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Leo Trotzki 19390104 Erzwungene Erklärung

Leo Trotzki: Erzwungene Erklärung

(4. Januar 1939)

[eigene Übersetzung nach dem französischen Text, verglichen mit der englischen Übersetzung]

In den letzten Monaten habe ich alles getan, um einen Konflikt zwischen dem Genossen Rivera und unserer internationalen Organisation zu vermeiden. Ich kann, egal zu welchem Moment, alle Unterlagen vorlegen, die meine Bemühungen charakterisieren. Natürlich habe ich gleichzeitig versucht, die Beziehungen der Aufrichtigkeit und Freundschaft gegenüber Genosse Rivera zu wahren, trotz seiner immer unklarer werdenden und sogar offen feindseligen Haltung gegenüber der Vierten Internationale und mir persönlich.

Meine Bemühungen waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Jedes Mal, wenn es mir gelungen war, einen Konflikt oder ein Missverständnis auszugleichen, hat Genosse Rivera einen neuen Angriff ohne Rücksicht auf die Entscheidungen des Internationalen Kongresses, der Panamerikanischen Kommission, der hier an diesem Ort gemeinsam getroffenen Entscheidungen unternommen. Jetzt führt diese Haltung, die, wie ich befürchte, tiefe politische Gründe hat, zu Handlungen, die seitens Genosse Rivera den moralischen Bruch mit der Vierten Internationale und, wie ich zu befürchten habe, die Vorbereitung des persönlichen Bruchs mit mir bedeuten.

Zufällig nahm ich Kenntnis von der Kopie eines Briefes, den Genosse Rivera an André Breton geschickt hatte, einen französischen Schriftsteller, der voller Wertschätzung und Vertrauens wert ist, der aber nicht einmal Mitglied unserer Organisation ist. Dieser Brief stellt einen böswilligen Angriff auf die Prinzipien dar, die ich vertrete, und sogar auf mich selbst moralisch. Er enthält Aussagen, die absolut falsch sind und die als einziges Ziel haben können, mich in den Augen Bretons und seiner Freunde auf eine Weise zu kompromittieren, die bei weitem nicht loyal ist.

Genosse Rivera behauptet, dass ich angeordnet habe. seinen Artikel in Form eines Briefes zu veröffentlichen (denn, sehen Sie, ich will die freie Meinungsäußerung von Riveras Kunstvorstellungen nicht tolerieren). Ich erfuhr jedoch in Anwesenheit Riveras und anderer Genossen den Umstand, dass der Artikel in Briefform veröffentlicht worden war. Ich war überrascht. In Anwesenheit Riveras brachte ich dem technischen Redakteur mein Erstaunen zum Ausdruck und deutete sogar an, dass er gegen die gemeinsam getroffene Entscheidung verstoßen habe. Rivera konnte das alles nicht vergessen haben. Es gibt nur eine Erklärung: Er vermutet, dass ich hinter den Kulissen entgegen der von mir vorgeschlagenen und von Rivera offen akzeptierten Entscheidung gehandelt habe und dass ich vorgab, überrascht zu sein, als der technische Redakteur die Änderung vornahm. Ich lehne jedoch einen solchen Verdacht mit größter Empörung ab.

Ich sprach nach der oben genannten Sitzung mit Genossen C über die Gründe für die von ihm vorgenommene Änderung. Hier ist, was ich von dem verstanden habe, was er mir gesagt hat: Es schien ihm, dass der Artikel nicht marxistisch sei oder zumindest antimarxistische Thesen enthalte. Er wusste, dass weder ich noch einer seiner Freunde den Artikel gelesen hatte. Mit einer hohen Vorstellung von seiner Verantwortung als IS-Vertreter hielt er es für notwendig, bei der Veröffentlichung des Artikels seiner Verantwortung nachzukommen. Aus formaler Sicht war dies nicht korrekt, ich wiederhole es.1 Er hätte den Autor und seine Kollegen informieren sollen, aber die Zeit war kurz, wie es scheint. Auf jeden Fall ist das Verbrechen nicht überwältigend. Aber Genosse Diego, findet es nicht nur notwendig, es … in Paris zu denunzieren, sondern auch, es mir zuzuschreiben, ohne mir ein Wort zu flüstern2, während ich in Wirklichkeit absolut nichts davon wusste. Obendrein hat Genosse C, um den Artikel Riveras veröffentlichen zu können, der von diesem im letzten Moment erweitert worden war, außerdem aus der Nummer zwei meiner Artikel gestrichen, die von der Redaktion in Auftrag gegeben worden waren. Aus dem gleichen Grund (Zeitmangel) verständigte er mich nicht von dem Schicksal meiner Artikel, von denen einer inzwischen alle Aktualität verloren hat. Ich erfuhr von der Eliminierung meiner beiden Artikel in der gleichen Sitzung, in der Diego gegen die Änderung des Untertitels protestierte. Das ist die reine Wahrheit.

Im selben Brief beschuldigt mich der Genosse Rivera3, zu stalinistischen Methoden gegriffen zu haben, wenn auch „zarten", einen Staatsstreich in der FIARI-Frage vollzogen zu haben, usw. All dies ist Unwahrheit, und Rivera kennt die Fakten zumindest so gut wie ich. Um einen Staatsstreich zu vollziehen, muss es eine Regierung oder in diesem Fall eine Organisation geben. Es gab jedoch nicht die geringste Spur davon. Nichts wurde in diesem Bereich gemacht, aus Gründen, die hier ignoriert4 werden können. In der gleichen Sitzung der fünf Freunde, von der oben die Rede ist, habe ich in Anwesenheit Riveras vorgeschlagen, eine vorläufige Kommission der FIARI zu bilden, um die Angelegenheit voranzutreiben. Rivera protestierte nicht nur nicht, sondern akzeptierte den Vorschlag sogar freiwillig. Er sagte: „Ja, jetzt, nach der Affäre der Fresken von O'Gorman, können wir vielleicht etwas tun.“ Dann fuhr ich fort: „Aber wir brauchen einen provisorischen Sekretär. Wer könnte das sein?“ Es scheint mir, dass es Genosse AZ war, der die Kandidatur Ferrels vorgeschlagen hat. Ich fragte ihn: „Wäre es Ihnen möglich?" Er antwortete: „Warum nicht?“ oder so etwas in der Art. Und das alles ohne den geringsten Einwand von irgendjemandem und in der Atmosphäre der besten Herzlichkeit. Woraus der Staatsstreich besteht, verstehe ich nicht. Rivera spricht von Ferrel mit einem Hauch von Verachtung. Warum? Und vor allem, warum in einem Brief, der nach Frankreich geht?5 Ich kenne Ferrel erst seit zwei oder drei Monaten. Als es sich um seine Kandidatur für die Redaktion handelte, wurde Diegos Meinung in meiner Anwesenheit eingeholt. Er erhob nicht den geringsten Einwand, und die Position des Herausgebers ist trotz allem etwas wichtiger als die des provisorischen Sekretärs einer noch nicht existierenden Gruppe der FIARI. Was sind dann der Staatsstreich und meine stalinistischen Methoden? Ich verstehe es nicht. Diese beiden Beispiele reichen aus, um Diegos bösen Willen mir gegenüber zu charakterisieren.

Soweit ich verstehen kann, ist dieser böse Wille das Ergebnis meines Versuchs, mit ihm eine offene Aussprache über seine politische Tätigkeit zu haben. Ich habe ihm gesagt, dass er seinem ganzen Charakter nach absolut unfähig ist, die routinemäßige Arbeit eines Funktionärs einer Arbeiterorganisation auszuführen, aber dass er andererseits dank seiner Phantasie und der schöpferischen Kraft seines Geistes in der Führungsspitze äußerst nützlich sein könnte, vorausgesetzt natürlich, er hat die Führungsspitze anerkannt und sich wie jeder andere der Disziplin unterworfen. Es scheint mir, dass er sich auf der Stelle entschieden hat, zu zeigen, dass er fähig sei, in der Politik wie in der Kunst Wunder zu wirken (aber Politik ist eine viel weniger individuelle Sache als Kunst, sie ist sogar kollektiv par excellence). Er unternahm eine Reihe von rein persönliche Abenteuern, – ja, leider, Abenteuern – auf dem Gewerkschaftsgebiet, die unserer Bewegung negative und schädliche Ergebnisse brachten. Anstatt sich selbst die Schuld zu geben, begann er, seine Unzufriedenheit gegen unsere Internationale und mich persönlich zu richten.

Parallel durchlebt Rivera eine ideologische Krise, die in ihren allgemeinen Merkmalen identisch ist mit der Krise, durch die viele zeitgenössische Intellektuelle hindurchgegangen sind und -gehen, die unter dem Einfluss der schrecklichen Reaktion den Marxismus zugunsten eines eklektischen Gemisches aufgeben. In der Frage des Staates, der Gewerkschaft, der Partei, der Oktoberrevolution und der bolschewistischen Methoden, der gesellschaftlichen Funktion der Kunst, der Rolle des Krieges in der Gesellschaft usw. verteidigt Genosse Rivera in privaten oder halb privaten Diskussionen absolut antimarxistische Ansichten. Wenn es sich nur um private Gespräche handeln würde, könnten wir damit leben, wie ich es schon seit geraumer Zeit versucht habe. Aber seine Vorstellungen, die nie bis zum Ende formuliert wurden, dienen ihm dazu, gewerkschaftliche Aktivitäten auszuüben und persönliche Propaganda gegen alle Grundprinzipien der Vierten Internationale zu betreiben.

Die Lage ist völlig untragbar geworden. Deshalb müssen wir aus der Zweideutigkeit herauskommen.

Wie aus dem Vorhergehenden zu sehen ist, gibt es zwei Seiten der Angelegenheit, die persönliche Seite und die allgemeine Seite. Man muss versuchen, sie zu trennen und erstere so schnell wie möglich zu liquidieren. Wenn Genosse Rivera bereit ist zuzugeben, dass er sich von seinem Temperament auf den Weg jeglicher Grundlage entbehrender Anschuldigungen führen ließ, um nicht mehr zu sagen, wenn er seine Aussagen in einem Brief an Breton zurückzieht, von dem er mir eine Kopie sowie eine Kopie seines früheren Schreibens schickt, werde ich nicht mehr auf dieser Frage bestehen. Selbstverständlich werde ich in diesem Fall diese Erklärung in keiner Weise verwenden. Die Berichtigung Riveras mag einen Charakter persönlicher Initiative haben, aber sie muss absolut kategorisch sein, das heißt, sie muss der Realität entsprechen. Nach einer formalen Liquidierung des persönlichen Vorfalls bleibt die allgemeine Frage ungeklärt. Genosse Rivera ist Mitglied des Panamerikanischen Komitees, ganz zu schweigen von der Vierten Internationalen. Wir haben unsere Kongresse, unsere Satzung, unsere Entscheidungen und unsere Disziplin. Der Kongress versuchte, angesichts der Persönlichkeit Riveras, etwas Besonderes für ihn zu schaffen, indem er ihn, zumindest für die Zeit der Schwierigkeiten, von der Pflicht befreite, sich an der Arbeit der mexikanischen Sektion der Vierten Internationale zu beteiligen. Aber diese Entscheidung kann natürlich nicht bedeuten, dass Genosse Rivera die volle Freiheit hat, unter der Flagge der Vierten Internationale gegen ihre Prinzipien, ihre Entscheidungen und ihre Institutionen vorzugehen.

Das jüngste Beispiel ist folgendes. In der Redaktion von Clave ist die Vierte Internationale durch die Genossen Rivera, C und Cr vertreten wird. Diese drei Genossen sind dem Panamerikanischen Büro gegenüber für die Linie der Zeitschrift verantwortlich. Rivera weigert sich jedoch systematisch, dieses dreiköpfige Büro zu konsultieren und sich seinen Entscheidungen zu unterwerfen. Im letzten Artikel über den Fall Ramírez hielt es Rivera entgegen unseren früheren Vorschlägen für notwendig, die gesamte bolschewistische Politik in der Gewerkschaftsfrage anzugreifen, ohne Erklärungen, ohne Details, ohne Zitate, ohne Belege. Als Cr und C ihm vorschlugen, den Artikel zumindest zu teilen und den zweiten Teil auf das freie Forum der nächsten Ausgabe zu verschieben, weigerte er sich, diesen Vorschlag anzunehmen.

Man muss auch erwähnen, dass die Haltung des Genosse Rivera gegenüber Genossen C nicht normal ist. Man hat C hier auf direkte Initiative des Genossen Rivera eingeladen, der C in Gesprächen mit Cannon und anderen seine volle Zusammenarbeit und alles Nötige anbot. C ist ein sehr zurückhaltender Genosse. Er beschwert sich nie. Im Gegenteil, er tut alles, was er kann, um sich der Lage anzupassen. Aber diese Lage ist, soweit ich sie beurteilen kann, absolut untragbar. Rivera ist weit davon entfernt, die Autorität von C als offiziellem Vertreter des IS zu unterstützen. Er entwickelt seine eigene Arbeit, völlig unabhängig von C, was für ihn die größten organisatorischen Schwierigkeiten schafft, ganz zu schweigen von persönlichen Schwierigkeiten.

Wie können wir aus dieser politischen Zweideutigkeit herauskommen?6

Wenn die Unterschiede wirklich so tief sind, dass sie Rivera zwingen, seine eigene Politik gegen die Vierte Internationale zu machen, ist ein politischer Bruch unvermeidlich. Er kann und muss auf freimütige, offene und entschlossene Weise durchgeführt werden. Jeder sollte wissen, dass die Vierte Internationale von jetzt an keine Verantwortung für die politische Tätigkeit Riveras trägt. Es wäre ein schwerer und schmerzhafter Verlust, aber die aktuelle Lage ist noch schlimmer.

Wenn die Unterschiede nicht (oder noch nicht) so tief sind und wenn es sich erweist, dass Diego Rivera nur von seinem Temperament mitgerissen wurde, viel weiter als die gemeinsamen Interessen es zulassen, liegt es an Rivera selbst, alle Konsequenzen zu ziehen. Ich habe mehrmals die Initiative für eine freimütige Aussprache ergriffen. Jetzt wäre Rivera an der Reihe, diese Initiative zu ergreifen, nachdem er den persönlichen Vorfall liquidiert hat. Ich werde all den guten Willen, zu dem ich fähig bin, zu einer neuen Aussprache mitbringen. Sollte Rivera beschließen, seine Tätigkeit wieder in den normalen Rahmen der Vierten Internationale zu stellen, würden alle Missverständnisse der Vergangenheit beseitigt und eine enge Zusammenarbeit wieder an ihre Stelle treten.

1In der englischen Übersetzung fehlt dieser Satz

2In der englischen Übersetzung: „die geringste Warnung zu geben“

3Nach der englischen Übersetzung. Der französische Text ist offenbar verstümmelt wiedergegeben: „Genosse von Rivera“

4In der englischen Übersetzung: „beiseite gelassen“

5 Nach der englischen Übersetzung. Der französische Text ist offenbar verstümmelt wiedergegeben: „Rivera spricht in einem Brief an Frankreich?“

6In der englischen Übersetzung: „Wie kann diese politische Zweideutigkeit beseitigt werden?

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