Friedrich
Engels: Teilnahme
an den Verhandlungen der badischen Kammer
[Rheinische
Zeitung. Nr. 176, 25. Juni 1842.
Nach
Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Erste Abteilung. Werke – Artikel
- Entwürfe, Band 3. Berlin 1985, S. 619 f.]
*x*
Berlin,
21. Juni. Je mehr sich bei uns das politische Bewusstsein entwickelt,
je freier und lauter die öffentliche Stimme Preußens sich
ausspricht, desto einiger fühlen wir uns mit den übrigen deutschen
Stämmen, mit desto größerem Interesse schauen wir auf die
Manifestationen ihres staatlichen Lebens hin. Es ist dies ein
unwiderlegliches Zeugnis dafür, dass die Schranken, die in der
öffentlichen Meinung zwischen Preußen und dem konstitutionellen
Deutschland so lange bestanden hatten, gefallen sind; dass die
nationale Spaltung, die sich einerseits durch die hochmütige
Süffisanz vieler Preußen, andererseits durch das Misstrauen der
süddeutschen Liberalen gegen unsere Regierung gebildet hatte, nicht
mehr existiert. War bereits im vorigen Jahre 10 durch die Aufnahme,
welche Welcker, wie im übrigen Norddeutschland, so auch in Berlin
gefunden hatte, die Versöhnung der norddeutschen und süddeutschen
Vertreter des Fortschritts ausgesprochen, so begannen doch erst seit
der freieren Zensur in Preußen die beiden großen Hälften unseres
Vaterlandes immer sichtlicher in dem Einen Streben nach Freiheit zu
verschmelzen. Die Preußen sind unversehens von 15 ihrer Süffisanz,
von der Ruhmredigkeit und Prahlerei mit ihren unverbesserlichen
Einrichtungen zurückgekommen; in weniger als einem halben Jahre sind
Mängel aufgedeckt worden, von denen die Mehrzahl unserer Mitbürger
sich nichts träumen ließ. Auf der anderen Seite haben die
Süddeutschen durch die freisinnige und oft geradezu oppositionelle
preußische Presse den letzten Rest ihrer Vorurteile gegen das
preußische Volk und dessen politische Bildungsstufe abgestreift.
Unter solchen Verhältnissen ist es begreiflich, dass die
Verhandlungen der badischen Abgeordnetenkammer bei uns mit dem
regsten Interesse verfolgt werden. Nachdem die Preußen in der Presse
ihre politische Mündigkeit dargetan haben, mussten die Süddeutschen,
so erwartete man, Alles aufbieten, um nicht hinter uns
zurückzustehen. Die württembergische Kammer indes zeigte bei den
Beratungen über gerichtliches Verfahren nur zu deutlich, wie sehr
die alten Koryphäen von 1833 ihr fehlen. Von Baden dagegen durfte
man erwarten, dass nach dem Vorgange der aufgelösten Kammer das
politische Leben nicht so leicht einschlafen werde. Die gewaltigen
Bewegungen während der Wahlen waren ein erfreuliches Zeichen der
Regsamkeit und Teilnahme an den inländischen Interessen; und wenn es
auch der Presse nicht gestattet war, uns dieselben aus der Ferne und
im Geist mit bestehen zu lassen, so kamen sie doch bei den
Wahldebatten in der Kammer zur Sprache, und traten uns jetzt in
voller Anschaulichkeit unter die Augen. Diese Debatten,
zusammengestellt mit den Andeutungen, welche die Presse hier und da
über die, einzelnen Deputaten bereiteten, Festlichkeiten gegeben
hatte, gaben uns ein klares Bild jener Tage der Anspannung und des
Kampfes. Es stellte sich auch, unter andern bei der
Schwetzingen-Philippsburger Wahl, wieder aufs Augenscheinlichste
heraus, dass überall den Regierungen Nichts mehr schadet, als
übertriebener Diensteifer der Beamten. Die Machinationen, welche
hier angewandt wurden, um die Wahl auf Rettig zu lenken, sind in der
badischen Konstitutionsgeschichte unerhört. Schon das einfache
Faktum, dass ein Wahlbezirk, der zwanzig
Jahre nacheinander
stets von Itzstein zum Vertreter gehabt hatte, nun auf Einmal,
nachdem dieser doch oft genug seine Gesinnung betätigt hatte, ihn
fallen ließ und einen Deputaten aus der Regierungspartei wählte,
schon das bewies die Unfreiheit dieser Wahl zur Genüge. Um so
erfreulicher war die von der Kammer von Itzstein gegebene Genugtuung.
Mit Freuden hört man in der Kammer die Veteranen deutscher
Freisinnigkeit, Itzstein und Welcker, sowie die jüngere Generation,
Rindeschwender, u.s.w. in der altbekannten Weise reden. Dass die Wahl
des Abgeordneten Mathy, trotz aller Anfeindungen durchgegangen ist,
macht einen um so besseren Eindruck, als er im Allgemeinen der erste
Journalist in Deutschland ist, der in einer Kammer sitzt.