Parvus: Partei-Angelegenheiten [Sächsische Arbeiter-Zeitung Nr. 46 (25. Februar 98)] Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat in ihrer gestrigen Sitzung folgenden Beschluss gefasst: Nachdem die Fraktion auf Grund der Erklärung des Genossen Heine sich überzeugt, dass der Gedanke ihm fern gelegen hat, sich mit dem herrschenden System in eine Kompensationspolitik einzulassen, und dass er durchaus auf dem Standpunkt der bisherigen Taktik der Partei und der Fraktion steht, erklärt die Fraktion, dass für sie die Angelegenheit befriedigend erledigt ist. Die Äußerungen des Herrn Rechtsanwalts Heine in der Versammlung und die authentische Darstellung im “Vorwärts” ließen keinen Zweifel, dass wir es hier mit einem grundsätzlichen Opportunisten zu tun haben. Welcher Art können nun seine Erklärungen in der Fraktion gewesen sein, dass sich diese “befriedigt” fühlt? Uns und wohl auch vielen anderen in der Partei wird diese Entscheidung unbegreiflich erscheinen. Es ist deshalb notwendig, dass eine Erklärung über die folgenden Punkte erfolgt: [1.] Ob Herr Rechtsanwalt Heine bereit sei, unter allen Umständen, den Fall eines bereits eingetretenen Krieges ausgenommen1, gegen sämtliche Aufwendungen für Waffen, Geschütze, Munition, Festungs- und Kriegsschiffbauten, Vermehrung des stehenden Heeres und Vermehrung der Kriegsflotte zu stimmen, so lange nicht die Staatsmacht im Besitze einer sozialdemokratischen Regierung oder die Volksmiliz eingeführt worden ist? 2. Ob der Herr Rechtsanwalt Heine bereit ist, gegen sämtliche Zölle und Verbrauchssteuern zu stimmen und dem Staat jeden Mann und jeden Groschen zu verweigern, bis die Staatsmacht in die Hände einer proletarischen Regierung überführt ist? 3. Ob Herr Rechtsanwalt Heine bereit ist, bei allen anderen parlamentarischen Abstimmungen sich einzig dadurch leiten zu lassen, ob das zur Abstimmung gelangende Gesetz für die Arbeiterklasse vorteilhaft oder nachteilig ist und in keinem Fall dadurch, ob die Regierung für die Zustimmung bestimmte Kompensationen verspricht bzw. in Aussicht stellt? 4. Ob Herr Rechtsanwalt Heine mit den bisherigen Abstimmungen der Partei bei den Arbeiterversicherungsgesetzen einverstanden sei? 1Die Einschränkung "den Fall eines bereits eingetretenen Krieges ausgenommen" zeigt die politischen Schwächen selbst des revolutionären Flügels der damaligen Sozialdemokratie. Erstens begann damals das imperialistische Stadium des Kapitalismus, in dem ein imperialistisches Land wie Deutschland keine fortschrittlichen Kriege mehr führen konnte. Zweitens bedeutet die Zustimmung von Militärausgaben im Krieg auch eine Vertrauenserklärung für die Art, wie die Regierung den Krieg führt. Z.B. Der Kampf gegen Franco im spanischen Bürgerkrieg war fortschrittlich, aber: ”Für den Militärhaushalt der Negrin-Regierung zu stimmen, bedeutet, ihr politisch zu vertrauen … Das wäre ein Verbrechen. (…) Wir haben nicht das geringste Vertrauen in die Fähigkeit dieser Regierung, den Krieg zu führen und den Sieg zu sichern. Wir klagen die Regierung an, die Reichen zu schützen und die Armen hungern zu lassen. Diese Regierung muss zerschmettert werden. So lange wir nicht stark genug waren, sie zu ersetzen, kämpfen wir unter ihrem Befehl. Aber bei jeder Gelegenheit drücken wir offen unser Misstrauen in sie aus: Das ist die einzige Möglichkeit, die Massen politisch gegen diese Regierung zu mobilisieren und ihren Sturz vorzubereiten. Jede andere Politik wäre Verrat an der Revolution.” (Leo Trotzki, Brief an Max Shachtman, 20. September 1937, nach Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus) |