Leo Trotzki: Brief an Fritz Sternberg [eigene Rückübersetzung nach Writings of Leon Trotsky, Supplement (1929-33), S. 289-291] Lieber Genosse Sternberg: Ich würde gerne umrissartig die Ergebnisse unserer ziemlich umfassenden Diskussionen zusammenfassen. 1. Das wichtigste Ergebnis ist der Beginn der Arbeit am programmatischen Manifest der Vierten Internationale. Ich werde Ihren Entwurf, den ich als sehr wichtig betrachte, an alle die Genossen schicken, die an der Ausarbeitung des Wirtschaftsteils des Programms teilnehmen. 2. Ich möchte Sie an Ihr Versprechen erinnern, sehr bald einen zweiten Entwurf über die Gründe für die Niederlage von SPD und KPD zu senden. 3. So weit es unsere wirklichen und scheinbaren theoretischen Meinungsverschiedenheiten betrifft, bin ich glücklich, das folgende zu sagen: a. Ich betrachte die scharfe Gegenüberstellung, die Sie zwischen dem aufsteigenden und niedergehenden Kapitalismus aus dem Blickwinkel der Reallöhne machen, als äußerst wichtig und im Allgemeinen nicht anfechtbar. Die scharfe Betonung, die im Programm auf diese Gegenüberstellung gelegt wird, scheint politisch angebracht. b. Die Theorie der Akkumulation kommt in diesem Zusammenhang überhaupt nicht in Betracht. c. Nach meiner Meinung wird die Rolle der Arbeiteraristokratie und der Arbeiterbürokratie durch de aufsteigende Kurve der Reallöhne im Vorkriegskapitalismus nicht verringert, vielmehr gehen ihre gesellschaftlichen Wurzeln tiefer. Ich denke, Ihre Polemik gegen Lenin in dieser Frage ist einseitig, aber ich bin sicher, dass wir für das Programm ohne große Schwierigkeit zu einer für beide Seiten annehmbaren theoretischen Formulierung kommen werden. d. Ich gebe freimütig zu, dass der Begriff Imperialismus wie der Begriff Monopolkapitalismus in der modernen marxistischen Literatur auf verschiedene unterschiedliche Weise benutzt wird. Vom Standpunkt des Programms ist Genauigkeit der Ausdrucksweise in dieser Frage von großer Bedeutung. Ich glaube, dass selbst wenn sich ein wissenschaftliches Werk den Luxus leisten kann, seine eigene besondere Sprachregelung zu präsentieren, um seine Ideen im schärferen Kontrast entwickeln zu können, ein Programm — bei aller nötigen Präzision — so wenig wie möglich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen darf, weil es eine Frage des auf die Massen gemachten Endrucks ist. Aber diese Frage wird kaum irgendwelche ernsthaften Schwierigkeiten darstellen. 4. Ich hoffe, dass Ihre Freunde sich so sorgfältig wie Sie an die Ausarbeitung des Programms machen werden. Wir müssen auf Vorschläge des Genossen Walcher vor allem für den Teil über die Gewerkschaften warten (aber natürlich nicht nur für diesen Teil). Natürlich gilt das selbe für die Genossen der Linken Opposition, SAP, RSP und OSP, die mit diesem Arbeitsfeld vertraut sind. 5. Das zweite wichtigste Ergebnis unserer Diskussionen kann folgendermaßen formuliert werden: Wir dürfen keinen weiteren Moment verlieren, das heißt, wir müssen die Vierererklärung als den Ausgangspunkt für politische Aktionen im großen Stil nehmen. Wie ich mündlich ausgedrückt habe, ist die Vierererklärung trotz ihrem bescheidenen Aussehen keineswegs weniger wichtig als die Zimmerwalder und Kienthaler Dokumente. Von innen gesehen erschienen die Zimmerwalder und Kienthaler Dokumente auch sehr mäßig. Der Bolschewismus hatte damals zehn Jahre als Fraktion und zwei Jahre als unabhängige Partei hinter sich und war in Zahlen und Kadern gemessen während des Krieges kaum stärker als die Linke Opposition der Sowjetunion. Die Mehrheit der anderen Teilnehmer stand auf etwa dem selben Niveau der Verwirrung wie die Mehrheit der Teilnehmer der Pariser Konferenz. Zahlenmäßig waren sie jedoch viel schwächer. Was den linken Flügel betrifft, war er unvergleichlich schwächer als unser Viererblock. Wir haben Lenin nicht bei uns, das stimmt, aber wir haben seit Zimmerwald eine ganze Menge Erfahrung gesammelt – und das zählt viel. 6. Es ist sehr wichtig, die schwedische Partei, die ILP etc. zu gewinnen. Jeder Versuch muss unternommen werden, das zu machen. Es wäre jedoch fatal, unser – des Viererblocks – Fortschreiten zu verzögern, bis die anderen gewonnen worden sind. Durch solch eine Vorgehensweise würden wir niemanden gewinnen, sondern vielmehr einander verlieren. Die Schwankenden werden zu uns herüberkommen, wenn sie überzeugt sind, dass wir selbst nicht schwanken, d.h. wenn sie von der großen Mission überzeugt sind, die der Gang der Ereignisse uns übertragen hat. 7. Eine gute Wochenzeitung auf Deutsch wäre unter den gegebenen Umständen eine Waffe von unvergleichlicher Wirksamkeit. Wir könnten durch gemeinsame Anstrengung eine gründen. Ich sende eine Kopie dieses Brief an unser IS und die niederländischen Genossen. Mit besten Wünschen, Ihr L.T. |
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