Friedrich Engels‎ > ‎1842‎ > ‎

Friedrich Engels 18420105 Brief an Marie Engels

Friedrich Engels: Brief an Marie Engels

in Mannheim

[Nach Marx Engels Werke, Ergänzungsband Zweiter Teil, Berlin 1982, S. 490-493]

Berlin, 5ten Januar 1842

Meine liebe Marie!

Mit der ungeheuersten Beschämung musste ich mich durch Deinen Brief an die lang versäumte Pflicht, Dir zu schreiben, mahnen lassen. Es ist wirklich schändlich von mir gewesen, und das Verbrechen ist gar nicht zu entschuldigen. Darum will ich mich nur gleich dran setzen und Dein vorgestern empfangenes liebes Schreiben beantworten. Gestern hab' ich das Kanonenfieber bekommen. Ich war nämlich den Morgen über sehr unwohl und schwachmatisch, wurde dann zum Exerzieren bestellt und wäre bei der Kanone beinah flau geworden, worauf ich mich entfernte und den Nachmittag über ein schändliches Fieber genoss; heut morgen war mir besser zumut, aber das Exerzieren wollt' noch nicht recht gehen, doch bin ich jetzt so ziemlich wieder auf dem Schick und habe mir zwei Tage krank geben lassen, wegen katarrhalischen Kanonenfiebers, worauf ich wieder so weit zu sein hoffe, dass ich den Wischer gehörig in den Lauf bringen kann. Übrigens schreib mir davon nichts nach Haus, das kann zu nichts dienen. Weißt Du, was mir der Doktor fürs Kanonenfieber verordnet hat? ein Glas Punsch vor Schlafengehen, ist das nicht gute Medizin? Daraus siehst Du, dass ein Kompaniechirurgus weit mehr wert ist als z.B. ein Dr. Reinhold mit allen seinen Pflastern und spanischen Fliegen, Blutigeln etc., obwohl er lange nicht so viel zu wissen braucht. Aber bei uns werden nur kräftige Mittel angewandt, lauter medizinisches schweres Geschütz, Bomben und Granaten und 24-Pfünder. Unsre Rezepte sind sehr einfach, und ich habe mich in Bremen fortwährend damit kuriert. Zuerst Bier, hilft das nicht, Punsch, hilft das auch nicht, ein Schluck Rum, das muss helfen. Das ist Artilleriedoktorei. Ich glaube übrigens, Du lachtest Dich krank, wenn Du mich in der Jacke und den dicken langen Wischer in der Faust am Sechs-Pfünder stehen sähst und um das Rad springen. Meine Uniform ist übrigens sehr schön, blau mit schwarzem Kragen, an dem zwei breite gelbe Streifen sind, und mit schwarzen, gelbstreifigen Aufschlägen nebst rot ausgeschlagenen Schößen. Dazu die roten Achselklappen mit weißen Rändern, ich sage Dir, das macht einen pompösen Effekt, und ich könnte mich auf der Ausstellung sehen lassen. Neulich hab' ich den Poet Rückert, der jetzt hier ist, schändlich dadurch verbiestert gemacht. Ich setzte mich nämlich, als er Vorlesung hielt, dicht vor ihn, und nun sah der arme Kerl fortwährend auf meine blanken Knöpfe und kam ganz aus dem Konzept. Außerdem hab' ich als Soldat den Vorzug, dass ich nirgends anzuklopfen brauche, wenn ich zu jemand komme, auch nicht Guten Tag zu sagen oder sonst Komplimente zu schneiden. Es kam einmal einer zum Kapitän und klopfte mit der Säbelscheide unwillkürlich an die Türe; dafür kam er acht Tage in Arrest, weil der Kapitän behauptete, er hätte angeklopft. Du siehst, was ich für ein Mordskerl bin, außerdem werd' ich jetzt bald Bombardier, das ist so eine Art Unteroffizier, und kriege goldne Tressen an die Aufschläge; also hab nur gehörigen Respekt vor mir. Denn wenn ich Bombardier bin, so hab' ich allen Gemeinen in der ganzen preußischen Armee zu befehlen, und alle Gemeine müssen vor mir an die Mütze greifen.

Was schwatzt Du mir in Deinem Brief so viel vom alten Fritz Wilm und vom jungen Fritzchen Wilmchen? Ihr Frauleut sollt Euch nicht in die Politik mischen, davon versteht Ihr nichts. Da Du aber so gern von Deiner teuren Majestät etwas wissen willst, so will ich Dir erzählen, dass Allerhöchstdieselben am 10ten dieses Monats nach London abreisen, um Seine königl. Hoheit, den kleinen englischen Prinzen, über die Taufe zu halten, auf der Rückreise vielleicht nach Paris, gewiss aber nach Köln gehen werden, im Frühjahr die silberne Hochzeit Allerhöchst Ihres erhabenen Schwagers, des Kaisers von Russland, in Petersberg feiern werden, sodann im Sommer sich in Potsdam amüsieren und den Herbst am Rhein zubringen werden, um sich sodann den Winter in Charlottenburg zu amüsieren. Jetzt muss ich ins Kolleg.

Den 6ten Jan. 1842

Heut morgen bin ich ausgezogen aus dem vorderen Zimmer in das hintere, weil das vordere an einen Landsmann von mir, einen Juristen aus der Gegend von Köln, vermietet ist und sich außerdem schlecht heizt. Das ist kurios; dies hintere Zimmer ist doch größer als das vordere und doch ist es immer von etwas Feuer warm, während das vordere eiskalt ist. Ich könnt' es da vorn mit aller Müh' nicht dahin bringen, dass die Eisblumen von den Fenstern schmolzen, aber hier hinten ist es ein Pläsier anzusehen, wie das seit acht Tagen gefrorene, fingerdicke Eis wie im Frühling zerfließt und der klare blaue Himmel lustig herein sieht, nachdem ich ihn so lange aus der Stube nicht hatte sehn können. Auch die Kaserne vom zweiten Garderegiment Schwammklöpper (so nennen wir die Infanteristen), der ganze Tierarzneischulenplatz und was dazu gehört, lässt sich wieder sehen.

Wir haben hier eine rheinische Restauration, in der alle unsre heimischen Leibgerichte, die hier sonst kein Mensch kennt, gemacht werden. Jeden Sonnabendabend wird Reibkuchen gegessen und ein Köpken Koffe dazu getrunken. Gestern hab' ich Äpfel und Erdäpfel gegessen. Unsre alte Erpelssupp, die Du auch wohl noch kennst, spielt eine bedeutende Rolle. So noch eine Masse, was mir jetzt nur nicht einfällt. Heut mittag gibt's Sauerkraut und Schweinefleisch, worauf ich mich schon freue. Neulich wollt' er uns auch auf Pannhas traktieren, aber der geriet nicht, weil hier kein Buchweizenmehl zu haben ist, und also auch keine Puffertskuchen gebacken werden können, wonach wir schon lange Zeit schmachten.

Sehr schön! Da fängt die Sonne recht herzlich an zu scheinen, was mir sehr erbaulich vorkommt. Denn nun werd' ich nach Tisch spazieren gehen, und da Schelling heut Abend nicht liest, den ganzen Abend für mich haben, wo ich dann bedeutend und ungestört arbeiten kann.

Das hiesige Theater ist sehr schön, ausgezeichnete Dekorationen, vortreffliche Schauspieler, aber meist schlechte Sänger. Deswegen geh' ich auch selten in die Oper. Morgen wird ein neues Stück gegeben, „Columbus" von Werder.1 Der Columbus ist derselbe, der Amerika entdeckt hat, und der Werder ist Professor hier an der Universität, derselbe, der die Tiefe der Negation entdeckt hat. Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, das wird morgen voll im Theater werden, und ich werde auch zu dieser Vollheit beitragen. Zwei Akte spielen auf der See, auf einem Schiffe, das soll sehr kurios zu sehen sein.

Hier siehst Du mich in Uniform, wie ich meinen Mantel sehr romantisch und malerisch, aber ungeheuer vorschriftswidrig umgehängt habe. Würde ich so über die Straße gehen, so wäre ich jeden Augenblick in Gefahr, in Arrest geschickt zu werden, was doch eben nicht angenehm ist. Denn wenn ich schon auf der Straße nur einen Knopf an der Uniform oder eine Krampe am Kragen offen habe, so kann mich jeder Offizier oder Unteroffizier in Arrest schicken. Du siehst, es ist gefährlich, Soldat zu sein, auch im Frieden. Das schönste ist, dass wir alle 4 Wochen in die Kirche müssen, ich hab' mich aber immer dran vorbei gefudelt, nur einmal nicht; denn da muss man eine Stunde vorher im schweren dekorierten Czako mit Federbusch auf dem Hofe stehen, und dann kommt man nachher recht durchgefroren in die eiskalte Kirche, wo man von der Predigt wieder nichts zu hören bekommt, so schlecht klingt es. Ist das nicht schön? Schreib bald wieder.

Dein Bruder

Friedrich

Die Oblate hält nicht zum besten.

1 Karl Werders Trauerspiel „Columbus", das am 7. Januar 1842 im Königlichen Opernhaus in Berlin uraufgeführt wurde, erschien umgearbeitet als Buch 1858 in Berlin.

Kommentare