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Leo Trotzki 19371202 Die Zukunft der niederländischen Sektion

Leo Trotzki: Die Zukunft der niederländischen Sektion

[Eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1937-38) New York ²1976, S. 81-83]

Lieber Genosse Sneevliet:

Ich habe Ihnen nicht direkt auf Ihren sehr verspäteten letzten Reiss betreffenden Brief geantwortet, weil wir nicht nur durch diese tragische individuelle Frage getrennt sind, sondern durch alle anderen wichtigen politischen Fragen, ich könnte sagen: durch das ganze Verständnis von revolutionärer Tätigkeit und politischer Solidarität.

Diese völlig ungesunde Lage hat Jahre gedauert, so viele Jahre wie Ihre Gruppe unserer internationalen Organisation angehörte. Viele jüngere Genossen, die mit der politischen Linie und den organisatorischen Methoden der niederländischen Sektion besser vertraut sind, haben seit 1934 auf der Notwendigkeit einer offenen Klärung unserer grundlegenden theoretischen, politischen und praktischen Differenzen bestanden. Durch Briefe und Gespräche lehnte ich diese Vorschläge ab. Nicht dass ich mit Ihrer politischen Linie einverstanden gewesen wäre – nie –, aber ich fürchtete, dass eine vorzeitige Eröffnung einer allgemeinen Diskussion ohne eine Vorbereitungsperiode der gemeinsamen Erfahrung nur eine unheilbare Spaltung hervorrufen könnte. Ich wurde von der Idee geleitet, dass Ihre Organisation eine ganz andere Vorgeschichte und eine andere Schulung als alle anderen hatte. Deshalb empfahl ich dringend, dass unsere Genossen Ihrer Organisation mehr Zeit zur Umorientierung, zum Umlernen geben. Natürlich hofften wir, nicht nur unsre niederländischen Genossen zu „belehren“, sondern auch von ihnen zu lernen.

Ich muss sagen, dass die Hoffnungen, die ich in diese vorsichtige und geduldige Methode gesetzt habe, sich als falsch erwiesen. Die niederländische Partei, oder besser gesagt: ihr Führer, griffen in unser inneres Leben und in das Leben jeder Sektion mit Energie und manchmal mit äußerster Brutalität ein. So war ihre Haltung zum Eintritt unserer französischen Sektion, dann der belgischen und später der amerikanischen Sektion in die jeweiligen Sozialistischen Parteien. So war ihre Haltung gegenüber den deutschen Genossen. Die niederländische Partei, oder besser gesagt: ihre Führer, zögerten nie, eine kleine Minderheit in einer ausländischen Sektion gegen die Mehrheit zu unterstützen. Sie zögerte nie, die wichtigsten Entscheidungen der ganzen internationalen Organisation offen abzulehnen und unabhängig zu handeln, wie im Fall von Spanien. Gleichzeitig haben Sie die niederländische Partei als für alle anderen Sektionen tabu betrachtet. Jedes kritische Wort, das Ihre allgemeine oder spezieller Ihre Gewerkschaftspolitik betraf, wurde als Verbrechen betrachtet. Mit anderen Worten, Sie haben eine völlig Ausnahmestellung für die niederländische Sektion verlangt.

Als ich einen Brief an unsere Internationale Konferenz schrieb, in der ich ein paar kritische Überlegungen zu Ihrer politischen Linie zum Ausdruck brachte, nahmen Sie diesen Brief zum Vorwand, um nicht an der Konferenz teilzunehmen. Sie erklärten später, dass Sie das formell gewählte Internationale Sekretariat nicht anerkennen. In allen Fragen handeln Sie völlig unabhängig von der internationalen Organisation. In der Reiss-Frage haben Sie ohne das Wissen und die Beteiligung der russischen Genossen gehandelt und ich glaube, dass diese völlig unverständliche Einstellung zum tragischen Ergebnis beitrug. Ich schreibe Ihnen das mit voller Offenheit, weil ich diesen Brief als persönlich betrachte. Ich mache meinen letzten Versuch, Ihre Verbindung mit der Vierten Internationale und gleichzeitig die Zukunft der niederländischen Sektion zu retten.

Sie müssen endlich verstehen, dass niemand in unserer internationalen Bewegung geneigt ist, die völlig unnormale Lage weiter zu dulden, in der die niederländische Partei sich mit dem Banner der Vierten Internationale zudeckt und eine Politik verfolgt, die allen unseren Prinzipien und Entscheidungen eklatant widerspricht.

Die NAS ist endgültig ein Stein um den Hals der Partei geworden und dieser Stein wird Sie zu Boden ziehen. Eine Partei, die sich nicht an den wirklichen Massengewerkschaften beteiligt, ist keine revolutionäre Partei. Die NAS besteht nur dank der Tolerierung und finanziellen Unterstützung durch die bürgerliche Regierung. Diese finanzielle Unterstützung hängt von Ihrer politischen Haltung ab. Da ist der wirkliche Grund dafür, dass die Partei trotz all unserem Beharren darauf keine politische Plattform ausgearbeitet hat. Das ist auch der Grund, warum Sie als Parlamentsabgeordneter nie eine wirklich revolutionäre Rede gehalten haben, die unserer Propaganda in Holland und auch in Ausland dienen könnte. Ihre Tätigkeit hat einen diplomatischen und keinen sehr revolutionären Charakter. Sie sind durch Ihre NAS-Position an Händen und Füßen gebunden. Und die NAS selbst ist keine Brücke zu den Massen, sondern eine Mauer, die Sie von den Massen trennt.

Wenn wir in anderen Ländern falsche Gewerkschaftspolitik kritisieren, antworten die Leute: „Und Eure niederländische Sektion?“ Wenn wir die menschewistische und völlig fatale Politik der POUM-Führung kritisieren, greifen Sie ein, um sie gegen uns zu unterstützen und machst das unter dem Banner der Vierten Internationale. Glauben Sie, dass irgendeine ernsthafte revolutionäre Organisation so eine Lage unbegrenzt dulden kann? Wir sind sehr geduldig, aber wir können nicht die elementaren Interessen unserer Bewegung opfern.

Ich persönlich bin bereit, alles zu tun, um bei der Reintegration der niederländischen Partei in die Reihen der Vierten Internationale zu helfen. Aus Cannons Brief weiß ich, dass er die selbe Neigung hat. Ich bezweifle, dass irgend jemand auf unserer Seite die Idee einer Spaltung wünscht oder auch nur hinnimmt. Aber gleichzeitig werden wir uns von Mehrdeutigkeit befreien. Auf jedem Fall sage ich in meinem eigenen Namen offen: Wenn Sie gemeinsame Regeln der Zusammenarbeit und aktiven Solidarität nicht akzeptieren; wen Sie es zurückweien, normal, wie jede andere Sektion, an der Internationalen Konferenz teilzunehmen; wenn Sie mit der völlig doppeldeutigen Haltung fortfahren – in Worten für die Vierte Internationale, in Taten gegen sie – dann ist es besser, eine offene und ehrliche Spaltung durchzumachen. Dann werden Sie bei der NAS bleiben und wir bei der Vierten Internationale. Wir werden eine Sektion in Holland schaffen und werden durch offenen Kampf zu erreichen versuchen, was wir durch geduldige Zusammenarbeit und geduldige Diskussion nicht erreichen konnten.

Ich habe lange gezögert, bevor ich Ihnen diesen Brief geschrieben habe, weil ich – erlauben Sie mir, das zu sagen — Ihre Impulsivität und Ihre Bereitschaft kenne, die wichtigsten Entscheidungen unter dem Einfluss persönlicher Impulse zu treffen. Es ist auch möglich, dass dieser Brief in Ihnen eine Reaktion hervorrufen wird, die der Absicht entgegengesetzt ist, in der er geschrieben wurde. Es ist möglich, dass Sie diese offene Warnung zur Beschleunigung der Spaltung verwenden werden. Aber ich habe keine andere Wahl. Besonders nach der spanischen Erfahrung und dem Reiss-Zwischenfall kann die Lösung der Verwicklung nicht länger aufgeschoben werden. Die Stunde der letzten Entscheidung ist da. Die Zukunft unserer Beziehungen hängt völlig von Ihrer Haltung gegenüber der kommenden Konferenz ab. Deshalb mache ich diesen letzten Appell an Ihren Sinn für revolutionäre Verantwortung. Der Tag, an dem ich ein Telegramm oder einen Brief erhalte, in dem Sie ankündigen, dass Ihre Partei an der Konferenz auf der selben Grundlage wie jede andre Sektion teilnehmen wird, wird nicht nur für mich ein sehr guter Tag sein, sondern auch für die Vierte Internationale und besonders die niederländische Partei. Wenn Sie sich anders entscheiden, wird jeder von uns wissen, was zu tun ist.

Mit besten Genossengrüßen

L. Trotzki

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