Leo Trotzki: Die UdSSR im Kriege [Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 8, Nr. 8 [sic!] (99), Januar 1940, S. 2-4] Der deutsch-russische Pakt und der Charakter der UdSSR Ist es nach Abschluss des deutsch-russischen Paktes möglich, die UdSSR als einen Arbeiterstaat anzusehen? Die Zukunft des Sowjetstaates hat immer wieder Anlass zur Diskussion in unseren Reihen gegeben. Kein Wunder: wir haben das erste Experiment eines Arbeiterstaates in der Geschichte vor uns. Niemals und nirgends zuvor hat man dieses Phänomen analysieren können. In die Frage nach dem sozialen Charakter der UdSSR dringen gewöhnlich Fehler ein, indem, wie wir früher festgestellt haben, die historische Tatsache durch die programmatische Norm ersetzt wird. Die konkrete Tatsache weicht von der Norm ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie die Norm umgestoßen hat; im Gegenteil, sie hat sie von der negativen Seite bestätigt. Der Verfall des ersten Arbeiterstaates, wie wir ihn festgestellt und erklärt haben, hat nur um so deutlicher gezeigt, was der Arbeiterstaat sein sollte, was er unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen sein könnte und sein würde. Der Widerspruch zwischen den konkreten Tatsachen und der Norm zwingt uns nicht, die Norm zu verwerfen, sondern im Gegenteil auf dem revolutionären Wege für sie zu kämpfen. Das Programm der herannahenden Revolution in der UdSSR hängt einerseits von unserer Einschätzung der UdSSR als einer objektiven geschichtlichen Tatsache, andererseits von einer Norm des Arbeiterstaates ab. Wir sagen nicht: „Alles ist verloren, wir müssen wieder von vorn anfangen." Wir zeigen deutlich jene Elemente des Arbeiterstaates auf, die gerettet, bewahrt und weiter entwickelt werden können. Diejenigen, die neuerdings zu beweisen versuchen, dass der deutsch-russische Pakt unsere Einschätzung des Sowjetstaates ändert, stehen im Wesentlichen auf dem Standpunkt der Komintern – genauer, auf dem gestrigen Standpunkt der Komintern. Nach dieser Logik ist die historische, Sendung des Arbeiterstaates der Kampf für die imperialistische Demokratie. Der „Verrat" an den Demokratien erlaubt es nicht mehr, die UdSSR als Arbeiterstaat anzusehen. In Wirklichkeit liefert die Unterzeichnung des Vertrages mit Hitler nur einen besonderen Maßstab, mit dem man den Grad der Entartung der Sowjet-Bürokratie und ihre Verachtung für die internationale Arbeiterklasse, einschließlich der Komintern, messen kann, aber sie stellt durchaus keine Grundlage für eine Neuwertung der soziologischen Einschätzung der UdSSR dar. Sind die Differenzen politisch oder terminologisch? Stellen wir zunächst die Frage nach der Natur des Sowjetstaates nicht auf der abstrakt-soziologischen Ebene, sondern auf der Ebene konkreter politischer Aufgaben. Wir wollen für den Augenblick zugeben, dass die Bürokratie eine neue „Klasse" ist und das gegenwärtige Regime in der UdSSR ein besonderes System der Klassenausbeutung darstellt. Welche neuen politischen Schlussfolgerungen ergeben sich für uns aus diesen Definitionen? Die Vierte Internationale hat schon lange die Notwendigkeit anerkannt, die Bürokratie durch eine revolutionäre Erhebung der Werktätigen zu stürzen. Nichts anderes wird vorgeschlagen oder kann vorgeschlagen werden von denen, die behaupten, die Bürokratie sei eine ausbeutende „Klasse." Das Ziel, das durch den Sturz der Bürokratie erreicht werden soll, ist die Wiederherstellung der Herrschaft der Sowjets, aus denen die jetzige Bürokratie vertrieben werden soll. Die linken Kritiker schlagen nichts anderes vor und können nichts anderes vorschlagen.* Es ist die Aufgabe der wiederhergestellten Sowjets, für die Weltrevolution und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu arbeiten. Der Sturz der Bürokratie setzt daher die Erhaltung des Staatseigentums und der Planwirtschaft voraus. Darin liegt der Kern des ganzen Problems. Es ist unnötig zu sagen, dass die Verteilung der Produktivkräfte unter die verschiedenen Zweige der Wirtschaft und im Allgemeinen der ganze Inhalt des Planes drastisch geändert werden wird, wenn dieser Plan nicht von den Interessen der Bürokratie sondern der Produzenten selbst bestimmt wird. Insofern jedoch als die Frage des Sturzes der parasitären Oligarchie noch mit der Erhaltung des nationalisierten (Staats-) Eigentums verknüpft ist, nannten wir die zukünftige Revolution politisch. Gewisse Kritiker (Ciliga, Bruno und andere) wollen die zukünftige Revolution unbedingt sozial nennen. Nehmen wir diese Definition an. Was ändert das am Wesen der Sache? Zu jenen Aufgaben der Revolution, die wir aufgezählt haben, fügt es durchaus nichts hinzu. Unsere Kritiker nehmen in der Regel die Tatsachen so hin, wie wir sie vor langer Zeit festgestellt haben. Sie fügen absolut nichts Wesentliches zur Einschätzung einerseits der Lage der Bürokratie und der Werktätigen oder der Rolle des Kreml in der internationalen Arena hinzu. Auf allen diesen Gebieten verfehlen sie nicht nur, unsere Analyse anzugreifen, im Gegenteil stützen sie sich völlig darauf und beschränken sich darauf. Die einzige Anklage, die sie gegen uns vorbringen, ist, dass wir nicht die nötigen „Schlussfolgerungen" ziehen. Bei genauerer Prüfung stellt es sich jedoch heraus, dass die Schlussfolgerungen einen durchaus terminologischen Charakter haben. Unsere Kritiker weigern sich, der entarteten Arbeiterstaat – einen Arbeiterstaat zu nennen. Sie verlangen, dass die totalitäre Bürokratie eine herrschende Klasse genannt wird. Die Revolution gegen diese Bürokratie wollen sie nicht als politisch sondern als sozial ansehen Wenn wir diese terminologischen Konzessionen machten, würden wir unsere Kritiker in eine sehr schwierige Lage versetzen, da sie selbst nicht wissen würden, was sie mit ihrem rein verbalen Siege anfangen sollten. Prüfen wir uns noch einmal! Es wäre daher ungeheurer Unsinn, sich von Genossen zu spalten, die in der Frage der soziologischen Natur der UdSSR eine andere Meinung haben, sofern sie sich mit uns in Bezug auf die politischen Aufgaben solidarisieren. Andererseits wäre es jedoch Blindheit, rein theoretische und selbst terminologische Differenzen nicht zu sehen, da sie im Verlaufe der weiteren Entwicklung Fleisch und Blut gewinnen und zu einander gerade entgegengesetzten politischen Folgerungen führen können. Wie die reinliche Hausfrau niemals eine Anhäufung von Spinnweben und Abfall zulässt, so kann eine revolutionäre Partei nicht Unklarheit, Konfusion und Zweideutigkeit dulden. Unser Haus muss rein gehalten werden! Zu Illustrationszwecken möchte ich an die Frage des Thermidor erinnern. Für eine lange Zeit versicherten wir, dass der Thermidor in der UdSSR in Vorbereitung wäre, aber noch nicht stattgefunden hätte. Später, als wir die Analogie zum Thermidor mit einem genaueren und wohl überlegten Charakter versahen, kamen wir zu dem Schluss, dass der Thermidor schon lange stattgefunden hatte. Diese offene Berichtigung unseres Fehlers rief nicht das geringste Erstaunen in unseren Reihen hervor. Warum? Weil das Wesen der Vorgänge in der Sowjetunion von uns allen gleich eingeschätzt wurde, da wir gemeinsam Tag für Tag das Wachsen der Reaktion studierten. Für uns war es nur eine Frage, eine historische Analogie genauer wiederzugeben, nichts anderes. Ich hoffe, dass wir auch heute noch, trotz dem Versuche einiger Genossen, Differenzen in der Frage der „Verteidigung der UdSSR" zu entdecken mit denen wir uns sofort auseinandersetzen werden, Erfolg haben werden, Einmütigkeit auf der Basis des Programme der 4. Internationale zu erreichen, indem wir einfach unsere Ideen genauer ausdrücken. Ist die Bürokratie ein krebsartiges Gewächs oder ein neues Organ? Unsere Kritiker haben mehr als einmal festgestellt, dass die gegenwärtige Sowjet-Bürokratie sowohl der bürgerlichen als auch der Arbeiter-Bürokratie in der kapitalistischen Gesellschaft wenig ähnelt; dass sie in höherem Grade als die faschistische Bürokratie eine neue und viel mächtigere gesellschaftliche Schicht darstellt. Das ist durchaus richtig, und wir haben unsere Augen niemals davor geschlossen. Aber wenn wir die Sowjet-Bürokratie als eine „Klasse" ansehen, dann sind wir gezwungen, sofort festzustellen, dass diese Klasse keiner der besitzenden Klassen, die wir in der Vergangenheit gekannt haben, ähnlich sieht: wir gewinnen daher nicht viel. Wir nennen die Sowjet-Bürokratie oft eine Kaste und unterstreichen damit ihren abgeschlossen Charakter, ihre willkürliche Herrschaft und den Hochmut der herrschenden Schicht, die annimmt, dass ihre Vorfahren den göttlichen Lippen Brahmas entsprangen, während die Volksmassen aus den gröberen Teilen seiner Anatomie entstanden. Aber auch diese Definition besitzt natürlich keinen völlig wissenschaftlichen Charakter. Ihre relative Überlegenheit beruht darauf, dass es jedermann klar ist, der Ausdruck ist nur ein Notbehelf, da es niemandem einfallen würde, die Moskauer Oligarchie mit der Hindu-Kaste der Brahmanen gleichzusetzen. Die alte soziologische Terminologie hat keinen Namen vorbereitet und konnte keinen Namen für ein neues gesellschaftliches Ereignis vorbereiten, das im Prozess der Entwicklung (Entartung) ist und noch keine feste Form angenommen hat. Wir alle nennen jedoch weiterhin die Sowjet-Bürokratie eine Bürokratie, ohne ihre historischen Besonderheiten zu übersehen. Nach unserer Ansicht sollte das für den Augenblick genügen. Wissenschaftlich und politisch – nicht nur terminologisch – stellt die Frage sich folgendermaßen: stellt die Bürokratie einen zeitlichen Auswuchs an einem gesellschaftlichen Organismus dar, oder hat dieser Auswuchs sich schon in ein historisch unentbehrliches Organ verwandelt? Gesellschaftliche Auswüchse können das Produkt einer „zufälligen" (d.h. zeitweiligen und außergewöhnlichen) Verwicklung geschichtlicher Umstände sein. Ein gesellschaftliches Organ (und das ist jede Klasse, einschließlich einer Ausbeuterklasse) kann sich nur als das Ergebnis der tief eingewurzelten inneren Bedürfnisse der Produktion selbst herausbilden. Wenn wir diese Frage nicht beantworten, dann wird die ganze Diskussion in ein unfruchtbares Spiel mit Worten ausarten. Die frühzeitige Entartung der Bürokratie Die historische Rechtfertigung für jede herrschende Klasse bestand darin, dass das Ausbeutungssystem, an dessen Spitze sie stand, die Produktivkräfte auf eine höhere Stufe hob. Ohne jeden Zweifel hat das Sowjet-System der Wirtschaft einen mächtigen Anstoß gegeben. Aber die Quelle dieses Anstoßes war die Nationalisierung der Produktionsmittel und der Beginn der Planwirtschaft, und durchaus nicht der Umstand, dass die Bürokratie die Herrschaft über die Wirtschaft an sich riss. Im Gegenteil, Bürokratismus als System wurde zur schlimmsten Bremse für die technische und kulturelle Entwicklung des Landes. Das war für eine gewisse Zeit durch die Tatsache verschleiert, dass die Sowjet-Wirtschaft sich für zwei Jahrzehnte damit beschäftigte, die Technologie und Organisation der Produktion in den vorgeschrittenen kapitalistischen Ländern nach Russland zu verpflanzen und zu assimilieren. Die Periode des Borgens und der Nachahmung ließ sich noch mehr oder weniger mit bürokratischem Automatismus, d.h. der Erstickung aller Initiative und allen schöpferischen Dranges, vereinbaren. Aber je höher sich die Wirtschaft entwickelte, je komplizierter ihre Ansprüche wurden, um so unerträglicher wurde das Hindernis des bürokratischen Regimes. Der sich ständig verschärfende Widerspruch zwischen ihnen führt zu ununterbrochenen politischen Erschütterungen, zur systematischen Vernichtung der hervorragendsten schöpferischen Elemente auf allen Arbeitsgebieten. Ehe es der Bürokratie gelang, aus sich eine „herrschende Klasse" zu erzeugen, geriet sie so in einen unversöhnlichen Gegensatz zu den Bedürfnissen der Entwicklung. Die Erklärung dafür kann man gerade in der Tatsache finden, dass die Bürokratie nicht die Trägerin eines neuen ökonomischen Systems ist, dass ihre Besonderheit ausmacht und, ohne sie unmöglich ist, sondern einen parasitären Auswuchs eines Arbeiterstaates darstellt. Die Bedingungen für die Allmacht und den Sturz der Bürokratie Die Sowjet-Oligarchie besitzt alle Laster der alten herrschenden Klassen, hat aber nicht ihre geschichtliche Sendung. In der bürokratischen Entartung des Sowjet-Staates drücken sich nicht die allgemeinen Entwicklungs-Gesetze der modernen Gesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus aus, sondern ein besonderer, zeitweiliger und außerordentlicher Bruch dieser Gesetze unter den Bedingungen eines rückständigen revolutionären Landes in einer kapitalistischen Umgebung. Die Knappheit der Verbrauchsgüter und der allgemeine Kampf, sie zu erhalten, bringen einen Polizisten hervor, der sich die Aufgabe der Verteilung anmaßt. Feindlicher Druck von außen zwingt dem Polizisten die Rolle des „Verteidigers" des Landes auf, stattet ihn mit nationaler Autorität aus und erlaubt es ihm, das Land doppelt zu plündern. Beide Bedingungen für die Allmacht der Bürokratie – die Rückständigkeit des Landes und die imperialistische Umgebung – haben jedoch einen zeitbedingten und übergangsmäßigen Charakter und müssen mit dem Siege der Weltrevolution verschwinden. Selbst bürgerliche Volkswirtschaftler haben ausgerechnet, dass es bei einer Planwirtschaft möglich wäre, das Volkseinkommen der Vereinigten Staaten auf 200 Milliarden Dollars im Jahre zu heben, und so nicht nur die primären Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, sondern ihr wirkliche Annehmlichkeiten zu verschaffen. Andererseits würde die Weltrevolution die Gefahr von außen als zusätzlichen Grund der Bürokratisierung beseitigen. Die Beseitigung der Notwendigkeit, einen enormen Anteil des Volkseinkommens für Aufrüstung auszugeben, würde den Lebensstandard und die kulturelle Stufe der Massen noch mehr heben. Unter diesen Umständen würde die Notwendigkeit für einen Polizisten-Verteiler von selbst wegfallen. Die Verwaltung als eine gigantische Genossenschaft würde schnell die Staatsmacht ersetzen. Es würde keinen Platz für eine herrschende Klasse oder für ein neues Ausbeutungs-Regime, das zwischen Kapitalismus und Sozialismus liegt, geben. Und was geschieht, wenn die sozialistische Revolution nicht erreicht wird? Der
Zerfall des Kapitalismus hat extreme Grenzen erreicht, ebenso der
Zerfall der alten herrschenden Klasse. Die weitere Existenz dieses
Systems ist unmöglich. Die Produktivkräfte müssen planmäßig
organisiert werden. Aber wer wird diese Aufgabe erfüllen, das
Proletariat oder eine neue herrschende Klasse von „Kommissaren":
Politiker,
Administratoren und Techniker? Die historische Erfahrung beweist
nach der Ansicht gewisser Wunschdenker, dass man nicht auf das
Proletariat hoffen darf. Das Proletariat erwies sich als „unfähig,"
den letzten imperialistischen Krieg zu verhindern, obgleich die
Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution zu jener Zeit
bereits vorhanden waren. Die Erfolge des Faschismus nach dem Krieg
waren wiederum die Folge der „Unfähigkeit" des Proletariats
selbst,
die
kapitalistische Gesellschaft aus der Sackgasse hinauszuführen. Die
Bürokratisierung des Sowjet-Staates war ebenfalls die Folge der
„Unfähigkeit" des Proletariats selbst, die Gesellschaft durch
den demokratischen Mechanismus zu regulieren. Die
spanische Revolution wurde direkt vor den Augen des Weltproletariats
von der faschistischen und der stalinistischen Bürokratie erwürgt.
Das letzte Glied in dieser Kette ist schließlich der neue
imperialistische Krieg, dessen Vorbereitung ganz offen bei völliger
Ohnmacht des Weltproletariats stattfand. Wenn man diese Auffassung
annimmt, d.h. wenn man anerkennt, dass das Proletariat nicht die
Kraft hat, die sozialistische Revolution zu vollziehen, dann wird die
dringende Aufgabe der Verstaatlichung der Produktionsmittel offenbar
von jemand anderem gelöst werden. Von wem? Von einer neuen
Bürokratie, die die verfallene Bourgeoisie als neue herrschende
Klasse im Weltmaßstabe ablösen wird. So beginnt man die Frage bei
jenen „Linken" zu stellen, die nicht damit zufrieden sind,
über Worte zu debattieren. Der gegenwärtige Krieg und das Schicksal der heutigen Gesellschaft. Der Gang der Entwicklung selbst stellt diese Frage jetzt sehr konkret. Der zweite Weltkrieg hat begonnen. Er bezeugt unbestreitbar, dass die Gesellschaft nicht mehr auf der Basis des Kapitalismus leben kann. Damit unterwirft er das Proletariat einer neuen und vielleicht entscheidenden Prüfung. Wenn dieser Krieg, wie wir fest glauben, eine proletarische Revolution hervorruft, muss er unvermeidlich zum Sturze der Bürokratie in der UdSSR und zur Erneuerung der Sowjet-Demokratie auf einer weit höheren wirtschaftlichen und kulturellen Basis als 1918 führen. In diesem Falle ist die Frage, ob die stalinistische Bürokratie eine Klasse oder ein Auswuchs des Arbeiterstaates ist, automatisch gelöst. Jedem Einzelnen wird es klar werden, dass im Entwicklungsprozess der Weltrevolution die Sowjet-Bürokratie nur ein episodischer Rückschlag war. Wenn man jedoch zugibt, dass der gegenwärtige Krieg nicht die Revolution sondern einen Niedergang des Proletariats hervorrufen wird, dann bleibt eine andere Alternative: Der weitere Verfall des Monopolkapitalismus, seine weitere Verschmelzung mit dem Staate und die Verdrängung der Demokratie, wo es sie noch gab, durch ein totalitäres Regime. Die Unfähigkeit des Proletariats, die Führung der Gesellschaft in die Hand zu nehmen, könnte unter diesen Bedingungen tatsächlich zur Entstehung einer neuen Ausbeuterklasse aus der bonapartistischen, faschistischen Bürokratie führen. Dies würde nach allen Anzeichen ein Niedergangsregime sein, dass die Verfinsterung der Zivilisation anzeigt. Ein analoges Resultat würde sich ergeben, wenn das Proletariat der vorgeschrittenen kapitalistischen Länder, nachdem es die Macht ergriffen hat, sich als unfähig erweisen sollte, sie zu behaupten, und sie wie in der UdSSR einer privilegierten Bürokratie übergeben würde, dann würden wir anerkennen müssen, dass der Grund für den bürokratischen Rückschlag nicht in der Rückständigkeit des Landes und der imperialistischen Umgebung wurzelt, sondern in der angeborenen Unfähigkeit des Proletariats, eine herrschende Klasse zu werden. Dann würde es nötig werden, rückblickend festzustellen, dass die gegenwärtige UdSSR in den Grundzügen der Vorläufer eines neuen Ausbeuterregimes im internationalen Maßstabe war. Wir sind ziemlich weit von der terminologischen Streitfrage über die Benennung des Sowjet-Staates abgekommen. Aber unsere Kritiker sollten nicht protestieren: nur wenn man die notwendige historische Perspektive annimmt, kann man zu einem korrekten Urteil über so eine Frage wie die der Ablösung eines sozialen Regimes durch ein anderes gelangen. Die historische Alternative, zu Ende geführt, ist folgende: entweder ist das Stalin-Regime ein abstoßender Rückschlag im Prozess der Umformung der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft, oder das Stalin-Regime ist die erste Stufe einer neuen Ausbeutergesellschaft. Wie beschwerlich auch die zweite Perspektive sein mag, wenn das Proletariat sich tatsächlich als unfähig erweisen sollte, die Sendung zu erfüllen, die der Lauf der Entwicklung ihm zuteilt, dann würde nichts übrig bleiben, als offen anzuerkennen, dass das sozialistische Programm, das auf den inneren Widersprüchen des Kapitalismus aufgebaut war, als eine Utopie endete. Es ist selbstverständlich, dass ein neues „Minimalprogramm" erforderlich wäre zur Verteidigung der Interessen der Sklaven in einer totalitären, bürokratischen Gesellschaft. Aber gibt es unwiderlegliche oder auch nur eindrucksvolle Tatsachen, die uns heute zwingen würden, auf die Aussicht einer sozialistischen Revolution zu verzichten? Das ist die ganze Frage. Die Theorie des „Bürokratischen Kollektivismus" Kurz nach Hitlers Machtergreifung kam ein deutscher „Linkskommunist," Hugo Urbahns, zu dem Schluss, dass anstelle des Kapitalismus eine neue geschichtliche Ära des „Staatskapitalismus" bevorstehe. Als die ersten Beispiele für dieses Regime nannte er Italien, die UdSSR, Deutschland. Urbahns zog jedoch nicht die politischen Folgerungen aus dieser Theorie. Kürzlich kam ein italienischer „Linkskommunist", Bruno R., der früher der Vierten Internationale angehörte, zu dem Schluss, dass „Bürokratischer Kollektivismus" im Begriff wäre, den Kapitalismus abzulösen. (Bruno R., Le bureaucratisme du monde. Paris, 1939, 350 Seiten) Die neue Bürokratie ist eine Klasse, ihr Verhältnis zu den Werktätigen ist kollektive Ausbeutung, die Proletarier werden zu Sklaven der totalitären Ausbeuter umgewandelt. Bruno R. wirft die Planwirtschaft in der UdSSR, zusammen mit Faschismus, Nationalsozialismus und Roosevelts „New Deal." Alle diese Regime besitzen zweifellos gemeinsame Züge, die in der letzten Analyse von den kollektivistischen Tendenzen der modernen Wirtschaft bestimmt sind. Lenin formulierte schon vor der Oktoberrevolution die wichtigsten Besonderheiten des imperialistischen Kapitalismus folgendermaßen: gigantische Konzentration der Produktivkräfte, zunehmende Verschmelzung des Monopolkapitalismus mit dem Staat, eine organische Tendenz zur nackten Diktatur als ein Ergebnis dieser Verschmelzung. Die Züge der Zentralisierung und Kollektivierung bestimmen die Politik der Revolution und die Politik der Konterrevolution; aber das bedeutet durchaus nicht, dass man Revolution, Thermidor, Faschismus und amerikanischen „Reformismus" gleichsetzen kann. Bruno hat die Tatsache bemerkt, dass die Kollektivierungstendenzen als Ergebnis der Niedergeschlagenheit der Arbeiterklasse die Form des „bürokratischen Kollektivismus" annehmen. Die Erscheinung selbst ist unbestreitbar. Aber wo sind ihre Grenzen, und was ist ihr historisches Gewicht? Was wir als Entstellung einer Übergangsperiode, das Ergebnis der ungleichmäßigen Entwicklung verschiedener Faktoren im Gesellschaftsprozess ansehen, sieht Bruno R. als eine unabhängige gesellschaftliche Formierung an, in der die Bürokratie die herrschende Klasse ist. Bruno R. hat jedenfalls das Verdienst, dass er versucht, die Frage aus dem Zauberkreise der terminologischen Schulaufgaben zur Ebene historischer Verallgemeinerungen zu erheben. Das macht es um so leichter, seinen Fehler herauszufinden. Wie viele Ultralinke identifiziert Bruno R. Stalinismus im Wesentlichen mit Faschismus. Einerseits hat die Sowjet-Bürokratie die politischen Methoden des Faschismus angenommen; andererseits strebt die faschistische Bürokratie, die sich noch mit „teilweisen" Staatseingriffen begnügt, nach vollständiger Verstaatlichung der Wirtschaft und wird sie bald erreichen. Die erste Behauptung ist durchaus richtig. Aber Brunos Behauptung, dass der faschistische „Anti-Kapitalismus" fähig ist, die Enteignung der Bourgeoisie zu erreichen, ist durchaus irrig. „Teilweise" Staatseingriffe und Nationalisierungs-Maßnahmen unterscheiden sich in Wirklichkeit! von staatlicher Planwirtschaft wie die Reform von der Revolution. Mussolini und Hitler „koordinieren" nur die Interessen der besitzenden Klassen und „regulieren" die kapitalistische Wirtschaft, und darüber hinaus in erster Linie für Kriegszwecke. Die Kreml-Oligarchie ist wieder etwas anderes: sie hat die Gelegenheit, den Gesamtkörper der Wirtschaft zu leiten, nur dank der Tatsache, dass die russische Arbeiterklasse den größten Umsturz der Eigentumsbeziehungen in der Geschichte vollzogen hat. Diesen Unterschied darf man nicht aus den Augen verlieren. Aber selbst wenn wir einräumen, dass Stalinismus und Faschismus eines Tages von entgegengesetzten Polen ein und dieselbe Art der Ausbeutergesellschaft (Bürokratischer Kollektivismus nach Bruno R.s Bezeichnung) erreichen, so wird das die Menschheit noch nicht aus der Sackgasse hinausführen. Die Krise des kapitalistischen Systems ist nicht nur durch die reaktionäre Rolle des Privateigentums sondern auch durch die nicht weniger reaktionäre Rolle des Nationalstaates bedingt. Selbst wenn es den verschiedenen faschistischen Systemen gelänge, zu Hause ein Planwirtschafts-System zu errichten, dann würde doch, abgesehen von den auf die Dauer gesehen unvermeidlichen revolutionären Bewegungen des Proletariats, die kein Plan voraus sieht, der Kampf zwischen den totalitären Staaten um die Weltherrschaft weitergehen und sich sogar verstärken. Kriege würden die Früchte der Planwirtschaft verschlingen und die Grundlagen der Zivilisation zerstören. Bertrand Russell denkt zwar, dass ein siegreicher Staat als ein Ergebnis des Krieges die ganze Welt in „einem totalitären Schraubstock zusammenfassen kann. Aber selbst wenn so eine Annahme sich verwirklichen sollte, was sehr zweifelhaft ist, würde die militärische „Vereinigung" nicht stabiler sein als der Versailler Vertrag. Nationale Aufstände und Pazifizierungen würden in einem neuen Weltkrieg kulminieren, der das Grab der Zivilisation wäre. Nicht unsere subjektiven Wünsche sondern die objektive Wirklichkeit spricht dafür, dass der einzige Ausweg für die Menschheit die sozialistische Weltrevolution ist. Die Alternative ist der Rückfall in die Barbarei. Das Proletariat und seine Führerschaft Wir werden der Frage der Beziehung zwischen der Klasse und ihrer Führerschaft sehr bald einen gesonderten Artikel widmen. Hier wollen wir uns auf das Notwendigste beschränken. Nur Vulgär-„Marxisten," die der Ansicht sind, dass Politik eine direkte und unmittelbare „Reflexion" der Ökonomie ist, können glauben, dass die Führerschaft direkt und unmittelbar der Klasse entspricht. In Wirklichkeit verfällt eine Führerschaft, die sich über eine unterdrückte Klasse erhoben hat, unvermeidlich dem Druck der herrschenden Klasse. So reflektiert die Führung der amerikanischen Trade Unions weniger das Proletariat, als die Bourgeoisie. Die Auswahl und Erziehung einer wirklich revolutionären Führerschaft, die dem Druck der Bourgeoisie gegenüber widerstandsfähig ist, ist eine außerordentlich schwere Aufgabe. Die Dialektik der Geschichte hat sich am Klarsten in der Tatsache ausgedrückt, dass das Proletariat des rückschrittlichsten Landes, Russlands, unter gewissen historischen Bedingungen die weitsichtigste und mutigste Führerschaft hervorgebracht hat. Das Proletariat im Lande der ältesten kapitalistischer Kultur, Großbritannien, hingegen hat heute noch die bornierteste, servilste Führung. Die Krise der kapitalistischen Gesellschaft, die im Juli 1914 klar zum Ausdruck kam, hat vom ersten Tage des Krieges an eine scharfe Krise in der proletarischen Führerschaft hervorgerufen. Während der 25 Jahre, die inzwischen vergangen sind, hat das Proletariat der vorgeschrittenen kapitalistischen Länder noch keine Führerschaft geschaffen, die den Aufgaben unserer Epoche gewachsen wäre. Die Erfahrung Russlands lehrt indessen, dass eine solche Führerschaft geschaffen werden kann. Dies bedeutet natürlich nicht, dass sie immer gegen Degeneration immun sein wird. Die Frage steht daher folgendermaßen: Wird sich die objektive historische Notwendigkeit schließlich einen Weg in das Bewusstsein der, Avantgarde bahnen können, d.h. wird sich im Laufe dieses Krieges und der tiefen Erschütterungen, die er mit sich bringen muss, eine wirklich revolutionäre Führung entwickeln, die fähig ist, das Proletariat zur Machteroberung zu führen? Die 4. Internationale hat diese Frage nicht nur durch den Text ihres Programms, sondern auch durch die bloße Tatsache ihrer Existenz positiv beantwortet. Alle die verschiedenen Typen der enttäuschten und erschreckten Vertreter des Pseudo-Marxismus gehen im Gegenteil von der Voraussetzung aus, dass der Bankrott der Führung nur ein Widerschein der Unfähigkeit des Proletariats ist, seine revolutionäre Mission zu erfüllen. Nicht alle Gegner drücken diesen Gedanken klar aus. Aber alle Ultralinke, Zentristen, Anarchisten, von Stalinisten und Sozialdemokraten gar nicht zu reden, laden die Verantwortung für die Niederlagen von sich auf das Proletariat ab. Niemand von ihnen gibt die genauen Bedingungen an, unter denen das Proletariat zur Durchführung der sozialistischen Revolution in der Lage sein würde. Wenn man zugibt, dass die Ursache der Niederlagen in den sozialen Qualitäten des Proletariats selbst liegt, so muss die Lage der modernen Gesellschaft als hoffnungslos angesehen werden. Unter den Verhältnissen des verfallenden Kapitalismus wächst das Proletariat weder zahlenmäßig noch kulturell. Deshalb gibt es keinen Grund zu erwarten, dass es sich jemals auf die Höhe der revolutionären Aufgabe erheben wird. Vollkommen anders liegt der Fall für denjenigen, der klar verstanden hat, welch tiefer Antagonismus besteht zwischen dem organischen, tiefgehenden, unüberwindlichen Drang der arbeitenden Massen, sich von dem blutigen kapitalistischen Chaos loszureißen, und dem konservativen, patriotischen, vollkommen bürgerlichen Charakter einer überlebten Arbeiter-Führerschaft. Zwischen diesen unversöhnlichen Auffassungen müssen wir wählen. Die totalitäre Diktatur ist ein Zustand akuter Krise und kein stabiles Regime Die Oktober-Revolution war kein Zufall. Sie war seit langem vorausgesagt worden. Die Ereignisse haben diese Voraussage bestätigt. Die Degeneration widerlegt die Voraussage nicht. Niemals waren Marxisten der Ansicht, dass sich ein isolierter Arbeiterstaat in Russland auf die Dauer halten kann. Gewiss, wir erwarteten eher den Zusammenbruch des Sowjet-Staates als seine Degeneration; genauer, wir unterschieden nicht scharf zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Aber sie stehen keinesfalls in Widerspruch zueinander. Degeneration muss in einem gewissen Stadium unumgänglich zum Zusammenbruch führen. Ein totalitäres Regime, der stalinistischen oder faschistischen Art kann seinem Wesen nach nur ein zeitbegrenztes, transitorisches Regime sein. Die Diktatur ist im Allgemeinen in der Geschichte das Resultat und Zeichen einer besonders scharfen sozialen Krise gewesen, keinesfalls eines stabilen Regimes. Eine scharfe Krise kann nicht ein Dauerzustand der Gesellschaft sein. Der totalitäre Staat kann während einer gewissen Zeit die sozialen Gegensätze ersticken, aber er kann sie nicht beständig machen. Die ungeheuren Säuberungen in der UdSSR sind der überzeugendste Beweis für die Tatsache, dass die Sowjetgesellschaft organisch darauf drängt, sich der Bürokratie zu entledigen. Erstaunlicherweise sieht Bruno R. gerade in den stalinistischen Säuberungen einen Beweis, dass die Bürokratie eine herrschende Klasse geworden ist, denn, nach seiner Meinung, könne nur eine herrschende Klasse zu Maßnahmen solchen Ausmaßes greifen.** Er vergisst jedoch, dass der Zarismus, der keinesfalls eine Klasse war, sich auch ziemlich große Säuberungsmaßnahmen erlaubte, außerdem gerade in der Periode, wo er sich seinem Ende näherte. Durch ihr Ausmaß und die Ungeheuerlichkeit ihrer Lügen bedeuten die Säuberungen Stalins nichts anderes als die Unfähigkeit der Bürokratie eine stabile herrschende Klasse zu werden und sind die Anzeichen ihrer nahen Todeskrise. Würden wir nicht in eine lächerliche Lage kommen, wenn wir der bonapartistischen Oligarchie den Titel einer neuen herrschenden Klasse einige Jahre oder selbst einige Monate vor ihrem ruhmlosen Fall zulegen? Diese Tatsache allein, die Frage klar zu stellen, muss unserer Meinung nach Genossen verhindern, sich mit terminologischen Experimenten zu befassen, und sich allzu hastigen Verallgemeinerungen hinzugeben. Die Orientierung zur internationalen Revolution und die Regenerierung der UdSSR Ein Vierteljahrhundert hat sich als eine zu kurze Frist für die revolutionäre Wiederbewaffnung der internationalen proletarischen Vorhut erwiesen, und als eine zu lange Frist für die Aufrechterhaltung des Sowjetsystems in einem rückständigen, isolierten Lande. Die Menschheit bezahlt dies jetzt mit einem neuen imperialistischen Krieg. Aber die grundlegende. Aufgabe unserer Epoche hat sich nicht verändert, und zwar aus dem einfachen Grunde, dass sie nicht gelöst worden ist. Der ungeheure Gewinn des vergangenen Vierteljahrhundert und das unschätzbare Pfand für die Zukunft, das ist die Tatsache, dass es einer der Abteilungen des Welt-Proletariats gelungen ist, in der Wirklichkeit zu zeigen, wie die Aufgabe gelöst werden kann. Der zweite imperialistische Krieg stellt die ungelöste Aufgabe auf eine höhere historische Stufe. Er stellt nicht nur die Stabilität der bestehenden Regime, sondern auch die Fähigkeit des Proletariats sie zu ersetzen, auf eine neue Probe. Die Resultate dieser Prüfung werden zweifellos eine entscheidende Bedeutung für unsere Einschätzung der gegenwärtigen Epoche als der Epoche der proletarischen Revolution haben. Wenn die Oktoberrevolution nicht gegen alle Wahrscheinlichkeit während des gegenwärtigen Krieges oder unmittelbar nachher ihre Fortsetzung in einem der vorgeschrittenen Länder fände, wenn sich im Gegenteil das Proletariat überall zurückgeworfen fände, dann müssten wir, ohne jeden Zweifel, die Frage der Revision unserer Auffassung über die gegenwärtige Epoche und ihre Triebkräfte stellen. Die Frage wäre übrigens nicht zu wissen, welche Aufschrift auf die UdSSR oder die stalinsche Sippschaft kleben. Sondern wie für die nächsten Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, die internationale historische Perspektive einschätzen: Sind wir in die Epoche der sozialen Revolution und der sozialistischen Gesellschaft oder in die Epoche der verfallenden Gesellschaft der totalitären Bürokratie eingetreten? Der doppelte Fehler der Schematiker der Art Hugo Urbahns und Bruno R. ist, erstens, dass sie erklären, dass letzteres Regime endgültig eingeführt ist, zweitens, zu behaupten, dass es ein langanhaltender Zustand der Gesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus sein wird. Es ist dennoch selbstverständlich, dass, wenn sich das internationale Proletariat mit seiner Erfahrung unserer Epoche und des neuen gegenwärtigen Krieges, unfähig zeigte, Herr der Gesellschaft zu werden, dies den Zusammenbruch aller unserer Hoffnungen in die sozialistische Revolution bedeuten würde, denn man kann keine günstigeren Bedingungen für sie erwarten, jedenfalls kann sie heute niemand weder voraussehen noch charakterisieren. Die Marxisten haben nicht das geringste Recht, (wenn man von Enttäuschung und Ermüdung als „Recht" absieht) die Schlussfolgerung zu ziehen, dass das Proletariat seine revolutionären Möglichkeiten erschöpft hat, und in der nächsten Epoche auf den Anspruch zu herrschen verzichten muss. Fünfundzwanzig Jahre als Geschichtsabschnitt, wenn es sich um das grandiose Werk des Ersetzens einer ökonomischen und kulturellen Ordnung durch eine andere handelt, sind weniger als eine Stunde im Leben eines Menschen. Was: wäre der Mensch wert, der, wegen empirischer Niederlagen während einer Stunde oder eines Tags, auf das Ziel verzichten würde, das er sich auf Grund der Erfahrung und der Studien seines ganzen bisherigen Lebens gegeben hatte? In den Jahren der düsteren russischen Reaktion (1907-1917) zählten wir mit den revolutionären Möglichkeiten, die das russische Proletariat im Jahre 1905 aufgezeigt hatte. Es ist nicht zufällig, dass sich die Vierte Internationale die Weltpartei der sozialistischen Revolution nennt. Unser Weg bleibt unverändert. Wir behalten die Orientierung auf die internationale Revolution, und gerade deshalb auf die Regenerierung der UdSSR zu einem Arbeiterstaat, bei. Die Außenpolitik ist die Fortsetzung der Innenpolitik Was verteidigen wir in der UdSSR? Nichts, worin sie den kapitalistischen Staaten ähnlich sieht, sondern, worin sie sich von ihnen unterscheidet. In Deutschland predigen wir auch den Aufstand gegen die herrschende Bürokratie, aber nur, um sofort das kapitalistische Eigentum abzuschaffen. In der UdSSR ist der Sturz der Bürokratie notwendig, um das Staatseigentum zu schützen. Nur in diesem Sinne sind wir für die Verteidigung der UdSSR. Keiner unter uns zweifelt daran, dass die russischen Arbeiter das Staatseigentum nicht nur; gegen das Schmarotzertum der Bürokratie verteidigen sollen, sondern auch gegen die Tendenzen auf eine Rückkehr zum Privateigentum, beispielsweise von Seiten der Kolchosen-Aristokratie. Nun, die Außenpolitik ist die Fortsetzung der Innenpolitik. Wenn wir in der Innenpolitik die Verteidigung der Oktobererrungenschaften mit einem scharfen Kampf gegen die Bürokratie vereinbaren, dann müssen wir dasselbe in der Außenpolitik tun. Gewiss, Bruno R., der von der Behauptung, dass der „bürokratische Kollektivismus" schon auf der ganzen Linie gesiegt hat, ausgeht, versichert uns, dass niemand das Staatseigentum bedrohe, denn Hitler (und Chamberlain?) sei genau so interessiert an dessen Aufrechterhaltung wie Stalin. Unglücklicherweise, sind die Versicherungen Bruno R's leichtsinnige. Im Falle eines Sieges würde Hitler wahrscheinlich mit der Forderung der Rückgabe aller enteigneten Besitzungen der deutschen Kapitalisten beginnen; er wird daraufhin dieselbe Rückgabe des Eigentums den Engländern, Franzosen, Belgiern garantieren, um mit ihnen ein Einverständnis auf Kosten der UdSSR zu erreichen; Schließlich wird er, im Hinblick auf die Interessen der deutschen Militärmaschine, Deutschland zum Aktionär der bedeutendsten Staatsbetriebe machen. Hitler ist augenblicklich der Verbündete und Freund Stalins; aber, wenn Hitler mit Hilfe Stalins siegreich aus der Westfront hervorgeht, dann wird er seine Waffen gegen die UdSSR wenden. Schließlich, auch Chamberlain würde im gegebenen Fall in keiner von Hitler sehr verschiedenen Weise handeln. Die Verteidigung der UdSSR und der Klassenkampf. Die Irrtümer in der Frage der Verteidigung der UdSSR suchen meist in einem ungenauen Verständnis der Methode der „Verteidigung“ ihre Ursache. Die Verteidigung der UdSSR bedeutet keineswegs Annäherungen an die Kremlbürokratie, irgendwelche Annahme ihrer Politik oder Anpassungen an ihre Verbündete. In dieser Frage wie in den anderen bleiben wir ganz und gar auf dem Gebiet des internationalen Klassenkampfes. Die kleine französische Zeitschrift „Que faire?" schrieb vor kurzem: da die Trotzkisten Defätisten gegenüber Frankreich und England sind, sind sie auch Defätisten gegenüber der UdSSR. Mit anderen Worten, wenn ihr die UdSSR verteidigen wollt, dann müsst ihr aufhören Defätisten gegenüber ihren imperialistischen Verbündeten zu sein. „Que faire?" glaubte, die Verbündete der UdSSR würden die „Demokratien" sein. Was diese Weisen jetzt sagen, das weiß man nicht. Und es kommt nicht darauf an, denn es ist ihre Methode selbst, die fehlerhaft ist. Auf den Defätismus gegenüber dem imperialistischen Lager verzichten, mit dem sich heute die UdSSR verbunden hat, oder sich morgen verbinden wird, das heißt die Arbeiter des entgegengesetzten Lagers auf die Seite ihrer Regierung stoßen das heißt auf den Defätismus als Ganzen verzichten. Auf den Defätismus in den Bedingungen des imperialistischen Krieges zu verzichten, das kommt dem Verzicht auf die sozialistische Revolution gleich. Im Namen der „Verteidigung der UdSSR" auf die Revolution verzichten, das hieße die UdSSR einer endgültigen Fäulnis und dem Verlust weihen. Gemäß der Interpretation der Komintern basiert die „Verteidigung der UdSSR" wie gestern der „Kampf gegen den Faschismus" auf das Aufgeben jeder unabhängigen Klassenpolitik. Das Proletariat wird aus verschiedenen Gründen, in verschiedenen Bedingungen, aber immer und unveränderlich, eine Hilfskraft für eines der bürgerlichen Lager gegen das andere. Als Reaktion dagegen sagen gewisse unserer Genossen: da wir nicht ein Instrument Stalins und seiner Alliierten werden wollen, verzichten wir darauf, die UdSSR zu verteidigen. Aber damit zeigen sie nur, dass ihr Verständnis der „Verteidigung" im Grunde mit dem der Opportunisten zusammenfällt; sie denken nicht an eine unabhängige Politik des Proletariats. In Wirklichkeit verteidigen wir die UdSSR wie wir die Kolonien verteidigen, wie wir alle unsere Aufgaben lösen, nicht durch die Unterstützung gewisser imperialistischer Regierungen gegen andere, sondern durch die Methode des internationalen Klassenkampfes in den Kolonien wie in der Metropole. Wir sind keine Regierungspartei; wir sind eine unversöhnliche Oppositionspartei, nicht nur in den kapitalistischen Ländern, sondern auch in der UdSSR. Wir verwirklichen unsere Aufgaben, inbegriffen der „Verteidigung der UdSSR," nicht durch die Vermittlung der bürgerlichen Regierungen oder selbst der Regierung der UdSSR, sondern ausschließlich durch die Aufklärung der Massen, die Agitation, und indem wir erklären, was zu verteidigen, und was zu stürzen. Eine solche „Verteidigung" kann keine sofortigen mirakulöse Resultate bringen. Aber wir erheben keinen Anspruch darauf. Wir sind noch eine revolutionäre Minderheit. Unsere Arbeit muss darauf abzielen, dass die Arbeiter, auf die wir Einfluss haben, die Ereignisse korrekt einschätzen, sich nicht überraschen lassen und die öffentliche Meinung ihrer Klasse auf die revolutionäre Lösung der Aufgaben vorbereiten, die sich vor uns stellen. Für uns fällt die Verteidigung der UdSSR mit der Vorbereitung der internationalen Revolution zusammen. Es sind nur die Methoden erlaubt, die nicht den Interessen der Revolution widersprechen. Das Verhältnis der Verteidigung der UdSSR zu der internationalen sozialistischen Revolution ist dasselbe wie eine taktische Aufgabe zu einer strategischen. Die Taktik ist dem strategischen Ziel unterworfen und darf ihr in keinem Falle widersprechen. Die Frage der besetzten Provinzen Im Augenblick, wo wir diese Zeilen schreiben, bleibt die Frage nach dem Schicksal der von der Roten Armee besetzten Provinzen noch im Dunkeln. Die telegrafischen Informationen sind widerspruchsvoll, denn auf beiden Seiten wird viel gelogen, und die wirklichen Beziehungen am Orte sind noch sehr unbestimmt. Ein gewisser Teil der besetzten Gebiete wird zweifellos in die Grenzen der UdSSR einverleibt werden. Unter welcher Form? Nehmen wir für einen Moment an, dass die Moskauer Regierung im Einverständnis mit Hitler die Rechte des Privateigentums in den besetzten Gebieten unberührt lässt und sich auf eine „Kontrolle" des faschistischen Typus beschränkt. Eine solche Konzession hätte einen zutiefst prinzipiellen Charakter und würde der Ausgangspunkt eines neuen Kapitels des Sowjet-Regimes sein und infolgedessen einer neuen Einschätzung unsererseits über die Natur des Sowjetstaats. Das Wahrscheinlichste ist jedoch, dass die Moskauer Regierung in den Gebieten, die Teil der UdSSR werden sollen, Enteignungsmaßnahmen gegenüber den großen Grundbesitzern und Verstaatlichung der Produktionsmittel durchfahren wird. Ein solcher Ausgang ist nicht der wahrscheinlichste, weil die Bürokratie dem sozialistischen Programm treu ist, sondern weil sie die Macht und die Privilegien, die mit den alten herrschenden Klassen der besetzten Provinzen verbunden sind, weder teilen will, noch teilen kann. Hier stellt sich eine Analogie geradezu von selbst. Der erste Bonaparte hielt den Lauf der Revolution mit Hilfe der militärischen Diktatur auf. Jedoch als die Franzosen in Polen einfielen unterzeichnete Napoleon das Dekret: „Das Leibeigentum ist abgeschafft." Diese Maßnahme war nicht von den Sympathien Napoleons für die Bauern oder von demokratischen Prinzipien diktiert, sondern von der Tatsache, dass sich die Diktatur Bonapartes nicht auf das feudale, sondern das bürgerliche Eigentum stützte. Da sich die bonapartistische Diktatur Stalins nicht auf das Privat-, sondern das Staats-Eigentum stützt wird der Einfall Polens durch die Rote Armee im Verfolg natürlich die Liquidierung des Privateigentums herbeiführen, um so das Regime der besetzten Gebiete dem der UdSSR gleichzuschalten. Eine Maßnahme revolutionären Charakters, die „Expropriation der Expropriateure", wird im vorliegenden Fall auf dem militärischen und bürokratischen Wege erreicht. Der Aufruf zur eigenen Aktivität der Massen in den neuen Gebieten, – und ohne diesen Aufruf, wäre er nur sehr vorsichtig, ist es unmöglich das neue Regime zu errichten, – wird ohne jeden Zweifel morgen von unbarmherzigen Polizeimaßnahmen abgelöst werden, um die Vorherrschaft der Bürokratie über die erwachten revolutionären Massen zu sichern. Solcher Art ist ein Aspekt der Frage. Aber es gibt einen anderen. Um die Besetzung Polens durch das Mittel der militärischen Allianz mit Hitler zu sichern, hat der Kreml lange die Massen der UdSSR getäuscht und täuscht sie weiterhin, und hat es somit zum völligen Zerfall der eigenen Komintern gebracht. Das grundlegende Kriterium der Politik sind für uns nicht die Eigentumsveränderungen in diesen oder jenen Gebietsteilen, wie wichtig sie auch an und für sich sein mögen, sondern die Veränderungen in den Bewusstseinsformen und der Organisation des Weltproletariats, die Hebung seiner Fähigkeit alte Eroberungen zu verteidigen und neue zu vollenden. Von diesem Gesichtspunkte aus, der allein entscheidende, behält die Politik Moskaus ihren reaktionären Charakter und bleibt das Haupthindernis auf dem Wege der internationalen proletarischen Revolution. Unsere allgemeine Einschätzung des Kreml und der Komintern ändert jedoch nicht die besondere Tatsache, dass die Verstaatlichung der Eigentumsformen in den besetzten Gebieten an sich eine progressive Maßnahme ist. Man muss es offen anerkennen. Wenn Hitler morgen seine Truppen gegen den Osten wenden würde, um die „Ordnung" im östlichen Polen herzustellen, dann würden die vorgeschrittenen, Arbeiter gegen Hitler die neuen von der bonapartistischen Sowjetbürokratie herbeigeführten Eigentumsformen verteidigen. Wir ändern unsere Orientierung nicht Die Verstaatlichung der Produktionsmittel, sagten wir, ist eine progressive Maßnahme. Aber ihr progressiver Charakter ist relativ, ihr spezifisches Gewicht hängt von der Gesamtheit aller anderen Faktoren ab. Man muss somit vor allem feststellen, dass die mit „sozialistischen" Maßnahmen begleitete Ausdehnung des Gebiets der Autokratie und des bürokratischen Parasitismus, das Prestige des Kreml erhöhen und Illusionen über Möglichkeiten, der proletarischen Revolution bürokratische Manöver zu substituieren, hervorrufen kann. Dieses Übel übertrifft bei weitem den fortschrittlichen Inhalt der stalinistischen Reformen in Polen. Damit die Nationalisierungen in den besetzten Gebieten, wie in der UdSSR die Basis einer wirklich progressiven, d.h. sozialistischen, Entwicklung wird, ist es notwendig die Moskauer Bürokratie zu stürzen. Unser Programm behält folglich seinen ganzen Wert. Die Ereignisse treffen uns nicht unvermutet an. Man muss sie nur richtig interpretieren. Man muss deutlich erkennen, dass im Charakter der UdSSR und ihrer internationalen Lage bedeutende Widersprüche existieren. Es ist unmöglich, sich dieser Widersprüche durch terminologische Wortspiele („Arbeiterstaat" – „Kein Arbeiterstaat.") zu entledigen. Man muss Tatsachen nehmen wie sie sind. Wir müssen eine Politik herausbilden, die ihren Ausgangspunkt in den wirklichen Wechselbeziehungen und Widersprüchen hat. Wir vertrauen dem Kreml keine historische Mission an. Wir waren und bleiben gegen die Übernahme neuer Gebiete durch den Kreml. Wir sind für die Unabhängigkeit der Sowjet-Ukraine und, wenn die Weißrussen selbst es wollen, für die des sowjetischen Weißrusslands. Zur selben Zeit nehmen die Anhänger der Vierten Internationale in den von der Roten Armee besetzten Teilen Polens in der entscheidendsten Weise an der Enteignung der Großgrundbesitzer und der Kapitalisten, der Aufteilung der Erde unter die Bauern, der Bildung von Sowjets und Arbeiterkomitees usw. teil. Sie behalten weiterhin ihre politische Unabhängigkeit bei, kämpfen im Augenblick der Wahlen zu den Sowjets und den Betriebskomitees für deren volle Unabhängigkeit, und führen die revolutionäre Propaganda im Geist des Misstrauens gegen den Kreml und seine lokale Agentur. Stellen wir uns jedoch vor, dass Hitler seine Waffen gegen den Osten richtet und die von der Roten Armee besetzten Gebiete überfällt. Die Anhänger der Vierten Internationale werden in diesen Bedingungen, in erster Linie und als die dringendste Aufgabe des Moments, den militärischen Widerstand gegen Hitler betrachten, ohne das Geringste an ihrer Haltung der Kremloligarchie gegenüber zu ändern. Die Arbeiter werden sagen: „Wir können nicht Hitler den Sturz Stalins überlassen; das ist unsere Aufgabe." Während des militärischen Kampfes gegen Hitler werden die revolutionären Arbeiter die engst möglichen, freundlichen Beziehungen mit den Kämpfern vom Rang der Roten Armee herzustellen suchen. Während sie sich gegen Hitler auf der militärischen Ebene schlagen, führen die Bolschewiki-Leninisten zur selben Zeit die revolutionäre Propaganda gegen Stalin und bereiten seinen Sturz in der nahest möglichen, folgenden Etappe vor. Eine solche „Verteidigung der UdSSR" wird natürlich von der offiziellen Verteidigung, die augenblicklich unter der Losung: „Für das Vaterland, für Stalin!", geht, so entfernt sein wie der Himmel von der Erde. Unsere Verteidigung der UdSSR findet unter der Losung statt: „Für den Sozialismus, für die internationale Revolution, gegen Stalin!" Damit sich diese beiden Arten der Verteidigung der UdSSR nicht in dem Bewusstsein der Massen vermengen, muss man deutlich und genau die Losungen zu formulieren wissen, die der konkreten Situation entsprechen. Aber man muss vor allem deutlich erklären, was wir verteidigen, wie wir es verteidigen, gegen wen wir es verteidigen. Unsere Losungen werden nur dann keinen Irrtum in den Massen hervorrufen, wenn wir selbst eine klare Konzeption unserer Aufgaben besitzen. Schlussfolgerungen Wir haben augenblicklich keinerlei Grund unsere prinzipielle Stellung gegenüber der UdSSR zu ändern. Der Krieg beschleunigt die verschiedenen politischen Prozesse. Er kann den Prozess der Regenerierung der UdSSR beschleunigen. Aber er kann auch den Prozess der endgültigen Degenerierung beschleunigen. Darum ist es notwendig mit Aufmerksamkeit und ohne Vorurteil die Veränderungen, die der Krieg in das innere Leben der UdSSR bringen wird, zu verfolgen, um sich darüber zur Zeit Rechenhaft abzulegen. Unsere Aufgaben in den besetzten Gebieten sind im Grund dieselben wie in der UdSSR; aber da sie von den Ereignissen in einer außerordentlich scharfen Form gestellt worden, helfen sie uns umso besser, Licht auf unsere allgemeinen Aufgaben in Bezug auf die UdSSR zu werfen. Es ist notwendig, unsere Losungen derart deutlich zu formulieren, dass die Arbeiter klar sehen, was wir in der UdSSR verteidigen (Staatseigentum und Planwirtschaft), und gegen wen wir unbarmherzig kämpfen (die parasitäre Bürokratie und ihre Komintern). Man darf keinen Augenblick aus den Augen verlieren, dass die Frage des Sturzes der Sowjetbürokratie für uns der Frage der Erhaltung des Staatseigentums an den Produktionsmitteln in der UdSSR untergeordnet ist; dass für uns die Frage der Erhaltung des Staatseigentums an den Produktionsmitteln in der UdSSR der Frage der internationalen proletarischen Revolution untergeordnet ist. Leo Trotzki Coyoacan, D.F., den 25. September 1939 * Wir erinnern uns, dass einige jener Genossen, die geneigt sind,die Bürokratie als eine neue Klasse anzusehen, sich gleichzeitig scharf gegen die Ausschließung der Bürokratie aus den Sowjets wandten. ** Gewiss, im letzten Teil seines Buches, das phantastische Konstruktionen enthält, widerlegt Bruno R. ganz gewissenhaft und klar seine eigene im ersten Teil des Buches dargestellte Theorie vom „bürokratischen Kollektivismus“ und erklärt, dass Stalinismus, Faschismus und Nazismus transitorische und parasitärische Gebilde sind, eine historische Strafe für die Ohnmacht des Proletariats. Mit anderen Worten, nachdem er die Anschauungen der Vierten Internationale der heftigsten Kritik unterzogen hat, kommt Bruno R. unerwarteter Weise zu diesen Anschauungen zurück, aber nur, um sich in eine neue Reihe von Irrtümern zu begeben. Wir haben keinerlei Grund, einem Autor Schritt für Schritt zu folgen, der offenbar das Gleichgewicht verloren hat. Was uns interessiert, sind die Argumente, auf die er seine Auffassung von der Bürokratie als einer Klasse zu gründen sucht. |
Leo Trotzki > 1939 >