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semstwostatistische Arbeiten

Die Blütezeit der semstwostatistischen Arbeiten fällt in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die erste örtliche Untersuchung auf Kosten der Semstwos wurde im Sommer 1870 im Auftrage der Gouvernements-Semstwoverwaltung von Wjatka in 15 Amtsbezirken des Gouvernements Wjatka vorgenommen. Dem Semstwo von Wjatka folgten andere: Twer im Jahre 1871, Cherson im Jahre 1873, Moskau und Tschernigow im Jahre 1875 u. a. Die semstwostatistischen Arbeiten wurden nach den verschiedensten Programmen und Methoden, in verschiedenem Umfange usw. ausgeführt, was der Grund dafür ist, dass ein Vergleich der erhaltenen Daten auf größte Schwierigkeiten stößt. Die meisten Semstwozählungen vom Ende des vorigen Jahrhunderts verstoßen gegen die Grundregel der Statistik über eine möglichst schnelle und gleichzeitige Erhebung. Einige Zählungen zogen sich über acht bis neun Jahre hin und selbst die Moskauer Zählung vom Jahre 1900 nahm ganze zwei Jahre in Anspruch. Dessen ungeachtet liefert an die semstwostatistischen Arbeiten viel äußerst wertvolles Material über die Wirtschaft des russischen Dorfes Ende des 19. Jahrhunderts.

Ein allgemeiner Mangel der meisten semstwostatistischen Arbeiten war stets die überaus unbefriedigende Bearbeitung des durch die Zählungen gewonnenen reichen Materials. Diese Bearbeitung beschränkte sich oft lediglich auf die Berechnung allgemeiner Durchschnittsziffern für Gouvernements, Kreise, Amtsbezirke und Gemeinden, – eine Zusammenfassung nach Gruppen zwecks Sonderstudium aller neu aufkommenden und entstandenen Wirtschaftstypen wurde nicht vorgenommen. Mit der Methodologie der sozialen Wissenschaften wenig vertraut, konnten sich die Semstwostatistiker in ihrer Arbeit selten die Aufgabe stellen, den grundlegenden ökonomischen Erscheinungen des sozialen Lebens ihrer Zeit nachzugehen. In einer Epoche, wo sich der Prozess der kapitalistischen Umwandlung des halb mittelalterlichen Ackerbaues und der Naturalwirtschaft in die Warenwirtschaft vollzieht, bekunden die Semstwostatistiker auf Schritt und Tritt ihre völlige Verständnislosigkeit für diesen Prozess, eine Abneigung oder ein Unvermögen, diesen Prozess zu erforschen. Von diesem Mangel sprach Lenin als von einer „Gefahr der modernen Statistik", die „in der letzten Zeit immer häufiger an einem gewissen, ich möchte sagen ,statistischen Kretinismus' leidet: hinter den Bäumen verschwindet der Wald, hinter Bergen von Zahlen verschwinden die Wirtschaftstypen der Erscheinungen".

Obgleich die Semstwostatistik völlig unbefriedigend bearbeitet wurde, verstand es Lenin, ihr das wertvollste Material zu entnehmen, auf dem er seine Argumentation gegen die Narodniki aufbaute.

Eine Beurteilung der Semstwostatistik durch Lenin findet sich, abgesehen von verschiedenen Stellen in der „Entwicklung desKapitalismus in Russland", auch im Artikel „Zur Frage der Aufgaben der Semstwostatistik", der zum erstenmal in der Zeitschrift „Prosweschtschenije", Nr. 1, Januar 1914, erschien.

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