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Karl Kautsky 19061024 Der neue Tarif der Buchdrucker

Karl Kautsky: Der neue Tarif der Buchdrucker

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 25.1906-1907, 1. Band (1906-1907), Heft 4 (24. Oktober 1906), S. 129-134]

Es kann nicht unsere Ausgabe sein, an dem neuen Tarif eine Kritik zu üben, zu der nur der Fachmann befähigt wäre. Auch hat die Detailkritik in der Tagespresse bereits so viel gesagt, dass zu sagen kaum etwas übrig bliebe.

Es genügt festzustellen, dass der neue Tarif in keiner Weise die Verhältnisse der Buchdrucker erheblich verbessert, in vielen Beziehungen aber verschlechtert. Der Neunstundentag bleibt; wenn anstatt 54 Stunden nur noch 53½ Stunden in der Woche gearbeitet werden soll, wird niemand das für eine der Rede werte Errungenschaft halten. Dagegen bringt er in verschiedenen Punkten, wie allgemein zugestanden wird, empfindliche Verschlechterungen für die Maschinensetzer. Die einzige anscheinende Verbesserung von Belang bedeutet die zehnprozentige Lohnerhöhung. Aber von ihr sagt der „Korrespondent" selbst (16. Oktober):

Jeder Kollege wird die zutage tretende Entrüstung begreifen, weil die zehnprozentige Lohnerhöhung den vollen Ausgleich nicht bildet, wie er durch die allgemeine Teuerung auf allen Gebieten der Lebenshaltung eines Arbeiters notwendig wäre“, und er bemerkt später: „Dass auch nur ein Gehilfenvertreter das Erreichte als ausreichend für die Lebenshaltung der Gehilfen bezeichnen könnte, ist total ausgeschlossen."

Rexhäuser selbst gibt also zu, der neue Tarif sei völlig unzureichend und unbefriedigend. Zu dessen Verteidigung weiß er nur eines anzuführen, dass auf gewerkschaftlichem Wege eben nicht mehr zu erlangen sei:

Heute tut man so, als ob es lediglich an den verräterischem Gehilfenvertretern gelegen habe, für das Buchdruckergewerbe das Dasein und die Wirkungen der privatkapitalistischen Produktionsweise auszuschalten. … Wäre durch die Tarifvereinbarungen dem Arbeiter es möglich, zu seinem vollen wirtschaftlichen Rechte zu gelangen, zu einer völligen Befriedigung seiner materiellen Ansprüche, zu einem ständigen Ausgleich zwischen Teuerung und Einkommen, würden ja alle übrigen Bestrebungen der Arbeiter gegenstandslos sein – dann wäre das Allheilmittel für die Lösung der sozialen Frage gefunden."

Und in der nächsten Nummer vom 18. Oktober wird darauf hingewiesen, dass ein Streik völlig aussichtslos sei:

Seit mehr als einem Jahrzehnt haben alle großen Streiks Niederlagen für die Arbeiter in Gefolge gehabt, während der Verband in dieser Zeit intakt blieb und doch von Erfolg zu Erfolg schritt."

Der Schlusssatz ist natürlich nach den oben wiedergegebenen Zugeständnissen eine bloße Redensart. Dagegen ist die Behauptung festzuhalten, dass ein Streik für die Buchdrucker nur eine Niederlage bringen könne. Der „Korrespondent" führt das in seinem Artikel noch weiter aus, indem er erörtert, welches die Folgen gewesen wären, wenn die erbitterte Stimmung unter den Buchdruckern zu einem Kampfe führte:

Zu der Niederlage der Buchbinder wäre dann noch die der Buchdrucker gekommen und mit ihr im Gefolge die ganze Trostlosigkeit hoffnungsloser Zustände, für immer verpasster Gelegenheiten und rettungsloser Verzweiflung. Heute werden aus unseren Reihen den Gehilfenführern die verächtlichsten Sottisen an den Kopf geworfen, weil sie sich mit einer zehnprozentigen Lohnerhöhung zufrieden gegeben, im Falle einer sicheren Niederlage aber wären die Wogen der Empörung über die pflichtvergessenen Führer zusammengeschlagen, welche trotz der zehnprozentigen Lohnerhöhung die Gehilfenschaft in einen verlorenen Streik gestürzt."

Schwärzer kann man die Gefahren eines Streiks nicht schildern, als es hier von dem Organ der relativ stärksten Gewerkschaft Deutschlands geschieht. Ob diese Schilderung richtig ist, darüber enthalte ich mich des Urteils – das ist eine Frage, die wirklich vor allem die Gewerkschafter für sich entscheiden müssen. Wohl ist der Anspruch der Gewerkschaftsführer zurückzuweisen, dass die gewerkschaftlichen Angelegenheiten „reine Privatangelegenheit" der Gewerkschaften seien, wie im „Korrespondent" vom 20. Oktober zu lesen, da sie vielmehr bei der Wichtigkeit und Bedeutung der Gewerkschaften jeden aus das Lebhafteste angehen, der am Emanzipationskampf des Proletariats Anteil nimmt. Aber die besondere Frage, ob eine Organisation kampffähig ist, gehört doch zu denen, welche am ehesten jene beantworten können, die seit langem an ihrer Spitze stehen und daher den besten Überblick über ihre Gesamtheit gewinnen.

Nehmen wir also an, die Behauptung des „Korrespondent" sei richtig: ein Streik führe heute für die Buchdrucker zu einer sicheren Niederlage, und darum bedeute der Tarif, so unzureichend und unbefriedigend er auch sei, eine „Errungenschaft"; ja, wie der „Korrespondent" am 16. Oktober ausführte, eine Ablehnung des Tarifs bringe die Gefahr mit sich, „vielleicht noch das zu verlieren, was sie besitzen", ein Streik sei also nicht nur nicht imstande, den Arbeitern neue Zugeständnisse zu erringen, er vermöge vielleicht nicht einmal das Errungene festzuhalten. Was bedeutet das? Sicher bis zu einem gewissen Grade eine Rechtfertigung der Bestimmungen des Tarifs und der Gehilfenvertreter, die ihn zustande brachten. Aber diese Rechtfertigung wird erkauft durch die Bankrotterklärung der bisherigen Taktik des Buchdruckerverbandes.

Die Buchdrucker sind gewerkschaftlich weitaus relativ der stärkste Beruf. 87 Prozent der Berufsangehörigen sind gewerkschaftlich organisiert, nur die Bildhauer kommen ihnen einigermaßen nahe, mit 66 Prozent, die anderen Berufe bleiben weit dahinter zurück. Sie bilden auch die reichste Gewerkschaft: „von dem Gesamtkassenbestand der Verbände im Betrag von 16.109.903 Mark befinden sich in der Kasse des Buchdruckerverbandes 4.374.013 Mark, des Maurerverbandes 2.091.681 Mark, des Metallarbeiterverbandes 1.543.353 Mark und des Holzarbeiterverbandes 1.452.215 Mark" (Zweiter internationaler Bericht über die Gewerkschaftsbewegung 1904, S. 58).

Andererseits gibt es kein Jahr, das an wirtschaftlichem Aufschwung das jetzige übertreffen könnte. Das war auch im Buchdruckergewerbe fühlbar. Die Zahl der Arbeitslosen hat in den letzten Jahren merklich abgenommen. So zählte man im Buchdruckerverband zum Beispiel Arbeitslose pro Tausend:


1904

1905

1906

Im März

18

18

10

Im Juli

71

55

43

Der März weist von den sieben ersten Monaten des Jahres die geringste, der Juli die größte Ziffer der Arbeitslosen aus.

Wenn für den Buchdruckerverband der Streik die sichere Niederlage bedeutet, welche Gewerkschaft soll dann noch kampffähig sein? Und wenn heute, in der Zeit der Hochkonjunktur der Streik aussichtslos ist, wann soll er dann Aussichten bieten?

Wer aber den rein gewerkschaftlichen Kampf in dieser Weise als hoffnungslos betrachtet, was bleibt dem übrig?

Zwei Wege stehen ihm offen: Einmal die Leugnung der Notwendigkeit des Kampfes, die Verbreitung der frohen Zuversicht, dass die sozialpolitische Einsicht der Kapitalisten wachsen und kampflos den Arbeitern bescheren werde, wofür diese zu kämpfen nicht mehr die Kraft haben sollen. Und zu dieser Anschauung bekennt sich allerdings der „Korrespondent".

Angesichts der von ihm so stark hervorgehobenen Kampfunfähigkeit des Verbandes liegt für einen unbefangenen Beobachter die Folgerung nahe, dass sich das Unternehmertum bald dieses, bei den Buchdruckern von ihrer eigenen Leitung systematisch genährte Gefühl ihrer Schwäche zunutze machen und „rücksichtslos die soziale Maske beiseite werfen wird".

Dieser Befürchtung, die auch der Vorwärts geäußert, begegnet der „Korrespondent" mit folgenden höhnenden Worten (18. Oktober):

Wir hören wie der ,Vorwärts' zwar nicht das Gras wachsen, aber die ganze Kulturentwicklung weist immer zwingender auf die Tatsache hin, dass es auch in Deutschland mit dem Standpunkt des ,Herrn im Hause' bergab geht. Jeder Tag schafft neue Kultur, jeder Tag bringt alte Formen zum Absterben und setzt bessere, zeitgemäßere an deren Stelle. ,Alles ist in Fluss' und alles strebt höheren wirtschaftlichen und sozialen Einrichtungen zu. Und die Menschheit ist ein Ganzes, so dass alle werdende Kultur gleichmäßig alle Glieder bespült. Die Arbeiterbewegung wächst, mit ihr der Einfluss, den sie ausübt, die Bedeutung, die sie für ein Gemeinwesen besitzt. … Dem geistigen Inhalt, der materiellen Macht der Arbeiterbewegung gegenüber gibt es nur noch Zugeständnisse, aber keine aussichtsreiche Bekämpfung mehr. Mit dieser Tatsache haben sich die herrschenden Gewalten abgefunden. Sei es im Allgemeinen, sei es in einer Berufsgruppe, wo die Arbeiter eine achtunggebietende Macht repräsentieren. Je weiter die Dinge reisen, wird die Gegensätzlichkeit zwischen den Arbeitern und dem größten Teil der bürgerlichen Gesellschaft immer geringer, und von Tausenden unserer Unternehmer kann gesagt werden, dass ihre Interessen mit denen der Gehilfen aus dem Tarifgebiete die gleichen sind."

Ja, wenn sich die Dinge so gemütlich abspielen, dann bedarf es natürlich der Kampfbereitschaft und Kampffähigkeit der Gewerkschaften nicht mehr. Dann kann man alles dem „Tag" überlassen, der stets bessere Formen von selbst schafft, ohne Zutun des kämpfenden Proletariats, und der wachsenden „Kultur", die „gleichmäßig alle Glieder der Gesellschaft bespült", in welchem Kulturspülwasser Proletarier und Unternehmer in fröhlicher Interessenharmonie so lange herumplätschern, bis den ersteren das Wasser an die Kehle reicht. Man kann in der Tat keinen aufreizenderen Hohn ersinnen, als diese famose Geschichtsauffassung in einem Blatt, das eben noch die Entrüstung darüber teilte, dass „die zehnprozentige Lohnerhöhung den vollen Ausgleich nicht bildet, wie er durch die allgemeine Teuerung auf allen Gebieten der Lebenshaltung eines Arbeiters notwendig wäre", das damit zugibt, dass der Tarif die seit einigen Jahren eingetretene Verschlechterung der Lage der Buchdrucker besiegelt, und das dies als eine aus den Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende Notwendigkeit erklärt.

Mit dieser Harmonieduselei, mit diesem Zutrauen zu der Interessenharmonie zwischen den Arbeitern und den „Tausenden" von Unternehmern stellt sich das Organ des Buchdruckerverbandes in Gegensatz nicht bloß zu der Sozialdemokratie, sondern auch zur deutschen Gewerkschaftswelt, die auf dem Boden des Klassenkampfes steht. .Niemand wird das „Korrespondenzblatt" der Gewerkschaften beschuldigen wollen, es „hetze" gegen die Führer des Verbandes. Aber auch dem „Korrespondenzblatt" geht es über die Hutschnur, wenn der „Korrespondent" den Tarifvertrag als eine Errungenschaft preist, durch den die deutschen Buchdrucker bahnbrechend gewirkt und eine gewerbliche Friedensära herbeigeführt hätten:

Heute", sagt der „Korrespondent", kann ohne Überhebung gesagt werden, dass die deutschen Buchdrucker dem Wirtschaftsleben gezeigt, wohin eine konsequent und logisch geleistete Arbeit führt, und dass nicht eine sklavische Form, sondern der Sinn, der Geist, das Wesen einer Sache das Entscheidende ist. Und weil es mit der Tarifgemeinschaft an dem ist, konnte sie zum Bannerträger einer gewerblichen Friedensära werben, immer mehr den einigenden Momenten den Vorrang sichern und aus einer Politik des Waffenstillstandes eine Politik der Verständigung machen. Das drückt sowohl der neue Tarifvertrag, wie der Organisationsvertrag aus, beides Errungenschaften zielbewussten Arbeitens."

Daraus erwidert das „Korrespondenzblatt" (20. Oktober):

Die Diplomatie der Friedensschlüsse ist reich an Phraseologien, um bei passenden Gelegenheiten mit einigen unpassenden Worten vorbeizukommen. In einer bei Abschluss der Tarifberatungen gehaltenen Rede würden die obenangeführten Erklärungen auch nicht weiter auffallen, weil man dem Austausch von Höflichkeiten keinerlei verbindliche Wirkung beimisst. In einer Begründung des Tarifwerkes von gewerkschaftlicher Seite müssen solche Sätze befremden, da sie nur zu leicht im Sinne einer programmatischen Erklärung missverstanden werden können.

Auch der Buchdruckerverband ist in erster Linie eine Kampforganisation, die die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im bewussten Gegensatz zu den Interessen der Buchdruckereibesitzer unter allen Umständen, wenn es sein muss, auch im Wege des Kampfes durchzusetzen bestrebt ist. Den Frieden zum obersten Prinzip zu machen und den Kampf prinzipiell auszuschalten, das wird und kann sein Wille nicht sein, weil die Verbesserung der Arbeitsbedingungen nur aus seiner Stärke und Kampfbereitschaft beruht. Eben deshalb ist es auch eine irreführende Phraseologie, zu behaupten, die Tarifgemeinschaft sei auf dem Prinzip des Friedens aufgebaut. Die Tarifverträge sind stets ein Produkt der Kampfesfähigkeit und Kampfbereitschaft der Gewerkschaften, häufig sogar ein direktes Ergebnis voraufgegangener Kämpfe selbst.

Auch die gegenwärtige Buchdruckertarifgemeinschaft wurzelt in den großen historischen Kämpfen der Buchdrucker gegen das Kapital, sie ist also ein Produkt des Klassenkampfes! Diese Herkunft zu verwischen und das Prinzip des unverbrüchlichen Friedens zu betonen, liegt gar kein Anlass vor, zumal sich gerade heuer die Buchdrucker begnügen mussten, nur einen kleinen Teil ihrer Forderungen erfüllt zu sehen. Ein Festhalten an der Forderung der Arbeitszeitverkürzung …… und des ,Prinzip des Friedens' ging kläglich in die Brüche! Und weil nur ein kleiner Teil der Forderungen der Gehilfenschaft erreicht ist, deshalb ist es auch absurd, von einer gewerblichen Friedensära zu schreiben, deren Bannerträger die Tarifgemeinschaft sei, und die Politik des Waffenstillstandes mit einer solchen der Verständigung zu vertauschen. Was erreicht ist. kann nur die Abschlagszahlung auf die weitergehenden berechtigten Ansprüche der Gehilfenschaft sein, die sie nach Ablauf der vorgesehenen Waffenstillstandsperiode um so energischer geltend macht. … Ob man dies im Moment des Tarifabschlusses ausspricht, mag dahingestellt bleiben.

Es bedeutet aber eine völlige Verkennung der Aufgaben der Gewerkschaftspresse, ihnen (den Gewerkschaften) angesichts eines solchen Tarifabschlusses die Preisgabe der Waffenstillstandspolitik und deren Ersatz durch eine prinzipielle Friedenspolitik dauernder Verständigung zu empfehlen.

Die Gewerkschaftspresse hat die Aufgabe, die Mitglieder zu zielbewussten Gewerkschaftskämpfern zu erziehen. Das geschieht durch die Betonung des Klassengegensatzes und Klassenkampfes, besonders in solchen wichtigen Momenten, nicht aber durch die Propaganda einer vorbehaltlosen Verständigungspolitik.

Das abgeschlossene Tarifwerk kann nur vom Standpunkt der realen Machtverhältnisse zwischen Buchdruckerkapital und Buchdruckereiarbeitern aus beurteilt werden. Ob im gegenwärtigen Stadium ein Mehr zu erreichen war, darüber müssen sich die Buchdrucker selbst entscheiden. Aber um diese Machtverhältnisse zu befestigen, müssen die Mitglieder sich bewusst bleiben, dass sie einer Kampforganisation angehören. Der ,Korrespondent' hat aber mit seiner Begründung des Tarifwerkes eher dazu beigetragen, dieses Bewusstsein zu erschüttern. Er trägt deshalb einen Teil der Schuld, wenn die Kritik der Tarifergebnisse seitens der Parteipresse sich in Missverständnissen bewegt."

So das „Korrespondenzblatt", das hier einen sehr richtigen Standpunkt entwickelt. Aber wie soll man den Mitgliedern das Bewusstsein beibringen, dass sie einer Organisation des Kampfes angehören, wenn man überzeugt ist, dass diese Organisation einem Kampfe nicht mehr gewachsen ist?

Die Auffassung des „Korrespondent" von der Kampfunfähigkeit des Buchdruckerverbandes ist wohl zu pessimistisch. Aber sicher ist es, dass die Aggressivkraft der isolierten Gewerkschaften immer mehr verloren geht und sie insofern ein immer größeres Ruhebedürfnis empfinden. Will man trotzdem nicht der Selbsttäuschung einer Interessenharmonie von Kapital und Arbeit verfallen, dann muss man, und zwar um so mehr, je schwächer man die augenblickliche Kampfesfähigkeit seines Verbandes auffasst, sich nach neuen Methoden des Kampfes umsehen.

Nicht die Gewerkschaften werden überflüssig oder auch nur bedeutungslos, wenn die Streikfähigkeit von Gewerkschaften, die sich von der allgemeinen Arbeiterbewegung isolieren, in normalen Zeiten abnimmt. sondern nur bestimmte Methoden des Kampfes. Je mehr die Unternehmerorganisationen erstarken, desto enger muss sich die gesamte Arbeiterklasse zusammenschließen, desto mehr müssen sich die Gewerkschaften zentralisieren, desto mehr müssen die Unterschiede zwischen den gelernten und ungelernten Arbeitern überwunden werden, desto eifriger muss man die Aufwühlung und Schulung der unorganisierten Massen innerhalb wie außerhalb des eigenen Berufs betreiben, desto weiter muss der Rahmen der internationalen Zusammenhänge ausgedehnt, desto enger endlich muss das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie werden. Können nur die Gewerkschaften die größten Massenorganisationen des Proletariats bilden, so vermag nur die Sozialdemokratie die gesamte Kraft der Lohnarbeiterschaft samt allen ihr benachbarten Volksschichten in Bewegung zu versetzen. Immer notwendiger wird die vereinte Aktion von Sozialdemokratie und Gewerkschaften.

Endlich aber, je mehr die bisherigen Methoden des Kampfes versagen, desto ungenügender werden auch die sofortigen Ergebnisse der Kleinarbeit, desto schwieriger wird es, in normalen Zeiten erhebliche Fortschritte zu erzielen, desto größer die Spannung zwischen Kapital und Arbeit, desto mehr muss die Art der Errungenschaften des Proletariats eine ruckweise werden. Es kommt in gewöhnlichen Zeiten fast gar nicht vom Flecke, um sich dann bei günstigen Gelegenheiten um so mehr in ganzer Masse zu erheben und dann um so rapidere Fortschritte in allen Zweigen zu machen. Das ist die Methode, wie sie jetzt in Russland geübt wird. Ihr haben die Schriftsetzer in den großen Städten den Achtstundentag, in vielen anderen den Achteinhalbstundentag zu verdanken zur gleichen Zeit, wo der „Korrespondent" den Gewinn einer halben Stunde am Sonnabend als gewaltige Errungenschaft für Deutschland preist, wo doch „die Kultur alle Glieder der Gesellschaft viel höher bespült".

Damit wird die Kleinarbeit nicht überflüssig, aber sie führt immer weniger dazu, sofortige praktische Erfolge zu erzielen, sie gestaltet sich immer mehr zur Vorbereitung großer Ereignisse.

So wird es gerade in Industriezweigen, in denen die isolierten Gewerkschaften an Kampffähigkeit gegenüber den Unternehmerorganisationen verlieren, immer wichtiger, den Mitgliedern politischen Weitblick sowie Interesse für die Bewegungen anderer Proletarierschichten beizubringen und die innigste Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie zu pflegen, denn das werden namentlich in den erwähnten Industriezweigen immer mehr die unentbehrlichen Vorbedingungen fruchtbarer gewerkschaftlicher Arbeit. Bei alledem kommt es aber hauptsächlich auf die Haltung der Gewerkschaftspresse an.

Würde die Enttäuschung über den neuen Tarifvertrag dahin führen, bei den Buchdruckern in dieser Beziehung Wandel zu schaffen, dann bedeutete er allerdings eine große „Errungenschaft". Fährt der „Korrespondent" dagegen fort, die Hauptwucht seiner Angriffe gegen die Sozialdemokratie, ja gegen alle zu richten, die seine Anschauungen von der Interessenharmonie zwischen Kapital und Arbeit nicht teilen, dann muss er zur Isolierung des Buchdruckerverbandes von der allgemeinen gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung führen, Kurzsichtigkeit und Interesselosigkeit bei seinen Mitgliedern großziehen und dadurch die heute von ihm übertriebene Kampfesunfähigkeit des Verbandes zu einer wirklichen und totalen machen.

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