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Friedrich Engels 18420702 Brief an Marie Engels

Friedrich Engels: Brief an Marie Engels

in Bonn

[Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 498 f.]

Liebe Marie!

Ich gratuliere Dir zu Deiner Entlassung aus dem edlen Mannheimer Institut und der Briefzensur von Fräulein Jung1. Ich hab's Dir nur nicht schreiben wollen, um Dich nicht noch unzufriedener zu machen, aber jetzt kann ich Dir's sagen, dass es mit all den Pensionen Unsinn ist und dass die Mädchen darin, wenn sie nicht ein so glückliches Naturell haben wie Du, schändlich verzogen und eitle blue-stockings2 und Koketten werden. Aber es ist einmal Mode in Barmen, und dagegen kann freilich niemand. Freu Dich, dass Du aus dem Kloster heraus bist und wieder am Fenster sitzen und über die Straße gehen darfst und zuweilen verrücktes Zeug sprechen kannst, ohne dass sie Dir ein Verbrechen daraus machen. Soviel aber sag' ich Dir, dass Du mir keine Dummheiten machst und auf die Barmer Sprünge gerätst, nämlich die Verlobungssprünge. Das edle junge Volk rennt wieder wie toll auf die Hochzeit los, und so blind sind sie, dass sie sich einer den andern umrennen. Es ist gerade, als spielten sie Blindekuh, und wo sich zwei kriegen, da verloben sie sich und leben herrlich und in Freuden. Sieh einmal Deine beiden Cousinen an. Da ist die Luise Snethlage, die hat einen Mann ergattert, der im Übrigen ganz gut ist, aber er hat graue Haare, und die schöne Ida hat auch einen aufgegabelt, aber er ist mir auch danach. Nun, er ist zwar mein Vetter, und ich sollt' ihn deshalb eigentlich nicht schlechtmachen, aber ich ärger' mich, dass sie mich nicht gefragt haben, ob ich diesen Saint-Petrus, diesen Hon, diesen Dandy, diesen Albert M zum Vetter haben wollte, und darum soll er herhalten. Ich sage Dir, wenn Du nach einem solchen Freier verlangst, der schaff' ich Dir alle Tag ein Dutzend und jeden Tag ein neues Dutzend. Es ist Edelmut von mir, dass ich überhaupt die ganze Sache habe geschehen lassen. Ich hätte wenigstens protestieren sollen.

Auch sogar der Schornstein hat sich verlobt, es ist schrecklich! Und der Strücker will platterdings Ehemann werden, ist das nicht sonderbar? Ich fange an, an der Menschheit zu verzweifeln, ich werde Misanthrop, wenn Du, Marie, Du auch - - - Doch nein, Du wirst Deinem Bruder dieses Leid nicht antun.

Es regnet wieder sehr langweilig. Ich bin nun diese Woche gewiss viermal im Dienst des Vaterlandes nass geworden, zweimal vom Regen und zweimal von Transpiration, um mich zart auszudrücken. Jetzt will ich ins Lesekabinett gehen und Zeitungen lesen; und da werd' ich doch wohl nicht zum fünften Male nass werden?

Adieu, Dein Bruder

Friedrich

Berlin, 2. Juli 42

1 Vorsteherin des Großherzoglichen Mädcheninstituts in Mannheim.

2 Blaustrümpfe

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