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Leo Trotzki 19280114 An die oppositionellen Kommunisten aller Länder

Leo Trotzki: An die oppositionellen Kommunisten aller Länder

[Nach Die Aktion, 18. Jahrgang, Heft 2/3 (März-April 1928) Spalte 27-31]

I

1. Man muss klar verstehen, dass der Abfall der Kapitulanten (Sinowjew-Kamenew) von der Opposition alle Elemente der internationalen Opposition auf die Probe stellt. Mit der Opposition der KPdSU oder mit den Kapitulanten? So und nur so muss jetzt für alle einzelnen Gruppen in Europa und für jeden einzelnen Oppositionellen die Frage gestellt werden. Mit den Kapitulanten muss man erbarmungslos brechen, von den Schwankenden und Abwartenden muss man sich öffentlich abgrenzen.

2. Der Verrat Sinowjews und Kamenews ist eine historische Tatsache. Man muss schon jetzt aus dieser Tatsache alle wichtigen Lehren für die Zukunft ziehen.

3. Das Verhalten von M. R.1 scheint in dieser Hinsicht zweideutig. M. tritt faktisch für Sinowjew und Kamenew ein, indem er beweist, dass sie nur wenig schlechter als die anderen sind, d.h. er versucht die Grenze zwischen den Revolutionären und den Kapitulanten zu verwischen. Diese faktische Unterstützung der Kapitulanten versucht, sich auf die erste und zweite Erklärung des linken Flügels zu stützen. Beide Erklärungen enthalten in der Tat außerordentliche Zugeständnisse. Aber das sind Zugeständnisse an Sinowjew und Kamenew. Das aber war der letzte Versuch, die Spaltung zu vermeiden (einige Genossen unter uns hofften auf die Möglichkeit, die Einheit durch Zugeständnisse an Sinowjew-Kamenew erkaufen zu können.) Als der Bruch eintrat, reichte die Opposition im Gegensatz zu den Kapitulanten eine von Smilga, Muralow, Rakowski und Radek unterzeichnete Erklärung ein. Wenn man nach diesen Ereignissen zwischen Oppositionellen und Kapitulanten nicht unterscheidet, so heißt das bereits, die Kapitulanten bewusst unterstützen.

4. Die Erklärung der Führer der Opposition an das Exekutivkomitee der Komintern lässt bereits keinen Platz für Zweifel und Schwankungen. Wenn M. auch weiterhin sich S. K. annähern wird, so werden wir uns zu M. wie zu einem bewussten Gegner verhalten müssen.

5. Die Erklärung an das EKKI mit den hinzugefügten kurzen Biographien derjenigen, die dieses Dokument unterschrieben, muss so weit wie möglich verbreitet werden. Jede oppositionelle Gruppe muss vor die Frage: für oder wider? gestellt werden. Man muss die Schwankenden entlarven, mit deren Hilfe einige aus der Opposition versuchen werden, unter dem Vorwande des Kampfes gegen den „Trotzkismus" sich den Kapitulanten anzuschließen.

6. Gerade auf dieser Linie muss man jetzt seine Einstellung zum Wedding, zur Pfalz, zu Suhl usw. festlegen. Die Scharlatanerie des Kampfes gegen den „Trotzkismus" muss jetzt endgültig als Bemäntelung des Opportunismus (Stalin) und des zentristischen Kapitulantentums (Sinowjew) entlarvt werden.

7. Dasselbe Kriterium muss auch für die französischen Gruppierungen angewendet werden. Wenn Treint und Suzanne Giraud zwischen Kapitulantentum und dem sogenannten „Trotzkismus" schwanken werden, so wird man sie ihrem eigenen Schicksal überlassen müssen. Jedenfalls können wir nur dann mit dieser Gruppe Hand in Hand gehen, wenn sie sich deutlich, genau und rücksichtslos von den Kapitulanten abgrenzt.

8. Die Gruppe „Gegen den Strom" wird zweifellos mit uns gehen. Wenn auch Treint-Giraud mit uns gehen werden, so sind bis zur Vereinigung alle Materialien beiden Gruppen zuzustellen. Wenn jedoch Treint-Giraud unter dem Vorwande des Kampfes gegen den „Trotzkismus" schwanken werden, so müssen wir alles auf die Gruppe „Gegen den Strom" als auf die einzige Gruppe unserer wirklichen Gesinnungsgenossen setzen. In diesem Falle werden die lebensfähigen Elemente der Gruppe Treint und Giraud früher oder später zu uns kommen.

9. Falls die Gruppe Treint-Giraud eine richtige Haltung einnimmt, so ist es wünschenswert, beide Gruppen so schnell wie möglich zusammenzuschließen. Dabei kann von unserem Gesichtspunkte von einer einseitigen Forderung der Gruppe von 1926 an die Gruppe von 1923 hinsichtlich der Anerkennung ihrer Fehler, wie S. das vorschlug, keine Rede sein. Es ist äußerst wünschenswert, Rosmer zur Mitarbeit an der Zeitung „Gegen den Strom" heranzuziehen;

10. Es ist nötig, der Gruppe von Monatte gegenüber eine richtige Haltung einzunehmen. Mit den revolutionären Anarcho-Syndikalisten müssen wir einen Block bilden. Der geradezu verbrecherisch dumme Kampf gegen den „Trotzkismus" (1923 und 1924) stieß sie von der Partei ab. Wir können nicht unsere Reihen mit denen der Anarcho-Syndikalisten verschmelzen. Aber das sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Bundesgenossen.

11. Wir haben noch kein einziges Exemplar der Zeitung von Treint-Giraud gesehen, weshalb wir uns darüber nicht auslassen. Sorgt für richtige Zusendung aller Veröffentlichungen. In einer Reihe von Fragen (vor allem hinsichtlich des Anglo-Russischen Komitees) nahm Souvarine eine durchaus falsche rechte Stellung ein. Souvarine betrachtet die englische Arbeiterbewegung häufig in fehlerhafter Weise. Souvarine ist geneigt, an Stelle der Klassenanalyse der Politik Psychologie zu betreiben. Aber er ist ein begabter Historiker und Revolutionär. Wir verlieren nicht die Hoffnung, dass sein Weg ihn zu uns führen wird, was für die französische Arbeiterbewegung von Vorteil sein wird.

12. Hinsichtlich der tschechoslowakischen Opposition muss in kürzester Frist Klarheit geschaffen werden. Auch hier ist es besser, eine zwar kleine, aber fest zusammenhaltende führende Gruppe zu haben, als einen formlosen Block mit dem rechten Flügel, der bald hier-, bald dorthin schwankt. Eure Mitteilung, dass N. sich eher von Futterkrippengesichtspunkten als von politischen Erwägungen (wenn ihr nur nicht übertreibt) bestimmen lässt, zeigt, dass unsere Wege uns mit Neurath nicht zusammenführen. Rücksichtslos mit allen umzuspringen ist verbrecherisch. Aber es ist noch mehr verbrecherisch, sich an einzelne Leute zu klammern, wenn sie auch jetzt, nach der Kapitulation von S. u. K., immer noch schwanken und zaudern.

13. Lässt es sich nicht erreichen, dass das belgische ZK zur Informierung der Partei unsere Materialien herausgibt? Soweit wir wissen, ist die Einstellung des belgischen Zentralkomitees eine unentschlossene Pufferstellung. Kann man nicht von unten her einen Druck auf das ZK ausüben und dort einen Stützpunkt gewinnen. Man muss auf Belgien besonders achtsam sein, ohne dass man sich jedoch dabei auf das Puffer-Zentralkomitee verlassen darf; man soll versuchen, sich dort eine zuverlässige Stütze in den unteren Schichten zu schaffen. Man beauftrage damit französische Gesinnungsgenossen.

14. In Holland wurden früher unsere Dokumente gedruckt. Wie steht es jetzt damit?

15. Zum Schlusse nochmals zur Frage: eine oder zwei Parteien? M. und R. nehmen scheinbar an, dass wir angesichts der besonderen Bedingungen in der Sowjetunion gegen die Spaltung sind. Das ist unrichtig. Wir sind gegen eine zweite Partei und gegen eine IV. Komintern und zwar in der unversöhnlichsten Weise, wobei wir von den Interessen des internationalen Bolschewismus ausgehen. Die besonderen Bedingungen in der Sowjetunion betrachten wir ebenfalls vom internationalen Gesichtspunkte aus. Vom Gesichtspunkte der internationalen Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit brächte sich die Opposition in die hoffnungslose Lage einer Sekte, wenn sie sich auf die Position einer IV. Internationale hätte drängen lassen, die allem, was mit der Sowjetunion und der Komintern in Verbindung steht, feindlich gegenüberstehen würde. Es handelt sich um die Eroberung der Komintern. [Die Meinungsverschiedenheiten sind aber tief genug, um das]2 Bestehen einer linken Fraktion zu rechtfertigen.

II.

1. Was ist die Hauptaufgabe der Opposition in den Sektionen der Komintern? Die Eroberung der kommunistischen Parteien von innen her. Wenn die Kommunisten die Mehrheit in der deutschen USP. und in der französischen Sozialistischen Partei eroberten, so liegt kein Anlass zu einer Annahme vor, dass die Opposition bei einer richtigen Politik die proletarische Mehrheit der heutigen kommunistischen Parteien nicht erobern kann.

2. Eine richtige Politik der Opposition der kommunistischen Parteien des eigenen Landes gegenüber setzt eine richtige Einstellung zur Komintern, zur KPSU. und zur Sowjetunion voraus. Man muss sich über die einander widersprechenden konkreten Besonderheiten des heutigen Übergangszustandes im Klaren sein und das sich Vollziehende nicht für das bereits Vollendete halten.

3. Davon ausgehen, dass der Thermidor in der Sowjetunion eingetreten se i, ist falsch; das hieße, sein Eintreten begünstigen. Die Klassenkräfte haben ihr entscheidendes ‘Wort noch nicht gesprochen. Die Politik der internationalen Opposition muss darauf ausgehen, zusammen mit der Opposition der KPSU. die weitere Entwicklung des Thermidor zu verhindern und die Positionen, die das Proletariat eingebüßt hat, zurückzuerobern.

4. Die kleinbürgerlichen Elemente der KPSU. leiten die Partei und den Staat, aber sie sind genötigt, sich auf die Arbeiterklasse zu stützen und sich gegen den Weltimperialismus zu behaupten. Sie machen der Bourgeoisie Konzessionen. Aber ein stärkerer Ansturm seitens der Bourgeoisie kann in der Partei einen entschiedenen Umschwung nach links hervorrufen. Aber noch ist kein Prozess zu seinem Abschluss gekommen.

5. Die Sowjetunion spielt auch bei der gegenwärtigen Führung im internationalen Maßstab eine revolutionäre Rolle. Die Existenz der Sowjetunion war stets die Quelle, die die chinesische Revolution speiste. Die Führung der KPdSU hat die chinesische Revolution Niederlagen preisgegeben. Man muss gegen die Führung der KPdSU vorgehen, ohne sich in Gegensatz zur Sowjetunion zu stellen.

6. Das bezieht sich sowohl auf die KPdSU, die immer mehr mit dem Staate verschmilzt, als auch auf die Komintern. Wenn sich die Opposition der Sowjetunion als einem bürgerlichen Staate, der KPdSU und der Komintern als einer kleinbürgerlichen Partei schlechthin gegenüberstellte, so müsste sie sich in eine Sekte verwandeln. Man muss einen Kampf für die Eroberung der KPdSU und der Komintern führen.

7. Das bedeutet in der gegebenen Periode: Keine zweite Partei, sondern eine Fraktion, die soweit organisiert ist, dass sie die Möglichkeit einer systematischen Einwirkung auf die Partei gewährleistet.

8. Die oben angeführten Erwägungen wie auch die gerade in Deutschland gemachten Erfahrungen (Altona) sprechen gegen die Aufstellung selbständiger Kandidaturen. Man darf nicht wegen problematischer Mandate die ganze Linie durchbrechen.

9. Die Bildung eines „Verbandes linker Kommunisten" ist falsch. Der Name Opposition ist populär genug, und hat internationalen Charakter. Der Name „Verband" wird nichts geben, kann jedoch das Pseudonym einer zweiten Partei werden.

Es liegt hinreichend Grund zu der Annahme vor, dass das ungenügende Verständnis für die Notwendigkeit des Kampfes zur Eroberung der Parteien von innen her auf dieselben Tendenzen zurückzuführen ist, die früher zur Ablehnung der Einheitsfronttaktik und der Arbeit in den Gewerkschaften führten …

1 M.: „Maslow". R.: „Ruth" Fischer. [Fußnote der „Aktion“]

2Hier waren im Text ein paar Worte doppelt, dafür fehlten andere, die hier in Anlehnung an die Übersetzung in Schriften 3.2 (Text 48) ergänzt sind

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