Leo Trotzki: Die Enthauptung der Roten Armee [Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 5. Jahrgang, Nr. 3. (83), Mitte August 1937, S. 1 f.] Soll man noch den Details nach stöbern, die Buchstaben der Prozessberichte prüfen, Widerlegungen sammeln, den Schwindel einer mikroskopischen Analyse unterziehen? Stalin selbst widerlegt sich mit viel massiveren Argumenten. Jeder Tag bringt sensationelle Kunde aus der UdSSR, Zeugnisse dafür, dass das Regime von der Endkrise gepackt ist. die man Agonie nennen könnte, wenn diese Analogie mit dem lebenden Organismus nicht die Vorstellung zu kurzer Fristen hervorriefe. Die «alte Garde», in deren Namen 1923 der Kampf gegen den «Trotzkismus» eröffnet wurde, ist politisch längst erledigt. Ihre physische Ausrottung erfolgt heute im Stalinstil, in dem sich sadistische Grausamkeit mit bürokratischer Pedanterie paart. Es wäre aber reichlich oberflächlich, Stalins Mord- und Selbstmordtaten nur aus Machtwillen, Rohheit, Rachsucht und ähnlichen persönlichen Eigenschaften zu erklären. Stalin hat bereits längst die Kontrolle über seine eigene Politik verloren. Die Bürokratie als Ganzes verlor die Kontrolle über die eigenen Selbstwehrreflexe. Die neuen Verfolgungen, die alle Grenzen des Fassbaren überschreiten, sind ihr durch das Fortschreiten der alten aufgedrängt. Ein Regime, das vor den Augen der ganzen Welt gezwungen ist, Schwindel über Schwindel zu inszenieren und automatisch den Kreis seiner Opfer zu erweitern, ist gerichtet. Nach den gemachten Erfahrungen ist Stalin bereits genötigt, auf «offene» Prozesse zu verzichten. Offiziös wird der Verzicht damit motiviert, dass das Land vor «wichtigeren Aufgaben» stehe. Unter diesem Schlagwort ziehen die «Freunde» im Westen gegen die Gegenprozesse zu Felde. Unterdessen werden in den verschiedensten Teilen der USSR ununterbrochen neue Herde des «Trotzkismus, der Sabotage und Spionage» entdeckt. Im Fernen Osten wurden Anfang Mai nach amtlichen Angaben 831 «Trotzkisten» erschossen. Die Arbeit geht weiter. Vom Verlauf der Prozesse, ja selbst von den Namen der Opfer wird nichts verlautbar. Wer sind diese Erschossenen? Einen gewissen Prozentsatz bilden wahrscheinlich richtige Spione: im Fernen Osten ist daran kein Mangel. Ein anderer Teil rekrutiert sich aus Oppositionellen, Unzufriedenen, Missliebigen. Einen dritten Teil bilden die Provokateure, die als Bindeglied zwischen den «Trotzkisten» mit den Spionen dienten und somit gefährliche Mitwisser wurden. Es gibt aber auch noch einen vierten Teil, und dieser ist im Wachsen: das sind die Verwandten. Freunde, Untergebenen, Bekannten der Erschossenen, Leute, die den Schwindel kennen und wenn nicht protestieren, so doch anderen von Stalins Verbrechen erzählen können. Was in den unteren Schichten, besonders in den Randgebieten, wo das Morden anonym ist, gebraut wird, mag man sich auf Grund dessen, was heute an den Spitzen vor sich geht, ausmalen. Stalin ist es seinerzeit nicht gelungen, einen öffentlichen Prozess gegen Bucharin und Rykow zu veranstalten, da diese Beschuldigten nicht «bereuen» wollten. Man musste sie in eine Ergänzungsschule nehmen. Gewissen Meldungen zufolge wurden Rykow und Bucharin, d.h. die ehemaligen Oberhäupter der Regierung und der Komintern, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, wie im Juli 1935, ebenfalls bei verschlossener Türen, Kamenew zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Schon dieser Vergleich allein drängt den Schluss auf, dass das Urteil gegen Rykow und Bucharin kein endgültiges ist. Die Presse, geleitet von dem groben und unverschämten Mechlis, ehemaligem persönlichen Sekretär Stalins, fordert die «Ausrottung» der Volksfeinde. Das Erstaunlichste – wenn man sich überhaupt noch den Luxus des Erstaunens gestatten will – ist wohl, dass Rykow und Bucharin heute «Trotzkisten» genannt werden. Dabei richteten sich die Hauptschläge der linken Opposition stets und unverändert gegen den rechten Flügel, an dessen Spitze Rykow und Bucharin standen. Andererseits brachte nur Bucharin im Kampf gegen den Trotzkismus so etwas wie eine Doktrin hervor, auf die sich Stalin mehrere Jahre lang stützte – soweit er sich überhaupt auf eine Doktrin stützt. Jetzt heißt es. dass Bucharins zahllose Artikel und Bücher gegen den Trotzkismus. nach denen der gesamte Kominternapparat erzogen wurde, nur zur Deckung seiner geheimen Zusammenarbeit mit den Trotzkisten diente auf der Grundlage des Terrors, wie dem Bischof von Canterbury seine Kirchenfunktionen nur zur Maskierung atheistischer Propaganda dienen. Doch wer kümmert sich heute um solche Lappalien? Diejenigen, die die Vergangenheit kennen, werden ausgerottet oder müssen unter Androhung der Ausrottung schweigen. Die Söldlinge der Komintern, die vor einigen Jahren vor Bucharin auf dem Bauche krochen, fordern jetzt seine Kreuzigung als «Trotzkist» und Volksfeind. Eine revolutionäre Epoche schweißt die Volksmassen zusammen. Umgekehrt bedeuten Reaktionsperioden das Entstehen zentrifugaler Kräfte. In den letzten Jahren wurde nicht ein Riss in der bolschewistischen Partei verstopft, ist nicht eine Wunde vernarbt, hat nicht ein Konflikt mit Versöhnung geendet. Kapitulationen und Erniedrigungen halfen nichts. Die Zentrifugalkräfte trieben den kleinsten Spalt auseinander, bis er zu einer nicht mehr auszufüllenden Bresche wurde. Jeder, der mit dem kleinen Finger in den Spalt geriet, war mit Haut und Haar verloren. Mit der «alten Garde», d.h. den Bolschewiki der zaristischen Illegalität, ist es im Grunde aus. Jetzt richtet die GPU ihre Mauserpistole auf die nächstfolgende Generation, deren Aufstieg mit dem Bürgerkrieg begann. Allerdings figurierten auch in den früheren Prozessen neben alten Bolschewiki jüngere Angeklagte. Doch das waren Hilfsfiguren, die zur Abrundung des Amalgams benötigt wurden. Jetzt wird die Siebung der Vierzigjährigen, d.h. der Generation, die Stalin bei der Abrechnung mit der alten Garde geholfen hatte, zu einer systematischen Erscheinung. Es geht nicht mehr um Zufallsgestalten, sondern um Sterne zweiter Größe. Postyschew hatte den Posten des ZK-Sekretärs seiner eifrigen Mitwirkung am Kampf gegen den Trotzkismus zu verdanken. In der Ukraine führte Postyschew 1933 eine Säuberung des Partei- und Staatsapparats von «Nationalisten» durch und trieb den ukrainischen Volkskommissar Skrypnik mit seiner Hetze wegen «Begünstigung der Nationalisten» zum Selbstmord. Diese Tatsache hatte die Partei umso mehr erstaunt, als ein Jahr zuvor der 60. Geburtstag Skrypniks. eines alten Bolschewiken, ZK-Mitglieds und hundertprozentigen Stalinisten, in Charkow und Moskau feierlich begangen worden war. Im Oktober 1933 schrieb ich darüber : «...Der Umstand, dass das Stalinsystem derlei Opferungen bedarf, zeigt, wie scharfe Gegensätze es selbst in der eigentlichen Spitze zerreißen» (Bulletin der Opposition, Nr. 36-37). Vier Jahre später erwies sich, dass Postyschew, der nach «einer Heldentaten in der Ukraine als Diktator waltete, selbst sich der Begünstigung von Nationalisten schuldig machte: als ein in Ungnade gefallener Würdenträger wurde er unlängst ins Wolgagebiet versetzt. Es ist anzunehmen, nicht für lange Zeit. Nicht nur Wunden, auch Schrammen vernarben nicht mehr. Ob nun Postyschew zum Selbstmord greifen oder nicht begangene Verbrechen bereuen wird, Rettung ist für ihn jedenfalls keine mehr vorhanden. In Weißrussland hat sich der Zentralexekutivkomiteevorsitzende Tscherwjakow erschossen. In der Vergangenheit hatte er mit den Rechten in Verbindung gestanden, doch schon längst war er öffentlich zum Kampf gegen sie übergegangen. Die offizielle Meldung sagt verschämt, Tscherwjakow, der verfassungsgemäß die gleichen Rechte hat wie Kalinin, habe aus «Familiengründen» Hand an sich gelegt. Stalin brachte es immerhin nicht fertig, das Oberhaupt der Weißrussischen Sowjetrepublik zum Agenten Deutschlands zu erklären. Doch zugleich mit diesem Selbstmord wurden in Minsk die eng mit Tscherwjakow verbundenen Weißrussischen Volkskommissare verhaftet. Auch aus «Familiengründen»? Nimmt man die Bürokratie als ein «Familie», so muss man zugeben, dass diese Familie in ein Stadium starken Zerfalls eingetreten ist. Ungleich erstaunlicher (wenn, wie gesagt, man es sich gestatten will, noch zu erstaunen) ist die Laufbahn Jagodas, der in den letzten zehn Jahren Stalin am nächsten von allen stand. Nicht einem der Mitglieder des Politbüros vertraute Stalin die Geheimnisse an, die er dem Vorsteher der GPU anvertraute. Dass Jagoda ein Schurke war, wussten alle. Aber erstens unterschied er sich nicht sehr von gewissen anderen Kollegen. Zweitens brauchte ihn Stalin gerade in seiner Eigenschaft eines vollendeten Schurken zur Ausführung der finstersten Aufträge. Der ganze Kampf gegen die Opposition, der eine Kette von zunehmenden Fälschungen und Unterschiebungen darstellt, wurde unter Jagodas Leitung, auf unmittelbare Direktiven Stalins geführt. Und siehe da, dieser Wächter des Staats, der die ältere Generation der Partei ausgerottet hat. stellt sich als Gangster und Verräter heraus. Er wird verhaftet. Wird er gestehen oder nicht gestehen, nach dem von ihm selbst ersonnenen Ritual? An seinem Schicksal wird das nichts ändern. Unterdessen erörtert die Weltpresse ernsthaft, ob Jagoda mit den … Trotzkisten in Verbindung stand oder nicht. Warum auch nicht? Hat Bucharin den Trotzkismus theoretisch ausgerottet, so konnte Jagoda die Trotzkisten physisch ausrotten, um seine Verbindung mit ihnen besser zu maskieren. Doch die aller erstaunlichsten Dinge geschehen in der Heeresleitung, angefangen bei ihren höchsten Spitzen. Nachdem Stalin die Partei und den Sowjetapparat enthauptet hatte, schritt er zur Enthauptung der Armee. Am 11. Mai wurde der verherrlichte Marschall Tuchatschewski unerwarteterweise vom Posten des stellvertretenden Volkskommissars für Verteidigung entfernt und auf einen unbedeutenden Provinzposten versetzt. In den nächsten Tagen wurden die Kommandanten der Militärbezirke und andere hervorragende Generäle versetzt. Diese Maßnahmen verkündeten nichts Gutes. Am 16. Mal wurde eine Verordnung veröffentlicht, wonach die Kriegsräte an der Spitze der Bezirke, der Armeen und Flotten wiederhergestellt werden. Es wurde deutlich, dass die herrschende Spitze mit dem Offizierskorps in einen ernsten Konflikt geraten war. Die «Revolutionären Kriegsräte» wurden von mir während des Bürgerkriegs eingeführt. Jedem dieser Räte gehörte der Kommandant und zwei, zuweilen drei politische Mitglieder an. Obgleich der Befehlshaber formell über alle Kommandorechte verfügte, hatte sein Befehl jedoch ohne die Unterschrift der politischen Mitglieder der Räte keine Gültigkeit. Die Notwendigkeit dieser Sicherheitsmaßnahme, die von uns als zeitliches Übel betrachtet wurde, war durch den Mangel an zuverlässigem Kommandopersonal und durch das Misstrauen der Soldaten sogar gegen die loyalen Kommandeure hervorgerufen. Die allmähliche Heranbildung eines Stamms von roten Offizieren sollte den Räten ein Ende bereiten und das beim Militär unabweisbare Prinzip des Einheitskommandos zur Anwendung bringen. Frunse, der mich im Jahre 1925 als Oberbefehlshaber ersetzte, hat das Einheitskommando in beschleunigtem Tempo eingeführt, denselben Weg ging dann auch Woroschilow. Es sollte scheinen, das der Sowjetstaat Zeit genug hatte, um einen verlässlichen Offiziersstamm zu schulen und die drückende Notwendigkeit, den Kommandeur durch einen Kommissar zu kontrollieren, zu beseitigen. Doch verlief es anders. Am Vorabend des zwanzigsten Jahrestags der Revolution hielt es die Moskauer Oligarchie, um die Zerschlagung des Kommandostabs vorzubereiten, für notwendig, die Armeekollegien wiedereinzuführen. Die neuen Kriegsräte werden nicht mehr «revolutionär» genannt. Und in der Tat, sie haben mit ihren Vorbildern nichts gemein. Die Kriegsräte des Bürgerkriegs sicherten die Kontrolle der revolutionären Klasse über die aus den feindlichen Reihen hervorgegangenen Militärtechniker. Die Räte von 1937 haben die Aufgabe, der Oligarchie, die sich über die revolutionäre Klasse erhebt, die von ihr usurpierte Macht gegen Anschläge von Seiten ihrer eigenen Marschälle und Generäle schützen zu helfen. Weder Stalin noch die übrigen Mitglieder des Politbüros machten sich übrigens je Illusionen über Woroschilow als Heerführer. Sie waren daher bestrebt, ihn mit qualifizierten Mitarbeitern zu unterstützen. Die wirklichen Führer der Armee in den letzten Jahren waren zwei Menschen: Tuchatschewski und Gamarnik. Weder der eine noch der andere gehört zur alten Garde. Beide traten während des Bürgerkriegs, nicht ohne Zutun des Verfassers dieser Zeilen, in den Vordergrund. Tuchatschewski legte unzweifelhaft hervorragende strategische Talente an den Tag. Ihm ging jedoch die Fähigkeit ab, eine militärische Lage von allen Seiten einzuschätzen. Seine Strategie ließ stets ein Element von Abenteurertum durchblicken. Auf diesem Boden hatten wir einige Zusammenstöße, die in der Form übrigens durchaus freundschaftlich blieben. Ich war auch gezwungen. Tuchatschewskis Versuche zu kritisieren, mit flüchtig angeeigneten Elementarformeln des Marxismus eine «neue Kriegsdoktrin» zu schaffen. Vergessen wir jedoch nicht, dass Tuchatschewski in jenen Jahren sehr jung war und einen allzu raschen Sprung aus den Reihen der Garde-Offiziere ins Lager des Bolschewismus gemacht hatte. Seit jener Zeit hat er offenbar fleißig studiert. wenn nicht den Marxismus (den studiert heute in der UdSSR niemand), so doch das Kriegshandwerk. Er lernte die neue Technik verstehen und spielte nicht ohne Erfolg die Rolle des «Mechanisators» der Armee. Ob es ihm gelungen war, das notwendige Gleichgewicht der inneren Kräfte zu erlangen, ohne dass es überhaupt keinen großen Feldherrn gibt, hätte wohl nur ein neuer Krieg offenbaren können, in dem Tuchatschewski im Voraus die Rolle des Generalissimus zugefallen wäre. Jan Gamarnik. Abkömmling einer jüdischen Familie in der Ukraine, zeichnete sich bereits im Bürgerkrieg durch seine politischen und administrativen Fähigkeiten aus allerdings im Provinzmaßstab. 1924 hörte ich von ihm als von einem ukrainischen «Trotzkisten». Meine persönlichen Beziehungen zu ihm waren bereits abgerissen Die damals die Partei beherrschende «Troika» (Sinowjew. Stalin. Kamenew) trachtete vor allem danach, die fähigsten »Trotzkisten» aus der gewohnten Umgebung herauszureißen, an andere Orte zu versetzen und sie möglichst mit der Aussicht auf eine Karriere zu kaufen. Gamarnik wurde aus Kiew nach dem Fernen Osten geschickt, wo er schnell die administrative Stufenleiter hinauf klomm. nachdem er bereits 1925, d.h. zwei-drei Jahre vor der Kapitulation der bekannten Angeklagten der letzten Prozesse, radikal mit dem «Trotzkismus» Schluss gemacht hatte. Als Gamarniks «Umerziehung» beendet war, kam er nach Moskau und wurde bald an die Spitze der politischen Verwaltung für Armee und Flotte gestellt. Zehn Jahre lang bekleidete Gamarnik verantwortliche Posten, im Herzen des Parteiapparats, in täglicher Zusammenarbeit mit der GPU Ist es unter diesen Umständen denkbar, zwei Politiken zu betreiben eine für die Außenwelt, eine andere für sich? Als Mitglied des ZK, höchster Vertreter der herrschenden Partei in der Armee, war Gamarnik ebenso wie Tuchatschewski Fleisch vom Fleische und Blut vom Blute der herrschenden Kaste. Warum aber wurden nun diese Führer der Streitkräfte geschlagen? Sinowjew und Kamenew starben, weil sie infolge ihrer Vergangenheit gefährlich schienen, hauptsächlich aber, weil Stalin mit ihrer Erschießung dem «Trotzkismus» einen tödlichen Hieb versetzen wollte. Pjatakow und Radek. ehemalige bekannte Trotzkisten, waren die einzigen passenden Figuren für den neuen Prozess, der die Fehlgriffe des ersten allzu rohen Breis korrigieren sollte. Weder Tuchatschewski noch Gamarnik taugten für diese Zwecke. Tuchatschewski war nie Trotzkist. Gamarnik schloss sich dem Trotzkismus in der Periode an, als sein Name noch niemandem bekannt war. Warum wurde Radek aufgetragen, in der Gerichtsverhandlung Tuchatschewskis Namen fallen zu lassen? Und warum geriet Gamarnik sogleich nach seinem geheimnisvollen Tod in die Liste der «Volksfeinde»? In seiner Eigenschaft als Erzieher des Kommandostabs und als künftiger Generalissimus konnte Tuchatschewski nicht umhin, begabte Heerführer zu schätzen. Putna war einer der hervorragendsten Offiziere des Generalstabs. Sandte ihn Tuchatschewski wirklich zu Radek mit einigen Anfragen. Radek war Offiziosus der Außenpolitik. Putna Militärattaché in England. Tuchatschewski konnte durch Putna von Radek Auskünfte erhalten, wie auch Stalin sich für seine Reden und Interviews nicht selten Radekscher Informationen bediente. Möglich jedoch, dass diese ganze Episode erfunden ist wie viele andere. An der Sache ändert das nichts. Tuchatschewski ist wahrscheinlich für Putna wie für andere Offiziere eingetreten, die die GPU in ihre Amalgame zog. Man musste ihm eine Lehre erteilen. Welche Rolle spielte dabei Woroschilow? Seine Politik ist bislang viel mehr durch seine Beziehung zu Stalin als die zur Armee bestimmt. Außerdem musste Woroschilow, beschränkt und töricht wie er ist, missgünstig auf seinen allzu begabten Stellvertreter sehen. Das war möglicherweise der Anfang des Konflikts. Gamarnik hatte leitenden Anteil an allen Säuberungen der Armee und tat dabei alles, was man von ihm verlangte. Doch dort ging es wenigstens um Oppositionelle, um Unzufriedene, Verdächtige, folglich um «Staats»-Interessen. Im letzten Jahre aber sollten auch ganz unschuldige Leute aus der Armee geworfen werden, die sich infolge alter Bindungen, infolge der Ämter, die sie bekleideten, oder aus einem zufälligen Grund für die Organisierung des fälligen Prozessschwindels eigneten. Mit vielen dieser Kommandeure war Gamarnik, und ebenso Tuchatschewski. durch Bande der Kameradschaft und Freundschaft verbunden. Als Leiter der Politischen Verwaltung der Roten-Armee musste Gamarnik nicht nur seine Mitarbeiter in Wyschinskis Hände liefern, sondern auch an der Fabrizierung falscher Anschuldigungen gegen sie teilnehmen. Es ist überaus wahrscheinlich, dass er mit der GPU auf dem Kriegsfuß stand und sich über Jeschow bei … Stalin beschwerte. Dadurch allein schon konnte er sich Schlägen aussetzen. Von Wehrinteressen bewogen, mochten die Bezirkskommandierenden und verantwortlichen Generäle überhaupt für Tuchatschewski eingetreten sein. Das Drunter und Drüber der Versetzungen und Verhaftungen, im Monat Mai und in den ersten Tage des Juni lässt sich nur mit einer Panik in den regierenden Kreisen erklären. Am 31. Mai erschoss sich Gamarnik, oder wurde erschossen. Die Kommandanten der Militärbezirke hatten kaum die Zeit gehabt, am neuen Dienstort einzutreffen, als sie auch schon verhaftet und dem Gericht übergeben wurden. Verhaftet wurden: Tuchatschewski, soeben erst nach Samara berufen, Jakir, soeben erst nach Leningrad versetzt, der Kommandant des Weißrussischen Militärbezirks; Uborewitsch, der Leiter der Militärakademie, Kork, der Leiter der Armeepersonalverwaltung, Feldmann, das Oberhaupt der Ossoaviachim (Luftabwehr), Eideman und etwas früher Putna, ehemaliger Militärattaché in Japan und England, der Kavalleriegeneral Primakow. Alle acht wurden zum Tode verurteilt und erschossen. Die Armee musste sich bis ins Mark erschüttert fühlen. Wieso und warum starben die legendenumwobenen Helden des Bürgerkriegs, begabten Feldherren und Organisatoren, Heerführer, die gestern noch Stütze und Hoffnung des Regimes waren? Gedenken wir eines jeden von ihnen in zwei Worten. Wurde Tuchatschewski aus einem Offizier des Zaren ein Bolschewik, so Jakir aus einem jungen tuberkulösen Studenten ein roter Kommandeur. Bereits bei den ersten Schritten verriet sich in ihm die Vorstellungsgabe und Findigkeit eines Strategen: alte Offiziere betrachteten oft mit Staunen den schmächtigen Kommissar, wenn er mit einem Streichholz über die Karte fuhr. Seine Ergebenheit für die Revolution und die Partei zu beweisen, hatte Jakir viel unmittelbarer Gelegenheit als Tuchatschewski. Nach Beendigung des Bürgerkriegs studierte er ernsthaft. Die Autorität, die er genoss, war groß und verdient, in eine Reihe mit ihm kann man den weniger glänzenden, aber vollauf erprobten und verlässlichen Feldherrn des Bürgerkriegs Uborewitsch stellen. Diese beiden waren mit dem Schutz der Westgrenzen beauftragt, und sie bereiteten sich seit Jahren auf ihre Rolle im kommenden großen Kriege vor. Kork, ein Zögling der zaristischen Kriegsakademie, befehligte in den kritischen Jahren mit Erfolg eine der Armeen, dann einen Militärbezirk, und wurde schließlich an die Spitze der Kriegsakademie gestellt, an Eidemans Stelle, der zur nächsten Umgebung Frunses gehörte. In den letzten Jahren stand Eideman der Ossoaviachim vor, welche die aktive Verbindung zwischen der Zivilbevölkerung und der Armee verwirklicht. Putna war ein gebildeter junger General mit internationalem Horizont. In Eidemans Händen konzentrierte sich die unmittelbare Aufsicht über das Kommandopersonal: das allein schon lässt das Vertrauen ermessen, das er genoss. Primakow war zweifellos nach Budjonny der hervorragendste Befehlshaber der Kavallerie. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass, abgesehen von Budjonny, in der ganzen Roten Armee kein einziger Name bleibt, der sich, was Popularität betrifft, von Talent und Kenntnissen ganz zu schweigen, mit den Namen der unerwarteten Verbrecher messen könnte. Die Vernichtung der Leitung der Roten Armee geschah also in voller Kenntnis des Sachverhalts! Höchste Aufmerksamkeit verdient die Organisierung des Gerichts. Unter dem Vorsitz des subalternen Beamten Ulrich sah sich eine Gruppe der obersten Generäle gezwungen, über ihre Kampfgefährten ein von Stalins Sekretariat diktiertes Urteil zu fällen. Das war die Teufelsprobe auf ihre Zuverlässigkeit. Die am Leben bleibenden Befehlshaber sind heute an Stalin durch die Schande verknechtet, mit der er sie vorsätzlich bedeckt hat. Das System der Intrige geht indessen weiter. Stalin fürchtet nicht nur Tuchatschewski, sondern auch Woroschilow. Dafür zeugt im besonderen Budjonnys Ernennung zum Kommandanten des Moskauer Militärbezirks. Als alter Kavallerie-Unteroffizier verachtete Budjonny von jeher Woroschilows militärischen Dilettantismus. In der Periode ihres Zusammenwirkens in Zarizyn drohten sie einander nicht selten mit dem Revolver. Die hohe Karriere glättete die äußeren Formen der Feindschaft, doch linderte sie nicht. Die militärische Befehlsgewalt über die Hauptstadt ist jetzt, als Gegengewicht zu Woroschilow, in Budjonnys Hände gelegt. Wer von ihnen auf der Liste der Gerichteten der nächste ist, das wird die Zukunft zeigen. Die Beschuldigung Tuchatschewskis, Jakirs und der anderen, Agenten Deutschlands gewesen zu sein, ist so dumm und gemein, dass sie keine Widerlegung verdient. Stalin hat auch nicht erwartet, dass man im Ausland die schmutzige Verleumdung glauben würde. Aber auch diesmal musste er den Mord an begabten und selbständigen Menschen vor den russischen Arbeitern und Bauern mit kräftig wirkenden Argumenten rechtfertigen. Er rechnet mit der hypnotischen Wirkung der totalitären Presse und des nicht weniger totalitären Radio. Welches aber sind die wirklichen Ursachen für die Ausmerzung der besten Sowjetgeneräle? Darüber kann man sich nur hypothetisch äußern, auf Grund einer Reihe direkter und indirekter Symptome. Angesichts des Nahens der Kriegsgefahr konnten die verantwortlichsten Kommandeure nicht umhin, mit Besorgnis zu bedenken, dass an der Spitze der Streitkräfte ein Woroschilow stellt. Kann man daran zweifeln, dass in diesen Kreisen die Kandidatur Tuchatschewskis auf diesen Posten erwogen wurde? In ihrem ersten Stadium versuchte die Generals-«Verschwörung» wahrscheinlich, sich auf Stalin zu stützen, der bereits längst das ihm gewohnte doppelte Spiel spielte, indem er den Antagonismus zwischen Tuchatschewski und Woroschilow ausnutzte. Tuchatschewski und seine Anhänger überschätzten sichtlich ihre Kräfte. In der letzten Minute vor die Notwendigkeit gestellt, zu wählen, zog Stalin Woroschilow vor, der bislang nur ein williges Werkzeug war, und gab Tuchatschewski preis, der ein Nebenbuhler werden konnte. In ihren Hoffnungen betrogen und durch Stalins «Verrat» gereizt, mochten die Generäle Unterredungen geführt haben, ob man nicht überhaupt die Armee von der Vormundschaft des Politbüros befreien solle. Von da bis zu einer regelrechten Verschwörung ist es noch weit. Aber unter einem totalitären Regime ist es bereits der erste Schritt dahin. Wägt man richtig die Vergangenheit der Erschossenen und die Physiognomie eines jeden von ihnen, so ist schwerlich anzunehmen, dass sie miteinander durch irgendein gemeinsames politisches Programm verbunden gewesen wären. Doch ein Teil von ihnen, mit Tuchatschewski an der Spitze, mochte auf dem Gebiet der Verteidigung des Landes sein eigenes Programm gehabt haben. Vergessen wir nicht, dass nach Hitlers Machtantritt Stalin alles tat, um mit Deutschland freundschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten. Die Sowjetdiplomaten geizten dem Faschismus gegenüber nicht mit zuvorkommenden Äußerungen, die heute wie ein Skandal klingen. Die Philosophie zu dieser Politik lieferte Stalin : «Vor allem gilt es den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande zu schützen. Faschismus und Demokratie sind Zwillinge und nicht Antipoden. Frankreich wird uns nicht angreifen, die Gefahr, die von Deutschlands Seite droht, kann man aber nur durch Zusammenarbeit mit ihm neutralisieren». Auf einen Wink von oben bemühten sich die Führer der Armee, mit den deutschen Militärattachés, Ingenieuren und Industriellen freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten und ihnen den Gedanken einzuflößen, eine Zusammenarbeit der beiden Länder sei durchaus möglich. Einige der Generäle machten sich diese Politik umso lieber zu eigen, als ihnen die deutsche Technik und «Disziplin» gewaltig imponierten. Stalin sah sich aber gezwungen, die «freundschaftlichen» Beziehungen zu Deutschland durch ein Verteidigungsabkommen mit Frankreich zu ergänzen. Darauf konnte Hitler nicht eingehen. Er brauchte freie Hand in der einen wie der anderen Richtung. Als Antwort auf die Annäherung zwischen Moskau und Paris stieß er demonstrativ Stalin zurück. Mussolini folgte ihm darin. Entgegen den ursprünglichen Absichten musste Stalin die Philosophie von den «Zwillingen» über Bord werfen und auf Freundschaft mit den westlichen «Demokratien» Kurs nehmen. Im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten erfolgte ein symbolischer Wechsel: Litwinows Stellvertreter Krestinski, ehemaliger Sowjetgesandter in Deutschland, wurde entfernt, an seine Stelle trat Potjemkin, ehemaliger Sowjetgesandter in Frankreich. An den Spitzen des Offiziersstandes konnte der Wandel nicht so geschwind erfolgen, entsprechend dem Charakter der Militärkaste, die viel zahlreicher und weniger beweglich ist als die Diplomatie. Nimmt man an, Tuchatschewski habe in den letzten Tagen eine prodeutsche Orientierung gehabt (ich bin dessen nicht sicher), so jedenfalls nicht als Agent Hitlers, sondern als Sowjetpatriot, aus strategischen und ökonomischen Erwägungen, die unlängst auch Stalin teilte. Mehrere Generäle mussten überdies sich durch ihre früheren freundschaftlichen Erklärungen gegenüber Deutschland persönlich gebunden fühlen Da Stalin lange lavierte und sich beide Türen offen hielt, gab er den Generälen absichtlich nicht das Signal zum Rückzug. In der Annahme, dass Stalin sie unterstütze, mochten die Generäle weiter gegangen sein als sie ursprünglich beabsichtigten. Durchaus möglich andererseits, dass Woroschilow. der als Mitglied de: Politbüros rechtzeitig von der neuen Orientierung unterrichtet war, vorsätzlich Tuchatschewski die Grenzen der Militär- und Parteidisziplin überschreiten lies; und dann mit der ihm eigenen Grobheit von ihm eint sofortige Änderung des Kurses verlangte. Die Frage ob man mit Deutschland oder mit Frankreich gehen sollte, wurde zugleich die Frage, wer wird die Armee leiten: das Mitglied des Politbüro Woroschilow, oder Tuchatschewski, hinter dem die Blüte des Kommandostabs steht? Und da es keine öffentliche Meinung, keine Partei, keine Sowjets gibt und das Regime die letzten Reste Elastizität verlor, so wird jede scharfe Frage mit Hilfe der Mauserpistole gelöst. Stalin lehnte sich umso weniger gegen die blutige Abrechnung auf als er, um den neuen internationalen Bundesgenossen seine Zuverlässigkeit zu beweisen, Sündenböcke für die Politik brauchte, auf die er gestern verzichtete. Eine Beziehung der Generäle zur linken Opposition! Gamarnik hießen die Moskauer Zeitungen nach seinem Tode einen «Trotzkisten». Einige Monate zuvor wurde Putna als «Trotzkist» in den Prozessen Sinowjew und Radek erwähnt. Doch von den übrigen wurde niemand weiter vor noch, ist anzunehmen, während des Prozesses mit diesem schrecklichen Namen belegt, denn weder die Richter noch die Angeklagten hatten es nötig, hinter verschlossenen Türen Komödie zu spielen. Von einer Verwandlung Tuchatschewskis, Jakirs, Uborewitschs, Eidemans und der anderen in Trotzkisten hielt nicht nur das Fehlen jeglicher äußerer Anhaltspunkte ab, sondern auch der Wunsch, die Stärke des Trotzkismus in der Armee nicht allzu sehr aufzubauschen. Jedoch in Woroschilows Befehl, der am Tage nach der Strafvollstreckung herausgehen wurde, werden alle Erschossenen bereits als Trotzkisten bezeichnet. Der Schwindel hat, wie man sieht, auch seine Logik: wenn die Generale ebenso wie die Trotzkisten Deutschland dienten zum Zwecke der «Wiederherstellung des Kapitalismus», dann konnte Deutschland nicht umhin, sie in seinem Interesse zu vereinigen. Außerdem wurde «Trotzkismus» längst zu einem Sammelbegriff, der alles umfasst, was der Vernichtung anheimfällt. In unseren Überlegungen über die Ursachen der Enthauptung der Armee ist auch ein Element der Mutmaßung. In den Einzelheiten, die so bald nicht bekannt werden, mag die Sache anders verlaufen sein. Doch der politische Sinn der neuen Schlächterei ist schon jetzt deutlich. Hätte Stalin die Generäle retten wollen, so wäre es ihm durchaus möglich gewesen, ihnen rechtzeitig Brücken zum Rückzug zu schlagen. Doch er wollte nicht. Er fürchtet, sich Schwäche anmerken zu lassen. Er fürchtet die Armee. Er fürchtet die eigene Bürokratie. Und das nicht ohne Grund. Tausende und Abertausende von Beamten und Kommandeuren, die aus dem Bolschewismus hervorgingen oder sich ihm anschlossen, unterstützten bis vor nicht langer Zeit Stalin, nicht aus Furcht, sondern bewusst. Doch die letzten Ereignisse weckten in ihnen Furcht. Furcht um das Los des Regimes und Furcht um das eigene Schicksal. Diejenigen, die Stalin empor halfen, erweisen sich als immer untauglicher, ihn auf seiner schwindelnden Höhe zu stützen. Stalin ist immer häufiger gezwungen, die Waffen seiner Herrschaft auszuwechseln. Gleichzeitig fürchtet er, diese ausgewechselten Waffen könnten einen anderen Führer an die Spitze bringen. Besonders groß ist diese Gefahr hinsichtlich der Armee. Wenn die Bürokratie sich von der Kontrolle durch das Volk befreit, trachtet die Militärkaste unvermeidlich danach, sich von der Vormundschaft der zivilen Bürokratie zu befreien. Der Bonapartismus hat stets die Tendenz, die Form der offenen Herrschaft des Säbels anzunehmen. Unabhängig von den wirklichen oder vermeintlichen Ambitionen Tuchatschewskis musste das Offizierskorps immer mehr sich mit dem Bewusstsein seiner Überlegenheit über die Diktatoren im Zivilrock durchdringen. Andererseits konnte Stalin nicht umhin zu begreifen, dass das Polizeikommando über das Volk, das er mit Hilfe eines Hierarchie von Parteisekretären ausübt, einfacher und direkter von einem der «Marschälle» vermittels des Militärapparats zu verwirklichen ist. Die Gefahr war zu deutlich. Eine Verschwörung gab es zwar noch nicht. Aber sie steht auf der Tagesordnung. Das Gemetzel war präventiver Natur. Stalin ergriff eine «günstige» Gelegenheit, um dem Offiziersstand eine blutige Lehre zu erteilen. Man kann jedoch im Voraus sagen, dass diese Lehre nichts und niemanden anhalten wird. Stalin vermochte die Rolle des Totengräbers des Bolschewismus nur deshalb zu spielen, weil er selbst ein alter Bolschewik Ist. Diese Deckung brauchte die Bürokratie, um die Massen zu erdrücken und um die Schale der spartanischen Tradition zu sprengen. Doch das Lager des Thermidor ist nicht gleichförmig. An der Spitze der obersten Schicht der Privilegierten stehen Leute, daselbst noch nicht frei von den Traditionen des Bolschewismus sind. Auf dieser Zwischenformation der Postyschews, Tscherwjakows, Tuchatschewskis, Jakirs, von den Jagodas gar nicht zu reden, kann sich das Regime nicht halten. Die ihnen nachfolgende Schicht hat an ihrer Spitze gleichgültige Administratoren, wenn nicht Schlauberger und Streber. Für Stalin sind diese Schichtungen deutlicher als für irgend wen sonst. Er meint darum, dass nach der Erstickung der Massen und nach der Ausrottung der alten Garde das Heil des Sozialismus in ihm allein liege. Es ist nicht einfach eine Sache des persönlichen Machtdurstes oder der Grausamkeit. Stalin kann nicht umhin, die juridische Verankerung seiner persönlichen Macht anzustreben als eine Art lebenslänglicher «Führer», allmächtiger Präsident oder schließlich als gekrönter Kaiser. Er kann gleichzeitig nicht umhin zu fürchten, dass aus derselben Bürokratie und insbesondere aus der Armee Widerstand gegen seine cäsaristischen Pläne erwachse. Das heißt. dass Stalin, bevor er – mit oder ohne Krone – in den Abgrund stürzt, versuchen wird, die besten Elemente des Staatsapparats auszurotten. Der Roten Armee versetzte er jedenfalls einen fürchterlichen Schlag. Nach dem neuen Prozessschwindel ist sie mit einem Ruck um mehrere Jahre zurückgeworfen worden. Moralisch ist die Armee bis in die Grundfesten erschüttert. Die Interessen der Verteidigung wurden den Interessen des Selbstschutzes der regierenden Clique geopfert. Nach dem Prozess gegen Sinowjew und Kamenew, gegen Radek und Pjatakow, bezeichnet der Prozess gegen Tuchatschewski, Jakir, u.a. den Anfang vom Ende der Stalindiktatur. 17. Juni 1937. L. TROTZKI.
1 Nach den letzten Moskauer Telegrammen stieg diese Zahl auf 214. – Die Red. |
Leo Trotzki > 1937 >