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Friedrich Engels 18420414 Brief an Marie Engels

Friedrich Engels: Brief an Marie Engels

in Mannheim

[Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 494-496]

Liebe Marie!

Dieses zarte Blättchen1, welches ich, nachdem es ein halbes Jahr in meiner Mappe gelegen hat, herausziehe und Dir dediziere, wird Dich hoffentlich für die lange Zeit entschädigen, die ich, mit Reue bekenn' ich es, Dich habe warten lassen. Der Herr Hösterey2 haben mir Dein Brieflein richtig überbracht, nachdem Hochdieselben es vor den Augen der österreichischen Zöllner in der Hosentasche verborgen hatten, wofür Höchst-Sie mich um Verzeihung baten, und zwar in einem sehr schönen Deutsche. Ich kann es nun nicht vor meinern Gewissen rechtfertigen, Dich noch länger warten zu lassen, und schreibe also. Was? Ja, das weiß ich noch nicht. Dass ich heut morgen von 8 – halb zwölf Parademarsch geübt habe? Dass ich dabei eine sehr bedeutende Nase vom Herrn Oberstleutnant besehen habe? Dass wir am Sonntag Kirchenparade haben werden? Dass meine guten Zigarren auf sind und das Bier bei Wallmüller3 seit einigen Tagen sehr schlecht ist? Dass ich jetzt ausgehen muss wegen ein paar Töpfe Ingwer, die ich für Snethlagens bestellt habe? ja, das ist's. Also bis morgen.

Heute als Freitag, 15. April, fahre ich fort. Wir haben ein weit schöneres Wetter bekommen. Vor meinem Hause liegen eine Menge Droschken und halten ihr Standquartier daselbst. Die Droschkiers sind gewöhnlich besoffen und amüsieren mich sehr. Wenn ich also einmal ausfahren sollte, so habe ich das sehr bequem. Ich wohne überhaupt ganz angenehm, eine Treppe hoch, ein elegant möbliertes Zimmer, dessen vordere Wand aus drei Fenstern besteht, zwischen denen nur schmale Pfeiler sind, so dass es sehr hell und freundlich ist.

Gestern, als ich dies geschrieben hatte, wurde ich gestört. Heute kann ich Dir die erfreuliche Nachricht melden, dass wir morgen wohl keine Parade haben werden, weil S. Maj. der König Allerhöchstdieselben nach Potsdam und Brandenburg zu gehen geruht haben. Welches mir sehr angenehm ist, da ich doch keine Lust habe, mich morgen auf dem verfluchten Schlossplatz herumzutreiben. Hoffentlich kommen wir auf diese Weise ganz an der Parade vorbei. Auch haben wir jetzt ein sehr anmutiges Exerzieren auf dem sogenannten Grützmacher, welcher ein sehr großer Platz ist, wo man bis über die Knie in den Sand versinkt und welcher die schöne Eigenschaft hat, dass er elektrisch ist. Wenn nun die zwölfte Gardefußartillerie-Kompagnie, bei welcher ich stehe und welche auch elektrisch ist, aber negativ, dahin kommt, so stoßen positive und negative Elektrizität zusammen, machen Skandal und Verwirrung in der Luft und ziehen die Wolken an. Anders weiß ich es mir wenigstens nicht zu erklären, dass es immer regnet oder schneit, wenn unsre Kompanie auf den Grützmacher geht. Übrigens bin ich seit vier Wochen Bombardier, wenn Du dies noch nicht wissen solltest, trage die Tressen und Litzen und den blauen Kragen mit roter Paspelierung. Das verstehst Du nun zwar nicht, aber das ist auch nicht nötig, wenn Du nur weißt, dass ich Bombardier bin, so ist das genug.

Dass der Herr Liszt hier gewesen ist und durch sein Klavierspielen alle Damen entzückt hat, wirst Du wohl noch nicht gehört haben. Die Berliner Damen sind aber so vernarrt gewesen, dass sie sich im Konzert um einen Handschuh von Liszt, den er hatte fallenlassen, komplett geprügelt haben, und zwei Schwestern, deren eine ihn der andern abnahm, deshalb in ewige Feindschaft gerieten. Den Tee, den der große Liszt in einer Tasse stehenließ, goss sich die Gräfin Schlippenbach in ihr Eau de Cologne-Flakon, nachdem sie die Eau de Cologne auf die Erde gegossen hatte; seitdem hat sie dies Flakon versiegelt und auf ihren Sekretär zum ewigen Andenken hingestellt und entzückt sich jeden Morgen daran, wie auf einer deshalb erschienenen Karikatur zu sehen ist. Es ist ein Skandal gewesen wie bisher noch nie. Die jungen Damen haben sich um ihn gerissen, und dabei hat er sie alle ganz entsetzlich links liegengelassen und lieber mit ein paar Studenten Champagner getrunken. Aber in jedem Hause sind ein paar Bilder von dem großen, liebenswürdigen, himmlischen, genialen, göttlichen Liszt zu sehen. Ich will Dir doch auch ein Konterfei davon machen: Das ist der Mann mit der kamtschadalischen Frisur. Übrigens hat er hier gewiss 10.000 Taler verdient, und seine Rechnung im Wirtshause betrug 3000 Taler. Ungerechnet, was er sonst noch verkneipt hat. Ja, ich sage Dir, das ist ein Mann. Der trinkt täglich zwanzig Tassen Kaffee, auf jede Tasse vier Lot, zehn Flaschen Champagner, woraus mit ziemlicher Sicherheit geschlossen werden kann, dass er in einem fortwährenden gewissen Trane lebt, wie sich dies auch bestätigt. Jetzt ist er nach Russland gegangen, und es fragt sich, ob die Damen dort auch so verrückt werden können.

Übrigens muss ich jetzt ausgehen und schließe deshalb. Lebe wohl und antworte bald.

Dein Bruder

Friedrich

Dorotheenstraße 56

Berlin, 16./4.42

1 Links oben auf dem Briefbogen eine Rose mit Knospen und Blättern

2 Bekannter der Familie Engels aus Barmen.

3 Lokal in Berlin.

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