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Tschernyschewski, N. G.

Tschernyschewski, N. G. (1828–1889) Großer russischer Gelehrter und Kritiker, der, wie sich Marx äußerte, den Bankrott der bürgerlichen Ökonomie meisterhaft beleuchtete, der Lehrer ganzer Generationen von russischen Revolutionären. Als Nationalökonom ist er bekannt geworden durch die Übersetzung der „Grundlagen der politischen Ökonomie" von J. St. Mill, die er mit seinen Anmerkungen im Geiste des utopischen Sozialismus versah, ferner durch eine Reihe von Arbeiten, die der Popularisierung der sozialistischen Ideen und der Kritik der Bauernreform von 1861 gewidmet war. Als literarischer Kritiker schrieb er eine Reihe glänzender Artikel („Skizzen aus der Gogolschen Periode", „Lessing", Artikel über Puschkin usw.) im „Sowremennik", dessen Redakteur er war. In der russischen Dorfgemeinde sah er einen möglichen Keim der sozialistischen Gesellschaft. T. war Führer der revolutionären Bewegung der sechziger Jahre und einer der Inspiratoren der revolutionären Bewegung der siebziger und achtziger Jahre. Wurde 1862 verhaftet und befand sich fast unmittelbar bis zu seinem Tode im Gefängnis und in der Verbannung, wo er keine Möglichkeit hatte, an der öffentlichen und publizistischen Arbeit teilzunehmen. [Band 4]

Tschernyschewski, Nikolai Gawrilowitsch (1829–1889) – „Der große russische Gelehrte und Kritiker", wie ihn K. Marx charakterisiert hat. Kurze Zeit Gymnasiallehrer, verzichtete aber auf die akademische Laufbahn, um Schriftsteller zu werden. Er wollte der Verbreitung „der erhabenen Ideen der Wahrheit, der Kunst und der Wissenschaft" dienen. Diese Ideen waren für ihn die Gedanken der Befreiung des „gemeinen Volkes" vom Joche der Ausbeutung und Unterdrückung, die er durchaus revolutionär auffasste. Die Regierung setzte bald seiner Tätigkeit ein Ende. 1862 wurde er verhaftet und fast bis an sein Lebensende gefangen gehalten. Als Sozialist ging Tsch. im Wesentlichen nicht über den utopischen Sozialismus hinaus. Marx' Lehre kannte er nicht. In seinen philosophischen Anschauungen war er strenger Materialist und Anhänger Feuerbachs. An verschiedenen Stellen seiner Werke entwickelt er Ansichten, die dem modernen dialektischen Materialismus sehr nahe kommen, so über die Geschichte der philosophischen und politischen Ideen: „Politische Theorien und alle philosophischen Lehren überhaupt wurden stets bei ihrer Bildung sehr stark von der gesellschaftlichen Stellung ihrer Begründer beeinflusst und jeder Philosoph war der Vorkämpfer irgendeiner der politischen Parteien, die zu seiner Zeit in der Gesellschaft, der dieser Philosoph angehörte, um die Herrschaft stritten." Andererseits kann man bei Tsch. lesen: „Die Grundkraft des Fortschritts ist die Wissenschaft; der Fortschritt entspricht dem Grade der Vollkommenheit und der Verbreitung des Wissens. Der Fortschritt ist also ein Resultat des Wissens." Seine ökonomischen Ansichten sind dargelegt in seinen Anmerkungen und Ergänzungen zu den „Grundlagen der politischen Ökonomie" von John Stuart Mill, die er ins Russische übersetzt hatte. Wie der große französische Aufklärer Voltaire, so schrieb auch Tsch. über alles und jedes. Sein im Gefängnis geschriebener, berühmt gewordener Tendenz-Roman „Was tun?" (deutsch 1883) wurde zum Wegweiser für die revolutionäre Jugend der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Überhaupt war die historische Wirksamkeit Tsch.s für Russland ungeheuer groß. Seine Anschauungen haben die russische „Intelligenz" während voller dreißig Jahre aufs Stärkste beeinflusst. „Gesammelte Werke" in 10 Bänden, Petersburg 1906 (russisch). Über Tsch. siehe Plechanow: „N. G. Tschernyschewsky. Eine literarhistorische Studie", Stuttgart 1894; Georg Steklow: „N. Tschernyschewsky. Ein Lebensbild", Stuttgart 1913. [Band 13]

Tschernyschewski war zu jener Zeit fast der einzige Schriftsteller, der die Interessen der Bauernschaft gegen die Umklammerung durch die Großgrundbesitzer konsequent vertrat. Er nützte die legalen Möglichkeiten in weitestem Maße aus und schrieb eine Reihe von Artikeln über die Bauernfrage. Geradezu revolutionär war seine Proklamation „An die leibeigenen Bauern!“, in welcher er die Bauern aufforderte, sich zu organisieren und zum bewaffneten Aufstande vorzubereiten. Wegen dieser Proklamation wurde er nach Sibirien zur Zwangsarbeit geschickt. [Ausgewählte Werke, Band 1]

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