seine Fruchtbarkeit. Darum steigen ihre Einkünfte am meisten dann, wenn zwar immer schlechterer Boden in Bebauung genommen wird, aber zu gleicher Zeit der schlechteste Boden relativ am wenigsten an der Erweiterung der Produktion teilnimmt. Nicht also die Höhe der Getreidepreise und nicht die Höhe der Grundrenten, sondern die Größe des Rentals, das, sei es als Gesamtgrundrente des Landes oder als Pachtzins für einen bestimmte Güterkomplex all dies Wirkungen in sich vereinigt, die Größe des Rentals ist es, die den Mittelpunkt der Grundbesitzerinteressen bildet. Dieses Rental steigt: durch Steigerung der Getreidepreise; durch Steigerung der Grundrente; durch Fortschreiten zu einer günstigen Zusammensetzung der Anbaufläche aus Boden verschiedener Qualität. Es braucht nicht erst nachgewiesen zu werden, dass auf alle diese Faktoren die industrielle Entwicklung durch die Steigerung der Marktnachfrage nach Getreide eine fördernde Wirkung hat. Auch wenn unter ihrem Einfluss die Getreidepreise, weil Anderes entgegenwirkt, nicht steigen, so gibt es durch noch mehrere Ursachen, welche die Grundrente steigern, und wieder mehrere, welche das Rental vergrößern. Ja, gerade jene Ursachen, die die Grundrente und das Rental steigern, sind es mitunter, die das Steigern der Getreidepreise verhindern. Wenn aber alle Momente in gleicher Richtung zusammenwirken, dann steigt das Rental erst recht. Und mit ihm steigt der Pachtzins, wenn man ihn im Durchschnitt des Landes berechnet, oder im Durchschnitt eines Güterkomplexes. Nur wenn man diese Zusammenhänge ins Auge fasst, wird die enorme Steigerung des Pachtzinses und mit ihm des Bodenwerts, begreiflich, die bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts stattgefunden hat, eine Steigerung, die die Steigerung der Getreidepreise weit hinter sich lässt, ihr auch stellenweise direkt widerspricht Conrad bringt in seinem „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ eine interessante Tabelle der Steigerung des Pachtzinses auf den preußischen Domänenvorwerken seit 1849. Wir stellen daneben eine Übersicht der Bewegung der Roggenpreise für denselben Zeitraum nach fünfjährigen Perioden (1846-50, 1866-70, 1876-80, 1886-90) und über das Wachstum der Bevölkerung des jetzigen Reichsgebiets (1850 : 1870 : 1880 : 1890) Wir gelangen dann zur folgenden allgemeinen Übersicht:
Man sieht die ungeheure Steigerung des Pachtzinses steht in gar keinem Verhältnis zu der Bewegung der Roggenpreise und zum Wachstum der Bevölkerung. Wie hier, so müssen ähnlich die Verhältnisse beim gesamten kapitalistischen Grundbesitz Preußens sich entwickelt haben. Das bedeutet eine kolossale Bereicherung der Grundbesitzerklasse, einerlei, ob sie ihr Land verpachtet oder selbst bewirtschaftet, und eine enorme Steigerung des Bodenwerts. Wer hat aber dieses Resultat zu Stande gebracht? In erster Linie die Entwicklung der Industrie. Wir müssen noch einige besondere Gründe erwähnen, die unter Umständen eine Steigerung des Pachtzinses hervorrufen, die für die weitere Darlegung von Bedeutung sind. Der Pachtzins kann steigen, weil der Pächter sich mit einem geringeren Profit begnügt. Wenn es sich um einen Kleinpächter, zum Beispiel einen Bauern, handelt, so ist das klar. Der Mann hat keine andere Existenzmöglichkeit, und so muss er sich eine Pachtsteigerung bis zum äußersten gefallen lassen, wenn er das Land nicht anders billiger haben kann. Aber auch der kapitalistische Großpächter hat seine Gründe, sich eine Verringerung seines Profits gefallen zu lassen. Wenn ihm die Pachtung entzogen wird, so bleibt er ohne Anlage für sein Kapital. Er muss nur sehen, wie er es anderswo unterbringt, und das ist mit Schwierigkeiten und mit Verlusten verbunden. Wenn der Grundbesitzer selbst wirtschaftet, so fällt für ihn selbstverständlich dieses besondere Mittel der Bereicherung weg. Der Pachtzins kann weiter steigen, weil die Löhne der Landarbeiter gekürzt werden. Es verhält sich damit wie mit jeder kapitalistischen Unternehmung, nur dass hier der Grundbesitzer dem Pächter den Extraprofit abzwickt. Wenn er selbst der Pächter ist, so hat er ihn sowieso. Und doch macht es einen Unterschied, ob der Fabrikant die Löhne kürzt oder ein Grundbesitzer. Und es wird sich zeigen warum. Der Bodenpreis steigt bekanntlich noch aus dem Grunde, weil der Kapitalzins fällt. Dieses Sinken des Kapitalzinses ist Gesetz der kapitalistischen Produktionsentwicklung. Diese Untersuchung hat unter anderem gezeigt, dass die Entwicklung der Landwirtschaft ein Komplex verschiedener Faktoren ist. Es ist deshalb falsch, allein nach dem Stande der Getreidepreise über den Stand der Landwirtschaft zu urteilen. Und eine Agrarpolitik, die nur darauf hinausgeht, die Preise zu steigern, kann zum Ruin der Landwirtschaft führen. Aber wie ist der Zustand der europäischen Landwirtschaft in diesem Moment? Gibt es eine Agrarkrisis oder ist sie ein Trugbild? Gewiss, es gibt eine Agrarkrisis, und sie verschärft sich noch und vertieft sich. Und sie ist nicht bloß charakterisiert durch ein Sinken des Pachtzinses, des Bodenpreises und eine Verringerung der Anbaufläche, sondern auch durch eine scheinbare Umkehrung der Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz, so dass unter Umständen sogar ein relatives Zurückdrängen des kapitalistischen Großbetriebs durch den bürgerlichen Parzellenbetrieb stattfinden kann. Und sie datiert nicht erst seit gestern. Und sie ist nicht die verspätete bittere Frucht der Entdeckung Amerikas, sondern das unvermeidliche Ergebnis der kapitalistischen Produktionsentwicklung. Zu beweisen ist: wie die industrielle Entwicklung, indem sie die Grundbesitzer bereichert, zu ihrem Ruin führt. Das ist die nächste Aufgabe, die wir zu lösen haben. 7. Allgemeine Erklärung der kapitalistische Agrarkrisen A. Die Theorie der Grundrente Es war im Anfang dieses Jahrhunderts ein von englischen Ökonomen und Publizisten viel umstrittenes Thema, ob gute oder schlechte Ernten für den Grundbesitzer vorteilhafter seien? Besonders die Anhänger des Freihandels suchten den Beweis zu führen, dass das Letztere der Fall sei, denn dadurch schoben sie den Gegensatz zwischen dem Interesse der Grundbesitzer und dem gesellschaftlichen Interesse in grelle Beleuchtung. Th. Tooke formulierte diese Ansicht in folgender Weise: „Die Geschichte unseres Landbaues beweist aufs Klarste, dass in allen bedeutenden Fällen von Missjahren oder reichen Ernten die Veränderungen im Preise selbst die äußerste Berechnung im Unterschiede der Menge überschritten haben, und dass jeder bemerkbare Übergang von Teuerung zu Überfluss Klagen über einen Notstand der Landwirtschaft hervorgerufen hat.“ Man glaubte sogar, ein bestimmtes mathematisches Verhältnis feststellen zu können, in welchem die Steigerung der Getreidepreise den Rückgang der Ernte begleitet, so dass z.B. nach einer in solcher Weise aufgestellten Skala ein Ernteausfall von 1/10 eine Preissteigerung von 3/10 nach sich zieht, ein Ausfall von 2/10 eine Preissteigerung von 8/10, einen Ausfall von 3/10 eine Steigerung von 16/10 entspricht usw. Bei aller sichtbaren Übertriebenheit dieser Aufstellungen enthalten sie doch Wahres. Es ist wirklich die Tendenz der Missernten, unter sonst gleichen Verhältnissen, nämlich besonders bei gleich bleibender Zufuhr, die Getreidepreise bedeutend über den Prozentsatz des Ernteausfalls hinaus hinauf zu treiben. Es genügt, einen flüchtigen Blick in die bekannten Statistiken zu werfen, um sich davon zu überzeugen. Wir nehmen z.B. die Jahre 1890 und 189, in Deutschland zwei Jahre des höchsten Zollschutzes. Das Jahr 1890 hatte eine gute Ernte. Der Roggenertrag war im Durchschnitt des Reiches 1,01 Tonnen pro Hektar, Dagegen gab es 1891 eine Missernte. Der Roggenertrag war 0,87 Tonnen pro Hektar, ein Ausfall gegenüber die Vorjahre von 13,8 Prozent. Deshalb lösten die Grundbesitzer 1891 von jedem Hektar Roggen 183,7 Mark, während sie im Vorjahre bei einer reichern Ernte vom gleichen Hektar bloß 171,7 Mark erhielten. Der Ernteausfall von fast einem Siebtel hat ihnen einen Mehrerlös von 7 Prozent gebracht. Sie fahren also bei der Missernte besser. Der Rückgang des landwirtschaftlichen Ertrages bereichert die kapitalistischen Landwirte — ein herrlicher Widerspruch, wie er nur in der kapitalistischen Gesellschaft möglich ist. Die Zufuhr billigen auswärtigen Getreides in ausreichenden Mengen würde selbstverständlich die Teuerung beseitigen und die Missernte ist nur aus dem Marktverhältnis zu erklären, daraus, dass die Nachfrage das Getreideangebot übersteigt. Das Kennzeichnende des Falles ist, dass der gegebene Getreidevorrat, sieht man von der Zufuhr an, auf ein Jahr lang nicht mehr erweitert werden kann. Ist einmal die Getreideernte vorbei, so kann eine neue in unserem Klima nur über ein Jahr stattfinden. Das ist eine von Natur aus gegebene Tatsache. Die Grenze der Preissteigerung des Getreides während dieses Jahres, von Ernte zu Ernte, liegt deshalb nicht etwa in den Produktionskosten des Getreides auf dem schlechteren Boden, der noch in Bebauung genommen werden könnte — weil eben dieses Getreide erst nach der nächsten Ernte zu Markte gebracht werden könnte — sondern nur in dem Marktbedarf nach Getreide. Der Gewinn, den die Grundbesitzer aus dieser Teuerung ziehen, hat also mit der Verschiedenheit der Bodenarten und den Produktionskosten des Getreides nichts zu tun. Die Missernte braucht aber keineswegs eine allgemeine zu sein, um diese Erscheinung zu zeitigen. Denken wir uns ein großes Reich, das durch hohe Schutzzölle für einige Jahre von ausländischer Getreidezufuhr genügend geschützt ist. Nehmen wir nun an, dass in diesem Lande auf drei Viertel der bebauten Fläche die Ernte gut ist, auf einem Viertel aber schlecht. Dann wird im allgemeinen ein Ernteausfall sich herausstellen, und wenn das Land „reich“ ist, eine blühende Industrie hat, relativ hohe Löhne aufzuweisen hat, so kann der Getreidepreis in weit größeren Proportionen steigen als der Ernteausfall auf dem von der Missernte betroffenen Gebiete beträgt. Leiden die Grundbesitzer, deren Ernte missraten, keinen Schaden, so werden die anderen in einer ganz enormen Weise bereichert. Ähnliches ist in der Industrie unmöglich. Wenn hier aus irgendwelchen Gründen in einem Teile der Fabriken einer Industriebranche eine Verschlechterung der Produktionsbedingungen eintritt, so werden die respektive Fabrikanten deshalb den Preis nicht erhöhen können. Täten sie es, so würden die anderen sofort ihre Produktion erweitern und die ersteren vom Markte verdrängen. Man wird aber auch finden, dass selbst, wo in der Industrie eine allgemeine Teuerung stattfindet, diese meistens eine aus der Landwirtschaft abgeleitete, z.B. eine Folge der Rohstoffteuerung ist (der Landwirtschaft gleich wirkt in dieser Beziehung auf die Preisbildung auch der Bergbau). Der Grund dieses Unterschiedes zwischen kapitalistischer Landwirtschaft und kapitalistischer Industrie ist im Allgemeinen der, dass die Vermehrung der Getreideproduktion an Schranken gebunden ist, die die Industrie nicht hat. Absolut schrankenlos ist auch die Vermehrung der industriellen Produktion nicht, aber sie ist es in der kapitalistischen Produktion relativ. Die Vermehrung der industriellen Produktion ist gebunden: an die gegebene Arbeitermenge, die in letzter Linie mit der Volkszahl zusammenhängt, an die gegebene Produktivkraft der Arbeit, an en vorhandenen Vorrat an Produktionsmitteln. Aber die entwickelte kapitalistische Industrie hat einen solchen Reservevorrat von Arbeitern, Produktionsmitteln und ad hoc zu machenden Erfindungen, dass sie jeder innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft möglichen plötzlichen Steigerung des Marktbedarfs gerecht werden kann; außerdem kann sie noch eine Produktionssteigerung hervorrufen durch Verschiebung des Produktionsverhältnisses der einzelnen Industriebranchen. Wir haben aber soeben schon einen Umstand kennen gelernt, der eine beliebige Steigerung der Getreideproduktion der Zeit nach unmöglich macht, d.i. die Gebundenheit des Produktionsprozesses an den natürlichen Wachstumsprozess. Es handelt sich nicht bloß um die Dauer des Produktionsprozesses, sondern um seine Gebundenheit an die Jahreszeiten, so dass nur von Sommer zu Sommer die Getreideernte stattfinden kann.23 Dies allein genügt bereits, wie wir gesehen haben, um für die Grundbesitzer einen Extraprofit, eine Rente zu bilden. Nur ist dieser Extraprofit zufällig und schwankend wie der Ernteausfall.24 Wie kommen aber die Grundbesitzer dazu, sich diesen Extraprofit anzueignen? Kraft wessen gelingt ihnen das? Der Unterschied der Bodenqualitäten hat mit diesem Fall, wie schon erwähnt, nichts zu tun. Dieser Unterschied ist vielmehr für ein Jahr ausgelöscht in dem Moment, wo die Ernte stattgefunden hat. Ein Sack Roggen wird deshalb weder besser noch größer, weil der Morgen, dem er erwachsen, 12 oder 20 solche Säcke liefert. Auch der Privatbesitz an Grund und Boden kommt hier an und für sich nicht in Betracht. Man denke sich in dem respektive Lande noch so immense Flächen fruchtbaren Landes besitzfrei, allgemein zugänglich: ist die Ernte vorbei, so nützt das, bis zum nächsten Frühjahr, nichts — solange nicht das Getreide bei Frost und Schnee reif werden kann. Aber der Grundbesitzer tritt hier als Besitzer von Produktionsmitteln überhaupt auf, ohne Unterschied, ob es gerade der Grund und Boden, das Pferd oder der Pflug ist, also in der gleichen Gestalt wie jeder Kapitalist auf. Als solcher hat er das Eigentumsrecht über die produzierte Ware. Die gesamte geerntete Getreidemasse gehört also zunächst den Grundbesitzern. Dieser Umstand verhilft den Grundbesitzern dazu, dass sie, unter Benutzung des gekennzeichneten Machtverhältnisses, die Getreidepreise steigern und den daraus entspringenden Extraprofit in die Tasche stecken — sofern er nicht von der Börse eskamotiert wird. Wir haben diese eigene Variation der Rentenbildung deshalb vorausgeschickt, weil sie klar zeigt, dass die Rente nicht ein natürliches, sondern ein gesellschaftliches respektive kapitalistisches Ergebnis ist. Die Missernte und die Gebundenheit der Getreideproduktion an die Jahreszeiten bedingen für sich allein nur dieses: die Notwendigkeit, den Brotkonsum einzuschränken. In der kapitalistischen Gesellschaft aber entspringt daraus für die Konsumenten zweierlei: einmal dass sie den Brotverbrauch einschränken müssen, sodann aber, unter Umständen, dass sie noch den Großgrundbesitzern einen Extraprofit zahlen. Diesen Extraprofit eignen sich die Grundbesitzer in der gleichen Zeit an wie die Kapitalistenklasse überhaupt sich den Mehrwert, also jeden Profit aneignet: kraft ihres Privatbesitzes an den Produktionsmitteln. Die Natur erzeugt den Surplusprofit ebenso wenig wie der Geschlechtsunterschied die Prostitution. Aber neben der Gebundenheit der Getreideproduktion an den natürlichen Wachstumsprozess, die nur zufällig, unter Voraussetzung des Ernteausfalls, Extraprofit für die kapitalistischen Grundbesitzer abwirft, gibt es in der kapitalistischen Landwirtschaft eine andere Schranke der Produktionserweiterung, die regelmäßig und beständig wirkt und deshalb regelmäßig und beständig Rente bildet. Sie ergibt sich aus dem Umstand, dass der Grund und Boden als Produktionsfaktor in die Getreideproduktion eingeht. Der Grund und Boden ist nicht gleichartig, sondern von verschiedener Ertragsfähigkeit Daher rührt eine Verschiedenheit der Produktionskosten des Getreides auf verschiedenen Bodenarten. Wenn aber die Produktionskosten des Getreides verschieden sind, wie wird dann der Getreidepreis gebildet? Welche Produktionskosten sind für den Getreidepreis maßgebend: die unter den schlechteren oder die unter den besseren Produktionsverhältnissen eintretenden? Gesetzt, es wären die geringeren Produktionskosten auf besserem Boden, die den Getreidepreis bestimmen — und das erscheint plausibel, weil es ja die Tendenz der Konkurrenz ist, die waren zu verbilligen. In diesem Fall würde sich aber offenbar der Getreidebau auf dem schlechteren Boden, der größere Produktionskosten erfordert, nicht mehr rentieren. Dieser Boden würde folglich aus dem Anbau ausscheiden. Abstrakt weiter verfolgt, gelangt man dazu, dass nur noch der beste Boden in Bebauung bliebe. Dann stößt man aber auf eine Schranke der Erweiterung der Getreideproduktion: die Beschränktheit des Bodenraums von bester Qualität. Steigt der Marktbedarf weiter, so steigt mit ihm der Getreidepreis, bis es schließlich rentabel wird, auch Boden schlechterer Qualität in Kultur zu nehmen. Es klar, dass nunmehr die Produktionskosten des Getreides auf dem schlechteren in Anbau genommenen Boden der Preissteigerung eine Grenze legen werden, so lange dieser Boden in ausreichender Menge vorhanden ist. Aber wenn die Produktionskosten auf schlechterem Boden den Getreidepreis bestimmen, so muss der bessere Boden, der geringere Produktionskosten hat, einen Extraprofit abwerfen. Diese Rente muss innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise fortbestehen, so lange es einen Unterschied der Bodenarten gibt. Dieser Extraprofit unterscheidet sich noch in anderem von der zufälligen Form des Extraprofits, die wir zuerst erörterten. Jener entsprang einem Monopolpreis — der allerdings produktive Bedingungen zur Voraussetzung hatte — darum war die einzige Grenze seiner Steigerung der Marktbedarf. Dieser wird durch eine Marktfluktuation vermittelt, aber er entspringt nicht dem Marktverhältnis, sondern einem Produktionsunterschied. Die vorausgesetzte Steigerung des Getreidepreises hält ja nur deshalb an und bedingt nur deshalb und insofern einen Extraprofit, als die Erweiterung des Anbaues mit größeren Produktionskosten verbunden ist. Darum werden die Grenzen dieses Extraprofits gebildet durch den Unterschied des Produktionspreises auf schlechterem und besserem Boden. Dies ist die Differenzialrente, die eigentliche kapitalistische Grundrente. Man sieht, sie hat nichts zu tun mit der absoluten Beschränktheit des Grund und Bodens oder selbst der kulturfähigen Fläche. Die gegebene Produktionsschranke ist überhaupt nur absolut, so lange der Getreidepreis stationär bleibt. Steigt er, so wird sie relativ, d.h. sie erlaubt eine Ausdehnung, aber nur unter erschwerenden Bedingungen. Dieses Hindernis besteht scheinbar bloß nur in den größeren Produktionskosten, doch bedingt es die kapitalistische Produktionsweise, dass dem nicht ganz so ist. Um die eintretende Änderung klarzulegen, müssen wir uns eines Beispiels bedienen. Gesetzt, der Marktbedarf betrage 1 Million Meterzentner Getreide und es stehen dafür 20 Millionen Mark dem Markte zur Verfügung. Gesetzt weiter, die momentane Getreideproduktion betrage 900.000 Meterzentner, die zum Preise von 16 Millionen Mark verkauft werden, so sind noch 100.000 Meterzentner anzuschaffen, wofür 4 Millionen Mark ausgegeben werden könnten. Die 4 Millionen Mark, die neu auszugeben wären, repräsentieren eine bestimmte Arbeitsmenge. In einer Gesellschaft ohne Warenproduktion, also z.B. in der sozialistischen, würde sich die Sache so abspielen, dass die Gesellschaft die respektive Arbeitsmenge darauf verwenden würde, um die mangelnden 100.000 Zentner Getreide zu erzeugen. Sie würde dabei, kapitalistisch ausgedrückt, bis zu einem Produktionspreis von 40 Mark für jeden dieser fehlenden 100.000 Zentner gehen können. Nicht so unter der Herrschaft des Kapitals. Da auf dem kapitalistischen Markte der Produktionspreis des Getreides auf dem schlechtesten bebauten Boden den allgemeinen Getreidepreis bestimmt, so wären 40 Mark dieser allgemeine Preis, und der Gesamtwert die Getreidevorrats wäre dadurch gestiegen auf 40 Millionen Mark. Dem steht aber, nach unser Voraussetzung ein Marktbedarf von nur 20 Millionen Mark gegenüber, wofür nunmehr bloß 500.00 Meterzentner zu kaufen wären. Es wird also ein Überfluss von Getreide auf dem Markte eintreten, folglich wird der Getreidepreis sinken und die Erweiterung des Getreideanbaus wird sich unter solchen Verhältnissen als unrentabel erweisen. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass die kapitalistische Gesellschaft in unserem Fall nur bis zu einem Produktionspreis von 20 Mark pro Meterzentner des fehlenden Getreides gehen kann.25 Woher rührt das? Die Rente, die, den Gesetzen der kapitalistischen Preisbildung folgend, aus den natürlichen relativen Schranken der Erweiterung der Getreideproduktion sich ergibt, dient dann selbst als weiter Schranke dieser Produktionsvermehrung! Unser Beispiel zeigt noch eins: dass die Grundrente nicht aus den Unterschieden im Getreideertrag sich ergibt, sondern aus den Unterschieden der Getreidepreise. Der Unterschied des Getreideertrags bleibt auch in der sozialistischen Naturalwirtschaft, aber es entspringt ihm keine Rente, wenn es keinen kapitalistischen Warenpreis gibt. Der Extraprofit entspringt nicht daraus, dass der Ertrag auf dem schlechteren Boden geringer ist, sondern daraus, dass der Produktionspreis des geringeren Ertrags zum allgemeinen Produktionspreis wird. Ist aber dies einmal gegeben, so hängt die Quantität der Grundrente nicht bloß vom Preisunterschied, sondern außerdem noch vom Ertrag ab. Den Extraprofit aus dem Monopolpreis eignen sich die Grundbesitzer in ihrer simplen Eigenschaft als Kapitalisten an. Darum kann er ihnen auch von der Börse wegstibitzt werden. Aber die Rente aus dem Unterschied der Produktionspreise heimsen die Grundbesitzer als solche ein, d.h. als Privateigentümer des Grund und Bodens. Darum können sie sich vom landwirtschaftlichen Betrieb gänzlich reparieren, ohne ihre Rente zu verlieren. Wenn einmal ein Bodenstück unter gegebenen Produktionsverhältnissen einen Extraprofit abwirft, so ist der Grundbesitzer in der Lage, von diesem Grundstück einen Pachtzins im Vertrage der Rente zu erheben, denn dem kapitalistischen Pächter wird dann noch immerhin der gewöhnliche durchschnittliche Profit auf sein Kapital verbleiben. Und wenn der Grundbesitzer dieses Grundstück verkauft, so erhält er die kapitalistische Grundrente in der Gestalt des Bodenpreises. Wenn aber dieses System der Grundrente, des Pachtzinses und des Bodenpreises entwickelt ist, so ergibt sich daraus eine Reihe neuer Modifikationen. Erstens, unbebauter Boden besserer Qualität als der schlechteste bebaute, hat, wenn sämtliches Land sich im Privatbesitz befindet, einen Preis, der gleich ist dem Preis des bebauten Bodens gleicher Qualität. Dieser Boden wird auch nicht anders in Pacht gegeben, als unter Zahlung der gleichen Rente, welche der gleichartige bebaute Boden bereits trägt. Zweitens, auch der schlechteste bebaute Boden wird Grundrente tragen. Der Grundbesitzer wird deshalb den Pächter zwingen können, ihm einen Pachtzins für diesen Boden zahlen, weil sonst Boden noch schlechterer Qualität in Bebauung genommen werden müsste. Aus dem gleichen Grunde würde sein Pächter oder er selbst den Getreidepreis entsprechend erhöhen oder von einer bereits eingetretenen Erhöhung den entsprechenden Nutzen ziehen können. Wenn aber kein schlechterer unbebauter Boden mehr vorhanden ist, so wird dennoch auch der schlechteste Boden Rente liefern, diesmal einfach deshalb, weil der Grundbesitzer ihn nicht würde gratis abgeben wollen. Wenn die Marktnachfrage die Bebauung dieses Bodens erheischt, so wird diese Rente gezahlt werden müssen und können. Wenn nicht, bleibt dieses Land unbebaut, es hat aber dennoch einen Bodenpreis, weil der künftige Marktbedarf und mit ihm die künftige Grundrente spekulativ antizipiert wird. Deshalb gibt es in der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft keine Erbparzelle, die nicht einen Preis trägt. In dem letzten Fall ist es also der Privatbesitz am Grund und Boden selbst, der die Rente erzeugt, währenddem wir ihn früher nur als Mittel ihrer Aneignung kennen gelernt haben. Diese Antizipation der Grundrente und ihre Festlegung im Bodenpreis — kraft des Privatbesitzes an Grund und Boden — erscheint als weitere kapitalistische Hemmung der Erweiterung der Getreideproduktion. Es ist klar, dass jetzt nicht mehr, wie wir spekulativ voraussetzten, die Schranke der besten Bodenqualität überschritten werden braucht, damit der Produktionspreis auf schlechterem Boden den allgemeinen Getreidepreis bestimme. Hat sich einmal Grundrente gebildet — und dazu genügt, dass der Marktbedarf sämtliches auf verschiedene Bodenarten erzeugtes Getreide absorbiert — so erheischt auch der Pächter dieses Bodens offenbar soweit das Getreide nicht billiger verkaufen als der Pächter des schlechteren Bodens. Es bleibt deshalb, vorläufig unter Voraussetzung des kapitalistischen Pachtsystems, der Produktionspreis auf schlechterem Boden bestimmend für den Getreidepreis. Aber wie dem Pächter, so ergeht es dem etwaigen Käufer des Bodens: denn es muss in dem Bodenpreis die antizipierte Rente bezahlen. Auch er wird also das Getreide nicht oder nur um ein Weniges billiger produzieren können. Aber wie der Käufer neuen Bodens, rechnet auch der alte Grundbesitzer mit dem zeitweiligen Bodenpreis. Mag ihn selbst der Boden nichts gekostet haben, so betrachtet er ihn doch als ein Kapitel von gegebener Größe, das verzinst werden muss. Er wird also ebenfalls im Produktionspreis seines Getreides die Rente antizipieren — sonst wäre es ihm vorteilhafter, den Boden zu verkaufen. Die Sache wird klar, wenn man ein extremes Beispiel nimmt: Der Besitzer eines leeren Grundstücks im Zentrum einer großen Stadt wird, wenn er darauf ein Haus baut, bei der Bestimmung der Mietpreise mit dem augenblicklichen Bodenpreis rechnen und nicht mit jenem, den er vor vielen Jahren wirklich zahlte, bzw. er wird die Mietpreise genau so hoch stellen, wie es in den umliegenden Häusern der Fall ist. Andererseits, da auch der schlechteste unbebaute Boden einen Preis hat, so kann die Erweiterung der Anbaufläche nur dann stattfinden, wenn der Getreidepreis hoch genug gestiegen ist, um auch für diesen Boden einer Rente abzuwerfen. Es haben sich drei Quellen der Grundrente herausgestellt:
Der allgemeine Zusammenhang ist dieser: Die Erweiterung der Getreideproduktion ist an natürliche Schranken gebunden. Dadurch ist die Konkurrenz auf dem Getreidemarkt gehemmt. Die Konkurrenz ist aber die einzige Macht auf dem kapitalistischen Markte, welche die Preise zum Sinken bringt. Wo ihre Wirkung aufhört, steigen die Preise, die ein anderes Verhältnis ihnen als Hemmnis der Steigerung entgegentritt, oder die Konkurrenz wieder auf dem Schauplatz erscheint. Dies gilt allgemein, für alle Waren. Die durch die Produktionsverhältnisse bedingten Hindernisse der Konkurrenz auf dem Getreidemarkt sind zum Teil zufällig und temporär — wenn durch die Ungunst des Wetters und die Gebundenheit der Produktion an die Jahreszeiten hervorgerufen — zum anderen Teil regelmäßig und beständig , d.i. sofern se auf dem Unterschied der Bodenverhältnisse beruhen. Das erste Hindernis ist absolut, d.h. so lange es anhält, lässt es keine Vermehrung des Getreidevorrats zu. Darum ist hier die oberste Grenze der Preissteigerung der Marktbedarf, der sich aus allgemeinen kapitalistischen Produktionsverhältnissen ergibt. Das zweite Hindernis ist relativ: wenn der Getreidepreis den Produktionspreis auf dem schlechtesten bebauten Boden überschreitet, so kommt wieder die Konkurrenz zur Geltung. Die durch die Verschiedenheiten der Bodenqualität gegebenen relativen Schranken der Produktionserweiterung werden durch den Privatbesitz am Grund und Boden in hohem Maße verengt, indem die Grundbesitzer, voraussehend, dass der steigende Marktbedarf eine Erweiterung der Getreideproduktion erfordern wird, jeden kulturfähigen Boden mit einem Pachtzins belegen, dem ein Bodenpreis entspricht. Dadurch bedingt ist es nunmehr, damit eine Erweiterung der Getreideproduktion stattfinde, nicht bloß erforderlich, dass der gesteigerte Marktbedarf im Stande sei, außer dem gewöhnlichen Bedarf die Produktionskosten des fehlenden Getreides zu bestreiten — sondern der Marktbedarf muss so weit gestiegen sein, dass er im Stande ist, das fehlende Getreide zu dem auf dem schlechtesten bebauten Boden beruhenden Produktionspreis, eventuell sogar den gesamten Getreidevorrat mit einem Aufschlag, einzukaufen. Die Grundbesitzer eignen sich nicht bloß die Rente an, die sich bereits gebildet hat, sondern sie lassen überhaupt keine Vermehrung des Getreideanbaues zu, ohne dass er ihnen eine Rente abwirft. Mit anderen Worten, sie hatten die Erweiterung des Getreideanbaues so lange auf, bis der Marktbedarf so weit gestiegen ist, dass er ihnen im Getreidepreis die gewünschte Rente bezahlen kann und muss. Dies vollzieht sich nicht vermittelst Übereinkunft, sondern durch Festlegung der Grundrente im Pachtzins und Bodenpreis. Es ist also ein gesellschaftlicher Prozess, der den Grundbesitzern als etwas Selbständiges und von Natur aus Gegebenes erscheint. Es bleibt noch eine Frage zu erörtern: Wir wird es, wenn die Vermehrung der Getreideproduktion nicht durch Vergrößerung der Anbaufläche vor sich geht, sondern in der Weise, dass die Kultur auf dem bereits in Anbau genommenen Boden durch Anwendung von mehr Kapital intensiviert wird, d.h. wenn es gelingt, den Bodenpreis zu steigern? Der einzige Fall, der diesmal für uns in Betracht kommt, ist der, wenn der Produktionspreis des erzielten Mehrertrags geringer ist als der herrschende Getreidepreis. Dann tritt Folgendes ein: Wenn die Produktionsvermehrung den Marktbedarf nicht übersteigt, so bleibt der Getreidepreis unverändert. Dann aber wirft der also gewonnene Mehrertrag, weil er geringere Produktionskosten hat, Rente ab, folglich steigt die Gesamtrente der gegebenen Bodenfläche: der Pächter zahlt einem größeren Pachtzins eines größeren Kapitals. Und so findet auch hier das Gleiche statt wie bei dem Boden besserer Qualität: durch die Grundrente belastet, erfordert er den gleichen Getreidepreis wie der schlechteste Boden, respektive der Boden, auf dem noch die alte Kulturart herrscht. Dieser Boden wird also den Getreidepreis nicht heruntersetzen. Es tritt hors de combat! Greift die intensivierte Kultur immer mehr um sich, so kann Überproduktion eintreten. Dann sinkt der Getreidepreis. Dieses Sinken braucht aber keineswegs bis auf den nach unserer Voraussetzung geringeren Produktionspreis der neuen Kulturart hinunterzugehen. Da nämlich der gesunkene Getreidepreis die Getreideproduktion auf sämtlichem Boden, auf dem noch die alte Kulturart herrscht, weniger rentabel macht, so wird von dieser Seite unausgesetzt der Versuch stattfinden, den Preis wieder hochzuheben. Darum ist es wieder, wie beim Monopolpreis der Marktbedarf, der die Grenze, diesmal des Sinkens der Preise, bestimmt. Deshalb ist es wohl möglich, dass, trotz des gesunkenen Getreidepreises, die neue Kulturart dennoch Rente abwirft. Wir haben also folgenden Unterschied: Boden, auf dem neue, intensivierte Kultur stattfindet, und Boden, der noch unter alter Kultur steht. So lange beide Kulturen nebeneinander fortbestehen, wirft die neue der alten gegenüber eine Rente ab. Die Tendenz scheint aber die zu sein, dass die neue Kultur die alte immer mehr verdrängt und dadurch die Preise zum Sinken bringt. Unterdes aber geht derselbe Prozess vor sich wie bei dem unbebauten Boden: die Rente wird antizipiert. Boden gleicher Qualität muss gleichen Pachtzins, gleichen Preis tragen. Wenn auf einem bestimmten Boden unter neuer intensivierter Kultur, aus angegebenen Gründen, Pachtzins respektive Verkaufspreis steigen, so steigen sie in gleichem Maße auf sämtlichem Boden gleicher Qualität, mag darunter Boden alter Kultur wie auch unbebauter Boden sich befinden. Daraus ergibt sich, dass die Anwendung der neuen Kulturart nicht mehr wird der den Preis heruntersetzen Können, weil dem die gestiegene, bereits antizipierte Grundrente im Wege steht. Daraus ergibt sich aber auch, dass die weitere Verbreitung des neuen Kulturverfahrens auf dieselben Hemmnisse stoßen wird, wie die Erweiterung der Anbaufläche: der Marktbedarf wird hoch steigen müssen, um die vermehrte Getreidemenge beim alten Preis zu absorbieren. Das erklärt, warum produktive Verbesserungen in der Agrikultur viel langsamer eine allgemeine Verbreitung finden als in der Industrie. In der Industrie führen produktive Verbesserungen zur Verbilligung des Produkts. Dadurch wird der Markt erweitert, andererseits setzt die Konkurrenz die alten Verfahrensarten außer Kurs. In der Agrikultur richtet sich, wie gezeigt, die Produktionserweiterung nach dem Marktbedarf, die Preise sinken wenig und die mächtig anschwellende Grundrente verlegt den Weg des weiteren Preissinkens. Die kapitalistische Landwirtschaft hat die Tendenz, die Getreidepreise nicht unter das Niveau der rückständigen Produktionsart sinken zu lassen. Es ist zweifellos, dass die Einführung der rationellen Fruchtwechselwirtschaft eine große Steigerung der Grundrente hervorgebracht hat, aber die Getreidepreise hat sie nicht vermindert. Beobachtet man die Bewegung der Getreidepreise in einem kapitalistischen Lande, so kann man deshalb leicht zu der Annahme gelangen, dass die Produktionstechnik in der Agrikultur mindestens auf demselben Fleck stehen bleibt. Aber es genügt, einen Blick in die Bewegung des Pachtzinses oder der Bodenpreise zu werfen, um sich zu überzeugen, wo die Früchte der Produktionsentwicklung stecken. Die steigende Grundrente wird unter solchen Umständen fast zum Gradmesser den sinkenden Produktionskosten.26 Der kurze ökonomische Sinn der Grundrente ist also der, dass durch sie ein Fallen des Getreidepreises verhindert wird. Gedeckt durch diese Schutzwehr nehmen die Grundbesitzer die gesamte ökonomische Entwicklung für sich in Beschlag. Sie profitieren von der natürlichen Ertragsfähigkeit des Bodens, von seiner künstlichen Ertragsfähigkeit, von dem steigenden Marktbedarf, von jeder Verminderung der Produktionskosten. Es ist noch ein Moment besonders auseinanderzusetzen. Jede Verminderung des Arbeitslohns vermehrt den Mehrwert. Der Fabrikant, dem es gelingt, die Löhne zu reduzieren, erhält deshalb auch sein Kapital einen größeren Profit. Wenn nach ihm Andere dasselbe Kunststück vollbringen, so profitieren sie alle davon. Aber zu gleicher Zeit wird eine Erweiterung der Produktion in dieser Industriebranche stattfinden, denn jeder Fabrikant wird suchen, den gesamten, so vorteilhaften Markt an sich zu reißen. Die Folge wird sein, dass Überproduktion eintritt und die Warenpreise so weit sinken, dass schließlich nur noch der gewöhnliche frühere Durchschnittsprofit übrig bleibt. Anders in der Agrikultur. Wenn hier die Arbeitslöhne sinken, so findet deshalb keine Erweiterung der Getreideproduktion statt. Das einzige Resultat wird also sein, dass der Extraprofit wächst. Also wächst die Grundrente, die, wie gewöhnlich, fixiert wird. Dann aber stehen Pachtzins und Bodenpreis der Erhöhung des Arbeitslohns ebenso entgegen wie der Erniedrigung des Getreidepreises. Dies ist ein Grund, warum die kapitalistische Landwirtschaft nicht nur rückständige Getreidepreise, sondern auch rückständige Arbeitslöhne zeigt. Trotzdem die Landwirtschaft einen Extraprofit, d.i. die Grundrente, abwirft, sind in ihr die Löhne bedeutend geringer als in der Industrie. Selbstverständlich ist, damit dieses stattfinde, noch das Vorhandensein eines billigen Arbeitsmaterials notwendig. Aber wir werden bei der Erörterung der Krise sehen, dass selbst wenn diese Voraussetzung nicht mehr ganz zutrifft, die landwirtschaftlichen Löhne dennoch nur sehr langsam steigen.27 Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Verhältnisse der Grundrente wie dem Marktbedarf eng zusammenhängen. Sinkt der Marktbedarf, so wird der stolze Zusammenhang zwischen Grundrente, Pachtzins, Bodenpreis, Grundbesitz, Getreidepreis in seinen Grundlagen erschüttert. Aber dass der Marktbedarf am Getreide nicht sinkt, sondern steigt, dafür sorgt, wie früher auseinandergesetzt worden, die industrielle Entwicklung. Diese sorgt sogar in solchem Maße dafür, dass die Getreidepreise steigen. Und jede neue Steigerung der Getreidepreise wird sofort in bekannter Weise als Grundrente fixiert und zu einer künstlichen Verschlechterung der Produktionsbedingungen des Getreide gemacht. Weil aber die Entwicklung der kapitalistischen Industrie zu einer Verbilligung, die Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft zu einer Verteuerung ihrer Produkte führt — deshalb schlagen die kapitalistischen Länder die anderen auf dem industriellen Markte und werden von ihnen auf dem landwirtschaftlichen Markte geschlagen. So entsteht die kapitalistische Agrarkrisis, deren nähere Zusammenhänge und Wirkungsarten nunmehr zu untersuchen sind. B. Die Krise Die industrielle Entwicklung steigert den Marktbedarf an Getreide. Mit dem Marktbedarf steigen die Getreidepreise. Mit der Steigerung der Getreidepreise wird die Anbaufläche erweitert und die Kultur intensiviert, d.h. der Bodenertrag vom Hektar unter Anwendung von mehr Betriebskapital vermehrt. Mit alledem steigen die Grundrente, respektive der Pachtzins, und mit ihnen der Bodenpreis. Das alles hält fest zusammen. Dann aber zeigt sich die Kehrseite der Medaille. Weil der Bodenpreis hoch, so muss die Grundrente hoch sein — sonst würde der Grundbesitzer, der den Boden zu diesem Preise gekauft hat, nicht auf seine Kosten kommen. Wenn aber die Grundrente hoch sein soll, so kann das Betriebskapital nicht gekürzt werden, denn sonst würde der Bodenertrag sinken und mit ihm die Grundrente. Bleibt neben der Grundrente auch das Betriebskapital hoch, so können die Produktionskosten nicht verkürzt werden — selbstverständlich wenn man einen stabilen Arbeitslohn voraussetzt — und folglich müssen die Getreidepreise auf der erlangten Höhe bleiben. Nun denken wir uns aber, dass ein industriell entwickeltes Land in Handelsverbindung tritt mit einem anderen, dessen Industrie viel weniger entwickelt ist. Dieses andere Land wird geringere Bodenpreise aufweisen, geringere Grundrente, eine weniger entwickelte Landeskultur, geringeren Bodenertrag und geringere Getreidepreise. Das wird also ein Agrikulturland sein: es wird dem ersteren Getreide zuführen. Man sieht, auf den Unterschied der Bodenqualität kommt es soweit gar nicht an. Mag die Bodenqualität in beiden Ländern die gleiche sein, so wird das Agrikulturland das industrielle schon deshalb auf dem Getreidemarkte schlagen, weil es eine geringere Grundrente, tatsächlich eine geringere landwirtschaftliche Entwicklung hat. Diese theoretische Ableitung deckt sich vollkommen mit der Wirklichkeit. Es ist der durchschnittliche Weizenertrag:28
Also die Länder der geringeren Erträge, der geringeren Entwicklung der Agrikultur sind es, die den Getreidemarkt beherrschen. Das scheint aber eine sehr sonderbare Sache: die ganze landwirtschaftliche Entwicklung dieses Jahrhunderts, die Entwicklung der Chemie, der speziellen Agronomie, die Erkenntnis des Stoffwechsels der Pflanze, der Beschaffenheit des Bodens, die Einführung von Maschinen, von Meliorationen, die Einführung eines rationellen Fruchtwechselsystems usw., dies alles wäre dann — für den Hund?! Und das Beste wäre, bei der alten Dreifelderwirtschaft zu bleiben, die in Russland 6,7 Hektoliter vom Hektar gibt? Das wäre die Verurteilung jedes Fortschritts in der Agrikultur. Es ist klar, dass das nur ein kapitalistisches Paradoxon ist. Wir wissen, dass die Erfolge der Wissenschaft damit nichts zu tun haben. Mögen die Produktionskosten, in Folge verbesserter Bewirtschaftung, noch so sehr sinken, so würde ja nur der kapitalistische Grundbesitz den Vorteil davon haben. Die Getreidepreise würden deshalb nicht sinken, nur die Grundrente würde wachsen, solange der Marktbedarf an Getreide nicht nachlässt, oder eben ein anderes Land in Konkurrenz tritt. Im Kopfe des Grundbesitzers spiegelt sich freilich die Erscheinung umgekehrt ab. Der Bodenpreis erscheint ihm als etwas Natürliches, von vornherein Gegebenes — weil er ihn gezahlt hat. Er findet tatsächlich den Bodenpreis bereits vor, wenn er als Landwirt auftritt. Darum ist es ihm selbstverständlich, dass er diese und keine geringere Grundrente beziehen muss, mit anderen Worten, dass die Rente nur steigen und nicht sinken darf. Wenn jeder andere Kapitalist mit sinkenden Warenpreisen rechnet so der Grundbesitzer nur mit steigenden Getreidepreisen. Wenn nun dennoch die Getreidepreise sinken, was anderes soll daran schuld sein, als die „unlauteren Wettbewerber“ von auswärts, die sich mit geringeren Renten begnügen? „Da drüben sind die Bodenpreise gering“, lamentieren die kapitalistischen Grundbesitzer: „und dagegen können wir nicht aufkommen.“ Dass die ausländischen Bodenpreise und Renten ihnen nur deshalb gering erscheinen, weil ihre eigenen zu hoch gestiegen sind, das kommt ihnen nicht in den Sinn. Es würde auch nicht helfen, sie über die wirkliche Sachlage belehren zu wollen, denn auf jeden Einwand haben sie die von ihrem Standpunkte aus tatsächlich unwiderlegbare Antwort: „Soll das Kapital, das wir für den Boden bezahlt haben, nicht den gleichen Profit tragen wie jedes Kapital?29 Und dann kann die Grundrente nicht geringer sein!“ Sie rechnen die Grundrente als Zins auf das Bodenkapital, neben der Verzinsung des Betriebskapitals, zu dem Produktionspreis, und dann erscheint der Konkurrenzunterschied der beiden Länder als allgemeiner Unterschied der Produktionskosten. In diesem Ausdruck ist der wirkliche Charakter des Vorgangs völlig ausgelöscht, denn die Produktionskosten werden nicht nur durch die Grundrente sondern noch durch andere Umstände beeinflusst, so durch den Unterschied der Bodenqualität. Der Vorgang, wie er sich in der kapitalistischen Landwirtschaft abspielt, ist auch in der kapitalistischen Industrie durchaus nicht etwas völlig Unbekanntes. Nur ist er hier an Ausnahmebedingungen gebunden und tritt als Zufall auf. Dieser Ausnahmefall tritt bei jeder neuen Erfindung von größerer Tragweite ein, wenn es gelingt, ihre produktive Verwendung für eine Zeit lang zu monopolisieren. Das neueste Beispiel dieser Art ist das Auersche Gasglühlicht. Auers Gasglühlichtgesellschaft machte bekanntlich zuerst ganz exorbitante Gewinne. Sie verteilte Dividenden von 100 Prozent und selbst 128 Prozent, weil ihr Niemand im Wege stand. Sie erhielt also tatsächlich über die Durchschnittsprofitrate einen enormen Extraprofit, eine Rente. Dementsprechend stieg der Kurs, d.h. der Preis ihrer Aktien, genau in derselben Weise, wie in der Landwirtschaft die Bodenpreise steigen. Wer nun die Auerschen Aktien nach dem Tageskurs kaufte, der bezahlte darin selbstverständlich fast den gesamten kapitalistischen Extraprofit. Desgleichen, wenn z.B. der Kurs einer 100-Mark-Aktie nominell etwa 800 stand, so schätzte sich der Besitzer von zehn solchen Aktien, mochte er se seinerseits auch nur zum nominellen Werte gekauft haben, nicht im Besitze eines Vermögens von 1000 Mark, sondern eines solchen von 8.000 Mark. Es ist klar, dass, so lange die Alleinherrschaft des dieser Aktiengesellschaft anhielt, sie durchaus nicht genötigt war, wegen etwaiger Produktionsersparnisse die Preise zu reduzieren. Alle gemachten Verbesserungen der Produktion konnte sie dazu verbrauchen, den Extraprofit zu steigern. Von außen mochte es also scheinen, als ob die Produktionskosten dieselben blieben, und doch konnten während dieser Zeit die Technik sehr verbessert und die Produktionskosten heruntergesetzt werden. Fiel der Preis der Rohstoffe, so wären in allen anderen Fabriken die Warenpreise entsprechend gesunken — hier aber nicht, es wäre nur der Profit gestiegen. Ähnlich bei einer Verkürzung des Arbeitslohns usw. Als es aber der Konkurrenz gelang, sich Bahn zu brechen — wobei es gleichgültig ist, ob analoge Erfindungen gemacht oder einfach das Patentgesetz auf eine schlaue Weise umgangen worden —, da änderte sich die Situation. Die Konkurrenz machte billigere Preise. Wenn es so weiter geht, so kann es dazu kommen, dass der Extraprofit der Gaslichtgesellschaften gänzlich verschwindet. Die Preise der Glühkörper sind jetzt schon fast um die Hälfte zurückgegangen. Dann würde der Kurs selbst der ersten Gasglühlichtaktien auf ihren nominellen Wert sinken. Das ist umso wahrscheinlicher, als ja bei solchen Gründungen gewöhnlich von vornherein ein größerer Aktienbetrag angezeigt wird als tatsächlich Kapital im Geschäfte steckt. Ein Teil des Aktienkapitals fällt den Gründern unentgeltlich zu. Das heißt, die Gründer antizipieren den Extraprofit, wie die Besitzer des unbebauten Bodens die Grundrente. Es ist klar, dass nunmehr diejenigen, welche die Aktien nach ihrem späteren Börsenkurs gekauft haben, umso größere Verluste erleiden werden, je höher dieser Kurs bzw. der Extraprofit, in dem er gründete, war. Aber auch die ersten Aktienkäufer, die bis jetzt den gesamten Extraprofit einsteckten, werden mit einem Male in eine sehr prekäre Lage geraten. Sie haben sich nach dem hohen Extraprofit, nach dem gestiegenen Aktienpreis eingerichtet. Sie verheirateten ihre Töchter, unterhielten vielleicht ihre Söhne bei der Garde, sie erlaubten sich selbst dieses und jenes, schließlich gingen sie andere Geschäfte ein, z.B. sie errichteten Schnapsbrennereien und Ähnliches mehr. Zu alledem verbrauchten sie nicht nur ihre großen Extraprofite, sondern sie nutzten ach reichlich ihre stark gewachsene Kreditfähigkeit aus. Eins nur unterschied sie von den Grundbesitzern: sie konnten keine Hypotheken aufnehmen. Freilich, auch sie verpfändeten ihre Aktien, aber deren Beleihungsgrenze war bei weitem nicht so groß und der Kredit viel kostspieliger als beim Grund und Boden. Dennoch sind sie jetzt ruiniert, weil mit dem Extraprofit auch ihre Zahlungsfähigkeit schwindet. Es ist noch ein Zweites klar, nämlich, dass die zuletzt aufgetretenen Gasglühlichtgesellschaften keineswegs ein besseres, respektive billigeres Verfahren entdeckt zu haben brauchen, um mit der ersten derartigen Gesellschaft konkurrieren zu können. Im Gegenteil, sie können sogar eine schlechtere und kostspieligere Produktionstechnik haben, und dennoch werden sie billiger verkaufen als die erste Gesellschaft, weil diese ja damit rechnen muss, dass ihre Aktionäre einen dem hohen Börsenkurs entsprechenden Profit erwarten. Wie sich unter diesen Verhältnissen ein Kampf auf Leben und Tod entwickelt zwischen den Gründern, den Besitzern der Stammaktien, den Besitzern der anderen Aktien, sodann der einzelnen Aktiengesellschaften untereinander, und wie der Wirrwarr zur Lösung kommt, gehört in das Kapitel von der Börse, das unserer Untersuchung fern liegt. Um die Analogie mit dem Grundbesitz zu vervollständigen, denke man sich, dass die spätere Konkurrenz vom Auslande kommt, z.B. aus einem Lande, das kein Patentrecht kennt. Dann werden die betreffenden heimischen Interessenten selbstverständlich dem Auslande alle Übel beimessen, Schutzzölle fordern, und wenn das nicht hilft, so werden sie möglicherweise mit denselben abenteuerlichen Währungsplänen kommen wie die Agrarier.30 Kurz, wer dann in die Generalversammlung der Aktionäre dieser Gesellschaft ginge, würde sie leicht mit dem „Bund der Landwirte“ verwechseln. Nicht der Vorgang selbst der Bereicherung und des Ruins der kapitalistischen Grundbesitzer ist also das Auffallende. Die Analogie ist täglich zu finden auf der Börse, mit der der kapitalistische Grundbesitz überhaupt sehr innige Konnexe hat. Kennzeichnend ist, dass dieser Prozess in der kapitalistischen Landwirtschaft nicht als Zufall und Einzelheit auftritt, sondern als allgemeines, regelrechtes Entwicklungsprodukt. Die so genannten Agrikulturländer, mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Kolonien, haben aber dem Industrieland gegenüber nicht nur den Vorteil der relativ geringen Grundrente, sondern den anderen des geringen Arbeitslohnes.31 Währenddem die Getreidepreise infolge der ausländischen Nachfrage steigen, bleiben die Arbeitslöhne niedrig, ja der Grundbesitzer sucht noch womöglich die Löhne reduzieren, um derart, ohne den Betrieb zu erweitern, die gestiegene Getreidenachfrage zu decken.32 Die Grundrente der preußischen Junker z.B. hat sich zu einem bedeutenden Teil in dieser Weise gebildet. Andererseits ist in den industriell weniger entwickelten Ländern die durchschnittliche Profitrate höher. Daraus entspringt ein Nachteil für deren Grundbesitzer, weil ihre Grundrente mit einem geringeren Betrag kapitalisiert wird (1000 Mark Grundrente geben bei vier Prozent Verzinsung einen Bodenpreis von 25.000 Mark, bei fünf Prozent bloß 20.000 Mark(. Aus dem gleichen Grunde würde der Grundbesitzer, wollte er sein Grundstück verpachten, an den kapitalistischen Pächter einen größeren Prozentsatz als Profit abtreten müssen. Anders ausgedrückt: während der Grundbesitzer in einem industriell weniger entwickelten Lande sich mit einer geringeren Grundrente begnügt, fordert der kapitalistische landwirtschaftliche Pächter, wie jeder kapitalistische Unternehmer eines solchen Landes, im Gegenteil eine größere Profitrate. Wirtschaftet aber der Grundbesitzer selbst, so fällt ihm der Profit zu. Die eigene Regie ist hier also vorteilhafter und konkurrenzfähiger. Dies ist ein Grund, warum in den nach England aufgetretenen kapitalistischen Ländern die landwirtschaftliche Großpacht sich bei weitem nicht in dem Maße entwickelt hat wie in Großbritannien. Diese gekennzeichneten allgemeinen Bedingungen der größeren Konkurrenzfähigkeit der Agrikulturländer auf dem Getreidemarkt gelten auch für die kapitalistischen landwirtschaftlichen Kolonien, deren Musterbild die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind. Die vorhandenen Unterschiede ändern den allgemeinen Zusammenhang nicht. Wir wollen nur hervorheben, dass hier, wo die Landwirtschaft auf freier Besitznahme des Grund und Bodens beruht, deshalb die Preisbildung eine von der in den alten Kulturländer unterschiedene sein muss. Mit dem Preis des unbebauten Bodens fehlt auch die künstliche Schranke der Erweiterung der Getreideproduktion, die, wie wir gesehen haben, eine so große Rolle spielt. Wohl gibt es auch hier Grundrente, je nach dem Unterschied des Produktionspreises auf Boden verschiedener Qualität, aber soweit noch keine antizipierte Grundrente. Deshalb hängt hier die Bewegung des Getreidepreises nur von dem einen Umstande ab, ob Boden besserer oder schlechterer Qualität in Bebauung genommen wird.33 Dies ändert sich nicht nur in dem Maße, als die frei verfügbare Bodenmenge abnimmt, sondern auch als sie schwer zugänglich wird bzw. unter schlechteren Verkehrsbedingungen sich befindet. Diese Grenze wird erreicht, nicht etwa durch die Ausdehnung der Anbaufläche, sondern durch Ausdehnung der Besitznahme.34 Bevor wir unsere Erörterung weiter führen, wollen wir, um Missverständnisse zu vermeiden, Folgendes vorausschicken: Wenn wir als die ökonomische Grundlage der kapitalistischen Agrarkrisen die durch die industrielle Entwicklung bewirkte Steigerung der Grundrente angeben, so soll damit keineswegs geleugnet werden, dass für die Frage der landwirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit zweier Länder noch eine große Menge anderer Umstände in Betracht kommen. So kann ein Land tatsächlich von Natur aus fruchtbarer sein als das andere. Oder es können Umstände sein, die in dem Allgemeinen wirtschaftlichen Charakter des Landes liegen. So z.B. wenn ein naturalwirtschaftendes Land einen Teil seines Produktes verkauft. In der Naturalwirtschaft gibt es keine Warenpreise, folglich kann das Produkt unter Umständen unter seinem kapitalistischen Produktionspreis abgeben werden. Man bedenke, dass der amerikanische Farmer zuerst in der Hauptsache Naturalwirtschafter war, um die Bedeutung dieses Moments zu würdigen. Es kann aber auch etwas anderes, es kann z.B. die Sklavenwirtschaft, wie seinerzeit in den Baumwollplantagen Südamerikas sein. Alles dieses und noch vieles andere müsste in Betracht gezogen werden, wollte man die tatsächliche Geschichte irgendeines bestimmten Falles schreiben. Für uns aber handelt es sich nicht um Einzelheiten, sondern um die allgemeinen kapitalistischen Zusammenhänge. Und weil es, wie wir nachgewiesen haben, solche allgemeine Zusammenhänge gibt, so erscheint das Ganze nicht als Zufall, sondern als naturgemäßes Ergebnis der kapitalistischen Produktionsentwicklung. Nun aber, einmal die Agrarkrise eingetreten, wie wird sie sich äußern? welche Wirkung wird sie auf die Landwirtschaft haben? Nach der Ricardoschen Theorie würde die Sache sich sehr einfach anspielen: Boden schlechter Qualität wird aufgegeben, die Grundrente sinkt, die Bodenpreise sinken, bis schließlich ein neuer Status geschaffen ist. Aber die Sache ist in Wirklichkeit viel komplizierter. Zunächst tritt als Hindernis der regelrechten Entwicklung der Umstand auf, dass von dem Moment an, als die Grundrente als Pachtzins oder Bodenpreis festgelegt worden ist, der Unterschied der Bodenqualität aus dem Konkurrenzspiel tritt. Der Pächter des besseren Bodens zahlt eben eine größere Rente. Von seinem Standpunkte aus produziert er durchaus nicht billiger als der Pächter des schlechteren Bodens, der eine entsprechend geringere Rente bezahlt. Der Pächter des besseren Bodens wird sein Produkt nicht billiger verkaufen können, weil er sonst nicht auf den Pachtzins kommt. Eine Verminderung des Pachtzinses fordern nun alle kapitalistischen Pächter. Auch der Grundbesitzer, ob er selbst wirtschaftet oder nicht, leidet in derselben Weise Verluste, wie der Aktienbesitzer in Folge der sinkenden Dividende und des sinkenden Börsenkurses. Die Krise ist also nicht partiell, sondern allgemein.35 Es entwickelt sich ein erbitterter Kampf der Pächter mit den Grundbesitzern wegen der Pacht, und aller Landwirte untereinander überhaupt auf dem Getreidemarkt. Entscheidend in diesem Kampf ist vor allem der Besitz von Kapital. Wo der Grundbesitzer der Stärkere ist, drückt er den Pächter, der sich einen Profitabzug gefallen lässt, um nicht gänzlich erwerbslos zu bleiben. Der selbstwirtschaftende Grundbesitzer seinerseits kann desto länger aushalten, je mehr Kapital und je weniger Schulden er besitzt. So lange der Bodenpreis stieg, war die Hypothek ein durchaus willkommenes Ding. Denn sie war die Kapitalisation der Grundrente. Sie war oft die Realisation der antizipierten Rente, wenn sie auf unbebauten Boden genommen wurde. Der Grundbesitzer bekam in ihr etwas bezahlt, was noch gar nicht da war. Der Besitzer eines Stückes fruchtbaren Ödlandes nimmt darauf eine Hypothek. Mit dem erhaltenen Gelde gründet er eine Schnapsbrennerei. Das Ödland bleibt es auch weiter, es hat nie ein Weizenkorn produziert, aber es hat doch seinen Eigentümer in den Besitz einer Fabrik gesetzt. Und der Wert dieses Ödlandes wächst von selbst. Es erzeugt zwar kein Korn, aber in einigen Jahren produziert es wieder eine Hypothek. Die Hypothek gibt also die Möglichkeit, die Grundrente doppelt auszunützen: einmal als solche, und dann als kapitalistische Grundrente. Für dieses Grundrentenkapital muss allerdings Zins bezahlt werden, wenn auch ein sehr mäßiger Zins, aber unter der Voraussetzung, dass die Hypothek kapitalistisch, also in der Industrie oder auf der Börse, angelegt wird, trägt sie ja selbst ihren Zins und wirft noch einen Profit darüber hinaus ab. Nunmehr, unter der Krise, wird die Wohltat zur Plage. Die Zinsen müssen bezahlt werden, folglich kann weder der Getreidepreis heruntergesetzt noch die Produktion vermindert werden. Jetzt zeigt sich die ökonomisch zwiespältige Natur des selbstwirtschaftenden kapitalistischen Gutsbesitzers: als Grundbesitzer hat er ein Interesse an der hohen Grundrente und dem hohen Bodenpreis, aber als Kapitalist, als Produzent der Ware „Getreide“, die einer scharfen Konkurrenz auf dem Markte entgegentritt, kurz als sein eigener Pächter, hat er das gerade entgegengesetzte Interesse, denn die Grundrente in der Gestalt des Zinses auf die aufgenommene Hypothek hindert ihn daran, den Getreidepreis herunterzusetzen. Das allgemeine Bestreben geht dahin, die Produktionskosten zu vermindern, ohne gleichzeitige Herabsetzung des Ertrags. Dazu bedarf es aber einer neuen Agrikulturtechnik. Und zu diesem Zweck ist eine Vermehrung des Betriebskapitals notwendig. Die Notwendigkeit, die Produktionstechnik zu verbessern, wird überhaupt erst während der Krise akut, denn zu anderen Zeiten, rettet die Rente über alles hinweg. Wo das kapitalistische Pachtsystem herrscht, ist das verhältnismäßig leicht getan: der eine Pächter wird verjagt und an seine Stelle ein anderer gesetzt, der ausreichendes Kapital besitzt, um die nötigen Änderungen vorzunehmen. Anders der selbstwirtschaftende Grundbesitzer: seine Kreditfähigkeit ist durch die früher ausgenommenen Hypotheken erschöpft, sie sinkt überhaupt, weil die Grundrente und die Bodenpreise sinken, folglich kann er die nötigen Verbesserungen nicht einführen. Daraus ergibt sich, dass die Großpacht der rationelle kapitalistische Agrikulturbetrieb ist. Andererseits hält die Hypothek diesen kapitalistischen Grundbesitzer am Boden fest, denn würde er bei den sinkenden Bodenpreisen sein Grundstück verkaufen, so würde ihm nicht viel Kapital übrig bleiben. Die Hypothek wirkt hier ebenso als Hindernis der landwirtschaftlichen Entwicklung wie früher der Bodenpreis. Zu gleicher Zeit wendet sich der Grundbesitzer an die Arbeiter und späht, ob sich nicht eine Lohnkürzung machen lässt. Aber die Löhne sind schon von vornherein so niedrig, dass sie nicht mehr gekürzt werden können. Stattdessen vollzieht sich ein steter Abzug der Arbeiter vom platten Lande, weil hier die Löhne viel niedriger sind, nach den Industriezentren und nach den Kolonien. Nunmehr erhebt der Grundbesitzer ein verzweifeltes Wut- und Jammergeschrei: er sei ruiniert, weil ihn die Arbeiter verlassen! Aber wenn er will, dass ihn die Arbeiter nicht verlassen, so soll er ihnen nur die Löhne aufbessern. Das könnte er wieder nicht! Denn er hat den Mehrwert bereits als Grundrente kapitalisiert und eine Hypothek darauf gezogen. Was er dem Arbeiter schuldig geblieben ist, dafür bezahl er jetzt Zinsen, freilich nicht dem Arbeiter, sondern der kapitalistischen Bank. Kurz, wenn die Industrie sich entwickelt, so klagen die Agrarier über Arbeitermangel und hohe Arbeitslöhne infolge industrieller Konkurrenz, und wenn die Getreidepreise sinken, dann klagen sie über hohe Arbeitslöhne, weil sie den überschüssigen Mehrwert bereits kapitalisiert und eingesteckt haben und ihn nicht noch einmal aus den gleichen Arbeitern herauspressen können. Nun füge man noch hinzu: unglückliche Börsenspekulanten und Überproduktion an Schnaps und Zucker, und man hat den ganzen Jammer der deutschen Agrarier. Die preußischen Junker wollten sich doppelt bereichern: als Grundbesitzer und als Kapitalisten — darum büßen sie jetzt als Kapitalisten die Sünden der Grundbesitzer und als Grundbesitzer die Sünden der Kapitalisten. Der Parzellenbauer wird von der Krise desto weniger getroffen werden, je schlechter seine Lage ist, d.h. je mehr er früher schon gezwungen war, ein Nebengewerbe zu betreiben und folglich nicht mehr ausschließlich von der Landwirtschaft abhängt. Zweitens wird er die Krise nicht spüren, soweit er als Naturalwirtschafter auftritt. Da andererseits die Entwicklung der Gutswirtschaft während der Krise unter dem sinkenden Getreidepreisen und der sinkenden Kreditfähigkeit leidet und bei längerer Dauer ein Teil der Güter subhastiert oder ihre Anbaufläche beschränkt wird, so kann eine Verschiebung der landwirtschaftlichen Betriebe zu Gunsten des Parzellenbauerntums stattfinden. Dieselben Momente, die sonst den landwirtschaftlichen Großbetrieb dem Bauerntum gegenüber hervorheben: der große Marktabsatz, die Bildung einer hohen Grundrente, der geringere Hypothekarzins und die leichtere Beleihung usw. kehren sich jetzt gegen ihn. 8. Der industrielle Markt und der Getreidemarkt Die Unterschiede der Grundrente und der Getreidepreise in Ländern von verschiedener industrieller Entwicklung bilden die Konkurrenzbedingungen, die für das Zustandekommen einer Agrarkrise unerlässlich sind. Das sind jene ökonomischen Potenzen, welche die Agrarkrise erzeugen. Damit aber die Agrarkrise tatsächlich zu einem bestimmten Moment eintrete, ist außerdem notwendig: einmal, dass die gekennzeichneten Länder in Handelsverbindung mit einander treten, und dann, dass ihre gegenseitige Konkurrenz bis zu jenem Punkt fortschreitet, bei dem der Zusammenbruch eintritt, die erst die Krise kennzeichnet. Die Agrarkrise ist also durch und durch ein Produkt der Entwicklung des Weltmarkts. Wir haben diese Skizzen mit dem Hinweis darauf eingeleitet, dass die kapitalistische Entwicklung zur Bildung einer Weltproduktion führt. „Die nationalen Produktionen werden miteinander verbunden, aber nur, um dann ihren nationalen Charakter zu verlieren. An Stelle des Internationalismus tritt der Kosmopolitismus. Die nationalen Produktionen verlieren ihre Selbständigkeit. Sie werden zu untergeordneten, zusammenhängenden, einander wechselseitig bedingenden Teilen eines Produktionsganzen, das in keiner Nation liegt, und das ist eben der Weltmarkt. Je mehr die Entwicklung in dieser Richtung fortschreitet, desto weniger ist man im Stande, die Schicksale der nationalen Produktion vom nationalen Standpunkte, selbst unter dem Korrektiv der internationalen Konkurrenz, zu beleuchten, sondern man wird genötigt sein, sie aus der Entwicklung des Weltmarkts abzuleiten.“36 Daraufhin wurde angedeutet, wie die Weltmarktverbindung der nationalen Industrien sich gebildet und wie der industrielle Markt sich entwickelt hat. Dann wurde der allgemeinen Einwirkung der industriellen Entwicklung auf die Entwicklung einer kapitalistischen Landwirtschaft gedacht. Daraus ergaben sich die Konkurrenzbedingungen des Weltmarkts, unter denen die Agrarkrisis entsteht, und es war bereits möglich, ihr Wesen zu charakterisieren. Nunmehr gilt es, die Entwicklung des Getreideweltmarkts in ihrer Wechselwirkung mit der industriellen Entwicklung nachzuweisen, um dadurch zu der Erklärung der gegenwärtigen Agrarkrisis zu gelangen, die unter dem deutschen Namen der „Not der Landwirtschaft“ bereits so rühmlich bekannt ist. Selbstverständlich kann es sich für uns auch diesmal nur um die ganz allgemeinen theoretischen Zusammenhänge und die gröbsten tatsächlichen Gestaltungen handeln. Wir haben ohnedies schon, ermuntert durch die Zustimmung unserer Leser, von der Gastfreundschaft dieser Zeitschrift für unsere Skizzen einen viel ausgiebigeren Gebrauch macht, als wir anfangs beabsichtigten. Die Bildung des Getreideweltmarkts beginnt damit, dass die Industrie eines kapitalistischen Landes einen auswärtigen Markt für ihre Produkte sucht. Je mehr ihr das gelingt, in desto höherem Maße geht ihre eigene Entwicklung vor sich. Damit steigt die industrielle, überhaupt die nichtagrikole Bevölkerung. Folglich der Marktbedarf an Getreide. Folglich die Getreidepreise. Je mehr dies der Fall, desto vorteilhafter wird es, aus den Ländern, nach denen sich die industrielle Ausfuhr richtet, Getreide einzuführen. Dann aber steigt die industrielle Ausfuhr erst recht. Denn so lange sie einseitig blieb, ohne entsprechende Einfuhr, hatte sie ihre enge Schranke in der geringen Kauffähigkeit des industriell wenig entwickelten Landes. Nun erst entwickelt sich ein regelrechtes kapitalistisches Tauschverhältnis. Das industrielle Land führt nach dem Agrikulturland Industriewaren aus und kauft gleichzeitig dort landwirtschaftliche Produkte, um die Kaufsumme dieser Produkte vermehrt es dadurch die Kauffähigkeit des Agrikulturlandes. Es erreicht also durch diese „Erschließung“ des auswärtigen Marktes zweierlei: das es seinen eigenen Getreidemarkt dem fremden Lande „erschließt“, dass es in diesem fremden Lande einen industriellen Markt schafft. Das Industrieland sorgt in solch selbstaufopfernder Weise für das wirtschaftliche Gedeihen des Agrikulturlandes, dass es ihm sogar regelmäßig mehr Getreide abkauft als der Wert der dorthin ausgeführten Industriewaren beträgt.37 Dennoch hat zunächst die Industrie des ursprünglichen kapitalistischen Landes den Vorteil davon: sie bekommt relativ billiges Getreide und zugleich einen Markt für ihre Waren. Das war das Verhältnis, in dem England als das ursprüngliche industrielle Land zu den übrigen europäischen Ländern bis in die Mitte der sechziger Jahre stand.38 Newmarch gibt in Tooke und Newmarchs Preisgeschichte eine ziemlich vollständige Übersicht der Weizenversorgung Englands, die die damalige Situation klar beleuchtet. Wir teilen daraus die wichtigsten Zahlen mit. Einfuhr von Weizen und Weizenmehl nach England durchschnittlich pro Jahr in 1.000 Imperial-Quarter aus:
Man sieht, dass Länder, die jetzt selbst einer Getreidezufuhr bedürfen, Frankreich, Deutschland, Dänemark, damals England gegenüber als Agrikulturländer fungierten. Deutschland besonders steht während des ganzen Zeitraumes an der Spitze der Getreide ausführenden Länder, übertrifft Russland und selbst die Vereinigten Staaten. Damals also scheinen noch die „Produktionskosten“ des Getreides in Deutschland so gering gewesen zu sein, dass es selbst auf einem auswärtigen Markte mit Russland und den Vereinigten Staaten konkurrieren konnte. Wir werden später nachweisen, wie diese „Produktionskosten“ sich geändert haben. Diese Länder hatten England gegenüber ein Übergewicht auf dem Getreidemarkte, nicht nur weil ihre industrielle, sondern weil dementsprechend auch ihre agrikulturelle Entwicklung eine rückständige war. In England hat sich, unter hoher Grundrente, folglich hohen Bodenpreisen, der intensive maschinelle landwirtschaftliche Großbetrieb entwickelt. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch das landwirtschaftliche Pachtsystem, das freilich andererseits selbst ihr Produkt ist. In der gleichen Richtung wirkte der Abzug der Landbevölkerung nach den Industriezentren und ihr Auszug nach Amerika. Die ganze landwirtschaftliche Betriebsweise passte sich als hier den hohen Getreidepreisen an.39 Diese konnte deshalb nach anderen Ländern ebenso wenig ohne weiteres übertragen werden, wie das politische Repräsentativsystem, die Londoner Börse und die englischen Banknoten.40 In dem Maße nun, wie in dem Agrikulturland selbst die Industrie sich entwickelt, büßt es selbstverständlich seine bevorzugte Stellung ein. Dass aber dies geschehe, dafür sorgt das kapitalistische Stammland, England: einmal indem es, wie früher aufgeführt, ihm den eigenen Markt eröffnet für eine Anzahl industrieller Konsumartikel, also insofern ihm einen auswärtigen Markt schafft, sodann indem es in diesem Agrikulturland selbst, auf ebenfalls bereits angegebene Weise, den inneren industriellen Markt erzeugt. Dazu kommen noch eine Menge anderer Umstände: Der Unterschied der Profitraten, der Unterschied der Arbeitslöhne, zum Teil bedingt durch den Unterschied der Getreide- und Lebensmittelpreise überhaupt. Der Überfluss an Geldkapital im Industrieland, der einerseits ein regelrechtes Produkt der Mehrwertbildung ist, andererseits durch die Entwicklung des Kredits gesteigert wird. Die Überproduktion an Technikern, die die Weltwanderung der Ingenieure erzeugt. Die ungleiche Entwicklung der einzelnen industriellen Produktionszweige: wir haben bereits gezeigt, wie die englische Garnausfuhr die deutsche Weberei förderte. Und anderes mehr!41 Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie England aus einem Getreide ausführenden in ein Getreide einführendes Land sich verwandelte. Jetzt wissen wir auch, wie es dazu kam, dass Frankreich und Deutschland und die anderen Industriestaaten Europas ihm folgten. Jedes dieser Länder hatte eine Periode der großen Prosperität der kapitalistischen Grundbesitzer, die durch die industrielle Entwicklung erzeugt wurde. 9. Der Junker Glück und Elend A. Der Werdegang Deutschland war eines der ersten Länder, aus denen England Getreide bezog.42 Bedeutend wurde die deutsche Getreideausfuhr zur Zeit der Napoleonischen Kriege. 1795/96 wurden bereits aus Preußen um circa zwei Millionen Taler Getreide mehr ausgeführt als eingeführt. Dieser Verkehr wurde zwar durch die Kontinentalsperre eine kurze Zeit gestört, dafür aber durch die nachfolgenden Jahre des englisch-amerikanischen Krieges (1809-1817) desto mehr gefördert. Damit aber die Getreideausfuhr sich ausdehne und eine kapitalistische Landwirtschaft sich entwickle, war vor allem notwendig der Ersatz der auf Leibeigenschaft beruhenden Naturalwirtschaft durch Warenproduktion. Dies geschah in Preußen bekanntlich wirklich um die angegebene Zeit der sich entwickelnden Getreideausfuhr, wohl nicht ohne durch diese mitbedingt worden zu sein. Wissenschaftlich ist jedenfalls festgestellt (Knapp), dass die „Regulierung“ die Expropriation eines Teils des Bauernlandes durch die Gutsherren bedeutete, denen ein Drittel und selbst die Hälfte des Bauernbesitzes zufiel. Die Ablösung der Reallasten warf ihnen andererseits ein gewaltiges Kapital in den Schoß.43 Und als „freier Arbeiter“ stand ihnen der proletarische Bauer zur Verfügung. So wurden die Bedingungen einer neuen junkerlichen Herrschaft, nunmehr in kapitalistischer Auflage, geschaffen, zugleich aber auch die Vorbedingung ihres Untergangs. Die Berührung mit dem industriellen England hob wie mit einem Zauberschlage die Grundrente und die Bodenpreise. In Mecklenburg-Schwerin wurden die Allodialgüter, oder die frei veräußerlichen ritterlichen Güter, pro Hufe bezahlt:44
Man sieht, wie die große Steigerung des Bodenpreises 1790/94 mit einem Mal einsetzt, dann aber auch weiter anhält. Diese große Steigerung der Bodenpreise, die eine Steigerung der Grundrente voraussetzt, hatte ihren Grund keineswegs einfach in der Erhöhung der Getreidepreise. Wir wissen, dass es außer dem Getreidepreis noch eine ganze Reihe von Gründen der Erhöhung der Bodenpreise gibt.45 Unter dem Einfluss der englischen Nachfrage wurde die Ackerfläche ausgedehnt, gleichzeitig fand ein Übergang zum Weizenbau und eine Intensivierung der Kultur statt. Aber, selbst ohne dies, musste schon der einfache Übergang von der Naturalwirtschaft zur Warenproduktion die Bodenpreise respektive den Geldwert der Grundrente steigern. Mögen die Naturalbezüge des Gutsherrn noch so groß sein, so hängt doch ihr Geldwert vor allem von ihrer Verkäuflichkeit ab. Der Druck auf den Bauern konnte ein äußerst gewaltiger sein, aber sein Resultat war von vornherein ein Überfluss von Produkten und nicht ein Geldreichtum. Darum sehen wir, solange der Getreidemarkt noch wenig entwickelt war, also in Norddeutschland bis in den Anfang dieses Jahrhunderts, bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft, dass sich in den Gutswirtschaften große Vorräte von Naturalien durch Jahre hindurch ansammelten. Dagegen war das Geld rar. Dann aber mussten offenbar für die Bestimmung des Werts der Grundrente respektive des Bodens, außer den Warenpreisen, noch andere, fremdartige Gesichtspunkte zur Geltung kommen. Sodann, solange die Gutsherrschaft über Naturalbezüge und Naturalleistungen verfügte, war der Bodenertrag nur ein untergeordneter und verdingter Teil des Werts der Gutswirtschaft. Für diesen kam in Betracht nicht nur die Bodenfläche, die Bodenqualität, der Preis landwirtschaftlicher Produkte, die vorhandenen Gebäude und das Inventar, sondern die Zahl der ansässigen Bauern und die Höhe ihrer tributären Leistungen. Wo freier Bodenkauf stattfand, figurierte darum der Boden nicht als Rentenquelle,46 sondern der Kauf geschah aus allgemeinen gutswirtschaftlichen Rücksichten, wie etwa der Viehkauf oder die Errichtung von Wirtschaftsgebäuden, oder auch in der Voraussicht der Errichtung einer Gutsherrschaft — da waren selbstverständlich auch die Preisbestimmungsgründe andere als jetzt. Die Handelsverbindung mit England brachte als den deutschen Gutsherren vor allem die Umwandlung des Naturalienüberflusses in Geldreichtum, des Bodenertrags in kapitalistische Geldrente mit sich. Die kapitalistische Fiktion, dass nicht die Arbeit die Werte schafft, sondern dass es eine natürliche Eigenschaft der Produkte ist, einen Geldwert zu haben, dass die Grundrente aus dem Boden wächst wie Getreide, Rüben und Kartoffeln, stellte sich ein. Die Geldeinnahmen der Grundbesitzer wuchsen und es stiegen die Bodenpreise.47 Aus den soeben auseinander gesetzten Unterschieden ergibt sich, dass auch die Bildung des Getreidepreises in der vorkapitalistischen Zeit eine andere sein musste. Da die Grundrente als Unterschied der einzelnen Produktionspreise sich erst bildete, so ergab es keinen allgemeinen Produktionspreis. Wohl aber gab es einen Marktpreis. Für diesen war die städtische Nachfrage bestimmend.48 Da die nicht agrikole Bevölkerung noch relativ gering war, so waren die Getreidepreise niedrig. Als nun der auswärtige, also der englische Getreidemarkt hinzukam, so war es dieser, der den Preis bestimmte. Abzüglich der hohen Transportkosten und der exorbitanten Gewinne der zahlreichen Zwischenpersonen des damaligen Getreidehandels, galt der englische Marktpreis auf dem deutschen Getreidemarkte. Das war bedeutend mehr als der heimische Marktpreis. Es trat also eine Steigerung des Getreidepreises ein, die weder durch Erweiterung der Anbaufläche noch durch Intensivierung der Kultur etc., die kapitalistisch überhaupt nicht zu erklären wäre, deren Erklärung viel mehr darin lag, dass diese kapitalistischen Verhältnisse sich erst bildeten. Die Junker bereicherten sich. Als aber der kapitalistische Umbildungsprozess vollendet war, da zeigte es sich, dass der allgemeine Produktionspreis des Getreides in Norddeutschland hinter dem aus England übertragenen Marktpreis noch weit zurückstand, dass folglich die gestiegenen Bodenpreise zu einem großen Teil auf einer enorm hochgetriebenen absoluten Grundrente beruhten, die gänzlich durch die Marktkonjunktur bedingt war. Als nun die Marktkonjunktur sich änderte, da brach die ganze schnell aufgeblühte Herrlichkeit zusammen. Das war die große Agrarkrisis der zwanziger Jahre, die mit einer Vehemenz auftrat und eine Verheerung anrichtete, wie sie nachher von keiner anderen erreicht wurde. Dies war also noch keineswegs eine kapitalistische Agrarkrisis, es waren die Geburtswehen der kapitalistischen Landwirtschaft. Die Marktkonjunktur musste sich schon deshalb ändern, weil England, entsprechend seiner industriellen Beherrschung des Weltmarkts, ganz Europa als landwirtschaftliche Bezugsquelle offen stand. Außerdem begann nach dem Kriege ein bedeutender Getreidehandel mit Amerika. Unterdes führte auch die kapitalistische Umwandlung der deutschen Gutswirtschaft zu einer Vermehrung der Getreidezufuhr, nicht nur weil die Naturalwirtschaft in Warenproduktion sich verwandelte, sondern auch weil die Ackerfläche des Gutsherrn sich auf das durch die „Regulierung“ dem Gute einverleibte Bauernland ausdehnte. Die Mecklenburger Junker machten um jene Zeit geradezu reinen Tisch mit den Bauern. Als die englische Getreidenachfrage aufkam, da war es ihre erste Sorge, die Ackerfläche zu erweitern. „Der Boden, zumal der, welcher den Landholzungen abgenommen ward, war in der Regel von guter Beschaffenheit, aber nicht urbar. Kultivierter Acker, notdürftige Gebäude, auch Anspannung dazu; das fand sich bei den Bauern. Zu diesen und ihren Hufen nebst Betriebsmitteln konnte man ziemlich ohne Kosten und sonderliche Umstände gelangen. Am 16. Februar 1621 ist gesetzlich bestimmt — und gilt dies jetzt noch (1869) — dass Bauern, die kein Erbpachtverhältnis nachweisen könnten — Besitz und Verjährung schützt diese Menschen nicht — die müssten nach Kündigung der Grundeigentümer, dessen Leibeigene sie meistens waren, ihre Hufen unweigerlich hingeben. Vor dem dreißigjährigen Kriege sollen mit den adligen Gütern gegen zwölftausend Bauernhufen verbunden gewesen sein. Jetzt finden sich etwa siebzehnhundertfünfzig auf diesen Gütern. Überdies sind inzwischen die Hufen meistens auf einen geringen Ackerbesitz in schwachem Betriebe herabgesetzt“ (Deiters) Neben dem stark anwachsenden Getreideangebot eine relativ verminderte Nachfrage, einige besonders gute Ernten gaben den Rest, und die Getreidepreise begannen zu sinken. Der Preissturz dauerte unaufhaltsam, der Preis ging selbst bis unter die durch den inländischen Marktbedarf gebildete Grenze hinunter, um dann erst wieder eine aufsteigende Bewegung zu beginnen. Die durchgemachte Preisbewegung zeigte folgende, der mecklenburgischen amtlichen Statistik entnommene Übersicht: Es betrug in Rostock, berechnet in Mark pro 100 Kilogramm:
Es ergibt sich aus den angeführten Zahlen, dass die Preishöhe der der Krise vorangehenden Periode nachher, bei normaler Entwicklung, erst in dreißig Jahren wieder erreicht wurde — ein Beweis, dass die Preise vor der Krise auf einer Höhe standen, die durch die inländischen Produktionsverhältnisse nicht gerechtfertigt war, sondern offenbar, wie früher angegeben, durch die günstige Konjunktur des englischen Marktes bedingt wurden. Indem die Krise mit der falschen Bewertung nicht nur des Getreides, sondern dementsprechend der Grundrente und des Bodens, aufräumte — man kann dies als eine Geltendmachung des Wertgesetzes auffassen — schuf sie erst die Grundlage für eine regelrechte Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft. Es begann die Prosperitätsperiode des junkerlichen Grundbesitzes, die, wie das früher angeführte goldene Zeitalter der englischen Landwirtschaft, ungefähr ein halbes Jahrhundert, bis Ende der siebziger Jahre dauerte. Ausdehnung der Ackerfläche, neue Kulturarten, Intensivierung der Kultur usw. Zur Illustration ein Zahlenvergleich aus einer für die Provinz Westpreußen angestellten amtlichen Untersuchung (Zeitschrift des preußischen statistischen Büros 1867). Es wurden erbaut: Vorwerk Bressin
Wir sparen uns die Anführung weitere Zahlen, die nur das Gleiche beweisen. Wie der Pachtzins gestiegen ist, wurde bereits an anderer Stelle angeführt. Was den Bodenpreis anbetrifft, so stieg er in Mecklenburg von 45.000 Mark in den Jahren 1825/29, 56.000 Mark in den Jahren 1830/34 auf 163.000 Mark pro ritterliche Hufe in den Jahren 1875/78, das bedeutet also mehr als eine Verdreifachung des Bodenpreises. Der Kontrast mit den oben angeführten Zahlen für den Anfang des Jahrhunderts ist noch ein viel größerer. Die Krise der zwanziger Jahre hat mit dem fiktiven Wert der Grundrente beseitigt, aber das schloss, wie man sieht, nicht aus, dass die Rente aus anderen Gründen noch mehr gewachsen ist, ja dadurch wurde erst dieses Wachstum ermöglicht. Wie in England, war auch hier die steigende Prosperität der kapitalistischen Grundbesitzer begleitet von einer Verschlechterung der Lage der Landarbeiter. Für Mecklenburg finden wir in der von uns mehrfach zitierten Schrift von K. F. Deiters, der übrigens durchaus kein Feind der Gutsbesitzer, ein interessante Schilderung dieses Verhältnisses. „Wenden sich die Blicke dem Leben zu, wie dieses vom Anfang bis zum Ausgang dieser Periode sich zeigte (von der Eröffnung des Getreideverkehrs mit England und der Aufhebung der Leibeigenschaft bis zur Krise der sechziger Jahre), so findet man gleichen Schrittes mit Hebung der höheren Klassen ein Sinken der niederen. … In das Taglöhnerverhältnis trat durch Aufhebung der Bauernhöfe eine Änderung: es wurden Menschen zu Arbeitsleuten, die früher eine günstigere Stellung gehabt hatten. Viele Tagelöhner verloren den günstigen Rückhalt, den sie in verwandten bemittelten Bauernfamilien früher fanden. … Meistens waren die Holländer und Schäfer an den Bettelstab gesetzt. … Die Gutsherrschaften, welche ihre Herden zu eigener Bewirtschaftung übernahmen, konnten in manchen Orten nicht länger fremdes Vieh unter der Herde dulden. Die Tagelöhner mussten ihre Schafe, stellenweise sogar die Kühe, erstere ohne Entschädigung, letztere gegen Milchlieferung, abschaffen, was alles denn nach und nach immerfort modifiziert ward, bis in neuster Zeit häufig der Grundsatz ausgesprochen und verwirklicht wurde, die Tagelöhner möglichst nur mit barem Geld zu lohnen. Der Handel um den Mindestbetrag solcher Löhnung begann. … Ausgesogen, gepresst ward alles, was noch einen Tropfen Vermögen in sich hatte. Die ländlichen Arbeiter, als ihnen die gewohnten Naturalien nicht mehr verabreicht wurden, gewöhnten sich leicht, dieselben — zu stehlen. … Die im Jahre 1817 für Menschen, „welche durch Müßiggang, verbotene Gewerbe und Bettelei, der bürgerlichen Gesellschaft beschwerlich oder gefährlich wurden“, zu Güstrow in einem großen Gebäude als Landarbeitshaus nach Brasilien gegründete Anstalt ward rasch so übervölkert, dass, als eine Ableitung nach Brasilien nicht verschlug, die Beschränkungen der Aufnahme in diese Anstalt von Zeit zu Zeit sich steigern mussten. Der Arbeiterstand zehrte sich auf. … Geringer Verdienst schuf viele Entbehrungen, erzeugte Schwäche und dann größere Not. Diese richtete rasch zu Grunde. 1821 erschien das Gesetz über Versorgung der Armen, welches an sich, insbesondere aber die Ortsangehörigkeit Hilfsbedürftiger bestimmte und eine abwehrende Furcht der Ortsbehörden erzeugte, die bis heute dauert. … Damals entstand unter Ortsbehörden, man kann nicht sagen ein Menschenhandel, aber ein hemmender Umsatz und Verkehr mit erwerbstätigen Personen und Familien, den nur möglich und glaublich halten und begreifen kann, wer ihn über vierzig Jahre mitgemacht und miterlebt hat. Jeder Mensch blieb eine personifizierte Gefahr, und ward zur Last für seinen Wohnort. … Waren die im Orte Wohnenden untergebracht und gesetzlich beseitigt, so kam von draußen eine Zufuhr angehöriger Menschen. …Da Kinder ihre Eltern, die einem anderen Orte angehörten, diesem nicht ab- und nicht als Familie bei sich aufnehmen dürfen, so gerät der Arme außer Familie. Sein Ort darf ihn auswärts unterbringen, anderswo bei Fremden in Entreprise geben. … Vom Standpunkte des Gutsherren hat jeder Ortseinwohner nur Wert in dem Maße, als er ländliche Arbeit beschafft und beschaffen wird. Mit dieser Leistung hört der Wert auf. Sowie er aufhört, tritt zum vorherigen Risiko ein zehrender Schaden. Eine richtige Kalkulation führt den Gutsherren zunächst darauf, alle industriellen Arbeiter zu kündigen und aus dem Gute zu schaffen. … Was hat der Gutsherr von diesen Menschen? Last, Gefahr, Unkosten, weiter nichts, denn seine arbeiten können diese schwachen Betriebskräfte in der Regel nicht beschaffen. Er beseitigt sie und wendet sich zur Stadt an größere Meister. … Die zunehmende Verkümmerung des Gutstagelöhners mindert seine Nutzbarkeit, mehrt das Risiko seiner Haltung in einem Grade, welcher zur weiteren Kalkulation führte, darüber, ob, wenn nicht völlig, doch, wie weit, das Gut von der Last ansässiger Arbeiter zu befreien?“ — Indessen aber der Junker so kalkulierte und Versuche mit Wanderarbeitern anstellte, besann sich der durch ein drei Viertel Jahrhundert gehetzte Tagelöhner eines Anderen, packte seine Habseligkeiten und schiffte sich nach Amerika ein! Verdutzt und besorgt sahen die Gutsbesitzer zu, wie scharenweise diese „Menschen“, die sie früher nicht loswerden konnten, nach Amerika zogen. Deiters schätzt, dass etwa in 15 Jahren in Mecklenburg ein Zehntel der Bevölkerung auswanderte. Es dauerte nicht lange, und die Junker, die soeben die ansässigen Arbeiter vertrieben hatten, forderten Gesetze, um die Arbeiter an die Scholle zu binden. So entstand der „Arbeitermangel“, diese bekannte Ingredienz der „Not der Landwirtschaft“! Indessen reiften die materiellen Vorbedingungen der Krise heran, und eine allgemeine Wendung der Dinge bereitete sich vor. B. Die Schwindelblüten Dass kein Glück ohne Schatten [ist], haben auch die preußischen Junker erfahren müssen. Das halbe Jahrhundert aufsteigender Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft in Preußen hatte selbstverständlich seine Störungen. Solche ergaben sich vor allem als Nachwirkungen der industriellen Krisen. Derart war z.B. für Preußen die landwirtschaftliche Krise im Ausgange der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre. Dasselbe England, das den Junkern die Prosperität gebracht hat, kehrte ihnen plötzlich diese Schattenseite der kapitalistischen Herrlichkeit zu. Die Getreidepreise sanken in Preußen, weil die englischen Fabrikanten schlechte Geschäfte machten.49 Doch wurde dies schnell überwunden. Mit der Entdeckung der kalifornischen Goldminen begann eine neue Ära der Entwicklung des Weltmarkts. Die Industrie entwickelte sich schnell, um zwar nicht nur in England, sondern neben diesem in erster Linie in Frankreich und Deutschland.50 Die Junker profitieren also von dem steigenden Getreidebedarf Englands, sowie auch von dem in Folge der Entwicklung der Industrie mächtig anwachsenden inländischen Marktbedarf an landwirtschaftlichen Produkten. Wir haben schon mehrmals auf die Charakterähnlichkeit zwischen Börse und kapitalistischem Grundeigentum verwiesen. Zu Zeiten der Prosperität zeigt sich das in der Güterspekulation nebst ihrer Begleiterscheinung, dem Hypothekenschwindel. Die Güterspekulation entwickelt einen schier unerschöpflichen Reichtum von Modalitäten und Zwitterbildungen. Ihre reinste Form ist, dass man Güter kauft nur zu dem Zwecke, um sie wieder zu verkaufen. Für einen solchen Käufer ist der landwirtschaftliche Betrieb Nebensache. Er wartet nur, bis die Bodenpreise bedeutend gestiegen sind, und schlägt dann sein Grundstück los, um ein neues zu kaufen. Das ist also die vollkommen börsenmäßige Haussespekulation. Kauf und Verkauf von Grundbesitz wird aber überhaupt zu einer häufigen, selbstverständlichen Erscheinung, genau wie der Handel mit Wertpapieren. Reiche Grundbesitzer machen sich aus dem Güterschacher einen Sport, wie aus dem Pferdehandel. Der Grundsatz wird aufgestellt: „Keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, um Land zu kaufen!“ Es wird eben darauf spekuliert, dass, wenn das Grundstück auch augenblicklich keinen Nutzen über den Kapitalzins abwerfen sollte, so wird man doch nachher an dem gestiegenen Bodenwert sicher profitieren. Auch städtisches Kapital strömt unter solchen Verhältnissen dem Lande zu, um in Grundbesitz angelegt zu werden. Erleichtert, ja zum Teil erst ermöglicht wird dieser rege Güterverkehr durch das Hypothekarwesen. Die Hypothek gibt die Möglichkeit, bei geringer Anzahlung Land zu kaufen. Die Analogie mit dem Börsengeschäft drängt sich wieder von selbst auf. Durch die Hypothek wird die Zahl der Güterumsätze und ihr Umfang ungemein vermehrt. Wird der Grundbesitz mit 80 Prozent beliehen, so kann man mit derselben Geldsumme fünfmal so viel Land als bei voller Anzahlung kaufen, oder auch man kann schon mit einem Fünftel der sonst nötigen Geldsumme Land erwerben. In Verbindung mit der bereits geschilderten Güterspekulation bildet sich auf dieser Grundlage eine Art Differenzgeschäft in Grundstücken heraus. Damit nicht genug! Es werden Hypotheken auf Grundstücke aufgenommen nur zu dem Zweck, um mit dem Erlös neue Grundstücke zu erwerben, die selbstverständlich ebenfalls hypothekarisch belastet werden. Bei Erbteilungen werden entsprechend hohe Hypotheken aufgelegt, und der ausscheidende Erbe kauft mit dem ihm ausgezahlten Kapital Land, das gleichfalls Hypotheken zu tragen hat. Hypotheken werden ferner aufgenommen, um landwirtschaftliche Nebengewerbe, als: Schnapsbrennereien, Zuckerfabriken etc. zu betreiben, um industrielle Unternehmen zu gründen, um sich an Eisenbahnaktien, Staatsanleihen und dergleichen mehr zu beteiligen, auch um das Geld zu Wucherzinsen Kleinbauern und Anderen auszuleihen. Hypotheken werden schließlich aufgenommen — einfach weil sie so leicht aufgenommen werden können: das Geld wird empfangen, und nachher sieht man sich um, wohin man es hineinsteckt. In dieser Form wird die Operation zu purem Schwindel. Sie wurde deswegen von den Junkern nicht weniger oft durchgeführt. Auf diese Weise werfen die von Rodbertus mitgeteilten amtlichen Ermittlungen über die Besitzveränderungen der Rittergüter ein klares Licht. Rodbertus fasst das Resultat dieser statistischen Nachforschung folgendermaßen zusammen: „Es geht aus den Ermittlungen hervor, dass auf 11.771 Rittergüter der Provinzen Preußen, Pommern — mit Ausnahme von Neuvorpommern —, Posen, Schlesien, den Marken, Sachsen und Westfalen während der dreißigjährigen Periode von 1835 bis 1864 23.654 Besitzveränderungen kommen. Darunter sind nur 7.903 Erbfälle, 14.404 freiwillige, 1.347 notwendige Verkäufe. Jedes Gut hat also durchschnittlich zweimal den Besitzer gewechselt. Von der Gesamtzahl dieser Besitzveränderungen kommen, wie man sieht, 34,7 Prozent auf Erbfälle, 60,2 Prozent auf freiwillige Verkäufe, 5,1 Prozent auf Subhastationen. Von der Gesamtzahl dieser Güter wurden in dieser Zeit 67,1 Prozent vererbt, 122.3 Prozent freiwillig und 11,4 Prozent zwangsweise verkauft. Durchschnittlich sind also ungefähr zwei Dritteile aller Rittergüter einmal während dieser Zeit vererbt worden. Dagegen ist die Zahl der Verkäufe bedeutend größer, als die Zahl der Rittergüter. Im Durchschnitt haben alle Rittergüter während dieser Zeit nicht bloß einem einmaligen, sondern ein Drittteil derselben einem zweimaligen Verkauf unterlegen. … Scheidet man den dreißigjährigen Zeitraum von 1835 bis 1864 in drei Dezennien, so sind im ersten Dezennium von 1835 bis 1844, in welchem die Wertsteigerung der Güter begann und gegen den Ausgang desselben verhältnismäßig am größten war, auch die meisten freiwilligen Verkäufe vorgenommen, nämlich 4.976; im folgenden Dezennium fällt diese Zahl auf 4.694; im letzten Steigt sie wieder auf 4.734. Die Zahl der notwendigen Verkäufe hat indessen stetig abgenommen.“51 „Diese ungeheure Anzahl von Besitzveränderungen namentlich von freiwilligen Verkäufen“, meint Rodbertus im Anschluss daran, „muss außerordentlich viel zur Verschuldung unseres Grundbesitzes beigetragen haben,“ Die Statistik der Hypothekenbewegung bietet auch ein vorzügliches Pendantstück zu den mitgeteilten Besitzveränderungen. Für die bedeutende Anzahl größerer Güter in Preußen wurde ihre Verschuldung nebst dem Bodenwert für 1837, 1847 und 1857 amtlich ermittelt. Folgendes ist das allgemeine Ergebnis:
Der Bodenwert ist während zwanzig Jahren fast um 100 Prozent gestiegen, ein Zeichen gewaltig wachsender Prosperität, und gleichen Schritt damit hält auch die Verschuldung. 1847, als die Steigerung des Bodenpreises relativ am größten war, da war auch die Verschuldung relativ, d.h. im Verhältnis zum Bodenwert, am größten. Der Zusammenhang ist so offenkundig, dass man, wo andere Angaben fehlen, aus der Steigerung der Hypothekarverschuldung, weit entfernt, darin ein Zeichen des Niedergangs zu sehen, vielmehr mit ziemlicher Sicherheit auf eine Steigerung der Bodenpreise, folglich eine aufsteigende Bewegung der kapitalistischen Landwirtschaft schließen kann. Die Junker verfuhren genau wie der Bankier, der die gekauften Wertpapiere verpfändet, um neue zu kaufen. Nur dass die Junker gar nicht einmal ein anfängliches Kapital brauchten, um ihre Spekulation zu betreiben. Der Bodenpreis stieg von selbst, und damit ergab sich die Möglichkeit, immer höhere Schulden aufzunehmen. Diese Schwindelperiode des junkerlichen Grundbesitzes, die innig verbunden ist mit dem Aufschwung der kapitalistischen Landwirtschaft, ist von Dr. Karl Fraas treffend und ergötzlich geschildert worden. Zu bemerken ist, dass seine im Jahre 1866 erschiene Schrift über die „Ackerbaukrisen“ selbstverständlich diese Entwicklung retrospektiv (zurückschauend) betrachtet, vom Standpunkt der bereits eingetretenen Krise der sechziger Jahre aus, die er dabei für ein Musterbild kapitalistischer Agrarkrise hält, obwohl sie sich in Wahrheit zu dieser nur so verhält, wie etwa ein Börsenkrach zu einer industriellen Krisis. „Analog den Kennzeichen des Herannahens von Produktions- und schließlich von Handelskrisen überhaupt künden sich die Ackerbaukrisen durch Erscheinungen an, die wir alle jüngst erlebt haben, — durch Kühnheit im Güterkauf zu enormen Preisen — ebenso in der Schätzung bei Gutsübernahmen in Teilungsfällen usw.; durch Inanspruchnahme des landwirtschaftlichen Kredits zur größten erreichbaren Höhe und bei hohen Zinsen; durch leichtsinniges Eingehen der Darleiher auf eine große Quote des Schätzungswertes als Hypothekenobjekt; durch Steigen des Luxus der Ackerbaubevölkerung, häufiges Feilbieten aller Liegenschaften durch die luxuriösen Besitzer; Drängen zu neuen Betriebszweigen, insbesondere zu technischen Nebengewerben.“ K. Fraas gibt weiter an — wir erinnern wieder daran, dass er die allgemeinen Bedingungen der Agrarkrise zu schildern glaubt, währenddem er bloß die Symptome des kapitalistischen Aufschwungs der Landwirtschaft nebst dem ihn begleitenden Schwindel zeichnet: „Ein enormes Steigen der Güterpreise. … In den Zeiten des starken Friedens und bei einer kräftig aufblühenden Industrie, welche das Getreide zu sehr annehmbaren Preisen kaufen macht, steigt die Bodenrente und mit ihr die Folgen dieses Steigens. Öde Landstrecken werden ohne alle Rücksicht, ob auch das notwendige Betriebskapital in Zugvieh, Dünger und Geräte usw. vorhanden sei, gerodet und der Bestellung mit leicht und gut verkäuflichen Produkten, zunächst Getreide unterworfen. Während in anderen Zeiten Belehrung, Prämien, Kulturmandate und Ähnliches ganz vergeblich oder mit den schwächsten Erfolgen die Kultur öder Grunde anregen, geht dies jetzt mit erstaunlichem Eifer vorwärts. Selbst die Großbegüterten lassen sich jetzt Gemeindeteilungen gern gefallen, und die Kleinbegüterten stellen sie geradezu als Existenzbedingung hin. Diesen Neubrüchen stellen sich Entwässerungen von Mooren und Sümpfen zur Seite, indem man das trocken gelegte Land ohne Rücksicht auf Betriebskapital und Nachhaltigkeit zum Getreidebau umbricht. Wellenförmig bewegen sich die Preise von Grund und Boden von denjenigen Gegenden anfangend, deren Bevölkerung dicht, deren Industrie hoch entwickelt ist, gegen jene Länder zu, wo das Gegenteil stattfindet, wenn auch ihr Ackerland noch so unfruchtbar und das Klima noch so günstig ist. Solange politische Erscheinungen oder die Kommunikation nicht störend eintreten, geht dieser Wellenschlag ziemlich regelmäßig in Europa von Westen nach Osten, und jede Welle wird nur immer niedriger, je weiter sie vordringt, bis sie in den Steppen Südrusslands und Sibiriens in das spiegelglatte Meer der Weidewirtschaft verfließt. Die Preise von Grund und Boden sinken in eben diesem Maße. Da aber, wo alle Produktionen lebhaft, Kapitale wohlfeil und Arbeit mit aller technischen Beihilfe zu enormen Leistungen leicht zu haben ist, da steigt der Bodenwert nun am höchsten, und es ist ein ganz besonderes Kennzeichen, dass nunmehr selbst das in der Industrie groß gewordene Kapital seine Brutstätte verlässt, um eine sichere Ruhestätte im „Lande der Väter“, in Grund und Boden zu suchen. Wir sehen jetzt den Industriellen, den Fabrikanten, den Bankier selbst und den Börsenmann an den Güterkauf gehen, und obwohl sie über die zu erwartenden geringen Zinsen (weil der Bodenpreis hoch) sich durchaus nicht täuschten, ja selbst ihre gleichsam agrikole Einfalt belächeln, so erwerben sie doch ausgedehnte Liegenschaften — der Sicherheit wegen (bzw. um von der steigenden Grundrente zu profitieren!) … Es ist die Zeit, in welcher der gute Geschmack und die Kunst selbst an den Wirtschaftshof treten, und die Villa des Römers, der Hain des Hellenen, der Rosengarten des Arabers, das Landhaus selbst mit Park, Wasserfall und Grasplatz die Stelle des alten Schlosses des Grundherrn mit Wildgehegen und finsteren Forsten einnimmt. In ihrem Gefolge rückt auch der landwirtschaftliche Fortschritt in kostbaren Maschinen, edlen Terrassen, zweckmäßigen Ökonomiegebäuden, mit den Zinsen der Industrie, den Dividenden der Aktienunternehmungen, Indian Stocks und die altbackene, praktische Landwirtschaft wendet kopfschüttelnd und mit Verwunderung das Haupt von diesen ihren Unmöglichkeiten, während der neue ‚Grundherr‘ nicht übel Lust hat, an junkerliche Manieren anzuknüpfen und ein Stück Schlossleben in feudaler Ungebundenheit zu durchleben. Auch von den alten Gelüsten regt sich’s manchmal noch in nunmehr auch ‚gefestigten‘ Grundbesitz, und Güter werden gekauft, zertrümmert und wieder verkauft. … Und wenn der Friede fortdauert und die Stocks ihrer Eier, die Aktien ihre Dividenden legen, so mehrt sich dieser angenehme Luxus des freien Güterverkehrs, der Industrie und des Handels endlos fort, bis die Krisis kommt.“ Hinzuzufügen ist, dass nicht nur der „neue Grundherr“ spekuliert, sondern auch der „hausbackene, praktische Landwirt“ mit dem Erlös aufgenommener Hypotheken „Indian Stocks“ kauft, Brennereien gründet und mit Grundstücken schachert. Über das Verhalten des Grundbesitzes zum Kleinbetrieb äußert sich Dr. K. Fraas, wider seinen Willen der Pindar52 jener junkerlichen Herrlichkeit, folgendermaßen: „Wer greift meine Freiheit an? ‚Du fügst‘, sagt der kapitalreiche große Grundbesitz zum kleinen, ‚vergeblich ein neues, gewölbtes Streichbrett an deinen knarrenden Landpflug, festigest das Stirnblatt statt des Doppeljochs an die Kuh, welche den Ochsen vertrieb, nachdem dieser längst selbst dem Pferde die Hufe ausgetreten hatte, ich pflüge, fahre und dresche mit Lokomotive und Dampf, ich koche damit Würzen und Maischen, schneide in wenigen Stunden so viel Futter, als du am ächzenden Häckselstuhl in vielen Tagen. Magst du auch die alte Branntweinblase scheuern und den Helm fegen, graue Kartoffelstärke im engen Bottich bereiten, Handkäse bretterweise aufstapeln und buttern, bis dir der Atem ausgeht, du holst meinen Spritapparat mit Dampfbrennerei, meine Maschinenziegelei oder Stärkefabrik, meine Kunstdüngerverwendung und Wiesenbauten, meine Käserei und meine Molkerei mit der Schlempefütterung doch nicht mehr ein. Verkaufe deine ‚Hütte‘, deine ‚Baracke‘, dein ‚Schnapsgütchen‘ und verwende deine Arbeitskraft besser in der Stadt oder auch bei mir, vielleicht in Australien oder auf den Moskitos oder wo der Pfeffer — — kurz überall, wo du mehr erhältst als bei deiner jetzigen Hantierung.‘“ Heutzutage schlagen freilich die Junker ganz andere Noten an. Da ist die Rede von „geflickten Strohdächern“ und vom Bauern, nur noch vom Bauern! Heute geben die Junker vor, keine größere Sorge zu haben, als die „Hütte“, die „Baracke“, das „Schnapsgütchen“ ja nur aufrecht zu erhalten! Darum ist es gut, an jene Zeiten zu erinnern, wo noch der junkerliche Übermut frei, ohne Rücksichten auf Liebesgaben, Zölle und Prämien, sich äußern durfte. Die Agrarkrise der sechziger Jahre war nicht, wie Dr. K. Fraas anzunehmen scheint, einfach Produkt der Spekulation, sondern sie war die Folge einer allgemeinen Finanzstockung, was Rodbertus bereits damals herausgefunden hat.53 Es war eine „Hypothekennot“, die Schwierigkeit, Hypotheken aufzunehmen, nebst der komplementären Erscheinung, dass die Hypothekengläubiger kündigten, weil sie für ihre Kapital vorteilhaftere Verwendungen fanden. Es trat eine Teuerung des Kredits ein respektive eine „Kreditnot“. Die Ursache dieser Finanzstockung waren keineswegs bloß die großen amerikanischen Anleihen. Vielmehr war Deutschland damals schon ziemlich mitten in jener Periode der treibhausmäßigen Entwicklung seiner Industrie, welche nachher den deutsch-französischen Krieg und die deutsche Einheit mitbedingte und in den großartigen Spekulationen der siebziger Jahre ihren kapitalistisch würdigen Abschluss fand. Es wurden in Preußen Aktiengesellschaften gegründet:
Man sieht, wie rapid sich seit den fünfziger Jahren die Gründertätigkeit entwickelt hat. Gegenüber den großen Kapitalmassen, welche die sich rasch aufschwingende industrielle Tätigkeit bedurfte, fand aber, wie die Übersicht zeigt, eine nur mäßige Entwicklung des Bankwesens statt. Darum stieg der Zinsfuß. Der Diskontsatz der preußischen Bank betrug von 1847 bis inklusive 1855: 4 bis 4,3 Prozent, 1856: 4,9 Prozent, 1857: 5,7 Prozent,54 dann 1858 bis 1862 wieder 4,2 bis 4,3 Prozent, 1863 aber 5 Prozent, 1864: 5,3 Prozent, 1865 4,9 Prozent, 1866: 6,2 Prozent! Zugleich erreichte die Dividende der preußischen Bank, während der Jahre 1864, 1865, 1866 die unerhörte Höhe von 10,1 bis 10,9 Prozent! Welche Folgen das zeitigte, ist bei Rodbertus nachzulesen. Die Hypothekengläubiger kündigten. Weil der Zinsfuß stieg, so fielen die Bodenpreise. Die Hypotheken verloren ihre Sicherheit. Neue Hypotheken waren nur in einem geringeren Betrag und zu stark erhöhten Zinsen aufzunehmen. So traten zahlreiche Subhastationen ein. Das war vorübergehend. Der Zinsfuß sank von selbst schon 1867. Das Kreditwesen entwickelte sich rasch. Dann kam die französische Geldflut. Die Banken wuchsen wie Pilze aus der Erde. Bald entstand ein Überfluss an Banken. Von der zweiten Hälfte 1870 bis inklusive 1874 wurden 103 neue Aktienbanken errichtet mit einem Kapital von 838 Millionen Mark. Das Verhältnis des neuen Bankkapitals zu dem Gesamtkapital der neuen Gründungen war: in den Jahren 1826/50 wie 1:34, in der Periode 1851/70 wie 1:25, dagegen im Zeitraum 1870/74 wie 1:4. Kein Wunder, dass von den neuen Bankgründungen bis Ende 1874 bereits 29 mit einem Kapital von 176 Millionen eingegangen waren. Unter der raschen Entwicklung der Industrie stiegen die Getreidepreise und die Bodenpreise. Die Junker konnten Hypotheken aufnehmen nach Herzenslust. Und ihre Lust war groß! In den siebziger Jahren muss die Verschuldung des junkerlichen Grundbesitzes kolossal angewachsen sein. Leider ist die Statistik der Verschuldung in Deutschland in einem so verwahrlosten Zustande, dass sich für diesen Zeitraum keine Vergleiche anstellen lassen. Als die große Industriekrisis der siebziger Jahre eintrat, da stand schon Deutschland als fertiger Industriestaat da: mit hohen Grundrenten, hohen Bodenpreisen, hoher Hypothekarverschuldung, hohen Getreidepreisen und — kapitalistisch gerechnet, hohen Produktionskosten des Getreides! Die durchgemachten Wandlungen zeigt folgende Zusammenstellung der Weizenpreise, die auch die weitere Entwicklung andeutet. Es betrug der Weizenpreis pro 1.000 Kilogramm in Mark:
Der Anfang des Jahrhunderts, da die englische Nachfrage den Getreidemarkt beherrschte, zeigt die größte Preisdifferenz zwischen dem agrikolen Festland und dem industriellen England. Dabei sind die Preise in Frankreich, wie in Preußen hoch. Dann kommt die Katastrophe der zwanziger Jahre. Trotz der enorm sinkenden Preise, hat sich die Preisdifferenz zwischen England und Preußen fast gar nicht vermindert, ein Beweis, dass sie durch die hohen Transport- und Handelskosten absorbiert wurde. Nachher tritt die Periode ein der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft und Industrie auf dem Festlande, die einen regelmäßig sich vollziehenden Ausgleich der Getreidepreise in den drei Ländern mit sich bringt. Charakteristisch ist, dass die Aufhebung der Kornzölle in England, wie man sieht, für größere Perioden kein Sinken des englischen Weizenpreises nach sich zog, sondern ein Steigen der festländischen Weizenpreise. Die Annäherung der Getreidepreise der drei Länder aneinander vollzog sich überhaupt zum größten Teil in der Weise, dass mit der Entwicklung der Industrie die Getreidepreise in Frankreich und Deutschland stiegen. 1871/75, während des großen Freudenfestes der europäischen Industrie, ist der Ausgleich vollendet. Mit der industriellen Krise beginnt auch ein Sinken des Weizenpreises, der uns hier nur die allgemeine Bewegung der Getreidepreise illustriert, in allen drei Ländern. 1880/89 ist die Periode des Zollschutzes. England, weil es keine Getreidezölle mehr hat, zeigt nun einen bedeutend niedrigeren Getreidepreis als Preußen und Frankreich. Hohe Grundrenten und geringe Löhne. Hohe Bodenpreise und große Verschuldung. Hohe Getreidepreise und große „Produktionskosten“. Die geringen Löhne erzeugen „Arbeitermangel“, die große Verschuldung bedingt eine starke Zinsenlast, die hohen „Produktionskosten“ machen konkurrenzunfähig auf dem Weltmarkt. Die Bedingungen der Prosperität werden zu Vorbedingungen der „Not der Landwirtschaft“. 10. Russische und amerikanische Konkurrenz. Wirtschaftliche Depression. „Die Not der Landwirtschaft.“ Das Land, welches in Europa geschichtlich berufen war, Deutschland nachfolgend, die gleiche Entwicklung vom „Agrikulturland“ zum „Industrieland“ durchzumachen, war Russland. Es schickte sich auch an, diese ihm geschichtlich zugefallene Mission zu erfüllen. Nach dem Krimkrieg, der für Russland, mutatis mutandis, eine analoge Bedeutung hatte, wie die Napoleonischen Kriege für Deutschland, kam die Bauernbefreiung (1861). Und so stieg denn auch die russische Weizenausfuhr von 7,3 Millionen Hektoliter im Dezennium 1851/60 auf 13,3 im Dezennium 1861/70. Die Vorbedingungen waren auf dem Weltmarkt durchaus vorhanden, um Russland in die Wechselwirkungen der kapitalistischen Weltproduktion hinein zu beziehen. Und um diese Gelegenheit vollauf auszunützen, baute Russland Eisenbahnen, legte Häfen an und setzte seine Einfuhrzölle herunter. Die zu erwarteten Wirkungen schienen auch sich einstellen zu wollen. Zunächst freilich gab es nach 1861 eine wirtschaftliche Depression, analog der deutschen Krise der zwanziger Jahre. Aber nachdem schon 1863 der tiefste Punkt erreicht wurde, begann eine rasch aufsteigende Bewegung, die besonders in der Einfuhr von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Maschinen zum Ausdruck kam, ein Zeichen, dass sich Ansätze einer russischen Industrie bildeten. Es ist nicht schwer zu bestimmen, wie die weitere Entwicklung vor sich gegangen wäre, wenn nicht die Ereignisse eingetreten wären, die tatsächlich den Zusammenhang des Weltmarktes ganz anders gestaltet haben und die weiter unten zu erörtern sind. Die Getreideausfuhr Russlands hätte sich immer mehr erweitert damit aber auch sein industrieller Markt und seine eigene Industrie. Dadurch bedingt, wäre eine aufsteigende Bewegung der Getreidepreise, der Grundrente, der Bodenpreise, der „Produktionskosten“ eingetreten. Bis, in näherer oder fernerer Zukunft, ein Ausgleich der Getreidepreise in Europa stattgefunden hätte, hätte jedenfalls die Intensität der Konkurrenz auf dem Getreidemarkt fortwährend abgenommen, nicht aber, wie es in Wirklichkeit der Fall war, unausgesetzt zugenommen. Die Getreidepreise wären, nachdem ihr tiefster Staub etwa während der siebziger Industriekrise erreicht worden wäre, nicht mehr gefallen, sondern gestiegen. In Wirklichkeit sinken die Getreidepreise seit Ende die siebziger Jahre unaufhörlich, was eben das Kennzeichnende der heutigen „Not der Landwirtschaft“ ist. Die Agrarkrise wäre deshalb Europa und insbesondere Deutschland nicht erspart geblieben. Aber sie wäre aufgetreten und würde vergehen in analoger Weise wie die englischen Agrarkrisen nach den Napoleonischen Kriegen und nach der Aufhebung der Kornzölle. In Deutschland hätte vor allem ein Zurückdrängen des Roggenbaues durch den Weizenbau stattgefunden. Unterdes hätte eine Reduktion der Bodenpreise nebst Anwendung einer verbesserten Produktionstechnik auf Grundalge der allmählich wieder steigenden Getreidepreise eine neue Prosperitätsperiode der kapitalistischen Landwirtschaft inauguriert. Aber das kam alles ganz anders. Und dass es anders kam, ist vor allem die Schuld der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Gerade als die Geschichte die europäischen Verhältnisse vortrefflich zum Klappen arrangierte, da trat der unternehmende Yankee geschäftig dazwischen, stieß respektlos die historischen Vorrechte der einzelnen Länder mit den Füßen nach allen Seiten und mischte die Verhältnisse nach seinem Pläsier. Die Anbaufläche der Vereinigten Staaten entwickelte sich rasch. Dementsprechend, aber noch viel rascher dehnte sich die amerikanische Weizenausfuhr aus. Die amerikanische Weizenausfuhr ging zuerst nach England, dann nach Frankreich, dann nach Belgien und Deutschland, welch letzteres im Jahre 1868 die ersten 4.000 Bushel amerikanischen Weizen eingeführt hat. Wie nun der Konkurrenzkampf auf dem europäischen Getreidemarkt sich entwickelt hat, zeigen die von Sering berechneten Prozentanteile der einzelnen Länder an der Weizenversorgung Englands:
Bis 1861 beherrscht Deutschland den englischen Getreidemarkt und auch die Weizeneinfuhr aus Frankreich ist nicht unbedeutend. 1861 bis 1865 tritt Russland die Führung an, aber ach, die Freude ist nicht ungetrübt, denn schon folgen ihm die Vereinigten Staaten auf die Fersen. Seit 1871 drängt Amerika mit Gewalt vor, schiebt Russland vollkommen bei Seite und nimmt eine Position ein, wie kein anderes Land vorher. Nur in der letzten, oben verzeichneten Periode zeigt sich bereits eine Abschwächung in Folge der aufkommenden Konkurrenz Ostindiens und Australiens. Es handelt sich bei alledem keineswegs bloß um die Substituierung eines Landes durch das andere auf dem Weltmarkt: Russland durch die Vereinigten Staaten. Es müssen, um die eingetretene Entwicklung des Weltmarkts, vor allem um die landwirtschaftlichen Zustände Europas zu begreifen, in Betracht gezogen werden: der Charakter Amerikas als kapitalistisches Kolonialgebiet, die Wechselwirkung zwischen ihm und den Stammländern, die Verschiebung der gegenseitigen Handelsverhältnisse der europäischen Staaten durch die Dazwischenkunft der amerikanischen Getreidezufuhr, sowie die Wirkungen, welches dieses auf die Entwicklung der europäischen Industrie hatte. Weder die amerikanische Konkurrenz, noch die russische Konkurrenz, noch beide zusammen genügen, um die gegenwärtige „Not der Landwirtschaft“ zu erklären, vielmehr müssen sie als integrierende Teile der kapitalistischen Weltproduktion erfasst werden, in deren Gesamtbewegung allein die Lösung des Problems liegt. Worauf die landwirtschaftliche Überlegenheit Amerikas im Allgemeinen beruht, braucht nach den vorangehenden theoretischen Darlegungen nicht erst nachgewiesen zu werden. Es genügt, wenn wir unsere weiteren Erörterungen an das Zeugnis des gründlichsten deutschen Erforschers der amerikanischen Landwirtschaft, Max Sering, anzuknüpfen. Dieser kommt in seinen allgemeinen Betrachtungen zum Schlusse: „Aus dem allem ergibt sich, dass der einzige volkswirtschaftliche Vorzug, welchen die landwirtschaftliche Produktion in Nordamerika vor derjenigen in West- und Mitteleuropa genießt, in dem niedrigen Preise des Grund und Bodens liegt. Mit Rücksicht auf alle anderen Faktoren der Produktion: die Arbeitslöhne, den gebräuchlichen Zinsfuß und den Preis jeder Art beweglichen Kapitals, erscheinen umgekehrt die deutschen, englischen, französischen Landwirte günstiger gestellt als ihre Berufsgenossen jenseits des Ozeans. Die amerikanische Konkurrenz hat ihre volkswirtschaftliche Grundlage in der dünnen Besiedelung und den dadurch bedingten niedrigen Preisen des Grund und Bodens.“55 Die geringen Bodenpreise sind freilich durch die „dünne Besiedelung“ ebenso wenig bedingt, wie etwa die Sommerhitze durch die Ausdehnung des Quecksilbers an der Thermometerskala. Das Buch von Sering selbst enthält Tatsachen genug, die das bestätigen. Der allgemeine Grund dieser Erscheinung liegt, wie wir wissen, in den Verhältnissen zwischen Industrie und Landwirtschaft, worunter selbstverständlich nicht das Verhältnis der industriellen zur landwirtschaftlichen Bevölkerung, sondern jenes der Getreideproduktion zum nicht agrikolen Bedarf respektive zum Marktbedarf an Getreide zu verstehen ist. Wo die Industrie relativ mehr entwickelt ist, da ist dieser Marktbedarf größer, und die Getreidepreise sowie die Bodenpreise sind höher und da drängt sich auch die Bevölkerung auf einem engeren Bodenraum zusammen. Das gilt auch für die Vereinigten Staaten. Der Unterschied der Vereinigten Staaten von Europa, zugleich ihr Kennzeichen als kapitalistische Kolonie, ist nun die geringe Kontinuität in der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Industrie und Landwirtschaft. Diese Entwicklung wird hier nämlich fortwährend unterbrochen durch den Strom der Einwanderer, der neues Land okkupiert und die Anbaufläche erweitert. So entsteht immer von Neuem ein Überschuss der Getreideproduktion, der die Getreidepreise nicht aufsteigen lässt. In Europa bedingt die Ausdehnung der Kulturfläche eine Vermehrung der Grundrente — hier, wo der Bodenpreis nicht im Wege steckt, dient sie umgekehrt als Hindernis dieser Vermehrung. Neben der Einwanderung sind, wie Sering mit Recht hervorhebt, noch die Binnenwanderungen in Betracht zu ziehen. Diese haben aber auf den verschiedenen Stufen der kolonialen Entwicklung verschiedene Ursachen. In dem Zeitabschnitt, von dem wir ausgehen, waren sie bereits durch den Charakter Amerikas als Getreideausfuhrland bedingt. Um billiges Getreide exportieren zu können, wurden die alten Ansiedlungen, sobald der Getreidebau auf ihnen unrentabel wurden, verlassen, um neues Land zu okkupieren, andererseits, wer überhaupt in seiner Erwerbstätigkeit Schiffbruch litt, sattelte schnell um und gründete eine Ansiedlung. Die Krise der siebziger Jahre hat, nach Sering, in dieser Richtung eine gewaltige Wirkung ausgeübt. Es ist also Amerika, in landwirtschaftlicher Beziehung nicht, wie etwa Preußen oder Russland, als ein abgegrenztes Land mit einer abgegrenzten Bevölkerung aufzufassen, sondern die Entwicklung ging so vor sich, dass währenddem ein Ackerbaudistrikt sich industriell entwickelte, sich schon unterdes eine neue Ackerbauzone bildete, nach dieser eine dritte usw. Es ist, als ob ein ganzer Komplex von Ackerbauländern, eins nach dem anderen, in die Weltmarktverbindung getreten wäre. Dann ist es aber auch klar, dass diese Entwicklung keineswegs etwa an die politischen Grenzen der Vereinigten Staaten gebunden ist, sondern dass dies überhaupt die Bildung Ackerbau treibender kapitalistischer Kolonien darstellt. Wie sehr dies der Fall, zeigte ja die jüngste Entwicklung in dem Auftreten Argentiniens auf dem Weltmarkt. Auf den ersten Blick scheint es, dass die Entwicklung Ackerbau treibender kapitalistischer Kolonien nur von zwei Faktoren abhängt: der Auswanderung und dem Vorhandensein von fruchtbarem unokkupierten Land unter günstigen klimatischen Verhältnissen. Aber die nähere Betrachtung zeigt, dass eine weitere Bedingung davon die Möglichkeit eines lohnenden Getreideabsatzes ist. Eine nach der Wildnis verschlagene menschliche Ansiedlung, ohne Zusammenhang mit dem Weltmarkt, ist noch keine kapitalistische Kolonie. Dieser Zusammenhang wird für die Getreide bauenden Kolonien hergestellt durch den Getreideabsatz. Findet man, unter Umständen, eine solche Überproduktion an Getreide statt, dass die Getreidepreise einen Stand erreichen, der den Anbau unvorteilhaft macht, so wird offenbar in diesen Kolonien eine Krise eintreten und zugleich wird sich die Einwanderung anderen Zielen zuwenden. Wir haben also wieder eine Wechselwirkung: selbst den Weltmarkt bedingend, werden die Kolonien durch den Weltmarkt bedingt. Nachdem die eigenartige Rolle, welche Amerika als kapitalistische Kolonie auf dem Getreidemarkt spielt, gekennzeichnet ist, betrachten wir noch, wie sich zahlenmäßig die Einwanderung nach Amerika entwickelt hat. Es betrug die Einwandererzahl in den Vereinigten Staaten von 1820 bis 1894 17,4 Millionen Personen. Allein in dem in Betracht kommenden Zeitraum seit 1861 sind 12,3 Millionen Menschen nach den Vereinigten Staaten eingewandert. Nun sind auch die früher angeführten Angaben über die Erweiterung der Anbaufläche, das Wachstum der relativen Getreideproduktion und die rasche Vermehrung der amerikanischen Getreideausfuhr kein Rätsel mehr. Man sieht, die amerikanische Getreidekonkurrenz ist das rechtmäßige Produkt des europäischen Kapitals. Der Druck der amerikanischen Weizenausfuhr auf den Weltmarkt bedingte vor allem eine Hemmung der russischen Weizenausfuhr. Weil aber die Bedingungen der Konkurrenz auf dem Weizenmarkt erschwert wurden, so verlegte sich Russland noch mehr als früher auf die Roggenausfuhr. Dadurch wurde die Richtung seiner Ausfuhr abgelenkt und ein größerer Druck auf den deutschen Getreidemarkt ausgeübt. Von viel größerer Tragweite war der Umstand, dass Russland gezwungen war, sein Getreide zum amerikanischen Preise zu verkaufen. Dadurch wurde der mehrfach geschilderte Prozess der Steigerung der Grundrente und deren Fixierung im Bodenpreis in seiner Entwicklung gehemmt. Statt der kapitalistischen Gutswirtschaft bildeten sich daher irische Zustände heraus, gekennzeichnet durch die Auspressung des kleinen Pächters. Statt den Bauer zum Lohnarbeiter zu machen, zog es der spekulative Gutsbesitzer vor, das Gutsland den Bauern zu horrenden Preisen zu verpachten. Wo er nicht selbst in Verbindung trat mit der Bauerngemeinde, besorgte der Zwischenpächter das Geschäft. Ein Teil der adeligen Gutsbesitzer wurde auch ruiniert. An ihre Stelle trat der kleinstädtische Kapitalist, eine Zwittergestalt von Kaufmann und Wucherer, der mit einem noch größeren Schwunge das System der Ausbeutung mittels Verpachtung betrieb. So wurde die Möglichkeit geschaffen, mit Amerika zu konkurrieren, und so wurde auch seitens Russlands ein gewaltiger Druck auf den Getreidemarkt ausgeübt. Die gesamte Getreideausfuhr Russlands beruhte auf einer Volksschinderei in des Wortes verwegenster Bedeutung, auf einer grausamen Aushungerung der Bauernmasse, auf einer grenzenlosen Devastierung und Ausraubung des Bodens. Der Abschluss dieser Entwicklung war die Katastrophe von 1892 und 1893. Eine weitere Folge dieser Verhältnisse war die Verlangsamung der industriellen Entwicklung Russlands. Die auswärtige Einfuhr Russlands hat seit dem Ausgang der siebziger Jahre stark abgenommen. Sie betrug in der fünfjährigen Periode 1876/80 2414 Millionen Silberrubel, in den Jahren 1886/90 dagegen nur 1783 Millionen! Die Einfuhr aus Deutschland betrug 1871/75 903 Millionen Silberrubel, 1876/80 1150 Millionen und 1886/90 608 Millionen Rubel.56 Das Sinken der Getreidepreise — die Inauguration der „Not der Landwirtschaft“ — begann mit der siebziger Handelskrisis. Der Verlauf der akuten Krisis war 1879 ziemlich abgeschlossen, dennoch wollte die zu erwartende Prosperitätsperiode sich nicht einstellen. Damit dies geschah, war allerdings die Gründung afrikanischer Kolonien, nach denen nur Schnaps und preußische Offiziere abgesetzt werden können, nicht genügend. Es war die Eröffnung eines großen Absatzgebietes für Textilprodukte, Maschinen und Gegenstände des kulturellen Bedarfs notwendig. Hätte die kapitalistische Entwicklung Russlands in der gleichen Weise fortgedauert, wie sie sich in den sechziger Jahren zeigte, so wäre dadurch ein derartiger Markt von immensem Umfang geschaffen worden. Und neben Russland kommen noch in Betracht Ungarn, Galizien und die Donaufürstentümer. Aber durch die Konkurrenz Amerikas, respektive durch die Entwicklung der kapitalistischen Kolonialbildung, wurde die kapitalistische Entwicklung der Landwirtschaft und Industrie dieses größten Teils von Europa gehemmt. Amerika hat allerdings einen wichtigen und wachsenden industriellen Markt, doch konnte dieser jenes gewaltige europäische Absatzgebiet nicht ersetzen. Und dabei wurde die Rückwirkung der industriellen Entwicklung Amerikas auf den europäischen Markt, wie bereits auseinandergesetzt, durch die unablässige Ausdehnung der Anbaufläche immer von Neuem durchbrochen. Jede Steigerung der wirtschaftlichen Prosperität Amerikas wurde begleitet von einer Steigerung der europäischen Auswanderung nach Amerika. Auf jedem Dampfschiff, welches Industriewaren nach Amerika führte, kam ein anderes, das Bauern und Arbeiter transportierte. So bildete sich jener Zustand der verlangsamten industriellen Entwicklung heraus, den man als wirtschaftliche Depression bezeichnet und der bereits seit mehr als anderthalb Dezennien anhält. Zur Illustration dieser Verhältnisse, die ja allgemein bekannt sind, nur folgender Vergleich: Es betrug der Gesamtwert des auswärtigen Handels in Millionen Pfund Sterling:
Die Tabelle zeigt deutlich eine Stagnation des Handelsverkehrs dieser wichtigen Industrieländer. Einmal vorhanden, wirkte die industrielle Stagnation ihrerseits auf den Getreidemarkt, und zwar zunächst in der Weise, dass sie die Getreidezufuhr steigerte. Die Agrarier vergessen nur zu gern, dass das Sinken der Getreidepreise in Gefolgschaft der Handelskrisis auftrat, dass, so lange der industrielle Aufschwung anhielt, die Getreidepreise, trotz der gewaltigen und rasch anwachsenden amerikanischen und russischen Zufuhr, stiegen. Als nun die industrielle Stockung die Getreidepreise zum Sinken brachte, da mussten doch offenbar der amerikanische Farmer wie der russische Bauer mehr Getreide zur Ausfuhr abgeben, um auf ihre gewöhnliche Geldeinnahme aus dem Getreideverkauf zu kommen. 1877 war der Weizenzins um 30 Prozent höher als 1879 — so hat denn auch der amerikanische Farmer, der im Jahre 1877 bloß 25 Prozent seiner Weizenproduktion nach Europa einschiffte, im Jahre 1879 volle 40 Prozent nach Europa abgeliefert! Da dies durchschnittlich jeder Farmer tat und zu gleicher Zeit die Anbaufläche sich ausdehnte, so vermehrte sich die amerikanische Weizenausfuhr um genau 100 Prozent! Dies die Erklärung der plötzlichen Steigerung der amerikanischen Getreidezufuhr 1878 und 1879, die zur unmittelbaren Folge die Einführung von Getreidezöllen auf dem europäischen Festlande hatte.57 Die Getreidezölle selbst erscheinen als ein weiterer Faktor, der den Druck auf dem Getreidemarkt vermehrte. Je wirksamer dieser Druck, desto unwirksamer die Getreidezölle für die heimische Landwirtschaft — gelingt es aber tatsächlich, vermittelst der Zölle die Getreidezufuhr in bedeutendem Maße zurückzuhalten, so wird dadurch die industrielle Ausfuhr und damit die Entwicklung der heimischen Industrie gehemmt und in der Folge wiederum ein Druck auf die Getreidepreise ausgeübt. Je weniger Getreide Amerika und Russland ausführen, desto weniger Industriewaren können sie einführen. Als Deutschland im Jahre 1885 seine hohen Getreidezölle ansetzte, sank allerdings seine Getreideeinfuhr 1886 gegenüber 1884 um 213 Millionen Mark, aber zu gleicher Zeit sank seine Warenausfuhr um 219 Millionen Mark und damit im Zusammenhang die allgemeine Wareneinfuhr, außer der Verminderung des Getreideimports, um noch weitere 159 Millionen Mark. Durch die gekennzeichnete Konstellation des Weltmarkts wurde bedingt, dass während diesem Zeitraum der inländische Markt relativ mehr zur Geltung kam. An dem Eisenbahnnetz wurde rüstig weiter gebaut, und die Großstädte wuchsen. Die Eisenbahnlänge betrug in Deutschland 27.981 Kilometer Ende 1875 und 42.908 Kilometer im Jahre 1892/93. Die Städte mit mehr als je 100.000 Einwohnern umfassten 1875 6,2 Prozent der Bevölkerung, 1890 dagegen 12,1 Prozent. Dementsprechend stieg auch der städtische Verbrauch an industriellen und landwirtschaftlichen Produkten. In Bremen z.B., für das sich eine statistische Berechnung aufstellen lässt, betrug der Verbrauch an Mehl und Brot aus Roggen und Weizen: 1872/76 im Jahresdurchschnitt 105.589 Meterzentner, dagegen im Jahre 1887/88 132.482 Meterzentner, eine Steigerung um 25 Prozent.58 Allein auch die Entwicklung der Städte, die bis zu einem gewissen Grad gleichsam selbständig vor sich gehen kann, hat schließlich ihre Schranken in der Entwicklung der Industrie, folglich des Weltmarkts. Je mehr die Städte als bloße Geldakkumulations- und Konsumtionszentren erscheinen, desto mehr führen sie ein reines Parasitendasein. Ihre Bevölkerung besteht dann aus Rentiers und ihrem Korrelat, den Lumpenproletariern. Neben dem reichsten Villenviertel besitzen sie das vollständige Verbrecheralbum. Sie werden zur Zufluchtsstätte einer Masse von Schwindelexistenzen. Und statt ein Zeichen der Prosperität zu sein, wird ihr Wachstum vielmehr zum Zeichen der Stagnation. Das Bestreben, den inländischen Gemeindemarkt zu schützen, nahm unter diesen Verhältnissen sehr leicht die Form des Schutzes des inländischen Marktes überhaupt an. Dies sind die allgemeinen Zusammenhänge der jüngsten europäischen Handelspolitik: weil die industrielle Entwicklung nicht rasch genug vor sich ging, um wenigstens ein Sinken der Getreidepreise zu verhindern, so führte man Getreidezölle ein, wodurch die industrielle Entwicklung erst recht gehemmt wurde, und dann verbarrikadierte man den inländischen Markt, dadurch die Entwicklung des Weltmarkts, folglich der Industrie aufhaltend. „Im europäischen Zollschutz kommt der Zusammenhang der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck, deshalb auch der Zusammenhang zwischen Industrie und Landwirtschaft, dies alles aber, dem Anspruch der kapitalistischen Produktion entsprechend, als Gegensatz und Widerspruch.“59 Die wirtschaftliche Depression bedingte eine verlangsamte Entwicklung der kapitalistischen Gegensätze. In dieser Beziehung übte auch die Auswanderung eine sehr große Wirkung aus. Man bedenke nur, was eintreten würde, wenn die zwölf Millionen, die während eines Menschenalters ausgewandert sind, im Lande geblieben wären? Welche ungeheure Parzellierung des sonst schon parzellierten Bauernbesitzes, welche massenhafte Proletarisierung würde das bedeuten! Dies ist die wahre Ursache der zeitweiligen „Erhaltung“ der Bauernschaft. Andererseits schuf die europäische Auswanderung nicht nur den amerikanischen Farmer und dadurch die amerikanische Getreidekonkurrenz, sondern auch die amerikanische Industrie. Nach der amerikanischen Zählung von 1880 waren von den aus Deutschland Eingewanderten 293.722 in der Landwirtschaft beschäftigt, aber 739.468 in anderen Produktionszweigen und zwar: Handwerk und persönliche Dienste 218.867, Handel und Verkehr 152.491, Bergwerk und Industrie 368.110. Dieses muss sich seither noch mehr zu Ungunsten der Landwirtschaft verschoben haben. Und die Entwicklung der Vereinigten Staaten zu einem Industrieland macht sich bereits Europa gegenüber recht fühlbar auf den Märkten Zentralamerikas, Südamerikas, Ostindiens und in Ostasien. Doch dies gehört bereits zu den Ansätzen einer neuen Entwicklung des Weltmarkts. Die wirtschaftliche Depression und die „Not der Landwirtschaft“ hängen eng zusammen. Beide bedingen wechselseitig einander. Die industrielle Ausfuhr entwickelt sich langsam. Die industrielle Tätigkeit richtet sich hauptsächlich auf Gegensätze des inländischen Bedarfs. Der inländische Handelsverkehr wird durch Geschäftsreisende, Versandgeschäfte etc. stark entwickelt. Der Warenkredit nimmt die gewagtesten Formen an. Das Geldkapital vermehrt sich rasch. Die Fondsbörse zeigt eine anhaltende Steigerung. Der Zinsfuß fällt. Die Entwicklung des rationellen landwirtschaftlichen Großbetriebs ist gehemmt. Ins Ungeheure entwickeln sich dagegen die industriellen landwirtschaftlichen Nebenbetriebe. Das Bauerntum verelendet, aber es bleibt noch an der Scholle. Die Bauernparzelle wird weniger zersplittert, weil die Bauernfamilie reduziert wird. Die Verwandlung der bäuerlichen Naturalwirtschaft in Warenproduktion greift indes um sich. Dem Gutsbesitzer wird die Hypothek zur unerträglichen Last, Dennoch kommt es verhältnismäßig selten zur Subhastation: der Gutsbesitzer bemüht sich, die Zinsen aufzubringen, weil er fürchtet, bei der Versteigerung ohne jeglichen Rest zu bleiben, und seinerseits fürchtet der Hypothekengläubiger, beim Verkauf sein Kapital einzubüßen. Die Arbeitslöhne sinken nicht, aber ihre gelegentliche Steigerung ist sehr geringfügig. Die Hausindustrie entwickelt sich, auf dem platten Lande, wie in den Städten. Die Frage drängt sich auf: wo ist der Ausweg aus diesen Zuständen? Die Antwort darauf liegt in den sich bildenden Kombinationen des Weltmarkts. Sie kann daher auch nicht in einem spekulativen Ausspruch bestehen sondern sie muss gegeben werden durch die Schilderung der vermutlichen weiteren Entwicklung der kapitalistischen Weltproduktion. Diese neuen Verhältnisse sind auch bereits reif genug, um gezeichnet werden zu können. In Bezug auf die „Not der Landwirtschaft“ ist jedenfalls Folgendes klar: Der letzte und eigentliche Grund der Agrarkrisis sind einzig die durch die kapitalistische Entwicklung hochgetriebenen Grundrenten respektive Bodenpreise. Man beseitige diese Bodenpreise und die europäische Landwirtschaft kann wieder die Konkurrenz aufnehmen mit der russischen und amerikanischen. Beseitigt man die Bodenpreise, so kommt wieder der produktive Unterschied der Bodenqualitäten zur Geltung und damit ist die jetzige fast unterschiedslose Wirkung der Krise auf Boden jeder Art auf jeden Fall beseitigt. Höchstens wird also dann der schlechteste Boden dem Anbau entzogen, während der Rest konkurrenzfähig bleibt. Schon daraus ergibt sich, dass die Darstellung der amerikanischen landwirtschaftlichen Konkurrenz als einer natürlichen Geißel Europas höchst abgeschmackt ist. Diese Konkurrenz ist eine durchaus kapitalistische Erscheinung. In dem Moment, wo man das Privateigentum an Grund und Boden in gesellschaftliches verwandelt, gibt es auch keine Bodenpreise mehr, und damit hört die devastierende Wirkung der amerikanischen Getreidekonkurrenz auf. Sie wird schon bedeutend herabgesetzt, wenn die Auswanderung aufhört. Und die Auswanderung hört auf, wenn die Arbeiter im Lande selbst eine lohnende Beschäftigung finden. Dass dies jetzt nicht der Fall, liegt im Wesen nicht der Produktion überhaupt, sondern der kapitalistischen Produktion. Die kapitalistische Gesellschaft, die auf dem Privateigentum basiert, kann dessen Schäden nur beseitigen, indem sie den Privateigentümer ruiniert und beseitigt, respektive durch einen anderen ersetzt. Der Privateigentümer muss vernichtet werden, damit das Privateigentum gerettet werde. Ihr einziges Mittel gegen die Agrarkrisis, sieht man von einer etwaigen günstigen Gestaltung des Weltmarkts an, ist deshalb: Subhastation des gesamten kapitalistischen Grundbesitzes. Dann würden die Bodenpreise auf die den neuen Bedingungen entsprechende Höhe reduziert werden und die europäische Landwirtschaft würde konkurrenzfähig gemacht. Statt das Getreide mit Zöllen zu belegen, müsste man vielmehr um den entsprechenden Prozentsatz die Bodenpreise sich verringern lassen. Noch keine Krisis ist durch den Zollschutz beseitigt worden, sondern das kapitalistische Mittel gegen dieses kapitalistische Übel ist nur die freie Konkurrenz, die die Tauschwerte auf ihr durch die neuen Weltmarktverhältnisse gegebenes Niveau reduziert und zugleich den Handelsverkehr und die Produktion erweitert. Dem stehen freilich entgegen die Interessen des jeweiligen Grundbesitzers und des Hypothekengläubigers. Aber nur deren Interessen und nicht einmal die der kapitalistischen Produktion, sei es in der Industrie oder in der Landwirtschaft. Die Hypotheken sind der Reflex der Bodenpreise. Würde man die Hypotheken verstaatlichen, so würde man dadurch nur den Hypothekengläubigern Sicherheit verschaffen, aber den Grundbesitzern nicht nützen. Denn die Last der Hypothek liegt nicht im Zinsfuß, sondern in der hohen Schuldsumme, die das Ergebnis der hohen Bodenpreise ist. Auch die Tilgung der Hypotheken ist eine Illusion. Hätte der Grundbesitzer, außer seinem standesgemäßen Einkommen, noch so viel übrig, um die Hypothekarschuld zu amortisieren, würde er die Hypothek gar nicht als eine Last empfinden, dann würde er schon eher eine neue Hypothek aufnehmen. Würde man den Grund und Boden durch Ankauf zu seinem jetzigen Preise verstaatlichen, so würde man dadurch den Gutsbesitzern die hohe Rente, den Hypothekengläubigern ihr Kapital retten und dem Staat die ganze Last aufbürden. Das würde heißen, die hohe Grundrente, die sich durch Reduktion der Arbeitslöhne und Steigerung des Brotpreises gebildet hat, verewigen zu wollen. Das würde selbstverständlich der kapitalistische Staat, der Entwicklung des Weltmarkts entgegen, ebenso wenig zu Stande bringen können wie der kapitalistische Gutsbesitzer. Und so würde er als Landwirt ebenso ruiniert wie dieser. So lange weder an der Konstellation des Weltmarkts noch an den hohen Bodenpreisen nebst Hypotheken etwas geändert ist, nützen offenbar auch die „kleinen Mittel“: Meliorationen, Maschinen, Kreditinstitute, Genossenschaften umso weniger. Um die Agrarkrisen zu verhüten, die „Not der Landwirtschaft“ ein für alle Mal zu beseitigen, ist Folgendes notwendig: Die Verwandlung des Privateigentums an Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum. Mit dem Privateigentum fällt auch die Schuldbelastung dieses Privateigentums, die Hypothek weg. Ferner muss an Stelle der individuellen Produktionspreise, deren Unterschied die Grundrente bildet, ein gesellschaftlicher Produktionspreis gesetzt werden. Dies ist nur möglich, indem man die Landwirtschaft des gesamten Landes als einzige Unternehmung betrachtet, also durch Übergang von kapitalistischer Warenproduktion zur sozialistischen Naturalwirtschaft. Sodann muss eine Übervölkerung der Landwirtschaft durch industrielle Verwendung der überschüssigen Landbevölkerung respektive durch ein rationelles Verteilen der gesellschaftlichen Arbeiterzahl und Arbeitszeit auf die einzelnen Produktionszweige, verhütet werden. Dazu würde noch, schließlich, hinzukommen die technische Organisation und Ausrüstung des landwirtschaftlichen Betriebs. Wie dieses Programm zu entwickeln und im Einzelnen zu verwirklichen wäre, soll bei anderer Gelegenheit erörtert werden. * * * Wir sind am Schluss unserer Untersuchung. Sie macht, schon aus Rücksicht auf den Raum der „Neuen Zeit“, von vornherein keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit. Viele einschlägige Fragen von Wichtigkeit mussten entweder ganz übergangen werden oder sie wurden nur mit ein paar Strichen gezeichnet. Da sind vor allem hervorzuheben: der Konkurrenzkampf zwischen Großgrundbesitz und Kleingrundbesitz, die Industrialisierung der Landwirtschaft, die Bedingungen der Auswanderung, die Gesetze der kolonialen Entwicklung nebst den Bedingungen der kapitalistischen Überproduktion. Auch die Erörterung der politischen Bewegungen, die sich, nach dem Plane der Arbeit, an die Schilderung der ökonomischen Entwicklung anschließen sollte, muss, so verlockend sie ist, für diesmal ausfallen. Es handelt sich für uns nur um die ganz allgemeinen Zusammenhänge, weil eben diese es sind, die am meisten übersehen werden. 1 Die statistische Hauptquelle dieser Untersuchung sind die englischen Blaubücher: Statistical abstract for the principal and other foreign countries, Statistical abstract for the United Kingdom, Statistical abstract for colonial and other possessions in verschiedenen Jahrgängen. Wo diese im Stiche liegen, wurde die übrige amtliche Statistik Großbritanniens und der anderen Länder zu Rate gezogen. Von den allgemeinen Übersichten nennen wir die bekannten Neumann-Spallartschen respektive von Juraschekschen. Einiges ist auch Conrads Handwörterbuch der Staatswissenschaften entnommen 2 Es ist eine eigenartige Erscheinung, dass die kapitalistische Entwicklung Russlands von der Deutschlands so weit hinter sich gelassen, auch von der Nordamerikas und nunmehr sogar Japans und Ostindiens überholt wurde. Dieser Umstand verweist aber schon von selbst, dass der Grund daran nicht, wie die russischen „Narodniki“ es annehmen, in dem Mangel an einem „auswärtigen Markte“, worunter sie einen kolonialen Markt verstehen, liegt. Denn seitdem dieser Mangel an einem „auswärtigen Markte“ von den „Narodniki“ als Unterpfand des primitiven Kommunismus der russischen Dorfgemeinde konstatiert wurde, haben alle genannten Länder, eines nach dem anderen, ihren auswärtigen Markt „entdeckt“! Tatsächlich ist in Bezug auf die Entwicklung eines kolonialen Absatzgebietes Russland viel günstiger gelegen als zum Beispiel Deutschland, es hat sogar eine ausnahmsweise günstige Stellung. Durch das Schwarze Meer besitzt es eine Verbindung mit Süd- und Ostasien und den übrigen Ländern des Stillen Ozeans, wie sie nur noch von den Ländern des Mittelmeers erreicht wird. Durch die sibirische Eisenbahn, die ja nunmehr gebaut wird, setzt es sich in eine direkte Verbindung mit China, Japan und Nordamerika. Durch die Besiedelung der fruchtbaren sibirischen Ebene kann es die ökonomische Grundlage schaffen zur Bildung eines Industriegebiets von größter Bedeutung und mit dem weitesten Absatzgebiet. Das alles und noch vieles andere wäre schon längst geschaffen worden, wenn Russland bereits ein industrielles Land wäre. Und dies ist der springende Punkt: nicht weil Russland keinen Kolonialmarkt hat, verlangsamt sich seine industrielle Entwicklung, sondern weil die industrielle Entwicklung so langsam ist, deshalb hat es sich den Kolonialmarkt noch nicht erschlossen. Die Entwicklung der Industrie in Russland wurde aber aufgehalten durch zwei Umstände, die die Ausdehnung des inneren Markts hemmten: den Dorfkommunismus und den Absolutismus. Der Dorfkommunismus bewährt sich zwar in seiner viel gerühmten Eigenschaft der Hintanhaltung der Proletarisierung nicht gar sehr, desto vollkommener aber in dem Prozess der nicht proletarischen Verelendung. Er schafft elende Subjekte, die nur deshalb keine Proletarier werden, weil sie an die Scholle gefesselt sind, weil sie keine freie Verfügung haben über ihre Arbeitskraft, die sich also vom Proletariat nur durch ihre Unfreiheit unterscheiden. Er erzeugt ökonomische Gestalten, die noch tief unter dem Proletariat stehen, die reif sind für die Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft. Er unterhält auf dem Lande eine ungeheure Überbevölkerung, die jede Besserstellung des Bauerntums unmöglich macht. Aber gerade dieses Bauerntum sollte in Russland, wo es an einer gewerblichen Städtebildung mangelte, den inneren Markt abgeben (so war es nicht die Konkurrenz des Handwerks, sondern vielmehr der Mangel an dieser Konkurrenz, der die Entwicklung der Industrie in Russland hinderte.) Der Absolutismus, beruhend auf bürokratischer Zentralisation, erschöpft die Mittel des Landes zum Zwecke des Militarismus und um eine unnütze Beamtenschar aufpäppeln. Er ruiniert durch übermäßigen Steuerdruck die Bauernwirtschaft und dadurch die ökonomischen Quellen des Landes. Eine demokratische Regierung hätte in Russland vor allem die Aufgabe, einen Teil des existenzlosen Bauerntums, das sich in den Zentralgouvernements zusammenhäuft, nach den kulturfähigen Gebieten Sibiriens abfließen zu lassen. So befreit von der Übervölkerung und unter vermindertem Steuerdruck würde sich hüben wie drüben ein wohlhabendes Bauerntum entwickeln, das freilich mit den letzten Resten des Gemeindekommunismus aufräumen würde. Anders in jeder Beziehung würde sich die Situation gestalten, wenn über die ökonomischen Schicksale Russlands eine sozialrevolutionäre, auf einen europäischen proletarischen Staat sich stützende Regierung zu entscheiden hätte. 3 [Friedrich Engels, Preußischer Schnaps im deutschen Reichstag, 1876, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 19, Berlin 1962, S. 37-51, hier S. 45] 4 Dies im Jahre 1893. 5 Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1884, V, S. 9 6 In der Hauptsache Dienstboten. Die amtliche Statistik zählt sonderbarerweise die Dienstboten nicht zu den „Erwerbstätigen“, wohl aber — das Militär. Wir haben dieses insofern ignoriert, als wir die Dienstboten zu den Erwerbstätigen gerechnet haben. Darum stimmen unsere Prozentsätze nicht ganz mit den amtlichen überein. Im Übrigen handelt es sich für uns nicht bloß um die Erwerbstätigen, sondern um die Erwerbsfähigen. 7 Darunter das stehende Heer. 8 In den Großstädten wie im Reich hauptsächlich Rentiers. 9 Selbst jede einzelne deutsche Großstadt für sich zeigte 1882 ungefähr das gleiche Verhältnis. So betrug die respektive Prozentsatz: in Berlin 50,8, in Hamburg 40,8, Breslau 41,5, München 40,4, Dresden 41, Leipzig 41,4, Köln 41, Königsberg 30,8, Frankfurt am Main 35,7, Hannover 45, Stuttgart 42,5, Bremen 44, Danzig 36,7, Straßburg 40,3, Nürnberg 51,9. 10 Für einzelne Großstädte, wie Berlin, ist die Konfektion eine bedeutende Exportindustrie. 11 Zweierlei erschwert die Erforschung der tatsächlichen Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft: erstens, dass wir es in jedem gegebenen Moment mit einem Durcheinander verschiedener Entwicklungsstufen und Entwicklungsformen zu tun haben, zweitens, dass diese einzelnen Verschiedenheiten nicht für sich selbst begriffen werden können, weil in ihnen die allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Produktion zur Geltung kommen. Es gilt also, durch Abstraktion von den Besonderheiten die allgemeinen Zusammenhänge herauszufinden und nachher unter Zugrundelegung der aufgefundenen Gesetze die Besonderheiten zu erklären. Karl Marx hat in seinem „Kapital“ in einer endgültigen Weise die erste Aufgabe gelöst. Er bietet hier und in anderen Schriften auch brillante Ausblicke auf die Einzelgestaltungen und Einzelentwicklungen. Desgleichen Friedrich Engels. Aber vieles liegt hier noch brach, und vieles konnte von diesen Beiden noch gar nicht erörtert werden, weil es eben gilt, das sich fortwährend verändernde Leben aufzuklären. Die Theorie macht den Geist nicht entbehrlich, sie stärkt ihn nur und rüstet ihn zu neuen Kämpfen. 12 Dieser Ausdruck ist irrationell, weil es sich das eine Mal um eine Getreidemenge, das andere Mal um eine Volkszahl handelt. Der richtige Ausdruck würde sein: Das Verhältnis des zum Markte gebrachten Wertes zu dem verlangten Werte. Doch würde die Unterstellung der rationellen Begriffe die Rechnung unnötigerweise komplizieren. 13 Das ist deshalb auch bis auf diesen Augenblick ein brachliegendes Gebiet. Seit einigen Jahren tummeln sich auf diesem Felde die Jünger der „österreichischen Schule“ herum und bemühen sich im Schweiße ihres Angesichts, es zu — düngen. Was sie als politisch-ökonomische Gesetze ausgeben, ist nur die Philosophie des schlecht honorierten Professors, die er sich zulegt, um des Lebens Widerwärtigkeiten wohlgemach zu ertragen. Weil er kein Geld hat, um sich einen Winterüberzieher zu kaufen, räsoniert er, dass es doch besser ist, ohne Überziehen mit sattem Magen herumzulaufen als mit hungrigem Magen in einem neuen Überzieher zu stolzieren. Und wenn es das Kapital fordert, wendet er diesen Satz mit derselben Leichtigkeit um, wie seinen alten Überzieher. Das kapitalistische Marktverhältnis wird bedingt durch gesellschaftliche Zusammenhänge, die sich aus der ökonomischen Klassengliederung innerhalb der Produktion, aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, aus der allgemeinen sozialen Gliederung, aus der Entwicklung der Produktivkräfte, im Besonderen aus der Entwicklung des Weltmarkts und Ähnlichem mehr ergeben — Verhältnisse, die zum Teil ihrerseits wiederum durch das Marktverhältnis bedingt werden. Denn das Leben ist ein dialektischer Prozess. Wie wichtig die Erforschung dieses Gebiets ist, ergibt sich schon daraus, dass erst, wenn sie vollzogen, eine vollständige Theorie der Krisen aufgestellt werden könnte. 14 Marx, „Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 177 [Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 25, Berlin 1970, S. 650] 15 Die Städte sind bei der Erörterung der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft nicht nur wegen ihres industriellen Charakters zu berücksichtigen, und auch nicht bloß als Konglomerationen nicht agrikoler Bevölkerung überhaupt, sondern noch als Konzentrationspunkte des Marktes (v. Thünens Theorie der Ausdehnung der Kulturarten). Diese Betrachtung gehört aber nach dem Plane dieser Arbeit in einen anderen Zusammenhang 16 Der Unterschied der Lebensmittel einzelner Länder, deren industrielle Entwicklungsstufen weit von einander geschrieben sind, sowie die Preisunterschiede einzelner Landesteile, je nach ihrer industriellen Entwicklung, führt auch Rodbertus zu der Vermutung, dass es sich dabei um allgemeine kapitalistische Zusammenhänge handelt. Als Erklärung dient ihm zunächst das Wachstum der Städte. Ihren Einfluss fasst er aber nur in dem Sinne der Konzentration des Marktes auf. Die Lebensmittel müssen desto teurer sein, aus je entlegeneren Gebieten sie zugeführt werden. Das besagt aber nichts anderes als dass die Lebensmittel deshalb teurer verkauft werden, weil sie mehr kosten, d.h. weil sie teurer sind, so haben sie einen höheren Preis!? Die Frage ist aber eben die, wie wird es möglich, die Lebensmitte zu einem höheren Preis zu verkaufen? Weil er das ungenügende dieser Erklärung herausfühlt, so gibt er einen weiteren Grund an: den Übergang vom Naturallohn zum Geldlohn bei den Lohnarbeitern. Mit der Ausdehnung des Geldlohnes steigt die Marktnachfrage — aber da stößt er sofort auf den vernichtenden Einwand, dass in demselben Grade wie in Folge des Überganges vom Naturallohn zum Geldlohn die Marktnachfrage steigt, auch das Marktangebot sich vermehrt, weil jetzt die früher in natura abgelieferten Produkte zu Markte kommen. Er verwickelt sich vollkommen in diesen Widerspruch und verweist auf Nebendinge, die mit dem gegebenen Verhältnis nichts zu tun haben. So meint er z.B., dass die Preise deshalb steigen, weil die Nachfrage „unter Tausenden zersplittert ist“. Das Gegenteil ist wahr: die konzentrierte Nachfrage erhöht die Preise. Es ist übrigens auch tatsächlich gar nicht richtig, dass durch den Übergang zum Geldlohn die Nachfrage „zersplittert“. Er gibt schließlich noch einen Grund an: die Geldteuerung in den „ärmeren“ Ländern. 17 Vgl. Th. Tooke und W. Newmarch: Die Geschichte und die Bestimmung der Preise. Deutsche Übersetzung von C. W. Asher, Band I, S. 35. Auch die weiteren englischen Zahlen sind, soweit nicht Anderes angeben, diesem grundlegenden Werke entnommen. 18 Diese eigentümliche stufenweise Steigerung der Getreidepreise übersieht Th. Tooke in seiner erwähnten Preisgeschichte. Indem er die Preisschwankungen jedes einzelnen Jahres analysiert, merkt er nicht, dass er auf einem immer höheren Plateau sich befindet. Da er außerdem, um den ausschließlichen Einfluss des Ernteausfalls auf die Getreidepreise zu beweisen, bald mit der Ernte des vorangehenden Jahres, bald mit dem wirklichen Ernteausfall und dann wieder mit den Ernteaussichten des nächsten Jahres rechnet, so ist es ihm ebenso leicht, diesen Nachweis zu führen, wie es zu unserer Zeit Herrn Rudolf Falb leicht ist, vorherzusagen, ob es Regen geben wird oder Sonnenschein. 19 Vom Beginn des Krieges und bis zur Kontinentalsperre. 20 Zeit der Kontinentalsperre. 21 Rodbertus wusste das. „Mit der Vermehrung der Grundrente wächst nicht in demselben Verhältnis die Morgenzahl, auf die sie repariert wird. … Es wird also auch durch die Vermehrung der Grundrente der bisherige Verhältnissatz zwischen ihr und der Morgenzahl, auf die sie zu reparieren ist, allerdings alteriert, indem auf die letztere jetzt ein größerer Rentenbetrag wie bisher entfällt“ (Dritter Sozialer Brief, S. 126) Rodbertus entwickelt dann weiter auf S. 132 sehr richtig, dass aus dem gleichen Grunde jede Entwertung des Geldes eine nominelle Steigerung der Grundrente nach sich ziehen muss. Das erstreben die Agrarier mittels der Silberwährung. Es scheint allerdings ein Unsinn zu sein, denn es kommt doch nicht auf die Ziffer an, die auf der Münze sieht, sondern auf ihren Wert im Warenaustausch. Mag die Grundrente von 100 Mark Gold auf 120 Mark Silber „steigen“, was nützt das, wenn man nachher für 120 Mark nur genauso viel kaufen kann wie früher für 100 Mark? Und doch stecken hinter diesem monetären Phantom sehr reale Interessen. Wir werden im folgenden Kapitel die Spekulation aufdecken. 22 Die einzelnen Fälle sind von Marx und zum Teil von Engels unter „Differentialrente II“ untersucht worden. In Bezug auf das von Engels gemachte Einschiebsel ist dabei Folgendes zu bemerken: Wenn Friedrich Engels in seiner allgemeinen Zusammenfassung die Folgerung zieht, dass nur in den Fällen, wo „Boden A (der schlechtere Boden) außer Konkurrenz gesetzt und Boden B (der nächstfolgende) regulierend und damit rentenlos wird“, eine zweite Kapitalanlage (respektive eine Erweiterung der Getreideproduktion) die Gesamtrente nicht vermehrt, so ergibt sich das zwar aus den von ihm angenommenen Zahlenverhältnissen, ist aber keineswegs ein notwendiges Ergebnis der allgemeinen Zusammenhänge. Man kann andere Zahlen nehmen, die das entgegengesetzte Resultat liefern, ohne die gegebenen Voraussetzungen der einzelnen Fälle auch nur im Geringsten zu beeinträchtigen. Es ist deshalb auch durchaus falsch, wenn er nachher diese Schlussfolgerung zu dem allgemeinen Satz verdichtet: „Je mehr Kapital also auf den Boden verwandt wird, je höher die Entwicklung des Ackerbaus und der Zivilisation überhaupt in einem Lande steht, desto höher steigen die Renten per Acre sowohl wie die Gesamtsumme der Renten, desto riesiger wird der Tribut, den die Gesellschaft den Großgrundbesitzern in der Gestalt von Surplusprofiten zahlt - solange die einmal in Bebauung genommenen Bodenarten alle konkurrenzfähig bleiben.“ [a.a.O., S. 734] Abgesehen von einer Ungenauigkeit der Ausdrücke, die an dieser Stelle sehr befremdet, so ist dies insofern falsch, als es, wie bereits erwähnt, Fälle gibt, in denen, obwohl die Bodenarten „konkurrenzfähig“ bleiben, die Renten und ihr Gesamtsumme (schon diese Zusammenwerfung der Grundrente mit dem Rental geht durchaus nicht an) bei neuer Kapitalanlage nicht steigen. Das hier im Einzelnen vorzurechnen, würde zu weit führen. Aber es lässt sich mit einigen Worten der theoretische Zusammenhang klarlegen. Es ist ja allgemeine Voraussetzung, dass eine neue Kapitalanlage auf einem bestimmten Boden gemacht werden kann auch dann, wenn dabei kein Extraprofit entsteht. Schon die gewöhnliche Verzinsung des Kapitals, entsprechend der allgemeinen Durchschnittsprofitrate, genügt dazu. Man nehme nun so viel Bodenarten als man will, von einer beliebigen Abstufung der Grundrenten. Man lasse nun auf jeder dieser Bodenarten nur solche Erweiterung der Getreideproduktion stattfinden, die gerade die Durchschnittsprofitrate auf das neue angelegte Kapital abwirft, aber keinen Surplusprofit bildet, so wird selbstverständlich keine dieser neuen Kapitalanlagen Rente abwerfen, und das Gesamtresultat dieser neuen Rentenbildung ist gleich Null. Also keine Steigerung der Renten und ihrer Gesamtsumme. Ist aber deshalb in der „Konkurrenzfähigkeit der in Bebauung genommenen Bodenarten“ irgendwelche Änderung eingetreten? Durchaus keine! Die Grundrenten, welche diese Bodenarten in Bezug auf einander früher abgeworfen haben, die bleiben auch jetzt. Sie werden durch den Umstand, dass die neuen Kapitalanlagen keine Rente abwerfen, nicht affiziert. Denn, wie Engels an anderer Stelle richtig sagt, „nicht die absoluten Erträge, sondern nur die Ertragsdifferenzen sind für die Rente bestimmend“. Früher hat Boden A, der schlechteste, sage: 10 Bushel geliefert, Boden B aber 12. Die Rente von Boden B war 2 Bushel. Jetzt, bei Vermehrung der Kapitalanlage, gibt Boden A 20 Bushel, Boden B daher 22. Die neuen 10 Bushel auf Boden B geben keine Rente, aber zusammen bleibt immer noch der frühere Unterschied von 22-20=2 Bushel Rente bestehen. Nach wie vor ist es Boden A, der den allgemeinen Produktionspreis bestimm, und alle Bodenarten sind „konkurrenzfähig“ geblieben. (Der Ausdruck „konkurrenzfähig“ wird auch von Engels in einer sehr eigenartigen Weise, der wir uns der Einfachheit wegen angeschlossen haben, gebraucht.) Man kann sogar noch weiter gehen und beweisen, dass unter Umständen eine Verminderung der Grundrenten durch Erweiterung der Produktion stattfinden wird, trotzdem „die einmal in Bebauung genommenen Bodenarten alle konkurrenzfähig bleiben“. Es genügt jedoch, darauf zu verweisen, dass die Schlussfolgerungen, die Marx selbst aus der Differentialrente II zieht, der soeben kritisierten Aufstellung von Engels schnurstracks zuwiderlaufen. (Siehe S. 262-270 des zweiten Buchs. [a.a.O., S. 742-746]) 23 Die Entwicklung der Transportmittel erweitert diese natürlichen Schranken in der Weise, dass sie Länder von verschiedener Erntezeit mit einander in Verbindung bringt. Aber teils, weil der überseeische Transport selbst bis zu einem gewissen Grade an die Jahreszeit gebunden ist, noch mehr weil die Länder, die für den Getreidemarkt, sei es als einführende oder als ausführende, in erster Linie in Betracht kommen: Europa, Russland, Vereinigte Staaten, nahe bei einander liegende Erntezeiten haben (die zuletzt aufgetretenen: Ostindien, Australien, Argentinien machen freilich eine Ausnahme), schließlich weil mit der Entfernung der Erntezeit von der europäischen auch die geographische Entfernung von Europa wächst und mit ihr die Zeit, die für den Transport erheischt wird, so kam dieser Umstand bis jetzt auf dem Getreidemarkt nicht stark zur Geltung. 24 Aus dem gleichen Grunde wie der Extraprofit im Falle einer Missernte, d.i. weil von Ernte zu Ernte der Getreidevorrat durch Produktionserweiterung sich nicht vermehren lässt, entspringt die regelmäßige Fluktuation des Getreidepreises im Zeitraum des Erntejahres. Kein Industrieprodukt zeigt eine ähnlich, regelmäßig wiederkehrende Bewegung der Preise. Mitwirkend bei der Bildung der Wellenbewegung des Getreidepreises sind: der Ernteausfall, der Marktbedarf, der vom Vorjahre vorhandene Getreidevorrat, die Aussichten der folgenden Ernte. Die Schwankungen sind unter diesen Einwirkungen so bedeutend, dass z.B. in Preußen selbst 1893/94, trotz der auswärtigen Getreidezufuhr, trotz der Entwicklung der Transportmittel etc., der Abstand zwischen dem niedrigsten und höchsten Monatspreis für Roggen 11,6 Prozent betrug. In diesen Preisschwankungen nistet sich die Börsenspekulation ein, das Differenzgeschäft. Die Spekulation schafft nicht die Preisbewegung, die sich aus dem Wesen der kapitalistischen Landwirtschaft selbst ergibt, aber sie nützt sie aus, um den auf diese Weise etwa entstehenden Extraprofit den Grundbesitzern wegzuwischen, Grund genug, um von diesen gehasst zu werden. 25 Die Lehre von der Konkurrenz ist, wie schon erwähnt, von Marx nicht ausgearbeitet worden. Dahin gehört die Erörterung dieses Verhältnisses, wie auch die nähere Untersuchung der Rente aus dem Monopolpreis, die wir eingangs erörterten. 26 Aus diesen Gründen vollzieht sich auch die kapitalistische Vernichtung des Kleinbauerntums anders als die des Kleingewerbes. Der Handwerker wird durch die billige Fabrikware aus dem Markte und aus der Produktion geschleudert. Wenn aber der Getreidepreis nicht sinkt, so wird der Bauer, trotz der Rückständigkeit seiner Produktionsart, vom Markte durch die Konkurrenz allein nicht verdrängt. Darum hat der englische landwirtschaftliche Großbetrieb den Boden mit Gewalt von Bauern säubern müssen, um sich entwickeln zu können. Die entwickelte kapitalistische Produktion hat raffiniertere Mittel, um den Bauern loszuwerden An dieser Stelle genügt, zu erwähnen, dass, wenn die kapitalistische Grundrente das Schwert des sinkenden Preises vom Haupte des Bauern abwendet, andererseits der Bauer selbst keine Vorstellung von Grundrente hat. Was er durch seine selbständige Produktion erzeugt, ist oft genug nur armseliger Arbeitslohn. Er begegnet der Grundrente zum ersten Mal und zwar in Gestalt des gestiegenen Bodenpreises, wenn er seinen Boden verkauft (oder verpfändet), d.h. er tritt als kapitalistischer Grundbesitzer nur in dem Moment auf, wo er aufhört, Grundbesitzer zu sein. Will er aber umkehren und wieder Landwirt werden, so begegnet er wieder der Grundrente, die ihm nun den Weg versperrt, wie der Engel mit dem fallenden Schwerte den Eingang in das Paradies. Der Kampf zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb nimmt also in der Landwirtschaft unter dem Einfluss der Grundrente besondere Formen an. 27 Herr Dr. Gustav Ruhland hat entdeckt, dass nach Ricardo eine Steigerung der Preise der Lebensmittel eine Steigerung des Arbeitslohnes nach sich zieht. Dies ist nichts anderes als die bekannte Prämisse des allerweltsbekannten „ehernen Lohngesetzes“. Aber Dr. Gustav Ruhland hat sie neu entdeckt. „Moritz, du bist ein großer Mann!…“ Durch ein Bündel aus dem Zusammenhang gerissener, falsch wiedergegebener Zitate will dann Herr Dr. Gustav Ruhland nachgewiesen haben, dass nach Ricardo die Lage der Arbeiter sich verbessere, wenn die Getreidepreise steigen, weil dann der Arbeitslohn steigt. Jedennoch, wenn Dr. Gustav Ruhland auch nur das kurze Kapitel über Arbeitslohn in Ricardos Werk ganz gelesen hätte, so würde er sich überzeugt haben, dass Ricardo gerade das Gegenteil behauptet und rechnerisch nachweist. Ricardo untersucht den Einfluss des steigenden Getreidepreises auf die Grundrente und den Arbeitslohn. Nachdem er gezeigt, wie der Grundbesitzer seinen Vorteil davon hat, fährt er fort: „Das Schicksal des Arbeiters ist weniger glücklich; es ist zwar wahr, er bekommt mehr Geldlohn, aber sein Getreidelohn ist herabgesetzt; und nicht bloß seine Verfügung über Getreide ist geschwächt, sondern seine Lage im Allgemeinen ist verschlimmert, da er es schwieriger findet, den Marktsatz des Arbeitslohnes über dem natürlichen Satze desselben zu erhalten. Während der Getreidepreis um 10 Prozent steigt, geht der Arbeitslohn stets um weniger als 10 Prozent in die Höhe, aber die Rente steigt immer um mehr: die Lage des Arbeiters verschlimmert sich im Allgemeinen und die des Grundherrn verbessert sich stets“(Kapitel über den Arbeitslohn). Dennoch bringt es Dr. Gustav Ruhland zu Stande, D. Ricardo „mit eherner Konsequenz“ zu einem Agrarier zu stempeln. Herr Dr. Gustav Ruhland verwechselt doch nicht eherne Konsequenz mit einer ehernen Stirn? Nachdem D. Ricardo in dieser Weise abgetan, wendet sich Dr. Gustav Ruhland leichten Fußes an Karl Marx, bei dem der Beweis, dass er ein Agrarier, noch „weit leichter ist“. Marx zerpflückte mit schonungsloser Schärfe die Argumente der englischen Freihändler, die den Arbeitern ein Paradies versprachen, wenn die Korngesetze einmal abgeschafft sind. Er wies nach, dass der sinkende Getreidepreis von einem noch stärker fallenden Arbeitslohn begleitet werden kann. Das genügt! Marx wendet sich gegen die Freihändler, folglich ist er ein verkappter Agrarier. Schließlich hat ja Marx selbst gesagt, er sei als Revolutionär für den Freihandel — folglich muss jeder Nichtrevolutionär gegen den Freihandel sein! Marx untersucht in seiner Rede über den Freihandel nur das Spiel der ökonomischen Kräfte. Ob und inwieweit die Arbeitslöhne bei einem sinkenden Getreidepreis fallen, hängt aber selbstverständlich noch von dem Widerstande ab, den die Arbeiterklasse einer Lohnreduktion gegenüber leisten kann. Marx war der Letzte, die Bedeutung dieses Moments zu bestreiten. Andererseits, wenn Marx die kapitalistischen Industriellen geißelt, so hat er noch weniger Sympathie für die kapitalistischen Grundbesitzer. Wenn einer, so war es Karl Marx, der nachgewiesen hat, in welch brutaler Weise die Grundbesitzer sich durch Ausbeutung der Arbeiter bereichern (siehe besonders „Kapital“, Band I, Kapitel 23, 5e). Marx wies unwiderleglich nach, wie einer Steigerung der Grundrente und des Getreidepreises eine grausame Verschlechterung der Lebenslage der Arbeiter entsprechen kann. Aber Dr. G. Ruhland braucht doch wahrlich die Werke der Schriftsteller nicht zu lesen, über die er sich ein öffentliches Urteil abzugeben anmaßt! „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt Ihr’s nicht aus so legt was unter!“ 28 Die Zahl für Russland ist der von Dr. Franz v. Juraschek bearbeiteten Neuausgabe der Neumann-Spallartschen „Übersichten der Weltwirtschaft“ entnommen, die übrigen Angaben dem Buche von Max Sering über „Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas“. Diesem auf einer ausgezeichneten Forschung beruhenden Werke fehlt vor allem eins: der theoretische Zusammenhang. Deshalb verläuft sich der Verfasser in seinen agrarpolitischen Schlussfolgerungen in eine Sackgasse. Das Ganze klingt in die Melodie aus: „So Gott es will, wird es schon einmal anders. Solange aber die erfreuliche Wendung mit Gottes Fügung nicht eingetreten — Schutzzölle!“ Und doch sprechen gerade die von Sering aufgeführten Tatsachen eine äußerst beredte Sprache. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Sprache ist aber Karl Marx‘ Grundrententheorie. Es verging mehr als ein Vierteljahrhundert, bis die bürgerlichen Ökonomen gelernt haben, Marx‘ allgemeine Auffassung der kapitalistischen Verhältnisse halbwegs richtig zu verstehen. Es scheint ein weiteres Vierteljahrhundert vergehen zu müssen, bis sie den dritten Band des „Kapital“ zu lesen gelernt haben. Vorläufig steht noch selbst Herr Werner Sombart, zweifellos der geistreichste bürgerliche Interpret von Marx‘ „Kapital“, kopfschüttelnd davor und erklärt, Marx‘ agrarische Erörterungen „müssen über Bord gehen; wie weit dann der Rest noch als einheitliche Theorie wird gelten können, lässt sich noch nicht übersehen“. Und doch war es Marx erst, der der Grundrente eine kritische unanfechtbare und in den Hauptzügen vollkommene Fassung gegeben hat. Marx‘ Grundrententheorie verhält sich zu der Ricardoschen wie seine Darstellung des Werts, des Kapitals, des Profits und des Preises zu der klassischen Arbeitswerttheorie. Jedoch wir nehmen Herrn Professor Werner Sombart beim Wort und erwarten von ihm, neben anderen in der „Zukunft“ versprochenen Gräueltaten auch die Überbordwerfung Marx‘ agrarischer Lehren. 29 Die Vulgärökonomie, deren Aufgabe es ist, die Geschäftssprache der Kapitalisten wissenschaftlich zu verdolmetschen, erklärt deshalb auch den Grund und Boden für Kapital. Richtig ist dabei nur, dass das zum Ankauf des Bodens verausgabe Geld Kapital war. Der Grund und Boden ist deshalb ebenso wenig Kapital, wie es etwa Regen ist, weil von Regenwasser durchtränkt. Es ist die Manier der bürgerlichen politischen Ökonomie, gesellschaftliche Verhältnisse als natürliche Eigenschaften der Dinge, die dabei eine Rolle spielen, zu betrachten. Da aber ein und derselbe Gegenstand, je nach den Beziehungen, in die er tritt, jedes Mal anders erscheint, so gerät sie dadurch in unentwirrbar begriffliche Verwicklungen, die einen unerschöpflichen Stoff für scholastische Untersuchungen liefern. So vertiefte sich erst vor kurzem Herr Professor Lujo Brentano in ein sehr fades Gerede darüber, ob das Grundeigentum ein „Amt mit Pflichten“, eine Ware oder Kapital sei? … Der Herr Professor könnte mit demselben Erfolge die Frage untersuchen: Was frisst der Ochse: eine Sinekure, eine Ware, ein Kapital, ein Privateigentum oder ein Bündel Stroh? 30 Es ist nicht lauter Wahnwitz, wenn die Agrarier für die Doppelwährung eintreten, obwohl sie freilich in ihren Erwartungen sehr getäuscht werden können. Eine Entwertung des Geldes zieht eine nominelle Erhöhung der Warenpreise nach sich, d.h. der Wert der waren steigt im Verhältnis zum Geld, aber ihr Austauschverhältnis untereinander bleibt das gleiche. Wenn nun eine allgemeine Teuerung eintritt, so steigt in gleichem Maße auch der nominelle Wert der Grundrente. Wenn der Besitzer von 100 Hektar früher eine Rente von 50 Mark pro Hektar, zusammen also 5.000 Mark empfing, so wird er, bei einer Verteuerung von 10 Prozent, stattdessen 5.500 Mark erhalten. Wenn er diese 5.500 Mark ausschließlich zum Einkauf von Waren verwendet, sei es zum persönlichen Verbrauch oder zu produktiven Zwecken, so ändert sich gar nichts an seiner Situation. Denn er wird die Waren entsprechend höher bezahlen müssen. Anders, wenn en Teil davon zur Zinsenzahlung oder Schuldentilgung verwendet wird. Denn der Betrag der früher vereinbarten Schuld ist der gleiche geblieben, er ist wegen der Teuerung nicht gestiegen. Wenn er also neun Zehntel der Grundrente selbst verbraucht und ein Zehntel zur Schuldenabtragung verwendet, so standen ihm früher zu diesem Zweck 500 Mark frei, jetzt aber 550 Mark! Die nur nominelle Preissteigerung wird für ihn insoweit zu einer sehr realen Verminderung seiner Schuld. Aber die tatsächliche Gestaltung ist nicht so einfach, wie die spekulative Rechnung. Es fragt sich, ob die Warenpreise, auch die Getreidepreise, in demselben Maße würden steigen können wie das Geld sich entwertet? Nämlich, wenn man die ausländische Konkurrenz in Betracht zieht, erscheint die Sache sehr problematisch. Es fragt sich ferner, ob nicht die eingetretene Schwankung der Werte eine wirtschaftliche Stagnation, vielleicht eine Handelskrisis nach sich ziehen würde, die die Preise, statt sie zu erhöhen, noch tiefer hinunter schleudert?! Schon etwas sicherer ist eine andere Spekulation: vielleicht gelingt es, die Arbeitslöhne nicht im gleichen Maße zu erhöhen, als die Warenpreise gestiegen sind. Das wäre freilich reiner Profit, der vom Grundbesitzer sofort als Rente weggeschnappt wird. Darum ist aber auch die Arbeiterklasse auf der Hut, um diese Experimente zu vereiteln. Doch was bei der Operation am meisten verlockt, das ist die Steigerung der Bodenpreise. Die nominelle Steigerung der Grundrente kommt dem Grundbesitzer nur mit jenem winzigen Bruchteil zugute, den er nicht verbraucht, die Steigerung des Bodenpreises aber in vollem Betrage. Nach unserem Beispiel würde er von der gestiegenen Grundrente 50 Mark profitieren, aber bei 4 Prozent Verzinsung würde der Wert seines Bodens um 12.500 Mark gestiegen sein! Nur einen Haken hat die Geschichte. Dieser gestiegene Bodenwert wird vollkommen nur dann realisiert, wenn der Boden verkauft wird. Wird sich unter solchen Verhältnissen ein Käufer finden? Kaum zu erwarten. Aber auf den gestiegenen Wert kann nun eine neue Hypothek aufgenommen werden. Und das ist es, was die Doppelwährung am wahrscheinlichsten nach sich ziehen würde, nicht Schuldentlastung, sondern größere Verschuldung! 31 In den Kolonien, in denen sich ein selbständiges Farmertum bildet, sind die industriellen Arbeitslöhne hoch. Andererseits richten sich hier die landwirtschaftlichen Löhne nach den Industrielöhnen, während im kapitalistischen Stammlande, wie bereits hervorgehoben, die landwirtschaftlichen Löhne bedeutend geringer sind als die Fabriklöhne. Dieses dient in der Kolonie als Hindernis der Entwicklung des kapitalistischen landwirtschaftlichen Großbetriebs. 32 Wenn die Entwicklung der Industrie oder die Organisation der Arbeiterklasse dem nicht in ausreichendem Maße entgegenwirkt, ist also der kapitalistische Großgrundbesitzer auch in Bezug auf das Hungerleiden, „Sichkrummlegen“, den Bauern über, nur dass er nicht selbst Hunger leidet, sondern seine Arbeiter „krumm legt“. Aber der Bauer verfügt zu diesem Zweck nur über seine Familie, der Großgrundbesitzer dagegen über sämtliche Bauern, denen das „Sichkrummlegen“ zu Hause nicht mehr hilft — wenn sie von der Industrie oder der Auswanderung nicht absorbiert werden. 33 Deshalb Careys Grundrententheorie. 34 Dieses zweite Stadium der Entwicklung getreulich widergespiegelt durch Henry George. 35 Gelangt das Grundstück zur Subhastation [Zwangsversteigerung], so hört selbstverständlich diese hemmende Wirkung des Bodenpreises auf, weil eben der letztere entsprechend reduziert wird. Andererseits zeigt sich der Unterschied der Bodenarten auch während der Krise in der Weise, dass eine Vermehrung des Getreideertrags mit mehr oder weniger Produktionskosten verbunden ist. Dieser Unterschied braucht aber mit dem Unterschied der Bodenqualität nicht zusammenzufallen, ja vielfach ist er ihm entgegengesetzt. 36 „Neue Zeit“, Heft 7, S. 198 37 Von 1856 bis 1894, also während 39 Jahren, hat Großbritannien um mindestens rund 400 Millionen Pfund Sterling, das sind 8 Milliarden Mark, mehr Waren aus Russland eingeführt als nach Russland ausgeführt Dieser Geldüberschuss, den zunächst hauptsächlich der Grundbesitz einheimste, kam aber nicht etwa der russischen Industrie zu Gute, sondern dem russischen Absolutismus, der das Geld in Gestalt von drückenden Steuern dem Bauerntum abpresste. Es ist zwar richtig, dass die Geldsteuern die Naturalwirtschaft zersetzen. Aber wenn diese Zersetzung in der einseitigen Weise vor sich geht, dass der Bauer gezwungen wird, immer mehr zu verkaufen, gleichzeitig aber das Bleigewicht der „rückständigen“ Steuern ihm jede Aussicht raubt, seine Kaufkraft zu erweitern, so wird dadurch allein zwar die Ausbeutung, aber nicht die industrielle Entwicklung gefördert. Diese hängt vielmehr davon ab, welche Verwendung das also dem Bauern abgepresste Geld findet, bzw. an welche Gesellschaftsklassen es gelangt. Der russische Absolutismus tat noch ein Übriges, indem er die industrielle Einfuhr mit Zöllen belegte. Weit entfernt, damit die heimische Industrie zu schützen, die noch nicht da war, hat er dadurch vielmehr die Entwicklung des industriellen Bedarfs, folglich indirekt der heimischen Industrie, verhindert. Beides geschah nicht bloß aus Einsichtslosigkeit, sondern weil das Zarentum genötigt war, einen kapitalistischen Militarismus zu entwickeln, noch bevor das Zarenreich die ökonomische Voraussetzung dieses Militarismus, die kapitalistische Industrie, gebildet hatte. 38 Vergl. Unsere Skizze 2: „England und Europa“, „Neue Zeit“, Heft 7, S. 199ff. 39 Der Großbetrieb bei der Getreideproduktion hatte übrigens in England eine geschichtliche Vorbedingung in dem auf der Schafzucht beruhenden Großbetrieb, der seinerseits bekanntlich durch die Entwicklung der Wollmanufaktur bedingt war. Im Allgemeinen entwickelt sich die kapitalistische Landwirtschaft nur als Umformung bestehender Besitzverhältnisse, währenddem die kapitalistische Industrie rechtlich nur der allgemeinen Voraussetzung des Privateigentums bedarf. „Ein landwirtschaftlicher Großbetrieb bedarf in der heutigen Gesellschaft noch einer weiteren Vorbedingung: eines Großgrundbesitzes; dieser aber kann in einem Lande mit kleinbäuerlicher Produktionsweise nur geschaffen werden durch Vernichtung von Kleinbetrieben. In der Industrie ist diese Vernichtung die Folge der Entwicklung des Großbetriebs, in der Landwirtschaft deren Vorbedingung. Der kapitalistische Betrieb der Landwirtschaft entwickelt sich daher zuerst in den Ländern kapitalistischer Produktion, in denen von vornherein ein Großgrundbesitz bestand, wie in England. … Dieser Großgrundbesitz wurde geschaffen durch Gewalt, durch gewaltsame Verletzung der Gesetze des Privateigentums.“ K. Kautsky[: Ein Nachtrag zu der Diskussion über die Konkurrenzfähigkeit des Kleinbetriebs in der Landwirtschaft] in Heft 2 der „Neuen Zeit“ dieses Jahrgangs (1895/96, XIV. Jahrgang, Band I, [S. 45-52, hier] S. 51). 40 Das haben die russischen Gutsbesitzer erfahren, als sie anfangs der sechziger Jahre, nach der Bauernbefreiung, den spontanen Wunsch bekamen, den ihnen abhanden gekommenen Bauer durch die „Maschine“ zu ersetzen. Aber die Einführung englischer Agrikulturtechnik auf den Feldern, auf denen soeben der leibeigene Bauer schweißtriefend mit seinem elenden Gespann den Hakenpflug zog, hatte ein rasches Ende mit Schrecken. Zweifellos spielten dabei auch Unwissenheit und Borniertheit eine große Rolle. Aber schließlich hätte man doch auch in Russland ebenso gut gelernt, die landwirtschaftlichen Maschinen zu leiten, wie der Kaffer und der Chinese gelernt hatten, das komplizierte moderne Gewehr zu gebrauchen oder wie der russische Fabrikarbeiter gelernt hat, an der Mule-Jenny und dem Jacquard-Stuhl zu arbeiten — wenn eben die ökonomische Vorbedingung eines intensiven maschinellen landwirtschaftlichen Großbetriebs nach englischer Art in Russland vorhanden wären. Dass das Repräsentativsystem sich nicht schlichtweg übertragen lässt, davon haben die Dekabristen nach 1825 einen ruhmreichen Beweis abgelegt, und die englischen Banknoten, ins Russische übersetzt, heißen — Assignaten. Aber die Zustände entwickeln sich selbst in Russland. Die Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen greift rasch um sich. Es ist sogar eine russische Agronomie entstanden, die die wesentlichen technischen Mittel des rationellen Großbetriebs in Russland bereits entdeckt. Die Abschaffung des Papierrubels ist zu einer dringenden Notwendigkeit geworden. Und man eröffne heute ein russisches Parlament, so wird es sofort überschwemmt von Juristen und Professoren. Quod erat demonstrandum! [=Was zu beweisen war!] 41 Es sind also nicht die Schutzzölle, die die nationale Industrie schaffen. Die Schutzzölle sind vielmehr das Zeichen eines bereits erreichten Grades der industriellen Entwicklung. Die Schutzzölle werden nicht dazu geschaffen, um das heimische Handwerk, sondern um die heimischen Fabriken zu schützen — folglich müssen diese schon da sein. Die Schutzzölle sind bereits der Ausdruck des Konflikts zweier nationaler Industrien. Sie sind ein Mittel der treibhausmäßigen Förderung der nationalen Produktion. Sie sind ein Mittel, sich die Vorteile des Handelsverkehrs mit einem industriell mehr entwickelten Lande zu sichern und sich gleichzeitig vor dessen Nachteilen zu bewahren. Würde man aber nicht einseitig verfahren, sondern sich von diesem Handelsverkehr gänzlich abschließen, so würde man, statt einer industriellen Entwicklung, eine industrielle Stagnation erhalten — ein Beweis, dass diese Entwicklung von den Schutzzöllen ebenso wenig gemacht ist wie der Rahm von dem Löffel, mit dem er abgeschöpft wird. Ohne den Handelsverkehr Deutschlands und Amerikas mit England gäbe es keine deutsche und keine amerikanische Industrie. 42 Vergl. Skizze 6: „Industrie und Landwirtschaft.“ „Neue Zeit“ Heft 17, S. 522ff. 43 Meitzen, der gewiss patriotisch und gutgesinnt ist, berechnet den wirtschaftlichen Wert der abgelösten Hand- und Spanndienste (11/3 Million Handarbeits- und 54/5 Million Gespannarbeitstage pro Jahr) auf 5 Millionen Taler jährlich. Mit 25, die bei der Ablösung angenommen, kapitalisiert, macht dies 125 Millionen Taler. Dem gegenüber betrug, wiederum nach Meitzen, die wirkliche Abfindungssumme, d.h. was die Bauern für die Befreiung von den Reallasten zu zahlen hatten, 214 Millionen Taler! Die Bauern wurden also um 90 Millionen Taler, d.h. um vier Zehntel der gezahlten Abfindung einfach geprellt! (A. Meitzen, „Der Boden und die landw. Verhältnisse des preuß. Staats“, Bd. I, S. 437.) 44 „Beiträge zur Statistik Mecklenburgs“, Band I, 1880, S. 87 45 Skizze 6 in Heft 18, S. 554ff. 46 Da der Boden nicht als Rentenquelle gekauft werden konnte, so musste man die Rente als solche, getrennt vom Boden, kaufen. Deshalb der „Rentenkauf“, diese präkapitalistische Einrichtung, für die Rodbertus schwärmte. Aber wollte man der Hypothek, die der kapitalistische Rentenkauf ist, die allerdings sehr schwankende Sicherung durch den Bodenwert nehmen, so würde das zu ähnlichen Unzuträglichkeiten führen, wie Banknoten ohne Metalldeckung, die ja auch zu einem großen Teil fingiert zu sein pflegt. Rodbertus und dessen Epigonen gleichen in diesem dem Ritter von der traurigen Gestalt: sie weihen ihre Tätigkeit ihrer Dulcinea, die sie für eine romantische Burgfrau halten, und wollen gar nicht merken, dass sie ein Schnaps brennender Junker ist, der in Kürassierstiefeln steckt. Damit soll keineswegs bestritten werden, dass Rodbertus den Junkern bittere Wahrheiten sagte, — aber im letzten Grunde behauptete er doch immer, Dulcinea sei die schönste Frau, und er kämpfte trotz allem, für den junkerlichen Grundbesitz — wohlgemerkt für den junkerlichen und nicht etwa den bäuerlichen oder den bürgerlich-kapitalistischen. 47 „Der Moment, wo die großen Landgüter Mecklenburgs — auch Pommerns — ihre Produkte dem Auslande zuwendeten, wo sie dort ihren Bedarf befriedigten und das Inland mehr und mehr diesen ihren Zwecken unterordneten, war der, wo die ländlichen Verhältnisse des Landes ihre ursprüngliche Natur verloren, wo die Bodenproduktion in die künstliche Tendenz des Gelderwerbes aufging, mithin ein weites Ziel, einen Zweck außer sich selbst erstrebte. Dieser Moment — wie man ihn auch sonst bezeichnen mag — kann nicht scharf genug ins Auge gefasst werden.“ „Die Kreditnot der Landgüter“, von K. F. Deiters. Zweite, vermehrte Ausgabe von „Auswanderung, Arbeitslohn und Bodenwert“. Frankfurt am Main, Verlag der F. Bosellischen Buchhandlung. 1869. Diese Schrift, die in den sechziger Jahren einiges Aufsehen erregte, ist gänzlich verschollen. Sie ist in der deutschen bürgerlichen Ökonomie eine der scharfsinnigsten Betrachtungen der kapitalistischen Landwirtschaft. 48 Wenn Friedrich Engels in seiner jüngst veröffentlichten Arbeit über das Wertgesetz („Neue Zeit“ 1895/96, Band I, S. 4-11 und 37-44 [Marx Engels Werke Band 25, a.a.O., S. 897-917]) annimmt, dass um diese Zeit, die Zeit des städtischen Handwerks und, im Großen und Ganzen, der Naturalwirtschaft in der Agrikultur, die Waren sich tatsächlich annähernd nach der in ihnen enthaltenen Arbeitsmenge umtauschten, so können wir dem nicht zustimmen. Engels meint, der Bauer und der Handwerker tauschten deshalb ihre Produkte nach den verausgabten Arbeitsmengen untereinander, weil sie auf die Produktion nichts, außer ihrer Arbeit, aufzuwenden hatten und weil ihnen die gegenseitigen Arbeitsbedingungen bekannt waren. Gesetzt auch, diese Voraussetzungen seien richtig, so ergibt sich doch daraus nur der Wille beider Parteien, nach Arbeitszeit zu tauschen. Die Hauptfrage aber ist, ob die ökonomischen Verhältnisse, die Beziehungen, in denen die Gesellschaftsklassen unter der Herrschaft jener Produktionsformen zu einander standen, dies auch zuließen. Aber wie konnte der Bauer, der dem Gutsherrn Hand- und Spanndienste zu leisten hatte, dessen Arbeitszeit, manchmal in einem bunten Durcheinander, bald der Gutswirtschaft, bald seiner eigenen Wirtschaft sich zuzuwenden hatte, der außerdem noch einen Teil des Produkts an den Gutsbesitzer abzugeben hatte, der dafür auch seinerseits einige Gegenleistungen bekam, der eine Menge der verschiedensten Gegenstände produzierte, vom Getreide an bis auf Wolle und Leinen, die vielleicht noch weiter von seiner Frau, Mutter, Töchtern verarbeitet wurden, ferner Butter, Käse, Talg, Borsten, Geflügel, Eier etc., der einen großen Teil der erzeugten Produkte in seiner eigenen Wirtschaft als Rohstoffe und Produktionsmittel sofort wieder verwendete, einen weiteren Teil zum eigenen Lebensunterhalt gebrauchte, dessen Arbeitstag überdies ungemessen blieb und ungleich war, je nach der Jahreszeit, der auch nicht allein, sondern samt Frau und Kindern und vielleicht noch alten Eltern arbeitete, wobei noch die Produktivität seiner Arbeit vom Wetter und sonstigen zufälligen Verhältnissen abhing, wie konnte dieser Bauer die Arbeitszeit bestimmen, die im Wagen Heu stak, den er zum Markte fuhr, respektive im Sack Getreide oder im Schock Eier oder im Fässchen Butter, die er an den Handwerker abgab? Im Verkehr des Gutsherrn mit dem Handwerker ist von Arbeitswertgesetz ebenso wenig die Rede. Zahlt der Gutsherr in Naturalien, so entnimmt er sie seinen Speichern, in die es seine tributären Bauern niedergelegt haben, und da erscheint es ihm alles weniger denn als Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Zahlt er in Geld, so sind das Werte, die er schon fertig aus dem Verkehr bekommt. Im Handelsverkehr des Gutsherrn und aller Anderen, mit dem Kaufmann war vollends von Arbeitszeit keine Rede. Der Kaufmann brachte Tücher, Kostbarkeiten, Gewürze, Pelze usw. — lauter Produkte der entferntesten Gegenden, erlangt auf einem Handelswege voll Schwierigkeiten und Zufälligkeiten, die deshalb einen Monopolpreis hatten. Auch im Tauschverkehr der Handwerker untereinander galt das Wertgesetz in der von Engels vorausgesetzten Weise nicht. Die von den einzelnen Handwerkern verwendete Arbeitszeit war allerdings bestimmbar und messbar — diese Rechnung wird später in der kapitalistischen Fabrik noch viel genauer angestellt — aber die Sache haperte schon, wie eben auch in der kapitalistischen Produktion, an dem Wert der Rohstoffe und Produktionsmittel. Der Barchent- und Samtweber, der Goldschmied, der Kürschner, zum Teil auch der Tuchschneider kauften ihre Rohstoffe beim Kaufmann; sie hatten also insofern mit fertigen Warenwerten zu rechnen, bei deren Bildung, wie angegeben, die Arbeitszeit eine höchst untergeordnete Rolle spielte. Auch andere Handwerker, wie der Schlosser, der Zinngießer, der Böttcher mussten bedeutende Rohstoffe, teils beim Kaufmann, teils beim Bauern erwerben. Selbst der Aufwand an Produktionsmitteln war für manche Handwerke durchaus nicht gering. Vor allem aber kommt für den Tauschverkehr der Handwerker untereinander in Betracht, dass er ja mitbedingt war durch den Handelsverkehr der Handwerker mit den übrigen Gesellschaftsklassen. Davon, wie der Handwerker seine Geschäfte mit dem Bauern, dem Gutsherrn und dem Kaufmann abgeschlossen hatte, hing es wesentlich ab, wie groß seine Kaufkraft für andere Handwerkerarbeiten war. Es kann aber überhaupt kein partielles Wertgesetz, das nur für eine Gesellschaftsklasse gilt, gehen. Dies führt uns zur folgenden allgemeinen Erwägung: Solange die kapitalistische Grundrente sich noch nicht gebildet hat — zu den im Text angeführten Gründen fügen wir noch hinzu, dass dies bereits das Vorhandensein einer durchschnittlichen industriellen Profitrate voraussetzt — findet auch kein Ausgleich der individuellen Produktionspreise des Getreides zu einem allgemeinen Produktionspreis statt. In den verschiedenen Wirtschaften hat aber dieselbe Getreidemenge, in Folge der Verschiedenheit des Bodenertrags, einen verschiedenen Wert. Ein Sack Roggen repräsentiert bald 12, bald 15, bald 18 Arbeitsstunden. Wird nun noch der Arbeitsmenge getauscht, so muss offenbar der Handwerker für dieselbe Arbeit von verschiedenen Landwirten verschiedene Getreidemengen in Umtausch kriegen. Der gleiche Rock wird hier mit 1 Sack Weizen, dort mit 1¾ oder 1½ Säcken austauschbar sein. Dann aber, wie viel wird ein Sack Weizen in der Stadt gelten? In dem Moment aber, wo sich in der Stadt ein allgemeiner Marktpreis für Getreide bildet, gilt die Bestimmung nach der Arbeitsmenge nicht mehr! Das Wertgesetz bedarf der kapitalistischen Grundrente, um zur Geltung zu kommen. Es bedarf dazu auch des Profits. Darum kommt es auch nicht in der einfachen Weise der Austauschbarkeit der Waren nach den in ihnen enthaltenen Arbeitsmengen zum Vorschein. Die geschichtliche Konstruktion, die Engels macht, knüpft an eine Stelle im dritten Band des „Kapital“ an, die keineswegs eine andere Auslegung gänzlich ausschließt. Jedenfalls können andere Erörterungen aus dem „Kapital“ angeführt werden die einer solchen Deutung widersprechen. Wir begnügen uns mit folgendem Zitat aus dem dritten Band, auf den es ja in erster Linie ankommt: „Wenn das Land im Mittelalter die Stadt politisch ausbeutet, überall da, wo der Feudalismus nicht durch ausnahmsweise städtische Entwicklung gebrochen ist, wie in Italien, so exploitiert die Stadt überall und ohne Ausnahme das Land ökonomisch durch ihre Monopolpreise, ihr Steuersystem, ihr Zunftwesen, ihren direkten kaufmännischen Betrug und ihren Wucher.“ („Kapital“, Band 3, Teil II, S. 334 [Marx Engels Werke, Band 25, a.a.O., S. 809]). Unsere Erörterung schließt selbstverständlich keineswegs aus, dass man einen abstrakten Fall selbständiger Warenproduzenten, die nach Arbeitsmengen tauschen, konstruieren kann, etwa in gleicher Weise, wie man experimentell einen luftleeren Raum konstruiert, um das Fallgesetz nachzuweisen. Ob das Wertgesetz in solcher Weise geschichtlich je gegolten hat oder nicht, ist für dessen Geltung in der kapitalistischen Gesellschaft ebenso ohne Bedeutung wie für das Gesetz des Falles auf unserer Erde, ob außerhalb der Erdatmosphäre sich völlige Leere vorfindet. Wie das Gesetz der geradlinigen Fortpflanzung des Lichtes nur in den scheinbar widersprechenden Erscheinungen der Brechung und Reflexion, das Gesetz der gleichmäßigen Anziehung aller Materiepartikelchen durch die Erde, wodurch bekanntlich ein gleich schnelles Fallen aller Körper bedingt sein muss, in seiner scheinbaren Aufhebung, in dem ungleichmäßigen Fallen zur Geltung kommt, so kommt auch das Wertgesetz in Erscheinungen zum Ausdruck, die ihm anscheinend widersprechen, die aber eben anders gar nicht zu erklären wären, deren ganze Gesetzmäßigkeit wie die Gesetzmäßigkeit, mit der ein Körper durch die Luft fällt, in ihrem Charakter als Widerspruch liegt. 49 „Es ist bekannt, dass kein europäisches Land so unmittelbar, in solchem Umfang und mit solcher Intensität von den Wirkungen der englischen Krise getroffen wird als Deutschland. Der Grund ist einfach: Deutschland bildet den größten kontinentalen Absatzmarkt für England, und die deutschen Hauptexportartikel Wolle und Getreide finden in England ihr bei weitem entscheidendes Débouché (ihren Absatz).“ Karl Marx in der Revue der „Neuen Rheinischen Zeitung“, Heft 4, 1850 [Marx Engels Werke, Band 7, Berlin 1960, S. 292-295, hier S. 294]. Wir haben an anderer Stelle darauf hingewiesen, wie sich seitdem das Handelsverhältnis zwischen England und Deutschland geändert hat. 50 Die bereits erwähnte „Neue Rheinische Zeitung“ von 1850 gibt eine höchst interessante Beleuchtung dieser Zusammenhänge. 51 Rodbertus: „Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot der Grundbesitzer.“ 1868 52 [Pindar war ein griechischer Lyriker. Marx verwendete im „Kapital“ Pindar als Symbolfigur für Schönfärber: „Pinto, der Pindar der Amsterdamer Börse“, „Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik“, „bis heutzutag blieb die Liverpooler ‚Ehrbarkeit‘ Pindar des Sklavenhandels“ (Marx Engels Werke Band 23, Berlin 1972, S. 165 (Fußnote), 441 und 787)] 53 „Dieser Meinung ist auch Professor Conrad, dessen statistischen Zusammenstellungen über „Agrarkrisen“ in seinem Handwörterbuch der Staatswissenschaften überhaupt sehr lesenswert sind. 54 Das war die kleinere Kreditstockung der fünfziger Jahre, welche die erste Schrift Rodbertus‘ über das Hypothekenwesen nach sich zog. („Die Handelskrisen und die Hypothekennot der Grundbesitzer.“ Berlin 1858.) Rodbertus, wie jeder bedeutende Forscher, ist nur aus seiner Zeit zu begreifen. Wie seine Theorie der Agrarkrisen nach der „Hypothekennot“ der fünfziger und sechziger Jahre zugeschnitten ist, so ist auch seine Grundrententheorie der Reflex der kapitalistischen Entwicklung der junkerlichen Landwirtschaft. Um diese Entwicklung zu erklären genügt, wie sich schon aus unserer flüchtigen Skizze ergibt, der Unterschied der Bodenqualität, die Differenzialrente, die Ricardo allein kannte, nicht. Deshalb Rodbertus‘ Widerspruch gegen Ricardo, der ihn sehr nahe daran führte, die Theorie der absoluten Grundrente zu entwickeln. 55 Max Sering, die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas. S. 181 56 Die während dieses Zeitraums dreimal stattgehabte Erhöhung der russischen Einfuhrzölle, die reine Finanzzölle waren, ist ihrerseits als Ergebnis der industriellen Stockung zu betrachten. 57 So erklärt sich das scheinbare Paradoxon, das wir in der Einleitung zu unserer Untersuchung hervorhoben: „dass die große amerikanische Zufuhr durch die niedrigen europäischen Preise bedingt sei“ („Neue Zeit“, Heft 7, S. 198). Von 1869 bis inklusive 1877 führten die Vereinigten Staaten circa 23 Prozent ihrer Weizenproduktion aus, von 1878 bis 1893 aber etwa 31 Prozent. 58 Dabei hat der relative Konsum abgenommen von 114,6 Kilogramm auf 109 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung Bremens. Das ist aber keine Ausnahme. Nach Juraschek verminderte sich der durchschnittliche jährliche Getreideverbrauch Deutschlands von 185 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung in den Jahren 1880/81 bis 1884/85 auf 176 Kilogramm in den Jahren 1885/87 bis 1889/90. Da also eine relative Verminderung der verfügbaren Getreidemenge stattfand, andererseits der Getreideverbrauch der Städte, betrachtet man Bremen als Typus, bedeutend mehr wuchs als die Gesamtbevölkerung des Landes — diese vermehrte sich während des im Text angegebenen Zeitraums nur um etwa 16 Prozent — so musste folglich die Landbevölkerung einen immer größeren Teil des produzierten Getreides an die Städte abgegeben haben. Bei sinkenden Getreidepreisen ging der Getreidekonsum zurück, und bei zurückgehendem Getreidekonsum stieg der inländische Getreideverkehr. Vgl. unsere Skizze 5: „Agrarische Widersprüche“ unter 3 und 4. 59 Skizze 3, „Neue Zeit“, Heft 9, S. 283. |