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„private Versammlung" der „alten" und „jungen" Mitglieder des Petersburger „Kampfbundes" 1897

Die „private Versammlung", in der Meinungsverschiedenheiten zwischen den „alten" und den „jungen" Mitgliedern des Petersburger „Kampfbundes" zutage traten, fand in der Zeit zwischen dem 26. und dem 29. Februar (neuen Stils) 1897 statt „Einige Genossen A. A. Wanejews" – das waren Lenin, Martow, Krschischanowski und andere Mitglieder des „Kampfbundes", die eben erst – vor ihrer Deportation nach Sibirien – für drei Tage aus dem Gefängnis entlassen waren und diesen Urlaub zu einer Zusammenkunft mit den „jungen" Mitgliedern des „Kampfbundes", die in Freiheit geblieben waren, benutzten. Von der Versammlung, die Lenin beschreibt, erzählen in ihren Erinnerungen und historischen Skizzen A. Jelisarowa, J. Martow, – der im Januar 1897 ein hervorragendes Mitglied des Petersburger „Kampfbundes" und ein Gesinnungsgenosse Lenins war, in seinen Memoiren jedoch die Meinungsverschiedenheiten von 1897 zum Teil schon durch das Prisma seiner späteren Anschauungen betrachtete, – K. Tachtarew („Peterburschez") – ein „Ökonomist", früherer Redakteur der „Rabotschaja Mysl" und Gegner der revolutionären Sozialdemokratie, der eine tendenziöse Schilderung des Kampfes der „alten" und der „jungen" (Ökonomisten) Mitglieder des „Kampfbundes" gibt; – ferner B. Gorew. Angesichts des besonderen Interesses, das diese Versammlung, als erstes Zusammentreffen Lenins mit den späteren Ökonomisten – bietet, lassen wir hier einige Auszüge aus den Erinnerungen der Versammlungsteilnehmer folgen.

Die Versammlungen waren Zusammenkünfte der ,Alten' und der ,Jungen', Es wurde über die Taktik diskutiert. Besonders die erste Zusammenkunft, die bei Radtschenko stattfand, war eine solche rein politische Versammlung. In der zweiten – bei Zederbaum – ging es nervöser und aufgeregter zu. In der ersten Versammlung entbrannte eine Diskussion zwischen den ,Dekrabisten' und den späteren Anhängern der ,Rabotschaja Mysl': Lenin, den sämtliche Alten unterstützten, stritt mit Jakubowa. Jakubowa war sehr aufgeregt: Tränen traten ihr in die Augen. Einerseits fiel es ihr offenbar sehr schwer, mit Lenin zu streiten, den sie so sehr schätzte und über dessen Freilassung aus dem Gefängnis sie sich so gefreut hatte, andererseits aber musste sie doch ihre Meinung vertreten. Diese Meinung ging dahin, dass die Zeitung ein wirkliches Arbeiterorgan sein müsse, das von Arbeitern geschrieben wird und ihre Gedanken zum Ausdruck bringt: sie freute sich über die erwachende Initiative der Arbeiter und über den Massencharakter dieser Initiative. Lenin wies auf die Gefahr des Ökonomismus hin, den er früher als alle anderen vorausgesehen hatte. Der Streit wurde zu einem Zweikampf. Jakubowa tat mir leid: ich wusste, wie grenzenlos ergeben sie der Revolution ist, wie rührend besorgt sie um meinen Bruder war, als er im Gefängnis saß, und es schien mir, als übertreibe mein Bruder die Gefahr der Abweichung der Jungen." (A. I. Jelisarowa. Wladimir Iljitsch im Gefängnis. „Proletarische Revolution" Nr. 3/26, 1924, S. 120, russisch.)

Die vier Tage, die wir in Freiheit verbrachten, waren mit einer solchen Menge von Zusammenkünften und Unterredungen ausgefüllt, dass wir nur mit Mühe Zeit finden konnten für eine gemeinsame Besprechung mit mehreren aktiven Mitgliedern des ,Kampfbundes'. Diese Besprechung erwähnte Lenin seinerzeit in der bekannten Broschüre: ,Was tun?', um nachzuweisen, dass bereits zu Beginn des Jahres 1897 zwischen uns und unseren Nachfolgern die Meinungsverschiedenheit in Erscheinung zu treten begann, die sich am Ende des Jahrzehnts zu einem offenen Kampf der politischen' und der ,ökonomischen' Richtungen in der russischen Sozialdemokratie entwickeln sollte. Soweit ich diese Unterhaltung im Gedächtnis behalten habe, machte sich diese Meinungsverschiedenheit gerade erst bemerkbar, sie trat in einzelnen Fragen in Erscheinung, ohne dass die Streitenden sich bewusst waren, dass die Quelle der Meinungsverschiedenheit ein und dieselbe ist. Gestritten wurde vor allem über die Absicht der Führer des ,Kampfbundes', die Arbeiter in ihrem Streben nach organisierter Selbsttätigkeit zu unterstützen. Der ,Kampfbund', den die Arbeiter als ihre Massenorganisation betrachteten, befand sich faktisch in den Händen von zwei Dutzend Intellektuellen, die den Kern bildeten, der sich auf eine Reihe von getrennt arbeitenden und nur durch Vermittlung dieses Kerns miteinander verbundenen Zirkeln stützte. – Eine solche Lage bestand während des ganzen Jahres 1896 und konnte die Arbeiter um so weniger befriedigen, als sich immer mehr von ihnen aktiv an der Parteiarbeit beteiligten. Sie begannen eine demokratische Organisation zu fordern. Der ,Kampfbund' kam dieser Forderung entgegen, und man zeigte uns das von ihm ausgearbeitete Statut einer Arbeiterkasse, die alle aktiven Elemente des Proletariats vereinigen und eine sich selbst verwaltende Körperschaft des ,Kampfbundes' bilden sollte. Da jedoch die praktische Tagesarbeit des ,Kampfbundes' nach wie vor in der Führung des gewerkschaftlichen Kampfes der Arbeiter zum Ausdruck kam, so musste der Aufbau der gesamten Parteiorganisation entsprechend dieser Praxis (und dazu führte ja, wenn nicht das Aufgehen des ,Kampfbundes' in der geplanten Kasse, so doch die Unterordnung des ,Kampfbundes' als führendes Zentrum unter die Kontrolle der Kasse), alle Versuche des führenden Kerns, den Umfang seiner revolutionären Arbeit über den Rahmen des reingewerkschaftlichen Kampfes hinaus zu erweitern, lähmen. Wir haben die Konzentration der Kräfte der Partei auf den reingewerkschaftlichen Kampf nur als eine strategische Methode betrachtet, die auf dem sichersten Wege zum unmittelbaren Kampfe gegen den Absolutismus führt, und standen darum dem Entwurf zum Statut der erwähnten Kasse skeptisch gegenüber. Wir unterstützten Uljanow, der diesen Entwurf einer ziemlich scharfen Kritik unterzog." (J. Martow, „Memoiren eines Sozialdemokraten", Bd. I, 1922, S. 315–317 der russischen Ausgabe.)

In diese letzte Periode fällt auch die von Lenin auf Grund einer Mitteilung des verstorbenen Wanejew1 erwähnte Zusammenkunft zwischen einigen aktiven Mitgliedern des ,Kampfbundes' und den ,Alten' oder ,Dekabristen' vor ihrer Abreise in die Verbannung. Diese Zusammenkunft hat an und für sich keine wesentliche Bedeutung, aber ich muss einiges über sie sagen, um den wirklichen Tatbestand wiederherzustellen. Erstens gab es in dem damaligen ,Kampfbund' keine Teilung in ,Alte' und Junge'; die Verteilung der Stimmen bei der Abstimmung über die Frage der Teilnahme der Arbeiter an der zentralen Gruppe des ,Kampfbundes' stand in keiner Beziehung zu der Tatsache, wie lange das eine oder das andere Mitglied dem ,Kampfbunde' angehörte. Gegen die Teilnahme der Arbeiter an der zentralen Gruppe des ,Kampfbundes' waren sowohl Genossen, die noch zu der Gruppe der ,Alten' gehörten, als auch Genossen, die erst vor kurzem dem ,Kampfbund' beigetreten waren. Für die Teilnahme waren sowohl Genossen, die der Gruppe der ,Alten' angehörten, als auch Genossen, die erst vor kurzem dem ,Kampfbund' beigetreten waren. Diese Gruppierung stand auch in keinem Zusammenhang mit der Tatsache, wie lange jemand an der Arbeit unter den Arbeitern teilgenommen hatte. Mit einem Wort, die Mitglieder des ,Kampfbundes' teilten sich nicht in ,Alte' und ,Junge', sondern in eine Gruppe, die für die Teilnahme der Arbeiter an der zentralen Organisation des ,Kampfbundes' eintraten, und in Gegner einer solchen Teilnahme der Arbeiter an der zentralen Organisation des ,Kampfbundes'.

Zweitens habe nur ich allein von allen Mitgliedern, die während des Streiks und nachher dem ,Kampfbund' angehörten, späterhin an der Arbeit der Gruppe ,Rabotschaja Mysl' teilgenommen, doch befand ich mich im betreffenden Augenblick nicht in Petersburg und konnte darum an der erwähnten Beratung nicht teilnehmen. Es kann also gar keine Rede sein von einem Streit zwischen den ,Alten' … und verschiedenen der Jungen' (die später aktiv an der ,Rabotschaja Mysl' mitarbeiteten), (siehe Broschüre Lenins, S. 23 und 26)."

Was den Inhalt des Streites anbelangt, so überlasse ich es, da ich selbst nicht anwesend war, einer Genossin, die der Gruppe der „Alten" angehörte und an der Gründung des „Kampfbundes" teilgenommen hatte, hierüber zu erzählen. Diese Genossin (A. A. Jakubowa. Die Red.) schreibt: „Die Versammlungen, von denen die Rede ist, waren Zusammenkünfte zwischen den ,Dekabristen' und jenen der wenigen Mitglieder des ,Kampfbundes', die in der Vergangenheit noch der Gruppe ,der Alten' angehört und den ,Kampfbund' mit gegründet hatten. Von denen, die sich dem ,Kampfbund' später anschlossen (den Jungen' nach der Terminologie des Genossen Lenin), nahm an den gemeinsamen Versammlungen nur ein Genosse teil, der aber nie in irgendeiner Form an der ,Rabotschaja Mysl' mitgearbeitet hatte und nicht zu denen gehörte, die für die Aufnahme von Vertretern des Arbeiterkomitees in die Zentrale des ,Kampfbundes' eintraten. Überhaupt war von allen Mitgliedern des ,Kampfbundes', die an den Beratungen teilnahmen, der Verfasser dieser Zeilen der einzige, der in dem damaligen ,Kampfbund' von Anfang bis Ende für die Aufnahme von Arbeitern in die Zentrale des ,Kampfbundes' eintrat und der später an der Zeitung ,Rabotschaja Mysl' mitarbeitete. Nach der Terminologie des Genossen Lenin jedoch war der Verfasser dieser Zeilen eines der ,alten' Mitglieder des ,Kampfbundes'.

Auf unseren Konferenzen standen viel wichtigere Fragen zur Diskussion, als die Frage des Statutenentwurfes der Kasse, obwohl auch hierüber gesprochen wurde. Gegenstand der Diskussion war die endgültige Entscheidung der Frage der Erneuerung des Vertrages mit einer Gruppe der Narodnaja Wolja über die gemeinsame Herausgabe von Literatur für die Arbeiter und die Frage der Organisation des ,Kampfbundes' und die Aufnahme von Vertretern des Arbeiterkomitees in seine zentrale Gruppe.

Über die Frage der Narodnaja Wolja gab es keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten. Was aber die Frage der Organisation des ,Kampfbundes' anbelangt, so entbrannte zwischen dem Verfasser dieser Zeilen und den Genossen, mit denen er früher zusammengearbeitet hatte, ein heftiger Streit. Die ,Dekrabisten' traten für die bisherige Verfassung des ,Kampfbundes' ein und kämpften, obwohl sie den Nutzen des Arbeiterkomitees anerkannten, gegen die Aufnahme von Vertretern des Arbeiterkomitees in die zentrale Organisation des ,Kampfbundes', anstatt dessen schlugen sie vor, ein oder zwei Mitglieder der Zentrale des ,Kampfbundes' als Vertreter in das Arbeiterkomitee zu entsenden, mit andern Worten, sie waren für den Status quo (für die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes. Die Red.).

Der Verfasser dieser Zeilen wies hin auf die Ausdehnung der Arbeit des ,Kampfbundes', auf das Vorhandensein von Kräften in der Arbeiterschaft, die ihre organisatorischen Fähigkeiten in den Dienst des ,Kampfbundes' zu stellen wünschten. Der Verfasser bestand darauf, dass man die gesamte organisatorische Tätigkeit in der Arbeiterschaft konzentriere und unmittelbare Vertreter dieser Funktion in die Zentrale des ,Kampfbundes' aufnehme. Denn nur wenn Vertreter des Arbeiterkomitees in die Zentrale des ,Kampfbundes' aufgenommen sein werden, werde der ,Kampfbund' wirklich in der Lage sein, die Sphäre seiner Tätigkeit und seines Einflusses zu erweitern, nur dann werde es denkbar sein, alle zentralen Funktionen des ,Kampfbundes' richtig zu verteilen. Schließlich sei es doch unsinnig, Arbeiter und Revolutionäre einander entgegenzustellen.

Das war der Inhalt des Streites und das Wesen der Meinungsverschiedenheiten. Was den Entwurf des Kassenstatuts anbelangt, so kann ich folgendes darüber sagen. Der begonnene und immer stärker anwachsende Kampf der Arbeiter für ihre Interessen, der viele Opfer verschlang, erforderte immer mehr und mehr Kräfte und Mittel. Das eine wie das andere musste organisiert werden. Die sogenannten Kampfhilfskassen der Arbeiter, die rein revolutionäre Aufgaben mit kulturellen in sich vereinigten, wurden von den Arbeitern im gegebenen Augenblick als geeignetste Organisationsformen angesehen. Die Arbeiter schrieben über dies Thema eine ganze Reihe von Entwürfen und einige dieser Entwürfe wurden dem ,Kampfbund' übergeben. Manche von uns waren der Ansicht, der ,Kampfbund' dürfe unter keinen Umständen solche Bestrebungen unbeantwortet lassen, sondern müsse, im Gegenteil, von sich aus und zu seinem eigenen Nutzen alles unternehmen, um den organisatorischen Bestrebungen der Arbeiter entgegenzukommen. Übernehme der ,Kampfbund' die führende Rolle in dieser organisatorischen Bewegung der Arbeiter, so würde er damit seinen Einfluss auf die Arbeiter erheblich stärken und erweitern und dadurch die Möglichkeit erhalten, der Bewegung die Richtung zu geben, die für ihn (den „Kampfbund") die wünschenswerteste ist.

Unter diesem Gesichtswinkel betrachteten verschiedene von uns auch den Entwurf ,des Statuts der zentralen Verbandskasse', den ein Arbeiterzirkel aus dem Newa-Stadtteil eingereicht hatte (übrigens ist dieser Entwurf nie in irgendeiner endgültigen Form in den Spalten der „Rabotschaja Mysl" erschienen und konnte folglich in den „Blättern" des „Rabotnik" nicht abgedruckt werden). Die Mehrheit der Mitglieder der zentralen Gruppe des ,Kampfbundes' waren gegen die Veröffentlichung des Entwurfs unter der Firma des ,Kampfbundes', und zwar weil sie meinten, der ,Kampfbund' könne selbst einen Entwurf ausarbeiten, um ihn unter dem Namen des ,Kampfbundes' zu veröffentlichen. Andere Genossen, die mit diesen Argumenten einverstanden waren, schlugen vor, den betreffenden Entwurf zunächst probeweise zu veröffentlichen, damit dieser Entwurf und die Meinungen, die darüber geäußert werden, als Material dienen können für die Ausarbeitung eines Entwurfs des ,Kampfbundes'. Sie schlugen daher vor, diesen Entwurf, so wie er war, unverändert zu veröffentlichen, doch unbedingt mit der Bemerkung, der ,Kampfbund' veröffentliche den Entwurf des Kassenstatuts, der von einer Gruppe von Arbeitern ausgearbeitet sei, und der ,Kampfbund' fordere die Arbeiter auf, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen und die notwendigen Verbesserungen vorzuschlagen. Da die Mehrheit der zentralen Gruppe des ,Kampfbundes' sich gegen die Veröffentlichung des Entwurfs unter der Firma des ,Kampfbundes' wandte, so wurde er ohne Unterschrift privatim hektographiert und der Arbeitergruppe übergeben. Übrigens wurde der Entwurf Ende März vom ,Kampfbund' herausgegeben." Peterburschez (K. Tachtarew, „Abriss der Petersburger Arbeiterbewegung der neunziger Jahre. Nach persönlichen Erinnerungen." London 1902. Verlag „Schisn". S. 68–72).

Ein großes Ereignis im Leben des ,Klassenkampfes' und in meinem persönlichen Leben war unsere Zusammenkunft mit den ,Alten' zu Beginn des Jahres 1897 (ich glaube im Februar). Vor ihrer Deportation nach Ostsibirien, wohin sie für drei Jahre verbannt waren, wurden sie aus dem Gefängnis entlassen und erhielten die Erlaubnis, sich drei Tage in Petersburg ,zur Regelung ihrer Angelegenheiten' aufzuhalten. Und nun versammelten sie sich an zwei Abenden in der Wohnung der Familie Zederbaum, wo ich über die Tätigkeit des ,jungen' ,Kampfbundes' Bericht erstattete und wo wir eine Reihe von Fragen taktischen und organisatorischen Charakters besprachen.

Außer Martow waren Lenin, Krschischanowski, Starkow, Maltschenko, Saporoschez, Wanejew und Lachowski sowie ein oder zwei Arbeiter anwesend, die alle vor ungefähr einem Jahr verhaftet worden waren, als die ersten Verhaftungen unter den Mitgliedern des ,Kampfbundes' begannen. Die ,in der Freiheit' arbeitenden Genossen waren bei diesen Zusammenkünften durch mich und die Genossin A. Jakubowa vertreten.

In meinem Bericht wies ich auf die im ,Kampfbund' heranreifenden Meinungsverschiedenheiten hin, auf die abweichende Tendenz zu einem spezifischen ,Demokratismus' und zum ,Proletophilentum', und diese Fragen waren es, die die größte Diskussion und sogar leidenschaftliche Debatten hervorriefen. Lenin, der Hauptredner der ,Alten', wandte sich aufs Schärfste und entschiedenste gegen diese ,Neuerungen' und schon damals traten seine besonderen Charaktereigenschaften und seine besondere Denkweise in Erscheinung: die Überzeugung von der Richtigkeit seiner Ansicht einerseits und der Glaube an die revolutionär-theoretische Unfehlbarkeit der sich selbst ergänzenden Gruppe der ,Berufsrevolutionäre', die er als Keim der künftigen Partei bezeichnete – andererseits. Lenin war gegen jede selbständige Arbeiterorganisation als solche, er war dagegen, dass man den Arbeitern irgendein besonderes Kontrollrecht einräume usw. Er sagte: ,Wenn ihr klassenbewusste und vertrauenswürdige einzelne Arbeiter habt, dann nehmt sie in die zentrale Gruppe auf, das ist alles. Darüber hinaus ist eine besondere ,Arbeiterpolitik' nicht notwendig …2'

In diesen Versammlungen war die Rede von der Möglichkeit einer Verständigung oder Vereinigung mit der embryonalen Gruppe von Sozialrevolutionären, die ich oben erwähnt habe. Lenin arbeitete den Text einer Vereinbarung aus (es war ein ganzer Artikel) und bekundete dabei jenen sachlichen Opportunismus – die Achtung vor der Stärke des andern –, der so charakteristisch für ihn ist. ,Da sie eine Druckerei haben – sagte er –, so können sie uns vieles diktieren und wir müssen uns mit vielem einverstanden erklären'." (B. I. Gorew, „Aus der Vergangenheit der Partei. Erinnerungen aus den Jahren 1895–1905." Staatsverlag 1924.)

Die Ungenauigkeit, die B. Gorew erwähnt, wurde von Lenin in Nr. 40 der „Iskra" vom 15. Mai 1903 korrigiert. In der gleichen Nummer erschien folgender von K. Tachtarew (Peterburschez) geschriebener „Brief an die Redaktion":

In meiner Broschüre ,Abriss der Petersburger Arbeiterbewegung der neunziger Jahre' sind einige Bemerkungen über eine Versammlung enthalten, die im Winter 1897 in Petersburg stattfand und in der über die Beteiligung der Arbeiter am damaligen ,Kampfbund' diskutiert wurde. Diese Versammlung ist vom Genossen Lenin in seiner Broschüre ,Was tun?' geschildert. Nachdem ich jetzt noch einen weiteren Versammlungsteilnehmer (Gemeint ist B. I. Gorew. D. Red.) gesprochen und in einer persönlichen Unterhaltung mit Genossen Lenin die Dinge klargestellt habe, halte ich es für notwendig, folgendes zu erklären:

Was die Einteilung der Streitenden in die ,Alten' und die ,Jungen', die sich später an der ,Rabotschaja Mysl' beteiligten, anbelangt, so gibt Genosse Lenin selbst zu, dass diese Einteilung nicht ganz genau ist.

Ich bin meinerseits damit einverstanden, dass die Petersburger Massenbewegung der Arbeiter in den Jahren 1896 und 1897, insbesondere der so unerwartete und großartige Streik vom Sommer 1896 und der organisierte Streik im Januar 1897, die die äußerste Anspannung aller Kräfte unseres Bundes erforderten, natürlich auch Spuren in unserer Weltanschauung hinterließen, vielleicht in dem Sinne, dass wir die Bedeutung der Streikbewegung überschätzten. Das gibt natürlich dem Genossen Lenin ein gewisses Recht, in der damaligen Zeit den Beginn der Entstehung des sogenannten ,Ökonomismus' zu suchen. Meines Erachtens aber kann man das, wofür wir uns damals wirklich begeisterten, nicht als ,Ökonomismus' bezeichnen. Wir begeisterten uns für die ersten Symptome des erwachenden Selbstbewusstseins und der Selbständigkeit eines breiten Kreises von Arbeitern und für ihr Streben nach Organisiertheit und aktivem Kampf, hieraus ergab sich aber logisch unser Bestreben, im ,Kampfbund' unbedingt eine Gruppe von Agitatoren aus Arbeiterkreisen zu organisieren, aus denen der ,Kampfbund' seine Kräfte ergänzen konnte. Übrigens habe ich mich jetzt davon überzeugt, dass unser damaliger Streit über die Stellung der Agitatorengruppe im ,Kampfbund' sich in hohem Maße aus einem gewissen gegenseitigen Missverstehen erklärt, und ich glaube, dass es längst an der Zeit wäre, jede weitere Klarstellung der früheren Meinungsverschiedenheiten ad acta zu legen, damit wir die Kräfte und die Zeit, die für den Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit notwendig sind, nicht nutzlos vergeuden."

An die Worte Tachtarews: „Genosse Lenin gibt selbst zu, dass diese seine Einteilung nicht ganz genau ist", knüpfte Lenin folgende Bemerkung:

Und zwar besteht die Ungenauigkeit meiner Einteilung darin, dass ein ,Junger' (B. I. Gorew. Die Red.), wie es sich herausstellte, damals (in der Diskussion) die ,Alten', ein ,Alter' aber (Jakubowa. Die Red.) die ,Jungen' verteidigte

1 Lenin schilderte die Versammlung nicht „auf Grund einer Mitteilung" von A. A. Wanejew, sondern als einer der Teilnehmer der Versammlung. Die Red.

2 Fünf Jahre später erzählte Lenin selbst diese Episode in seiner berühmten Broschüre „Was tun?". Aber dort verwechselte er mich mit der Genossin Jakubowa (ohne Namen zu nennen), da er natürlich annahm, ein so „junges" Mitglied des „Kampfbundes", wie ich, müsse für die ketzerischen Neuerungen eintreten. Im Februar 1903, als ich in London war, berichtigte Lenin auf Grund meines Hinweises diesen Irrtum in einer der Nummern der „Iskra". (Anmerkung B. I. Gorews. Die Red.)

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