Leo Trotzki: Imperialistische Mysterienspiele 4. März 1939 [Veröffentlicht im russischen Bulletin der Opposition Nr. 75-76, März-April 1939. Nach Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 319-322] Der Sozialist Leon Blum und der Konservative Chamberlain, gleichermaßen „Friedensfreunde, waren für die Nichteinmischung in die spanischen Angelegenheiten. Der ehemalige Bolschewik Stalin arbeitete durch seinen Botschafter, den früheren Menschewik Maiski, mit ihnen Hand in Hand. Kleine Nuancen zwischen ihren Programmen hinderten sie nicht – im Namen des gleichen ehrwürdigen Zieles – an einer freundschaftlichen Zusammenarbeit. Sollten aber jetzt – erklärt Chamberlain – nach der Anerkennung Francos Italien und Deutschland die sogenannten Freiwilligen nicht aus Spanien zurückziehen, dann sei England bereit, zu sehr ernsten Maßnahmen, ja zum Kriege zu greifen. Der Radikalsozialist Daladier, ein anderer bekannter Anhänger der Politik der „Nichteinmischung", unterstützt Chamberlain völlig in dieser Frage. Aus Friedensliebe weigerten sich diese Herren, eine Demokratie mit Waffen zu verteidigen. Aber alles hat seine Grenzen, selbst die Friedensliebe dieser bewährten Menschenfreunde. Chamberlain sagt offen: die Ankunft italienischer und deutscher Soldaten auf der Iberischen Halbinsel würde das „Gleichgewicht" im Mittelmeer stören. Das kann nicht geduldet werden! England und Frankreich dachten durchaus nicht daran, die spanische Demokratie zu unterstützen; aber jetzt, nachdem sie Franco behilflich waren, sie zu ersticken, sind sie völlig bereit, mit Waffen das „Gleichgewicht" im Mittelmeer zu erhalten: unter diesem mysteriösen technischen Ausdruck muss man die Verteidigung der kolonialen Besitzungen und der dorthin führenden Seewege durch die Machthaber verstehen. Wir fragen die Herren von der Zweiten und Dritten Internationale ergebenst an, welche historischen, politischen und anderen Bedingungen genau erfüllt sein müssen, um die verheißene große Allianz zur Verteidigung der Demokratie in der ganzen Welt zu schließen? Die Regierung Frankreichs stützte sich auf die Volksfront. Der Kampf der Volksfront in Spanien wurde im Namen der Demokratie geführt. Was für ein Beispiel könnte gefunden werden, bei dem die Pflicht, die Demokratie zu verteidigen, in noch gebieterischer Form erscheinen könnte? Wenn eine „sozialistische", von einer „nationalen Front" unterstützte Regierung sich weigerte, eine ebenfalls von „Sozialisten" geleitete Demokratie zu verteidigen, dann erhebt sich die Frage, wo denn und wann wird welche Art Regierung sich mit der Aufgabe der Verteidigung einer Demokratie befassen? Vielleicht können die Wahrsager der Sozialdemokratie und der Komintern es trotzdem fertigbringen, das zu erklären? In Wirklichkeit waren die beiden imperialistischen Demokratien, in Gestalt ihrer herrschenden Klassen, ganz von Anfang an völlig auf der Seite Francos; sie glaubten zuerst nur nicht an die Möglichkeit seines Sieges, und hatten Angst, sich durch das vorzeitige Bekanntmachen ihrer Sympathien zu kompromittieren. Als die Chancen Francos stiegen, zeigte sich indessen das wahre Gesicht der herrschenden Klassen in den „großen Demokratien" immer deutlicher, offener, schamloser. Großbritannien wie Frankreich wissen ganz genau, dass es erheblich leichter ist, Kolonien, Halbkolonien und schwache Nationen mit Hilfe einer Militärdiktatur als durch ein demokratisches oder auch halbdemokratisches Regime zu kontrollieren. Ein Bündnis mit der konservativen Regierung (Chamberlains) ist für den „sozialistischen" Kleinbürger Blum ein genauso unwandelbares Gebot wie für die äußerten Reaktionäre des französischen Parlaments. Dieses Gebot geht von der französischen Börse aus. Englands Plan Spanien gegenüber lag von Anfang an fest: lass sie kämpfen – wer immer siegen wird, braucht Geld, um die Wirtschaft des Landes wieder in Gang zu bringen. Weder Deutschland noch Italien wird dieses Geld geben können; also wird sich der Sieger an London, und teilweise an Paris wenden müssen. So wird es möglich sein, Bedingungen zu stellen. Blum war in den englischen Plan von Anfang an völlig eingeweiht. Er konnte keine eigenen Pläne haben, da seine halbsozialistische Regierung ganz und gar von der französischen Bourgeoisie – und diese von der englischen – abhängig war. Blum schrie sich heiser über die Erhaltung des Friedens, eine noch ehrwürdigere Aufgabe als die Rettung der Demokratie. In Wirklichkeit aber verbarg er den Plan des britischen Kapitals. Nachdem er diese Schmutzarbeit geleistet hatte, wurde er von der französischen Bourgeoisie in die Opposition gedrängt und erhielt wieder die Möglichkeit, ein Geschrei über die heilige Pflicht, den spanischen Republikanern zu helfen, anzustimmen. Ohne billige linke Phrasen hätte er sich nicht die Möglichkeit bewahrt, der französischen Bourgeoisie in einem kritischen Augenblick wieder andere genauso verräterische Dienste zu leisten. Wenn auch zähneknirschend, lassen die Moskauer Diplomaten natürlich ebenfalls einige Worte zugunsten der spanischen Demokratie fallen, für gerade die Sache, die sich durch ihre Politik zerstört haben. Aber in Moskau drücken sie sich sehr behutsam aus, denn sie suchen tastend einen Weg nach Berlin. Die Moskauer Bonapartisten sind bereit, alle Demokratien der Welt zu betrügen – vom internationalen Proletariat ganz zu schweigen –, um nur ihre Herrschaft um eine weitere Woche zu verlängern. Es ist möglich, dass Stalin wie Hitler nur bluffen wollten; jeder möchte gern Chamberlain, Daladier und selbst Roosevelts in Furcht versetzen. Wenn aber die „demokratischen" Imperialisten nicht erschrecken, dann kann der Bluff erheblich weiter gehen, als Moskau und Berlin zuerst vorhatten. Um ihre Manöver zu verdecken, braucht die Kremlclique die Unterstützung der Führer der Zweiten und Dritten Internationale, umso mehr, als das nicht sehr viel kostet. Grob gesprochen können die sozialpatriotischen Herren in bewusste Schurken und in halbaufrichtige Narren eingeteilt werden. Es gibt jedoch eine beträchtliche Zahl von dazwischenliegenden und zusammengesetzten Typen. Zu ihrer Zeit haben diese Herren die hässliche Komödie der „Nichteinmischung" geduldig hingenommen und damit Stalin bei der Abschlachtung des proletarischen Spaniens geholfen. Als sich herausstellte, dass das republikanische Spanien gleich mit geschlachtet wurde, fuchtelten sie als Zeichen des Protests mit den Händen, ohne jedoch im Geringsten weder die Volksfront noch das „Bündnis der Demokratien" zu verwerfen. Bei den imperialistischen Mysterienspielen übernehmen diese Leute unweigerlich die entwürdigendsten und schändlichsten Rollen. In den Adern des spanischen Volkes verbleibt noch Blut, das nicht vergossen ist. Ob Hitler und Mussolini oder Chamberlain mit seinen französischen Kumpanen darüber verfügen wird, ist eine Frage, die durch das Kräfteverhältnis zwischen den Imperialisten in naher Zukunft entschieden wird. Der Kampf für den Frieden, für die Demokratie, für die Rasse, die Autorität, die Ordnung, das Gleichgewicht und ein Dutzend anderer bedeutender und unwägbarer Dinge bedeutet den Kampf um eine Neuverteilung der Welt. Die spanische Tragödie wird in die Geschichte als eine Episode auf dem Weg zur Vorbereitung eines neuen Weltkrieges eingehen. Die herrschenden Klassen aller Schattierungen haben vor ihm Angst und bereiten ihn gleichzeitig mit aller Macht vor. Die Farce der Volksfronten dient einem Teil der Imperialisten, ihre Pläne vor den Volksmassen zu verbergen, während die anderen Banditen Phrasen über Blut, Ehre und Rasse zum gleichen Zweck benützen. Die kleinbürgerlichen Schwätzer und Phrasendrescher machen es den Imperialisten nur leichter, den Krieg vorzubereiten, indem sie die Arbeiter daran hindern, die nackte Wahrheit zu erblicken. So wird mit unterschiedlichen Zielen und Methoden ein neues Blutbad der Völker vorbereitet. Die Menschheit kann vor Untergang und Zerstörung nur gerettet werden, wenn die Vorhut des Proletariats dem Imperialismus und seinen Lakaien entrissen wird – durch eine völlig unabhängige proletarische Politik, durch absolutes Misstrauen gegenüber den faschistischen und demokratischen Mysterien des Imperialismus, durch erbarmungslosen Kampf gegen die Zweite und Dritte Internationale und durch hartnäckige, systematische, unermüdliche Vorbereitung auf die internationale proletarische Revolution! |
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