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Ostwald, Wilhelm

Ostwald, Wilhelm (geb. 1853) Hervorragender deutscher Physikochemiker, bekannter Naturphilosoph und Popularisator der Naturwissenschaften; Professor der physikalischen Chemie in Leipzig; seit 1906 Privatschriftsteller. Lange Zeit Führer und Vorsitzender des Deutschen Monistenbundes; Begründer und Herausgeber der berühmt gewordenen Sammlung „Klassiker der exakten Wissenschaften", der biographischen Monographien „Große Männer", der nach dem Kriege eingegangenen „Annalen der Naturphilosophie" und Mitbegründer und Redakteur der „Zeitschrift für physikalische Chemie". O.s Hauptverdienst ist die Begründung, im Verein mit dem Holländer van't Hoff und dem Schweden Svante Arrhenius, einer neuen Disziplin der Naturwissenschaft, der physikalischen Chemie. O.s wichtigste Entdeckungen betreffen die Lehre von der chemischen Verwandtschaft, die Elektrochemie, die Theorie der Lösungen und die Katalyse; neuerdings widmet sich O. dem Ausbau der Farbenlehre. In der Philosophie erstrebt O. die Errichtung eines eigenen Systems der „Energetik". Oberste Wissenschaft ist ihm eine abstrakte „Ordnungslehre", die über der Logik und der Mathematik thront. Die anderen Wissenschaften klassifiziert O. auf der Grundlage einer etwas modifizierten Compteschen Hierarchie. Seiner Naturphilosophie liegt die These zugrunde, dass der Begriff der Energie und die zahlenmäßige Darstellung aller Erscheinungen zur Bewältigung der Gesamtheit menschlicher Erkenntnisse völlig ausreiche. O. will die Materie gänzlich abgeschafft wissen und fordert die einheitliche Anwendung des Energiebegriffs auf alle Erscheinungen, auch die psychischen und gesellschaftlichen. Zu diesem Zwecke dekretiert O. eine „soziale", „psychische" und „kulturelle" Energie. Von der Machschen Forderung des Ersatzes der Erklärung der Natur durch deren „ökonomische Beschreibung" angezogen, erhebt Ostwald den Verzicht auf jede Hypothesenbildung zum Ideal der Wissenschaft und wetterte besonders heftig gegen die Atomlehre. Allein, weniger störrisch als der von ihm bewunderte Mach, erklärte O. schließlich, dass er vor den großen modernen Errungenschaften der Atomistik die Waffen strecke. In zahllosen Schriften propagierte O. seine „Energetik", ohne jedoch in den Kreisen ernster Forscher irgendwelchen Anklang zu finden. Gesellschaft und Kultur, Moral und Recht, Kunst und Politik, kurz, alles wird „energetisch" fundiert. Ja, selbst die „monistische Religion" soll in der Energie ihren lieben Gott haben, dem O. in seinen „Monistischen Sonntagspredigten" Jahre hindurch alle 14 Tage regelmäßig seine Honneurs machte. Zum Überfluss wurde auch noch der Kantsche kategorische Imperativ in einen „energetischen Imperativ" („Vergeude keine Energie!") verwandelt und – das neue „System" war vollendet! Merkwürdig ist nur, dass O., der den Energiebegriff zum Range eines Dinges an sich erhebt, gleichzeitig James' Pragmatismus beweihräuchert, dem doch die „Energie", wie alle Dinge der Welt, nichts Absolutes, sondern lediglich Mittel zur Erhöhung des „praktischen" und „bequemen" Dollargenusses ist. Allein die zahllosen Widersprüche und Inkonsequenzen in O.s Gedankengängen bilden nun einmal die hervorstechendsten Eigenschaften der idealistisch-materialistischen „Energetik". Hauptschriften: a) Naturwissenschaftliche: „Elektrochemie" (1894/95), „Prinzipien der Chemie" (1907), „Der Werdegang einer Wissenschaft" (1907), „Entwicklungsgeschichte der Elektrochemie" (1910), „Grundriss der allgemeinen Chemie" (1923) und „Farbkunde" (1923); b) Zur Energetik: „Vorträge und Abhandlungen" (1904), „Vorlesungen über Naturphilosophie" (1902; eine populäre, verkürzte Ausgabe erschien in der Reclam-Bibliothek unter dem Titel „Grundriss der Naturphilosophie"), „Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft" (1908), „Die Forderung des Tages" (1911), „Die Energie" (1912), „Philosophie der Werte" (1913) und „Moderne Naturphilosophie" (1914); c) Biographisches: „Große Männer" (1909).

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