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Paul Frölich 19160400 Die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie

Paul Frölich: Die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie

[nach Vorbote, Heft 2 (April 1916), S. 51-56. Erschienen unter dem Pseudonym Paul Bremer]

1. Die Männer des 4. August.

Die Toten reiten schnelle! Lenore.

Sie reiten in einem so betäubenden Tempo, das selbst der, der am 4. August schon jeder Hoffnung auf ihre Umkehr bar war, es nicht voraussehen konnte. Man merke nur die Etappen: Annahme der Kriegskredite, um das Vaterland zu retten und die Not der Bevölkerung zu lindern. Dann Verzicht auf den Klassenkampf, Einstellen jedes ökonomischen wie politischen Kampfes, Beginn der Eingabepolitik, als des Weges zur Linderung der Volksnot. Alle Lehren der Geschichte waren in den Wind geschlagen, die da besagten, dass die Besitzenden ohne Druck von unten niemals die Lage der Volksmassen erträglich gestalten.

Als die Männer des 4. August ihren Pakt mit der Bourgeoisie schlossen, dachten sie ganz gewiss nicht, dass sie dabei die täglichen Interessen der Arbeiterschaft verraten. Umgekehrt glaubten sie, dass sie auf dem Altar dieser Interessen hohle, morsche, von den Sterneguckern ausgedachte Theorien opfern. Da kam, was kommen musste. Eine immer mehr wachsende Not der Volksmassen, eine Teuerung, die aller unzulänglichen Maßregeln der Regierung spottete, ein Regime des Terrors in den Fabriken, Aufhebung der Freizügigkeit der Arbeiterschaft.

Vaterlandsverteidigung! Wir wollen uns nur unserer Haut wehren. Ist das Ziel der «Sicherheit» erreicht, dann soll der Friede kommen! So dachte die Mehrheit der Männer des 4. August, während ihre aus Gewerkschaftskreisen sich rekrutierende Minderheit, die schon vor dem Kriege im Imperialismus Interessen der Arbeiterschaft vertreten sah, zum vorneherein hoffte, dass der Krieg den Anteil des deutschen Kapitals an der Weltbeute erhöhen wird, wovon auch die Arbeiter profitieren sollten. Es vergingen Monate. Was jedem Marxisten keinen Augenblick verborgen sein konnte, das schrien die Imperialisten an allen Straßenecken in die Welt hinaus: Es ist der deutsche Krieg, der uns zum Weltvolk machen soll! Sie rechneten, was Deutschland aus geographischen, wirtschaftlichen und militärischen Gründen alles erobern muss, bis auf den letzten Quadratzentimeter aus. Und wer dies als «Literatur» abtun wollte, dem besagten sofort die Denkschriften der Verbände des Kapitals, die bisher noch immer auf des neuen deutschen Reiches Herrlichkeit ihren Stempel aufdrückten, worum es geht. Aber die Männer des 4. August konnten nicht mehr zurück. Erstens weil alles das, was sie von den dem Reiche drohenden Gefahren tagtäglich predigten, immer noch stimmte: der Marsch nach Paris blieb in der Champagne stecken, und Englands Militärkraft begann sich erst im Kriege zu entfalten. Zweitens weil sie wussten. dass eine neue Umkehr sie um den letzten noch übrigen Kredit bei den Massen bringen musste. Drittens weil sie immer noch hofften, von der Bourgeoisie für die ihr geleisteten Dienste Zugeständnisse zu erreichen, die die Arbeitermassen mit der Politik des 4. August aussöhnen würden. Schließlich weil, wie immer, sich in stürmischen Zeiten die Entschiedensten durchsetzen – so auch im sozialpatriotischen Lager die Sozialimperialisten die Führung bekamen: die Gewerkschaftsführer und Revisionisten. Und der Teufel lässt die Seele nicht aus der Hand.

Das Resultat: die Männer des 4. August gingen immer weiter: im Juli 1915 nimmt der Parteiausschuss ein imperialistisches Programm an, in dem die «Post» einen verheißungsvollen Anfang sieht: Die Freiheit der Meere, die nichts anderes als die Umschreibung der Eroberung marinistischer Stützpunkte ist, die Freiheit der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands, Österreichs und der Türkei, was nichts anderes als das Programm Berlin-Bagdad ist, wird zum Programm der deutschen Sozialdemokratie erhoben. Im Winter 1916 spricht sich ein Konventikel der Führer für «Mitteleuropa» aus, das dem deutschen Imperialismus erst eine breite wirtschaftliche Basis geben soll. Und während sie so sich immer mehr zum Bewusstsein bringen, was sie sind, suchen sie den Sinn ihrer Politik vor den Massen zu verhüllen; und da diese Politik, die der Regierung ist, müssen sie den Massen vorschwindeln, die Politik der Regierung sei nicht imperialistisch, sie stehe im Gegensatz zur Politik der imperialistischen Cliquen: den Streit im Lager des Imperialismus über das Maß dessen, was schon in diesem Kriege zu erreichen ist, suchen sie als Kampf gegen den Imperialismus darzustellen. Bethmann-Hollweg als Fahnenträger der Sozialdemokratie, die Sozialdemokratie als Schleppenträgerin Bethmann-Hollwegs, das ist das Resultat. Dass sie infolgedessen Geisel der Regierung sind, dass sie nichts gegen die Aushungerung der Massen, gegen ihre Versklavung in den Fabriken, gegen die Herrschaft des Belagerungszustandes tun können, ist klar. Und dass sie auch die Schande ihrer Lage verhüllen, indem sie den Anschein erwecken, als kämpften sie gegen sie, das ist ein Beweis, dass, sie diese Politik um den Rest der politischen Ehrlichkeit gebracht hat: die Politik des 4. August ist die Demagogie, die Belügung, Irreführung der Massen im Interesse des deutschen Imperialismus. Und auf dieser Bahn gibt es kein Halten mehr. Die Toten reiten schnelle!

2. Das Zentrum der Partei.

Fort mit dem Brei! Den brauche ich nicht:

Mit Bappe back ich kein Schwert! Wagner.

Am 4. August siegten in der deutschen Reichstagsfraktion die Gewerkschaftsführer und Revisionisten, indem sich die Abgeordneten des Zentrums der Partei mit fliegenden Fahnen zu ihnen schlugen. Was stellte das Zentrum der Partei dar? den Teil der Parteibürokratie (Abgeordnete, Redakteure, Organisatoren), der zwar an den Worten festhielt, an die die Arbeitermasse gewöhnt war, aber in der Praxis dieselbe Politik trieb, wie die Revisionisten und Gewerkschafter: Mandatspolitik, Kultus der kleinen Organisationsarbeit der Organisationsarbeit wegen, Usurpierung aller Initiative durch die «Instanzen». Natürlich war er für die Revolution – wenn die ganze Arbeitermasse organisiert sein wird. Einstweilen um Gotteswillen keine «revolutionäre Gymnastik», keine Propaganda der Massenaktionen, obwohl die isolierte Gewerkschafts- und Parlamentsaktion angesichts der Gefahren der imperialistischen Epoche immer mehr versagte. Der Krieg verdirbt das Heer! Diese Klugheit des russischen Zaren übertrugen sie auf die Sozialdemokratie, indem sie schrien: Der Kampf der Masse könnte die Organisationen dieser Masse ins Verderben stürzen. Da jedoch eine Millionenpartei ihre Tätigkeit nicht im Bau von Organisationen erschöpfen kann, die in hundert Jahren in Bewegung gesetzt worden sollten, während die Lage der Masse sich verschlechtert, musste das Zentrum der Partei die Existenz eines anderen Weges, als ihn die Befürworter der Massenaktionen zeigten, vortäuschen: innere Reformen durch einen Block mit den Liberalen («Dämpfungswahlen»), Bannung der imperialistischen Gefahr durch Übereinkommen der Regierungen, was die Arbeiterklasse zusammen mit den friedliebenden Elementen der Bourgeoisie erreichen sollte: die Abrüstungsparole Kautskys und Ledebours. Die Sozialdemokratie als beste Maklerin unter den Staaten, wie sich Ledebour ausdrückte.

Schon vor dem Kriege bewiesen die Linksradikalen, dass diese Ermattungsstrategie nichts anderes ist als die Praxis des Revisionismus, die man nun als den Weg zur zukünftigen Revolution darstellte. Am 4. August zeigte sich beim Übertritt des Zentrums der Partei auf die Seite der Rechten nur das, was schon vor dem Kriege war. Indem Ledebour, Haase dagegen Einspruch erhoben und einen kleinen Teil der Zentrumsabgeordneten für den Protest gegen die Politik des 4. August gewannen, protestierten sie nur gegen die Konsequenzen der eigenen bisherigen Politik.

Nun ist die Politik kein gewöhnliches Rechenexempel und kein logischer Syllogismus. Der linke Flügel des Parteizentrums, der der Rechten Gefolgschaft versagte, konnte sich nach links entwickeln. Hat er es getan? Das erste Wort, das er an die Partei richtete, war Kautskys Ruf: Vertrauen für die Instanzen, die den Sozialismus verraten haben! Man kann den Sozialismus aus sozialistischen Motiven verraten. Dann kamen die Schriften Kautskys, die die sozialimperialistische Politik als notwendige Vaterlandsverteidigung erklärten, dann weitere, die die alten, die Massen irreführenden sozialpazifistischen Losungen der Versöhnung des Kapitalismus statt seiner revolutionären Überwindung von neuem aufstellten. Im Parteivorstand machte Haase, in den Organisationen seine Freunde, den Kampf gegen die sich regende Opposition als gegen eine Zerrüttung der Partei, mit. Die Vaterlandsverteidigung, die Achse der ganzen Politik des 4. August, wurde verteidigt. Von diesem Standpunkt aus musste das Zentrum die Bemühungen zur internationalen Zusammenfassung der entschiedenen Opposition scheel ansehen. Wie es an der Einheit mit Scheidemann und Legien festhält, musste es Verständnis für Renaudel und Vandervelde haben. Die Zentrumsführer wissen von den Vorbereitungen zur Zimmerwalder Konferenz, aber sie lassen sich nicht sehen. Dafür kommen sie in die Schweiz und verhandeln mit Jouhaux, dem Agenten des französischen Kapitals. Zur Zimmerwalder Konferenz erscheint nur ihr linker Flügelmann Ledebour, um dort jeden radikalen Antrag zu bekämpfen. Neben diesem Kampf gegen jede entschiedene Opposition in den Organisationen, führen die Zentrumsleute in der Fraktion anderthalb Jahre lang eine Fronde gegen die Sozialpatrioten, aber sie wagen nicht offen die Kriegskredite abzulehnen. Unter dem Druck der Zimmerwalder Konferenz, unter dem Druck der Berliner, Bremer usw. Arbeiter entscheiden sie sich schließlich zu dieser rein parlamentarischen Demonstration. Aber indem sie sie wagen, versetzen sie einen Rückenschuss der französischen und der entschiedenen deutschen Opposition: sie erklären nämlich, sie lehnen die Kredite ab, weil die Grenzen des Reiches gesichert sind. Natürlich auch nur aus taktischen Gründen, um die Sozialpatrioten mit ihrer eigenen Argumentation zu schlagen. Nur dass diesen gewiegten Taktikern das Malheur passiert, dass sie die Scheidemanns schlagen wollen, Merrheim und Liebknecht aber treffen.

Nach der Heldentat legen sie sich auf ihre Lorbeeren nieder. Inzwischen wird Liebknecht durch die Männer des 4. August aus der Fraktion rausgeschmissen.

Die Dezembermänner protestieren, bleiben aber ruhig in der Fraktion. In Berlin, Leipzig, Bremen, Rheinland-Westfalen machen die entschiedenen Radikalen gegen sie die Arbeiterschaft mobil: age, quod agis, was du tun willst, tue ganz. So tun sie ganz; sie suchen die Entschiedenen zu knebeln, ihnen das Recht der freien und selbständigen Kritik zu rauben, und als das nicht gelingt, schmeißen sie zuerst in Berlin, dann in Frankfurt a. M. die Anhänger der Internationalengruppe aus den oppositionellen Geheimorganisationen. Aber bald erreicht sie das Geschick. Nach dem 21. Dezember verblieb ihnen nichts übrig als im Parlament ihre Proteste gegen die Regierungspolitik zu erneuern. Am 27. März tut dies Haase unter vollkommenem Verzicht jedes Angriffes auf die Sozialpatrioten. «Würdig und ohne Polemik», wie es der Knigge des Zentrums, Karl Kautsky, riet. Die Sozialpatrioten, die auf die guten Absichten pfeifen und sich in der Politik an die Wirkungen halten, wissen, dass sich daraus, entgegen dem Willen der Zentrumspolitiker, die Diskreditierung des Sozialpatriotismus ergibt; sie schmeißen Haase die Vorwürfe des Treubruchs, der Landesverräterei vor dem versammelten Parlament an den Kopf, um ihn ein paar Stunden später samt seinen sieben Freunden mit Fußtritten aus der Fraktion zu jagen. So entsteht eine neue parlamentarische Fraktion des Zentrums, und Haase, der sich am 4. August zur Vorlesung der sozialpatriotischen Erklärung drängen ließ, der anderthalb Jahre sich dazu drängen ließ, die Ukase des Parteivorstandes gegen die Opposition zu unterzeichnen, lässt sich jetzt aus dem Parteivorsitz hinausdrängen, welche Fähigkeit zum Sichdrängenlassen manche klugen Diplomaten der entschiedenen Linken als einen Beweis ansehen, dass er sich auch zum entschiedenen Kampf gegen die Sozialpatrioten drängen lassen wird.

Am 6. April entfaltet die Reichstagsfraktion des Zentrums, die sog. sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft ihre Fahne. Nach einer Kritik der inneren Politik der Regierung, die schließlich nur eine Rebellion gegen die Folgen der sozialpatriotischen Politik darstellt, schweigt sich Haase vollkommen über das grundsätzliche Verhältnis der neuen Fraktion zum Weltkriege aus und stellt als Friedenslosung die Abrüstungslosung auf: ob denn nicht die Wohltäter der Menschheit, wie Bethmann-Hollweg, Grey, Sasonow, die Rüstungslasten der Völker lindern könnten; er legt den Kapitalisten die Frage vor, ob denn ihre Interessen nicht besser ohne Krieg gewahrt werden könnten. Liebknecht ruft im preußischen Landtag die Massen auf, die Waffen gegen die gemeinsamen Feinde zu richten, Haase richtet an dieselben gemeinsamen Feinde die Mahnung, sich doch zu versöhnen, wobei die Kapitalisten wie die Arbeiter besser fahren werden …

Das Zentrum der Partei war vor dem Kriege die Richtung der Parteibürokratie, die jedem revolutionären Kampfe aus dem Wege gehen wollte.

Die Mehrheit dieser Bürokratie wurde aus Angst vor dem revolutionären Kampfe in das Lager der Konterrevolution geschleudert. Die Minderheit lehnt die konterrevolutionäre Politik des Imperialismus ab, aber weiß ihr nichts anderes entgegenzustellen als die Seufzer nach dem Frieden. Und weil das Spinngewebe des Sozialpazifismus keine Antwort auf die eiserne Politik des Imperialismus bildet, so stehen die Zentrumsleute ohne jede Waffe, ohne jeden Kompass da, so dass sie den Imperialismus durch unkontrollierbaren pazifistischen Tratsch zu bekämpfen suchen müssen, oder direkt auf seinen eigenen Boden flüchten: so z. B. wenn Ledebour sich für Mitteleuropa erklärt, ohne zu bemerken, dass er somit dem von ihm gehassten Feinde nicht einen Finger, sondern beide Hände reicht.

3. Was weiter?

Nur wer das Fürchten nie erfuhr,

Schmiedet Notung neu! Wagner.

Nach der Spaltung der Reichstagsfraktion beteuerte Haase im Vorwärts, dass er keine Spaltung der Partei wolle und dass diese auch keinesfalls nötig ist. Bernstein suchte in der Neuen Zeit zu beweisen, dass die Spaltung der Fraktion umgekehrt die Gegensätze mildern kann, weil sie die kleinen Reibereien unnötig macht. Beide Fraktionen sollen jetzt ruhig ihren Standpunkt entwickeln und dabei sich die Möglichkeit der Kooperation freihalten. Kautsky singt dasselbe Lied. Und der gute Vorwärts gab zu verstehen, dass selbst wenn die Scheidemanns auf dem ersten Parteitag siegen sollten, so brauche das keinesfalls die Spaltung zu bedeuten, weil dann, wenn sich die Wellen der Kriegserregung legen, auf dem weiteren Parteitag wieder die Radikalen siegen könnten.

Während die Zentrumsleute sich so das durch die sozialpatriotischen Fußtritte arg zugerichtete Sitzorgan mit Einigkeitserklärungen bepflasterten, ließen sich die Eberts von ihrem Mameluckenkonvent die Ermächtigung ausstellen, die Mitglieder der «Sonderorganisationen» rauszuschmeißen. Da als Sonderorganisationen alle illegalen Kollektive dargestellt werden können, die den Kampf gegen den Krieg führen – legal, als Parteiorganisationen können sie es nicht tun, selbst wo die ganze Organisation auf der Seite der Opposition steht – da als Sonderorganisationen die Gruppen der «Internationalen» und der «Internationalen Sozialisten Deutschlands» dargestellt werden können, obwohl sie nichts anderes bezwecken, als im Rahmen der Partei ihr Programm zu verteidigen, so bedeutet der Beschluss, dass die Eberts und Legien bereit sind, die Spaltung der Partei herbeizuführen. Wer sie kennt, weiß, dass sie keine Schreckschüsse abfeuern, sondern umgekehrt Gelegenheiten abwarten und dann zugreifen. Die Diener der Reaktion waren noch immer Männer der Tat, keine Schönredner. Wer aber das noch bezweifelte, der musste sich durch Tatsachen belehren lassen. In Duisburg schmeißt der Parteivorstand die Redakteure des dortigen Parteiorgans kurzerhand raus, ohne die Presskommission zu befragen, weil sie ihm verdächtig sind, der Internationalegruppe anzugehören, und weil er dazu die Macht hat. Über den Vorwärts wird neben der Militärzensur eine Parteivorstandzensur verhängt, ohne dass die Presskommission befragt wird; sie wird aufrechterhalten trotz der einmütigen Proteste aller Berliner Wahlkreise, denen der Vorwärts angehört. Was bezwecken damit die Männer des 4. August? Sie wissen: die Massen in den Zentren der Arbeiterbewegung können sie auf ihre Seite nicht mehr reißen. Entreißen sie ihnen mit Hilfe des Belagerungszustandes ihre Organe, dann bekommen sie in erster Linie die Mittel in die Hand, Verwirrung in die Massen zu tragen; bäumen sich die Organisationen auf, sperren sie die Beiträge, dann erklärt sie der Parteivorstand als außerhalb der Partei stehend, lässt sie zum Parteitag nicht zu, wodurch er sich eine sozialpatriotische Mehrheit sichert. Aber seine Spekulation geht weiter: er hofft, dass das Parteizentrum den ihm zugeworfenen Handschuh nicht aufheben wird. Die Leipziger Volkszeitung hat schon die Parole gegeben: Genossen, lasst euch nicht provozieren. Er hofft also, dass während die Organisationen, in denen die entschiedene Linke vorherrscht, ihm die Beiträge sperren, die, wo das Zentrum Oberhand hat, bis zum Parteitag warten, worauf zwischen dem linken und rechten Flügel der Opposition ein Kampf entsteht, der den rechten Flügel jeder Autorität bei den Massen entblößt. Dann wird ihm auf dem Parteitag das Genick gebrochen: als Offiziere ohne Soldaten werden die Zentrumsführer auf dem Parteitag kuschen und als Feigenblatt des Sozialpatriotismus in der Partei verbleiben. Dann brauchen die Scheidemänner ihre Demagogie nur steigern, gegen die Regierung, die man im Kriege gerettet hat, nach dem Kriege den Mund aufreißen und die Massen lassen sich irreführen.

Es hängt ganz von der entschiedenen Opposition ab, ob diese Politik des Parteivorstandes gelingt. Keines ihrer Mitglieder wird sich darüber im Unklaren sein, dass die Politik des Sozialpatriotismus und des Klassenkampfes sich nicht vereinigen lässt. Keines kann sich der Illusion hingeben, dass es gelingen wird, eine Mehrheit auf dem Parteitage zu gewinnen, wo die Reichstagsfraktion und die Parteibürokratie alle Machtmittel in der Hand haben. Gelänge es aber, die Gitter des bürokratischen Machtapparates zu durchbrechen, wer kann annehmen, dass sich die Scheidemanns und Legiens dem Spruch des Parteitages fügen, die über ihre Politik den Stab bricht und einen revolutionären Kurs einschlägt. Und wenn das Unwahrscheinliche eintreten würde, dass es gelänge auf dem Parteitag der Meinung der Mehrheit der Parteigenossen zum Sieg zu verhelfen, wenn das noch Unwahrscheinlichere eintreten wurde, dass sich die Scheidemänner und Legiens als «gute Demokraten» dem Spruche des Parteitages unterwerfen würden, was dann? Soll ihnen die Hinüberleitung des Parteischiffes auf revolutionäre Gewässer überlassen werden? Wer lacht da nicht? Wird aber die Linke für den Fall des Sieges, die Verräter des Sozialismus von dem Ruder der Arbeiterbewegung entfernen, dann, wo ist der Naive, der glaubt, dass sie doch die Partei nicht spalten, dass sie nicht alle ihnen irgendwie erreichbaren Machtmittel mit Hilfe der bürgerlichen Gerichte festhalten, um sie gegen die revolutionäre Sozialdemokratie zu wenden. Das ist möglich – hören war – aber lassen wir sie spalten. Obwohl wir nicht verstehen, weswegen wir unseren Feinden das Aussprechen, dessen was ist, überlassen sollen, so würden wir, um Zeit für Agitation zu gewinnen, auf diese Taktik eingehen können, wenn sie von uns nur abhängen würde. Aber im Kampfe entscheidet wer die anwendbare Taktik nicht nur das Wollen einer Seite, sondern auch das der anderen. Wir können jetzt die Spaltung nur dann vermeiden, indem wir Schritt für Schritt zurückweichen, durch Konzessionen die Arbeiter zermürben, sich um das Ansehen bringen, das nur die entschiedene Haltung erwirbt, indem wir unsere besten Kämpfer den Feinden ausliefern. Das Resultat dieser Taktik wäre, dass wir teilweise aus der Partei hinausgedrängt würden, und dass der Kampf in lokale Streitereien ausarten würde. Die einzige, den Interessen der revolutionären Sozialdemokratie entsprechende Taktik ist: Wo es geht, die Parteiorgane fest in die Hand zu nehmen, sie vor den Expropriationen des Parteivorstandes zu sichern; wo der Parteivorstand Anschläge an einzelne Mitglieder der Opposition oder ihre Organe wagt, sollen ihm sofort die Beiträge der Organisationen gesperrt werden und zu unseren Zwecken gebraucht werden; wo die Organisation dafür nicht zu gewinnen ist, sollen die oppositionellen Mitgliedschaften aus ihr austreten und Parallelorganisationen bilden. Die Aktion jeder vom Parteivorstand angegriffenen Lokalorganisation (wie jetzt die Berliner, Duisburger) haben andere durch gleiche Maßregel zu unterstützen. Die Opposition muss sich zur Leitung dieses Kampfes eine provisorische Zentralbehörde schaffen. Dieser organisatorische Kampf ist als politischer Kampf mit dem Sozialpatriotismus grundsätzlich scharf zu führen; ohne jede Konzession an die schwankenden Gestalten des Zentrums.

Wird die entschiedene Opposition rücksichtslos diese Taktik verfolgen, dann wird sie die gesundesten Teile der Arbeiterschaft um sich sammeln, sie dem Einflüsse der Zentrumführer entfremden. Die entschiedene Opposition ist als erste auf dem Plan erschienen. Nicht die Ledebours, Kautskys, Haase, sondern die Luxemburg, Mehring, Borchardt, Liebknecht haben den Kampf begonnen. Sie allein führen ihn wirklich mit dem Ziele, das Proletariat zum entschiedenen Kampf gegen den Imperialismus vorzubereiten. In manchem Orte stehen schon große Massen hinter ihnen. Die aber, die noch in den Haases ihre Führer sehen, tun es nicht deswegen, weil sie an der Einheit mit den Scheidemännern hängen, weil sie keinen scharfen Kampf gegen die Regierung führen wollen, sondern weil ihnen die klare Einsicht in das Wesen der Zentrumführer fehlt; sie nehmen ihre Tiraden ernst, umso mehr, weil ihnen die Zentrumführer von Zeit zu Zeit Konzessionen machen (so in der Demonstrationsfrage, in der Ablehnung der Kredite usw.). Der entschiedene organisatorische und politische Kampf gegen die Sozialpatrioten wird eine Probe auch aufs Zentrum sein. Diesem Kampf droht die größte Gefahr, wenn die entschiedene Opposition jetzt durch eine Ausweichpolitik dem Parteivorstand gegenüber ihm erlaubt, ihre Kräfte zu zersplittern. Die Situation erfordert Agitation für Massenaktionen gegen den Krieg, rücksichtslose Propaganda des Bruches mit dem Sozialpatriotismus, das Parieren jedes Anschlages der Sozialpatrioten auf einzelne Teile der Opposition durch Schaffung einer von diesen unabhängigen zentralisierten Abwehrorganisation. Bei allem dem darf man auf das Zentrum nicht die geringste Rücksicht nehmen. Nur dadurch kann es genötigt werden, auf die revolutionären Arbeiter Rücksicht zu nehmen. Hic Rhodus, hic salta.

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