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Sozialfaschismus-Theorie

Sozialfaschismus-Theorie: „Was heißt eigentlich „Sozialfaschismus“? Auch wenn die verlegenen „Theoretiker“ einander an Subtilität überböten, könnten sie nichts anderes sagen, als dass darunter die Bereitschaft der Sozialdemokratie zu verstehen ist, die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft (und ihre eigenen Positionen in diesem System) gegen die Arbeiter mit Waffengewalt zu verteidigen. Aber sind dazu nicht ausnahmslos alle „demokratischen“ Parteien bereit? Haben wir je die Demokratie für ein Regime des sozialen Friedens gehalten? (…) Haben nicht die französischen Radikalen vor wie nach dem Krieg die Armee gegen Streikende eingesetzt? Und ist nicht die Geschichte der Herrschaft der Republikanischen und der Demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten zugleich die Geschichte blutiger Repressalien gegen Streikende? Wenn all das Faschismus ist, dann ist die Geschichte der Klassengesellschaft die Geschichte des Faschismus, dann gibt es in der Welt ebenso viele Faschismen wie bürgerliche Parteien: Liberal-Faschisten, Radikal-Faschisten, National-Faschisten usw. Aber welchen Sinn haben dann diese Bezeichnungen? Keinen. „Faschismus“ ist dann nur ein marktschreierisches Synonym für Klassengewalt.

Im August 1914 haben wir die Sozialdemokratie als „sozialimperialistisch“ bezeichnet. Damit gaben wir zu verstehen, dass die Sozialdemokratie eine der Arbeiterklasse angepasste Sonderform des Imperialismus ist. Der Imperialismus vereinigt die Sozialdemokratie mit ausnahmslos allen bürgerlichen Parteien. Der „Sozialismus“ stellt sie ihnen gegenüber. Der Terminus Sozial-Imperialismus charakterisiert diese ihre Situation vollständig.

Der Faschismus ist aber — will man nicht töricht mit Worten spielen — keineswegs ein allen bürgerlichen Parteien gemeinsamer Zug, sondern eine besondere bürgerliche Partei, die für spezielle Bedingungen und Aufgaben geeignet ist, sich gegen die anderen bürgerlichen Parteien stellt und ihre Gewalt gerade gegen die Sozialdemokratie richtet.“ (Trotzki, Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus. 13. November 1929, in: Schriften über Deutschland, S. 53-66, hier S. 62)

Zwischen Demokratie und Faschismus besteht ein Gegensatz. Er ist durchaus nicht „absolut“ oder, um in der Sprache des Marxismus zu reden, bezeichnet durchaus nicht die Herrschaft zweier unversöhnlicher Klassen. Aber er kennzeichnet verschiedene Herrschaftssysteme ein und derselben Klasse. Diese beiden Systeme, das parlamentarisch-demokratische und das faschistische, stützen sich auf verschiedene Kombinationen der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen und geraten unvermeidlich in schroffe Zusammenstöße miteinander.

Die Sozialdemokratie, die heutige Hauptvertreterin des parlamentarisch-bürgerlichen Regimes, stützt sich auf die Arbeiter. Der Faschismus stützt sich auf das Kleinbürgertum. Die Sozialdemokratie kann ohne Arbeiter-Massenorganisationen keinen Einfluss ausüben. Der Faschismus seine Macht nicht anders befestigen als durch Zerschlagung der Arbeiterorganisationen. Hauptarena der Sozialdemokratie ist das Parlament. Das System des Faschismus stützt sich auf die Vernichtung des Parlamentarismus. Für die monopolistische Bourgeoisie stellen parlamentarisches und faschistisches System bloß verschiedene Werkzeuge ihrer Herrschaft dar: sie nimmt zu diesem oder jenem Zuflucht in Abhängigkeit von den historischen Bedingungen. Doch für die Sozialdemokratie wie für den Faschismus ist die Wahl des einen oder des andern Werkzeugs von selbständiger Bedeutung, mehr noch, die Frage ihres politischen Lebens oder Todes.“ (Trotzki, Was nun, a.a.O., S. 193f.)

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