Vérité: Zur Lage in Frankreich [Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 9 (Anfang Mai 1932), S. 8] In der Vérité vom 15. März veröffentlichen unsere Genossen einen offenen Brief an alle Kommunisten anlässlich des 7. Parteitages der KPF. Wir bringen im Folgenden einige interessante Stellen aus dem sehr umfangreichen Dokument. Inzwischen hat der Parteitag stattgefunden. Er hat dieselbe Phrasen wiedergekäut, die auch wir genügend kennen: «Sozialfaschismus» etc. Bemerkenswert, dass weder ein Vertreter der Komintern anwesend war noch ein Brief des EKKI vorlag. Auch hier wartet Stalin die bevorstehenden «Wahlerfolge» ab. Kämpfe innerhalb des französischen Imperialismus. Im französischen Imperialismus heben sich immer stärker zwei gegnerische Lager heraus. Einerseits haben die große Metallindustrie und die an ihr beteiligten Banken ein dringendes Interesse daran, den Marsch auf den Krieg zu beschleunigen. Andererseits ziehen die Textilgruppen, die leichte und mittlere verarbeitende Industrie und die sie finanzierenden Banken eine Verlängerung der Friedensperiode vor, um erst nach einer minutiösen Vorbereitung der Ausgangsstellungen zum Krieg die Zuflucht zu nehmen. Die erstere, rechte, Gruppe ist eine Vertreterin der größten Hartnäckigkeit im Kampf um die europäische Vorherrschaft. Um freie Hand zu haben, versucht sie, die Arbeiterklasse der Hauptstadt, die nationale Bewegung im Elsass und die indochinesische Kolonialrevolte durch mitleidlose Unterdrückung mattzusetzen. Die zweite, linke, Gruppe ist eine Vertreterin einer im Kampf um die Hegemonie in Europa nachgiebigeren Politik. Die fühlbare Steigerung der Unzufriedenheit unter den Arbeitermassen der Metropole und der Kolonien versucht sie vielmehr durch die Einschläferung des Willens zum Klassenkampf bei den Ausgebeuteten abzustumpfen, indem sie zu diesem Zweck, ohne auf etwas zu verzichten wohlverstanden, die Sozialdemokratie mit zur Unterdrückung heranzieht. Diese beiden widerstreitenden Gruppen haben lange auf der Basis eines Kompromisses Tardieu-Briand gelebt. Dann gelang es der rechten Gruppe, die linke aus der Regierung zu entfernen. Dieser Sieg wurde offenbar mit der Niederlage Briands in der Präsidentenwahl und mit seinem Ausscheiden aus der Regierung. Aber die verstärkte politische Isolierung Frankreichs, die Nähe der Wahlen, die Unmöglichkeit, in einer Zeit der vertieften Krise der Unzufriedenheit der Arbeiter und des ganzen Volks ein Ende zu machen, haben eine halbe Wendung verursacht. Bei Gelegenheit der Wahlreform hat der Senat im Einverständnis mit der Präsidentschaft der Republik das Kabinett Laval-Tardieu gestürzt und so einen Druck zugunsten eines neuen Kompromisses zwischen dem rechten und dem linken Flügel des französischen Imperialismus ausgeübt. Indessen hört der Kampf zwischen den beiden gegnerischen Lagern nicht auf, und die reformistischen Führer beteiligen sich dabei, indem sie sich natürlich auf bürgerlichem Boden halten. Die Krise vertieft sich in Frankreich. Die Weltkrise hat sich in Frankreich zuerst nur zögernd und in abgeschwächter Form verbreitet. Aber jetzt entwickelt sie sich voll. Sie wächst und wird immer mehr das Missverhältnis zwischen der tatsächlichen Stärke Frankreichs und seiner heutigen Stellung in der Welt erscheinen lassen. Jede Verschärfung der Krise im Ausland wird sich immer stärker in Frankreich bemerkbar machen, wo das Etatdefizit, das zu erwarten ist, schon 7 bis 8 Milliarden beträgt, wo die völlige Arbeitslosigkeit schon fast zwei Millionen Arbeiter betroffen hat, ohne die sich verallgemeinernde Teilarbeitslosigkeit mitzurechnen, wo das Land mit Schleuderpreisen für seine Erzeugnisse und mit einer Erhöhung der hypothekarischen Schulden geschlagen ist. Jede Linderung der Krise in der übrigen Welt würde wahrscheinlich die Krise in Frankreich verschärfen. Aber das Umgekehrte wäre nicht der Fall. Jede selbst vorübergehende Erholung in der Lage eines anderen Landes würde ihm die in den Banken deponierten fremden wandernden Kapitalien, die zwanzig Milliarden französischer Spargelder mindern. So wird jede Linderung der Krise außerhalb Frankreichs eine Zeit lang dessen finanzielle, ökonomische und Etatlage verschärfen. Die Lage ist natürlich sehr verwickelt. Es ist zum Beispiel unbestreitbar, dass die japanischen Kriegsbestellungen ein gewisses Wiederaufleben der industriellen Tätigkeit hervorgerufen haben. Aber wenn man die verschiedenen Daten der Lage mit Aufmerksamkeit überprüft, muss man die Perspektive der Verlängerung und Verschärfung der Krise für die wahrscheinlichere halten. Die Aussichten. Wenn Hitler in Deutschland nicht in sehr kurzer Zeit siegt, ist es sehr gut möglich, dass die nahen Wahlen eine Linksregierung in Frankreich an die Macht bringen, mit parlamentarischer Unterstützung oder Teilnahme an der Regierung von Seiten der Sozialisten. Eine solche Regierung würde als ein in einer Krise benutztes Werkzeug des französischen Imperialismus sehr schnell genötigt sein, sich offen gegen die Arbeiter in der Stadt und die werktätige Landbevölkerung zu wenden. Aber eine solche politische Schwenkung könnte nicht ohne ernsthaften Widerstand vollzogen werden. Die Massen sind von den in ihnen erwachten Hoffnungen aufgepeitscht und werden um deren Erfüllung kämpfen. Wenn sie dann ihre reformistischen Illusionen verlieren und die Entwicklung der Krise sie anspornt, werden sie die Tendenz zeigen, sich der kommunistischen Partei zuzuwenden und diese könnte, unter der Bedingung, dass sie eine richtige Politik treibt, sich an die Spitze des Kampfes stellen und schnell ihren Einfluss vorwärts entwickeln. Die Entfaltung der kämpferischen Aktivität der Massen kann gleicherweise auf die verschärfte Krise wie auf den Nachhall der großen internationalen Ereignisse zurückgeführt werden, wie den revolutionären Kampf in Deutschland, die Entwicklung des Krieges im Fernen Osten oder einen imperialistischen Angriff gegen die Sowjetunion. Man muss aufmerksam jede Veränderung der gegebenen inneren und ausländischen Größen überwachen, von denen die Entwicklung der Situation in Frankreich abhängt. Die Taktik bei den Wahlen. Man muss in der Regel sich im zweiten Gang zurückziehen jedes Mal dann, wenn die Aufrechterhaltung des kommunistischen Kandidaten zur Wahl des bürgerlichen anstelle des sozialistischen Kandidaten führte. Diese Rückzüge müssen von aktiver Propaganda vor den sozialistischen Zuhörern begleitet sein, um die wahre Rolle deren Führer und deren Organisationen anzuprangern. Auf jeden Fall, ob man sich nun zurückzieht oder nicht, muss die Wahlkampagne auf kommunistischer Basis ohne den geringsten Kompromiss erfolgen, denn die Einheitsfront bildet sich im direkten Kampf und nicht an der Wahlurne. Wenn sich der Aufschwung, der von der kommunistischen Kampagne hervorgerufen ist, sich genügend entfalten kann zu einem Sieg im zweiten Wahlgang, muss der kommunistische Kandidat wieder aufgestellt werden. Diese Taktik, die von der ganzen Internationale bis 1925 geübt wurde, gestattet den Arbeiter-Sozialisten, die ein offenes Ohr für die kommunistischen Kritiker haben, in der Erfahrung in ihren reformistischen Illusionen enttäuscht zu werden. |
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