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G. Sinowjew 19160400 Die zweite Zimmerwalder Konferenz

G. Sinowjew: Die zweite Zimmerwalder Konferenz

[Vorbote, Heft 2 (April 1916), S. 57-62]

Die zweite Zimmerwalder Konferenz. Schon die Tatsache allein, dass die 2. Zimmerwalder Konferenz stattgefunden hatte – trotz der Sabotage seitens der Huysmans & Cie., trotz Schwankungen der unentschiedenen Elemente und trotz der unzähligen äußeren Schwierigkeiten – ist ein Sieg des Internationalismus. Beunruhigt durch das Anwachsen der Zahl der Anhänger der Zimmerwalder Konferenz in allen Ländern, hatte sich das Exekutivkomitee des gewesenen Internationalen Sozialistischen Büros (jetzt: Internationales Büro zum Kampfe gegen den Sozialismus) bemüht, in Frankreich und England die Leute irrezuführen und die Zimmerwald-Aktion zu verhindern. Die Regierungen taten ihrerseits das Übrige. Vielen Genossen aus Deutschland, aus Frankreich, aus England, aus Skandinavien und Holland wurden die Pässe verweigert. Und dennoch haben sich auf der zweiten Zimmerwalder Konferenz über vierzig Teilnehmer aus verschiedenen Ländern zusammengefunden, um die Lage gemeinsam zu besprechen und einen Schritt vorwärts zu machen.

Aus Deutschland kamen Vertreter der drei Hauptrichtungen in der Opposition: ein Anhänger* der ISD (Internationale Sozialisten Deutschlands; steht ganz auf dem Boden der Zimmerwalder Linken), zwei Vertreter der Opposition, die sich um die Gruppe «Internationale» organisiert, vier Vertreter der Opposition Ledebour-Hoffmann («Opposition in der Organisation», wie sie sich gerne nennen). Zur Konferenz wurden noch persönlich Kautsky, Haase und Bernstein eingeladen. Sie lehnten ab. Die ersten zwei fügten hinzu – sie seien Delegierte ihrer Partei im Internationalen Sozialistischen Büro in Den Haag und schon darum können sie mit Zimmerwald nicht mitmachen. Noch einmal zeigte sich, wie recht die Vertreter der Zimmerwalder Linken hatten, als sie im Februar 1916 und auch früher die Genossen warnten, mit persönlichen Einladungen an die wankenden Zentrumsgestalten besonders freigiebig umzugehen. Noch einmal zeigte es sich, dass Haase und Kautsky viel mehr zu einem Kompromiss mit Vandervelde und Renaudel geneigt sind, als zu einer Verständigung mit denjenigen, die gegen den Sozialpatriotismus kämpfen wollen.

Aus Frankreich kamen drei Deputierte, alle Anhänger der unentschiedensten, unsichersten und formlosesten Opposition Longuet-Pressemane, d. h. des französischen Zentrums. Nur ein Genosse gehörte der entschiedeneren Opposition der Richtung „La Vie Ouvrière" an. Merrheim und Bourderon konnten nicht kommen. Ebenso waren verhindert zu kommen die Vertreter der Jeunesse syndicaliste de la Seine (Syndikalistische Jugendföderation der Seine) und der Pariser Internationalistischen Arbeitsgruppe, deren Deklarationen, die sich auf den Standpunkt der Zimmerwalder Linken stellen, auf der Konferenz verlesen wurden.

Aus Italien waren sieben offizielle Vertreter der Partei anwesend. Aus der Schweiz fünf. Aus Russland drei vom Zentralkomitee (von denen einer gleichzeitig die lettische sozialdemokratische Partei vertrat), vom Organisationskomitee zwei, von den Sozialisten-Revolutionären drei. Polen war durch fünf Delegierte vertreten (von denen drei die Organisation des Landesvorstandes repräsentierten). Serbien durch einen Genossen (Abgeordneter Katzlerowitsch). Portugal durch einen Genossen usw.

Begrüßungsschreiben und Solidaritätserklärungen sind aus England (ILP), Frankreich (Komitee zum Ziele der Wiederherstellung der internationalen Beziehungen), Holland, Schweden (Jungsozialisten), Rumänien (offizielle Partei), Bulgarien (offizielle Partei) etc. angekommen.

Ausführliche Berichte wurden nur aus Deutschland und Frankreich erstattet. Die wichtigste Tatsache, die von (allen deutschen Delegierten konstatiert worden ist, war die, dass der Unwillen der Massen gegen den Krieg rasch anwächst . … Die Radikalisierung der Arbeiter hat seit Zimmerwald sehr zugenommen. Die Teuerungs- und Nahrungsmittelkrise verschärft sich mit jedem Tage. Straßendemonstrationen finden statt, nicht nur in Berlin, sondern in einer Reihe von Großstädten. Die Soldaten an an der Front sind froh, von diesen Demonstrationen zu hören. Tausende von Arbeitern werden in der Weise gemaßregelt, dass sie an die Front getrieben werden. Niemand will mehr den Krieg. Alles lechzt nach dem Frieden.

Die Differenzierung in den Reihen der deutschen sozialistischen Opposition hat seit Zimmerwald einen großen Schritt vorwärts gemacht. Die Linke trennt sich allmählich von dem Sumpf.

Von einer prinzipiellen Neuorientierung, von einer einheitlichen und konsequenten Auffassung der imperialistischen Epoche – keine Spur bei diesen Vertretern der „Opposition in der Organisation". Offizieller Optimismus, Treue zur „altbewährten" Taktik – das sind die Hauptmerkmale dieser Opposition. Wir stehen auf dem Boden des Erfurter Programms und wollen nichts Neues; der Parteivorstand ist schon vor uns in Berlin zurückgeschreckt (!); nur keine Dummheiten machen, und wir bekommen bald die Mehrheit; unter keinen Umständen wollen wir keine dritte Internationale und keine Spaltung in den alten Parteien. Das ist ungefähr der Gedankengang dieser unklaren Opposition.

Anders die «Internationale»-Delegierten, die in Zimmerwald Arm in Arm mit Ledebour gingen. Jetzt sprechen sie erfreulicherweise eine viel entschiedenere Sprache. Die offizielle Partei hat sich zur einfachen Agentur der Regierung degradiert. Die jetzige deutsche Sozialdemokratie ist zum kontrarevolutionären Faktor geworden. Die besten Arbeiter sehen sich zum Verlassen der Partei genötigt, weil sie keine Beiträge an einen Parteivorstand zahlen wollen, der im der imperialistischen Bourgeoisie steht usw. Diese Gruppe der Opposition zählt schon jetzt nach Mitteilungen ihrer Delegierten eine Reihe von Organisationen und etwa 500 Vertrauensmänner im ganzen Lande. Sie wird ihre Arbeit weiterführen – mag kommen was kommen will …

Der Anhänger der ISD wies in seiner Rede auf das Beispiel seiner Stadt, wo eine klare linksradikale Agitation die ganze Organisation auf die Seite der entschiedenen Linken gebracht hat. Er kritisierte die Unklarheit der Haltung der Internationale-Gruppe in der Vaterlandverteidigungsfrage und im Verhalten zum «Sumpfe.»

Viel rückständiger ist die Opposition in Frankreich. Sie steht noch jetzt ungefähr auf dem Standpunkt, auf dem die deutschen Kautskyaner vor einem Jahr standen. Die französischen Delegierten behaupteten auf der Konferenz – die Opposition in Frankreich sei quantitativ viel zahlreicher, als man gewöhnlich voraussetzt. 30-40 (?) Abgeordnete stehen auf dem Standpunkt der Minderheit – so behauptet der Abgeordnete Brizon. Die Genossen in den Schützengräben sind mit uns, sie schreiben uns immer und immer: nous sommes avec vous. Eine Anzahl bäuerlicher Wahlkreise sollten dasselbe erklärt haben.

Aber dass die französische Opposition vom Schlag Brizon qualitativ nicht gerade auf der Höhe steht – das haben die 3 anwesenden Deputierten glänzend bewiesen. – Wir haben für die Kriegskredite gestimmt und wir haben recht gehandelt – erklärte der Abgeordnete Raffin-Dugens. Nur sollen wir einander jetzt keine Vorwürfe machen. Das Vorgehen der deutschen Sozialisten ist auch verständlich. Vandervelde hatte Recht, als er auf die Schwierigkeit ihrer Lage hinwies. Sie hatten mit der Kosaken-Gefahr, wir – mit der Preußen-Gefahr zu rechnen. Darum sollen wir uns jetzt gegenseitig keine Beschuldigungen vortragen und wir sollen jetzt für den Frieden gemeinsam wirken.

Für den Frieden – ja! Aber nicht für den Frieden um jeden Preis, sondern nur für einen akzeptablen Frieden! So erklärte Brizon. Wobei es aber nicht ganz klar war, was für einen Frieden würde Brizon für «akzeptabel» halten.

Sofort nach diesen Erklärungen der Franzosen hatte die Zimmerwalder Linke der Konferenz ihrerseits eine schriftliche Erklärung unterbreitet (die Erklärung trägt 20 Unterschriften, also etwa die Hälfte der Konferenz), in der es heißt:

«Die Unterzeichneten erklären: Wie sie auf der Zimmerwalder Konferenz die Stimmenthaltung der deutschen oppositionellen sozialdemokratischen Abgeordneten bei den Kriegskrediten für unzulässig, die deutsche Sozialdemokratie beschämend erklärten – so erklären sie die Haltung der Minorität der französischen Parlamentsfraktion, die die Kriegskredite annimmt, für absolut unvereinbar mit dem Sozialismus, mit der Kriegsfeindlichkeit.

Diese Haltung verwandelt alle Proteste dieser Abgeordneten gegen den Krieg und die Politik der Union sacrée zu einer ohnmächtigen Verwahrung, sie ist, geeignet, in den oppositionellen Massen jeden Glauben an die sozialistische Partei zu untergraben, sie schwächt ungeheuer die Bemühungen der internationalistischen Parteien, eine internationale Front zum Kampf gegen den Weltkrieg aufzurichten.»

Das weitere Verhalten des französischen Delegierten Brizon zeigte uns, dass wir in unserer Erklärung vollkommen Recht hatten.

* *

*

Im Mittelpunkte aller Debatten auf der Konferenz stand die Frage des weiteren Verhaltens zum Internationalen Sozialistischen (?) Büro in Den Haag. Das war der Knotenpunkt aller jetzt auf der Tagesordnung stehenden Fragen. Hier entflammten alle Leidenschaften. Jedermann fühlte, dass hier die Frage der zweiten oder der dritten Internationalen verhandelt wird.

Auf der einen Seite – eine ganz klare und entschiedene Stellung. Die Zimmerwalder Linke erklärte: Mögen die Sozialpatrioten und Kautskyaner aller Länder dafür sorgen, das bankrottierte sozialpatriotische ISB wiederherzustellen. Unsere Aufgabe ist, die Massen über die Notwendigkeit der reinen Scheidung, der Trennung von den Sozialpatrioten, die in allen Ländern den Sozialismus verraten haben, aufzuklären. Momentan können die Scheidemänner und Südekums mit den Renaudels und Plechanows sich noch nicht verständigen. Die einen dienen dem deutsch-österreichischen Imperialismus, die andern sind Vasallen des Tripelentente-Imperialismus. Aber sie stehen alle ganz auf demselben Boden und sie werden unvermeidlich sich vereinigen müssen gegen die Internationalisten aller Länder, sie werden einander die gegenseitige Amnestie erteilen und einen Pakt gegen den revolutionären Sozialismus schließen. Wie die Lage in diesem Moment ist, können die Leute noch nicht einander öffentlich «grüßen». Aber wenn sie nachher zusammen sind – «wird sich schon alles finden».1 Der erste Schritt, den diese Herren gemeinsam und in voller Harmonie vornehmen werden, wird darin bestehen – die internationalistische Opposition in allen Ländern abzuwürgen. Die Führer des Sozialpatriotismus in allen Ländern bilden eine Art Trust. Nur vorübergehend sind sie miteinander verfeindet.

Die Einberufung des ISB jetzt, wo die Vandervelde, Guesdes und Thomas Minister sind und die Scheidemänner und Eberts Helfershelfer Bethmann-Hollwegs, würde eine miserable Komödie und ein Betrug der Arbeitermassen sein. Unsere Aufgabe ist – diese Komödie zu entlarven, diesen Betrug zu geißeln, nicht aber zu fördern.

Darum kann es unmöglich unsere Aufgabe sein, sich für die Wiederherstellung des alten ISB, wo nicht die Oppositionen, sondern die guten alten Bekannten Renaudels, Huysmans, Scheidemanns, Adlers, Brantings und Troelstras tonangebend sind, ins Zeug zu legen.

Die Einberufung des ISB, ist momentan gescheitert, weil das französische Ministerium aus diplomatischen Gründen jetzt sie noch nicht wollte. Das Exekutivkomitee des ISB, ist zum Werkzeug der französischen Finanzoligarchie geworden. Es wird aber ein Moment kommen, wo die Schieber des Exekutivkomitees es für nützlich halten werden, das ISB wieder auferstehen zu lassen. Eine Sitzung des ISB wird dann mit der allergnädigsten Zustimmung der Henderson, Thomas, Sembat, Vandervelde stattfinden. Was sollen wir dann tun? Unsere Antwort: Für diesen Fall wollen wir uns die Hände nicht binden. Wir können auch eventuell in einer Sitzung teilnehmen, zu dem Zwecke, die Sozialpatrioten aller Länder an den Pranger zu stellen. Nicht diese Frage steht jetzt auf der Tagesordnung. Sie zu besprechen werden wir noch Gelegenheit haben, wenn eine Sitzung des ISB, anberaumt werden wird. Dann sollen wir, Zimmerwalder, zusammenkommen und unsere weitere Haltung bestimmen. Die Hauptsache besteht jetzt darin, keine Illusionen bei den Massen über die Bedeutung des ISB, zu erwecken, die schmachvolle Politik dieses ISB, zu geißeln und nicht für die Zusammenberufung dieser Diener der Regierungen zu agitieren.

Die Unentschiedenheit der Zimmerwalder Mehrheit im September 1915 hat dazu geführt, dass Bourderon im April 1916 im Generalrat der französischen sozialdemokratischen Partei einer diplomatischen und irreführenden Resolution zugestimmt hat, die das Vertrauen an die Huysmans und Vanderveldes ausdrückt und die Herren alleruntertänigst bittet, sich gütigst wieder versammeln zu wollen. Wir, die Zimmerwalder, haben jetzt den Vorzug, dass wir uns schon international zusammengefunden haben, während die Sozialpatrioten es noch nicht können.

Diesen Vorzug sollen wir ausnützen, um den Kampf gegen den Sozialpatriotismus zu organisieren, das ISB, zu entlarven. So die Zimmerwalder Linke.

Die zweite Auffassung stand ganz und gar auf dem Standpunkt des «Kautskysmus». Die prinzipiellste Rede dieser Richtung war unseres Erachtens die des Führers der russischen Opportunisten, Paul Axelrods. Die zweite Internationale – sagte Paul Axelrod – ist gar nicht zusammengebrochen. Sie habe nur eine Zeitlang versagt in dieser schrecklichen Weltkrise, in der so vieles versagt hat. Redner wendet sich aufs entschiedenste gegen jedwede «revolutionäre Erschütterungen innerhalb der alten Parteien.» Nicht gegen die «Instanzen», sondern «Zurückgewinnung der Instanzen» – das sei die Losung. Spaltung mit den sozialpatriotischen Mehrheiten wäre ein Verbrechen. Wir müssen die Mehrheiten als irrende Brüder behandeln. Wir müssen mit ihnen umgehen, wie ein guter, sorgfältiger Arzt mit seinen geliebten Patienten umgeht. Wie das einzelne Individuum in seiner Entwicklung ein gefährliches, unsicheres Stadium durchzumachen hat, so ist es auch der Fall mit der zweiten Internationalen.

Darum soll man das ISB nicht abstoßen, sondern eine Aktion für seine Einberufung entfalten. Axelrod ist auch für eine gegenseitige Amnestie. Er erklärte es ganz offen in der Kommission, die die Resolution über das ISB ausarbeitete. Wenn die Mehrheiten umkehren werden, so sehe ich nicht ein, warum wir gegen eine gegenseitige Amnestie auftreten sollten – sagte Axelrod.

Das war der Standpunkt des rechten Flügels der Konferenz, der numerisch ziemlich schwach war, der aber bei den Zentrumselementen aller Länder einen großen Anhang hat und der noch große Verwirrung anrichten wird.

Der deutsche Delegierte Hofmann neigte in der Hauptsache derselben Auffassung zu. Wir wollen keine dritte Internationale – das war das Leitmotiv aller seiner Reden. Wir sind hier ein Rumpfparlament – sagte er. Wir müssen abwarten. Wenn wir auf den nationalen Parteitagen in der Minderheit bleiben, dann werden wir die Konsequenzen ziehen. (Nebenbei bemerkt: Niemand von uns forderte eine sofortige Spaltung. Das Tempo, die Auswahl des Momentes ist selbstverständlich Sache der Genossen des betreffenden Landes. Nur soll uns der Weg, das Ziel klar sein. Nur sollen wir uns ein für allemal sagen, dass wir nicht mit den Sozialpatrioten zusammengehören.) Hofmann war für die Einberufung des ISB. Er unterschied sich von Axelrod nur insofern, dass er eine scharfe Kritik des bisherigen Auftretens des ISB forderte.

Die Delegierten der Gruppe «Internationale» gingen in dieser Frage mit der Linken. Und sie müssten sich schon gefallen lassen, dass man ihnen sagte (der Italiener Modigliani): Die Zimmerwalder Linke sei logisch und handle konsequent, die Delegierten der Gruppe «Internationale» aber, die in Zimmerwald gegen die Linke aufgetreten, handeln jetzt nicht besonders logisch.

Die Italiener standen ungefähr auf demselben Standpunkt wie Hofmann. Bei ihnen spielte eine große Rolle die falsche Kalkulation auf eine mögliche Zimmerwald-Mehrheit innerhalb des ISB. Sie rechneten dabei auf die Vertreter der kleinen Nationen, dann der Sozialisten aus Südafrika, Japan usw. Es war uns ein Leichtes, diese Legende mit Ziffern in der Hand zu zerstören. Dieses opportunistische Motiv war aber bei den Italienern nicht das einzige. Die Hauptsache ist die, dass auch die Italiener sich nicht ganz klar über die Lage sind, dass sie einen großen, sehr großen reformistischen Flügel innerhalb ihrer Partei haben, er nicht geneigt ist, mit dem Sozialpatriotismus entschieden und endgültig zu brechen.

So war die Lage auf der Konferenz selbst.

In der Kommission bildeten sich zwei Gruppen. Die eine (3 Mitglieder der Linken) forderte eine klare Abweisung des ISB und eine scharfe Kritik desselben. Die zweite (4 Mitglieder der Rechten und des Zentrums) wollte eine Sitzung des ISB fordern, aber Bedingungen aufstellen – wie Ausschluss aus der Partei der sozialistischen Minister usw. Die Abstimmung bewies aber, dass die Mehrheit der Kommission keine Mehrheit der Konferenz hinter sich hatte. Es wurden zwei neue Mitglieder der Linken in die Kommission gesandt. Und dann wurde eine neue Resolution ausgearbeitet. Die provisorische (nicht bindende) Abstimmung in der Konferenz gab folgende Resultate (es wurde nicht pro Organisation, sondern pro Kopf abgestimmt):

Mehrheit der ersten Kommission

10

Minderheit der ersten Kommission (Linke)

12

Resolution Hofmann

2

Resolution Lapinski (scharfe Kritik des ISB und Offenlassen der Frage der Einberufung des ISB

15

Resolution Serrati (ungefähr dasselbe, wie bei dt. Mehrheit der ersten Kommission)

10

Resolution Sinowjew (sollte das ISB einberufen werden, müssen die Zimmerwalder zusammen kommen und beraten)

19

Endgültig wurden die Resolutionen Lapinski-Sinowjew mit Abänderungen angenommen. Dazu – noch ein Zusatz Modigliani, der den einzelnen das Recht überlässt, eine Sitzung des ISB, zu fordern. Die ganze Resolution wurde einstimmig angenommen. Nur P. Axelrod enthielt sich der Stimme (sein Kollege Martow stimmte dafür) und ein italienischer Genosse stimmte dagegen Wie die Antwort des Exekutivkomitees des ISB auf diese scharfe Resolution („Steckbrief", wie man sie scherzweise auf der Konferenz nannte) ausfallen wird, ist leicht vorauszusehen. Wer gegen die Spaltung mit dem ISB ist, der sollte wirklich nicht einer solchen Resolution zustimmen …

* *

*

Einen wichtigen Teil der Verhandlungen bildete die Frage der Stellung des Proletariats zu den Friedensfragen.

Die Zimmerwalder Linke stellte die Frage so. Ihr Berichterstatter Radek in seiner Einführungsrede, ihre Redner Lenin, Sinowjew, der deutsche Genosse aus X. u. a. forderten eine einheitliche und konsequente Prinzipienerklärung. Zimmerwald hat mehr oder weniger konsequent die Lüge der Vaterlandsverteidigung gegeißelt, von der die Arbeitermassen der ganzen Welt überrumpelt waren. Jetzt gilt es weiter zu gehen. Jedermann spricht jetzt von Frieden. Ein Sozialpatriot wie Scheidemann tritt, mit einer Broschüre auf, die den Titel trägt: «Es lebe der Frieden». Man sucht die Massen nochmals mit Worten zu täuschen, man will sie mit hohlen pazifistischen Phrasen abspeisen. Jetzt gilt es gegen den Pazifismus aufzutreten , – den trügerischen bürgerlichen Pazifismus wie den hohlen, ohnmächtigen, illusionären Sozial-Pazifismus der Kautskyaner, die den Frieden wollen, aber nicht den revolutionären Kampf für den Frieden. Es gilt, den Massen klar und unzweideutig zu sagen, dass nur die revolutionäre Intervention der Massen selbst auf den Straßen – durch Demonstrationen, Streiks, kurz durch Kampf – der Krieg abgekürzt werden kann. Es, gilt ihnen zu sagen, dass nur durch die Eroberung der politischen Macht, weitere, sonst unvermeidliche imperialistische Räuberkriege beseitigt werden können. Es gilt, ihnen zu sagen, dass die Losungen der Abrüstung, der Schiedsgerichte, des «demokratischen Friedens», der demokratischen Kontrolle usw. in der imperialistischen Epoche Utopien sind. Es gilt, sie klar und scharf zum Kampf für den Sozialismus aufzurufen.

Das war unsere Meinung, die wir in einem Resolutionsprojekt formuliert haben. In dieser Frage haben wir neuen Zuzug gefunden. Außer den alten Anhängern der Zimmerwalder Linken wurde unser Projekt von dem serbischen Genossen Abgeordneten Katzlerowitsch, von dem italienischen Genossen Serrati (Chefredakteur des «Avanti») und von der Mehrheit der schweizerischen Delegation gezeichnet.

Genosse Grimm beantragte seine Thesen, deren Gedankengang in den Hauptzügen nicht weit von den unsrigen war.

Die Mehrheit der Italiener (alle gegen 2) erklärten, sie müssten sich in der Frage dei Abrüstung, der Schiedsgerichte etc. reservieren. Ein Zug des Sozialpazifismus war aus ihren Reden deutlich herauszuhören.

Die Gruppe Hofmann trat nicht mit einer selbständigen Auffassung auf, sondern begnügte sich mit, einzelnen Abänderungsvorschlägen und Abschwächungen.

Wie die Thesen aus der Kommission herauskamen, konnten wir – trotz einiger Mängel für sie stimmen.

In der Kommission hatte Radek im Namen der Zimmerwalder Linken für die Verschärfung und Präzisierung der Resolution gewirkt. Er beantragte zu sagen, dass «die wirtschaftlichen Vorbedingungen für den Sozialismus in den kapitalistisch entwickelten Ländern vorhanden sind». Die Mehrheit hat aber stattdessen eine unbestimmte, nichtssagende Formel vorgezogen. Sie sagte, dass die historischen Vorbedingungen für den Sozialismus durch die kapitalistische Entwicklung «in immer größerem Maßstabe» geschaffen werden. Das ist zwar richtig. War es aber auch 25 Jahre vor dem jetzigen Weltkrieg. Schließlich ließ sie die ganze Frage offen.

Eine weitere Abschwächung wurde von Hofmann durchgesetzt. Wir forderten, es solle gesagt werden, dass die berühmten Schiedsgerichte etc. die Konflikte weder beseitigen, noch mildern können. Das letztere wollte Hofmann nicht anerkennen und forderte ultimativ, das zu streichen.

Im Ganzen ist die Resolution ein Schritt vorwärts. Wer diese Resolution mit dem Projekte der Zimmerwalder Linken im September 1915 und mit den Schriften der deutschen, holländischen, polnischen und russischen Linksradikalen vergleichen wird, der wird zugestehen müssen, dass unsere Ideen in den Grundzügen jetzt von der Konferenz aufgenommen sind.

Die Frage des Selbstbestimmungsrechtes wurde zwar kurz aufgeworfen, aber nicht diskutiert und nicht entschieden.

Das Manifest, das an die breiten Massen gerichtet ist, ist ein Resultat des Kompromisses mit dem französischen Deputierten Brizon. Wir hielten das Manifest für nicht allzu gelungen. Das Auftreten Brizons, besonders in den ersten Tagen der Konferenz, rief bei uns alles andere als Enthusiasmus hervor. Die französische «Opposition» vom Schlage Brizon ist so unklar und zweideutig wie nur möglich. Wenn von den deutschen Kautskyanern mit Recht gesagt wird, dass sie Halb-Sozialpatrioten sind, so gilt mindestens dasselbe von der französischen Opposition Brizon. Aber wir wollten die Verständigung mit den Franzosen nicht stören und wir haben dem Manifeste zugestimmt in der Hoffnung, dass die französischen Arbeiter ihre parlamentarischen Vertreter weiter treiben werden, dass die Differenzierung auch in der französischen Opposition allmählich fortschreiten wird, dass eine Klärung der Geister auch in Frankreich unvermeidlich sei. '

* *

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Alles in allem war die zweite Zimmerwalder Konferenz zweifellos ein Schritt vorwärts. Das Leben wirkt in unserm Sinne. Alle möglichen Vorurteile gegen die Linke, gegen die Anhänger der «Spaltung» beeinflussten die Mehrheit der Zimmerwalder Vereinigung gegen uns. Und dennoch musste die Mehrheit schon jetzt vieles von dem anerkennen, was sie noch unlängst trotzig leugnete. Die Ereignisse des wirklichen Lebens sind die besten Lehrmeister.

Als der Krieg kam, als der Zusammenbruch der opportunistischen Parteien uns alle überraschte, dann hieß es die Parole der Trennung von den Sozialpatrioten aufzustellen und zu verfechten. Jetzt diese Parole mit besonderem Eifer zu verfechten, scheint schon manchmal offene Türen einzurennen gleich. Die Spaltung ist zur Tatsache geworden – fast in allen Ländern. Hätten wir in Zimmerwald Ledebour prophezeit, dass er nach sechs Monaten eine selbständige Fraktion im Reichstage bilden würde, er hätte uns mit Hohn und Spott überschüttet. Und jetzt ist es Tatsache. Die Spaltung ist vollzogen oder im Begriffe in Deutschland, in England, wo die Hyndman-Männer gehen müssten, in Schweden, wo Branting morgen Minister wird und Höglund ins Zuchthaus geworfen wurde, in Russland, in Italien, in Bulgarien, in Australien, sogar in Amerika.

Zwei Ideologien, zwei Weltanschauungen, zwei Programme – zwei Internationalen: die der Sozialisten und die der Sozialpatrioten. Und die zweite Zimmerwalder Konferenz ist ein Schritt auf diesem Wege.

Keine Illusionen! Wir wissen ganz gut, dass auch bei den Zimmerwald-Anhängern vielleicht Rückfälle möglich sind. Es gibt auch in der Zimmerwald-Vereinigung unentschiedene, unklare, reformistische Elemente. Und dennoch ist es so: die zweite Zimmerwalder Konferenz wird politisch und historisch noch ein Schritt vorwärts auf dem Wege zur dritten Internationale sein.

Die dritte Internationale muss kommen, wird kommen. Der revolutionäre Kampf der Massen wird sie bringen.

* [nämlich Paul Frölich.] Er vertrat die Opposition einer großen Stadt [Bremen], in der die Parteiorganisation offiziell auf linksradikalem Standpunkt stellt. Der offizielle Vertreter der ISD war verhindert zu kommen.

1 „Blamier mich nicht, mein schönes Kind,

Und grüß mich nicht unter den Linden;

Wenn wir nachher zu Hause sind,

Wird sich schon alles finden.“

Heinrich Heine

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