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Leo Trotzki 19390306 Kommt es zu einer Verständigung Stalin – Hitler?

Leo Trotzki: Kommt es zu einer Verständigung Stalin – Hitler?

[Nach Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 7, Nr. 4-5 (95-96), Anfang Mai 1939, S. 3]

In den letzten Monaten haben die Zeitungen des öfteren über geheime Verhandlungen zwischen Berlin und Moskau gesprochen. Es gingen Gerüchte um, dass ein politisches, ja selbst militärisches Abkommen unter der Hülle eines Wirtschaftsvertrags in Vorbereitung sei. Es ist schwer, heute darüber zu urteilen, inwieweit diese Berichte der Wahrheit entsprechen. Immerhin sind sie untrügliche Symptome dafür, dass gewisse Verhandlungen im Gange waren oder noch sind. Jedenfalls ist das Resultat dieser geheimen Verhandlungen auf der gegenwärtigen Stufe nicht von Stalins Loyalität gegenüber den Prinzipien der Demokratie abhängig, noch von Hitlers Treue zum Banner des «Antimarxismus», sondern vielmehr von der internationalen Konjunktur. Wenn eine Verständigung zwischen Hitler und Stalin zustande kommt – und das ist keineswegs unmöglich – so kann das nur die hoffnungslosesten Dummköpfe der demokratischen «Fronten» und pazifistischen «Ligen» aller Schattierungen in Erstaunen versetzen.

Ein Faktor in der internationalen Politik.

Wir wollen hier nicht die Frage behandeln, wie groß die Wahrscheinlichkeit einer Verständigung zwischen Stalin und Hitler, oder richtiger zwischen Hitler und Stalin, in der nächsten Zukunft ist. Diese Frage würde eine detaillierte Analyse der internationalen Situation in all ihren möglichen Varianten erfordern. Aber selbst in diesem Falle wäre es schwer, eine bestimmte Antwort zu geben, da die Spieler selbst schwerlich heute mit vollständiger Sicherheit sagen können, wohin sie das Spiel führen wird. Aber selbst bevor die Annäherung zwischen Berlin und Moskau zur Wirklichkeit wurde, ist sie ein Faktor in der internationalen Politik geworden, denn alle diplomatischen Zentren Europas und der Welt halten mit dieser Möglichkeit Rechnung. Betrachten auch wir Kurz diese Möglichkeit.

Ein Akkord mit den Sklavenhaltern

Ein Akkord mit einem imperialistischen Lande – sei es faschistisch oder demokratisch – ist ein Akkord mit Sklavenhaltern und Ausbeutern. Ein solcher zeitlicher Akkord kann natürlich durch die Umstände aufgezwungen werden. Man kann unmöglich ein für allemal erklären, Abkommen mit Imperialisten seien unter allen Umständen unzulässig, ebenso wie man unmöglich sagen kann, eine Gewerkschaft habe nicht das Recht, unter gewissen Umständen ein Kompromiss mit den Arbeitgebern zu schließen. Eine derartige «Unversöhnlichkeit» würde eine bloß verbale sein.

Solange der Arbeiterstaat isoliert bleibt, sind vorübergehende Abkommen mit den Imperialisten in verschiedenen Ausmaßen unvermeidlich. Aber wir müssen uns klar darüber sein, dass es darauf ankommt, sich die Antagonismen zwischen zwei imperialistischen Banden zunutze zu machen, und weiter nichts. Es kann nicht einmal die Rede davon sein, solche Akkorde durch gemeinsame idealistische Losungen zu verhüllen, wie z.B. gemeinsame «Verteidigung der Demokratie», Losungen, die zu nichts anderem dienen als zum gemeinsten Betrug der Arbeiter. Die Hauptsache ist, dass die Arbeiter in den kapitalistischen Ländern in ihrem Klassenkampfe gegen die eigene Bourgeoisie nicht gehindert werden durch die vom Arbeiterstaat eingegangenen empirischen Bündnisse. Diese Grundregel wurde in der ersten Periode der Existenz der Sowjetrepublik strengstens beachtet.

Jedoch die Frage, ob Abkommen zwischen einem Arbeiterstaat und einem imperialistischen Staat, einschließlich einem faschistischen, im Allgemeinen zulässig sind, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, – diese Frage hat heute – in ihrer abstrakten Form – jede Bedeutung verloren. Es handelt sich nicht um einen Arbeiterstaat im Allgemeinen, sondern um einen degenerierten und verfaulten Arbeiterstaat. Das Wesen eines Abkommens, seine Ziele und seine Grenzen, sind direkt abhängig von denjenigen, die das Abkommen schließen. Die Regierung Lenins konnte gezwungen sein, in Brest-Litowsk ein zeitliches Abkommen mit den Hohenzollern zu schließen – um die Revolution zu retten. Die Regierung Stalins ist nur imstande, einen Akkord zu schließen im Interesse der führenden Kremlclique, und nur auf Kosten der Interessen der internationalen Arbeiterklasse.

Die Abkommen zwischen dem Kreml und den «Demokratien» bedeuten für die betreffenden Sektionen der Kommunistischen Internationale den Verzicht auf den Klassenkampf, Erdrosselung der revolutionären Organisationen, Unterstützung des Sozialpatriotismus und folglich Vernichtung der spanischen Revolution und Sabotage des Klassenkampfes des französischen Proletariats.

Der Akkord mit Tschiang Kai-schek bedeutete die unmittelbare Liquidierung der revolutionären Bauernbewegung, den Verzicht der Kommunistischen Partei auf die letzten Reste der Unabhängigkeit und die offizielle Ersetzung des Marxismus durch die Lehre Sun Yat-sens. Der Halb-Akkord mit Polen bedeutete die Vernichtung der polnischen kommunistischen Partei und die Beseitigung ihrer Führung. Jedes Abkommen der Kremlclique mit einer ausländischen Bourgeoisie ist unmittelbar gegen das Proletariat des Landes gerichtet, mit dem das Abkommen geschlossen wurde, sowie gegen das Proletariat der Sowjetunion. Die bonapartistische Kremlbande kann nur am Leben bleiben, wenn sie das Proletariat schwächt, demoralisiert und niederschlägt, wo sie es nur treffen kann.

Die stalinistische Politik in England

In England führt die Komintern heute eine Agitation zur Schaffung einer «Volksfront» mit Teilnahme der Liberalen. Auf den ersten Blick erscheint diese Politik völlig unverständlich. Die Labour Party stellt eine mächtige Organisation dar. Man könnte es leicht verstehen, wenn die sozialpatriotische Komintern einen Druck auf die Labour Party ausüben würde, um sie näher zu sich zu ziehen. Aber die Liberalen stellen eine äußerst kompromittierte und politisch zweitrangige Kraft dar. Außerdem sind sie in verschiedene Gruppen gespalten. Im Kampfe für die Aufrechterhaltung ihres Einflusses lehnt die Labour Party natürlich jede Idee eines Blockes mit den Liberalen ab, um sich nicht mit einem gefährlichen Gift zu infizieren. Sie wehrt sich ziemlich energisch – durch Ausschlüsse – gegen die Idee einer «Volksfront».

Warum beschränkt sich nun die Komintern nicht darauf, für eine Zusammenarbeit mit der Labour Party zu kämpfen? Warum fordert sie dagegen unablässig den Einschluss der liberalen Schatten der Vergangenheit in die Einheitsfront? Des Rätsels Lösung: die Politik der Labour Party ist viel zu radikal für den Kreml. Ein Bündnis zwischen den Kommunisten und der Labour Party könnte eine anti-imperialistische Färbung annehmen und würde eine Annäherung zwischen Moskau und London erschweren. Die Anwesenheit der Liberalen in der «Volksfront» bedeutet eine direkte und unmittelbare Zensur des Imperialismus, die er den Aktionen der Labour Party auferlegt. Unter der Deckung einer solchen Zensur könnte Stalin dem britischen Imperialismus alle notwendigen Dienste leisten.

Stalin verkauft die Arbeiterbewegung.

Der Grundzug der internationalen Politik Stalins in den letzten Jahren war dieser: er handelt mit der Arbeiterbewegung genau so wie er mit Petroleum, Mangan und anderen Gütern handelt. In dieser Feststellung ist nicht die Spur einer Übertreibung. Stalin betrachtet die Sektionen der Komintern in den verschiedenen Ländern und den Befreiungskampf der unterdrückten Nationen wie kleine Tauschobjekte im Verkehr mit den imperialistischen Mächten.

Wenn er die Hilfe Frankreichs braucht, unterwirft er das französische Proletariat der Radikalen Bourgeoisie. Wenn er China gegen Japan unterstützen muss, unterwirft er das chinesische Proletariat der Kuomintang. Was würde er im Falle eines Abkommens mit Hitler tun? Hitler hat offensichtlich die Hilfe Stalins nicht besonders nötig, um die deutsche Kommunistische Partei zu erdrosseln. Die Bedeutungslosigkeit der letzteren wurde übrigens durch ihre gesamte vorherige Politik herbeigeführt. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Stalin einverstanden sein würde, alle Subsidien für die illegale Arbeit in Deutschland zu stoppen. Das ist eine der geringsten Konzessionen, die er zu machen hätte, und er würde sie bereitwilligst machen.

Man kann auch annehmen, dass die geräuschvolle, hysterische und hohle Kampagne, die die Komintern in den letzten Jahren gegen den Faschismus führte, stillschweigend abgestoppt wird. Es ist bemerkenswert, dass am 20. Februar, als unsere amerikanische Sektion beträchtliche Arbeitermassen zum Kampfe gegen die amerikanischen Nazi mobilisierte, die Stalinisten sich rundweg weigerten, an der Gegendemonstration, die im ganzen Lande ihren Widerhall fand, teilzunehmen, und ihr Möglichstes taten, um deren Bedeutung zu minimalisieren, und dadurch den amerikanischen Hitlerjüngern Hilfsdienste leisteten. Was steckt hinter dieser wahrhaft verräterischen Politik? Ist es bloß konservativer Stumpfsinn und Hass gegenüber der Vierten Internationale? Oder ist da etwas Neues, z.B. die letzten Instruktionen von Moskau, die den Herren «Antifaschisten» anempfehlen, das Maul zu halten, um die Verhandlungen zwischen den Diplomaten von Moskau und Berlin nicht zu stören? Diese Vermutung ist keineswegs absurd. Die nächsten Wochen werden ihre Bestätigung bringen.

Eins können wir mit Sicherheit sagen. Der Akkord zwischen Hitler und Stalin würde im Wesen nichts an der konterrevolutionären Funktion der Kremloligarchie ändern, Er würde nur diese Funktion bloßlegen, sie durchsichtiger machen und den Zusammenbruch der Illusionen und Fälschungen beschleunigen. Unsere politische Aufgabe besteht nicht darin, Stalin aus Hitlers Armen zu «retten», sondern alle beide zu stürzen.

Den 6. März 1939.

Leo Trotzki

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