Karl Kautsky: Nochmals der neue Buchdruckertarif Eine Entgegnung von Karl Kautsky [Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 25.1906-1907, 1. Band (1906-1907), Heft 6 (7. November 1906), S. 194-199] Genosse Backhaus bestreitet meine Behauptung, dass die gewerkschaftliche Taktik des Buchdruckerverbandes Bankrott gemacht habe. Der Begriff des Bankrotts ist freilich ein relativer. Er hängt nicht bloß von der Höhe des Erfolges ab, den ein Unternehmen erzielt, sondern auch von der Höhe des Erfolges, den man von ihm erwartet. Wenn der eine ein gutes Geschäft dort sieht, wo der andere einen Bankrott konstatiert, braucht der Unterschied in der Auffassung nicht daher zu rühren, dass beide über die tatsächlich erreichten Erfolge verschiedener Meinung sind, er kann auch daraus entspringen, dass sich die Anforderungen der beiden unterscheiden, der eine weit anspruchsloser ist als der andere. Und es scheint mir allerdings, dass an Bescheidenheit der Forderungen Genosse Backhaus und die sonstigen Verfechter des neuen Tarifs nichts zu wünschen übrig lassen. Indes auch ihnen gegenüber bleibe ich bei meiner Behauptung vom Bankrott der Taktik des Buchdruckerverbandes, ja ich bin sogar der Meinung, dass der zureichende Grund für diesen Satz eine vierfache Wurzel hat, nach vier verschiedenen Richtungen hin bewiesen werden kann. Zunächst bedeutet der neue Tarif den Bankrott der gewerkschaftlichen Theorie, auf der diese Taktik aufgebaut ist, der Theorie, dass die bloße gewerkschaftliche Organisation ohne Kampf mit den Unternehmern, schon infolge des Wachsens der Kultur und der sozialpolitischen Einsicht in allen Klassen genüge, ein stetiges Aufsteigen der Arbeiter zu sichern. Der neue Tarif bringt den Buchdruckern eine zehnprozentige Lohnerhöhung in einer Zeit allgemeiner Teuerung, eines Anwachsens der Lebensmittelpreise um 15 bis 20 Prozent. Das heißt, das Steigen des Geldlohns ist unzureichend, das Steigen der Warenpreise wett zu machen, der reale Lohn, die Menge der Lebensmittel, über die der Buchdrucker verfügt, sinkt im Vergleich zum letzten Tarif. Die Arbeitszeit wird wohl gleichzeitig um eine halbe Stunde pro Woche verringert. Aber da inzwischen durch mannigfache Methoden die Intensität der Arbeit bedeutend gestiegen ist, erweist sich diese unbedeutende Verkürzung als unzureichend, das Plus an Verausgabung von Arbeitskraft auszugleichen, das aus der gewachsenen Intensität der Arbeit entspringt. Seit 1901 ist also der Reallohn gesunken und die Arbeitsleistung gestiegen, und der neue Tarif geht nicht einmal so weit, dies völlig auszugleichen und den Zustand von 1901 herzustellen, sondern er bleibt hinter diesem zurück. Er legt demnach nicht eine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der Lage der Buchdrucker für die nächsten Jahre fest. Die Taktik des Buchdruckerverbandes erweist sich als unfähig, ihr Programm einer stetigen Verbesserung der Lage der Buchdrucker durchzusetzen, sie erweist sich nicht einmal stark genug, den Beginn ihrer Verelendung auszuhalten. Das darf man wohl einen Bankrott nennen. Nun meint Genosse Backhaus freilich, die anderen Gewerkschaften hätten auch nicht mehr erlangt. Wäre dies richtig, so bewiest dies noch lange nicht die Kraft des Buchdruckerverbandes, es bezeugte bloß eine Ohnmacht der übrigen Gewerkschaften. Aber seine Behauptung ist nicht richtig. Schon die Zahlen, die er selbst anführt, sprechen gegen ihn. Nach der jüngsten Statistik des „Korrespondenzblatt der Gewerkschaften" sind von den 5659 gewerkschaftlichen Bewegungen der deutschen Arbeiterschaft im verflossenen Jahre 84 Prozent erfolgreich verlaufen. Von den 2604 Streiks und Aussperrungen, die stattfanden, endeten 1296 oder nahezu 50 Prozent mit einem vollen Erfolg und 654 oder 25 Prozent mit teilweisem Erfolg. Also 75 Prozent aller Streiks wurden siegreich durchgeführt. In dem jetzigen Jahre ist aber die Konjunktur noch günstiger. Trotzdem erklärt das Organ der stärksten Gewerkschaft Deutschlands, ein Streik sei für diese von vornherein unmöglich, er müsse verloren gehen! Es erklärt also den Verband für schwächer als zahlreiche andere Gewerkschaften. Und nun die Erfolge der Streiks. Die Buchdrucker erlangten eine Aufbesserung, die in kleineren Orten 1,50 bis 2,50 Mark beträgt, in größeren Orten höher steigt. Dagegen verzeichnet die erwähnte Statistik, dass bei den Lohnbewegungen des Jahres 1905 414.106 Arbeiter und Arbeiterinnen eine Lohnerhöhung von 860.876 Mark pro Woche, also pro Kopf mehr als 2 Mark errangen. Genosse Backhaus fragt daraufhin, was man von den Buchdruckern wolle, die zum mindesten ebenso viel ohne Streik erreicht hätten. Er vergisst indes, dass diese Zahlen nicht vergleichbar sind. Die Statistik des „Korrespondenzblatt" gibt keine Relativzahlen an, ist nicht in der Lage, zu sagen, wie hoch die Löhne vor der Lohnerhöhung waren. Darauf kommt aber bei der Bemessung des Erfolges alles an. Wenn eine Arbeiterschaft mit 10 Mark Wochenlohn eine Lohnerhöhung von 2 Mark durchsetzt, bedeutet dies viel mehr als dieselbe Lohnerhöhung für einen Wochenlohn von 30 Mark. Die in der Statistik des „Korrespondenzblatt“ verzeichneten Arbeiterschichten sind aber sicher fast alle schlechter entlohnt als die Buchdrucker. Dann aber entstammen diese Zahlen dem Jahre 1905, in dem die Zölle ihre Wirksamkeit noch nicht entfaltet hatten, die Lebensmittelteuerung noch nicht zu ihrer bisherigen Größe gediehen war. Eine Lohnerhöhung, die 1905 ausreichen mochte, ist keineswegs ausreichend 1906. Und überhaupt, wollte man die Erfolge der Buchdrucker mit denen anderer Gewerkschaften vergleichen, dann dürfte man nicht die Lohnerhöhungen eines einzelnen Jahres heranziehen, man müsste untersuchen, wie die Löhne in anderen Branchen nicht von 1904 bis 1905, sondern von 1901 bis 1906 gestiegen sind, seit der Zeit des letzten Tarifs. Dann würde sich das Bild wohl etwas zuungunsten der Buchdrucker verschieben. Leider fehlt uns zurzeit das Material, diese Untersuchung vorzunehmen. Aber aus keinen Fall beweisen die Zahlen, die Genosse Backhaus vorbringt. etwas gegen uns. Indes wenn er schon nur die Zahlen eines einzigen Jahres vorbrachte, musste er diese doch wenigstens vollständig aufführen. Das tat er aber nicht. Er beschränkte sich auf die Angaben über Lohnerhöhungen und glaubte, daraus schließen zu dürfen, dass andere Arbeiterschichten auch nicht mehr erlangten als die Buchdrucker. Er vergaß aber ganz, die Angaben über errungene Verkürzungen der Arbeitszeit anzuführen, und doch sind die Errungenschaften auf diesem Gebiet nicht minder wichtig wie die auf dem des Arbeitslohns. Aber freilich, er hätte da zugeben müssen, dass 165.734 Arbeiter durch ihr Eintreten in eine Bewegung eine Verkürzung der Arbeitszeit von wöchentlich 617.737 Stunden, also pro Kopf von mehr als 3½ Stunden, mehr als eine halbe Stunde täglich, erlangten, während die stärkste deutsche Gewerkschaft sich heute, in der Zeit der Hochkonjunktur, für unfähig erklärt, von der Arbeitszeit, die schon vor einem Jahrzehnt errungen wurde, mehr als eine halbe Stunde in der Woche abzuringen. Ist das Wort Bankrott für ein derartiges Ergebnis zu hart? Man sieht, nicht bloß wenn man die frühere Lage der Buchdrucker mit der jetzigen, sondern auch wenn man deren Erfolge mit denen anderer Arbeiterschichten vergleicht, kommt dasselbe Resultat des Unvermögens heraus. Aber freilich, die Buchdrucker sollen unter besonders ungünstigen Umständen zu leiden haben: über ihnen schwebt das Gespenst der Setzmaschine. Diese soll es sein, die an allen unbefriedigenden Ergebnissen der Tarifabmachungen schuld ist, und nicht die Taktik der Verbandsleitung. Sicher ist die Setzmaschine ein sehr gewichtiger Faktor, den die Buchdrucker bei der Gestaltung ihrer Taktik nicht außer Acht lassen dürfen. Werden sie aber durch die Setzmaschine kampfunfähig? Durchaus nicht. Bei einem Lohnkampf sind die lebendigen überschüssigen Produktivkräfte, die Arbeitslosen und Arbeitswilligen, viel gefährlichere Gegner als tote Maschinen, die nur durch Arbeiter in Bewegung gesetzt werden können. In Bezug auf Arbeitslose und Arbeitswillige sind aber die Buchdrucker augenblicklich besser daran wie jedes andere große Gewerbe. Sind Streiks bei diesen nicht unmöglich, dann also bei jenen erst recht nicht. Dass man während des Streiks die ausständigen Handsetzer durch Maschinen ausreichend ersetzt, ist ausgeschlossen, wenn die Maschinensetzer mit streiken. So rasch können neue Maschinensetzer nicht angelernt und auch neue Maschinen nicht in genügender Zahl herbeigeschafft werden. Viel weniger während des Streiks als nach dem Streik ist die Maschine dem Handsetzer gefährlich, sie droht ihn zu gefährden gerade wenn er den Streik gewinnt. Je höher die Errungenschaften des Arbeiters, desto größer die Neigung des Kapitalisten, ihn durch die Maschine zu ersetzen. Amerika mit seinen hohen Löhnen ist das Land der Maschinen, auch der Setzmaschinen, die sich in Ländern mit niederen Löhnen nur langsam einbürgern. Aber ist es nun die Aufgabe der Handsetzer, den Siegeszug der Maschine dadurch zu verlangsamen, dass sie selbst so bescheiden als möglich werden? Diese Art. die Maschine zu bekämpfen, wäre ja noch reaktionärer als die primitive Art der Arbeiter der vierziger Jahre, die die Maschinen einfach zertrümmerten. Sicherlich haben die Arbeiter nicht die Aufgabe, dem Eindringen der Maschine gleichmütig gegenüberzustehen, aber wo sie die Kraft besitzen, den Unternehmern Bedingungen zu stellen, gibt es nur eine Methode, die ebenso dem augenblicklichen Interesse der betroffenen Arbeiter wie dem dauernden Interesse des gesamten Proletariats und der allgemeinen Kulturentwicklung entspricht, und das ist nicht jene, die Konkurrenzfähigkeit der Handarbeiter gegenüber der Maschine durch geringen Lohn und lange Arbeitszeit möglichst zu steigern, sondern die, den Profit. den der Kapitalist aus der Maschine zieht, möglichst zu verringern, von der höheren Produktivität der Maschine möglichst viel für den Arbeiter herauszuschlagen durch Erhöhung des Lohnes und Verringerung der Arbeitszeit für die Maschinenarbeit. Das ist die einzige Methode, das Eindringen der Maschine nicht zu verhindern, aber es zu einem möglichst schmerzlosen zu gestalten. Nur in seltenen Ausnahmefällen haben die Arbeiter die Kraft, diese Methode zu erzwingen, aber die Buchdrucker erfreuen sich dieser seltenen Ausnahme. Und 1901 waren ihre Vertreter noch genügend mit Klassenbewusstsein erfüllt, um die daraus erstehenden Aufgaben zu begreifen. Damals legten sie den größten Wert darauf, die Lage der Maschinensetzer möglichst günstig zu gestalten. Sie erlangten für diese den achtstündigen Arbeitstag, wenigstens für Zeitungssatz, und die Aufhebung der Akkordarbeit. Sollte die Erneuerung des Tarifs eine erhebliche Verbesserung für die Buchdrucker bringen können, dann war vor allem der Hebel bei den Maschinensetzern anzulegen. Ohne eine bedeutende Verbesserung der Lage dieser Schicht drohte jede erhebliche Verbesserung der Lage der Handsetzer ein gefährliches Geschenk zu werden, denn sie musste den Antrieb zur Einführung der Setzmaschine steigern. Eine Verbesserung der Lage der Maschinensetzer musste daher für die Gesamtheit der Setzer eine conditio sine qua non sein, eine für ihre Selbsterhaltung unerlässliche Forderung, für die man auch einen Kampf nicht scheuen durfte. Aber gerade wegen der Wichtigkeit dieses Punktes für die kommende Entwicklung der Arbeitsverhältnis im Buchdruckergewerbe bestanden die Unternehmer mit besonderer Zähigkeit darauf, hier nicht bloß keine Verbesserungen zuzulassen, sondern sogar positive Verschlechterungen durchzusetzen – nicht bloß relative Verschlechterungen, wie auf den anderen Gebieten, sondern absolute Verschlechterungen, Aufhebung schon bestehender Errungenschaften. Und so groß war entweder die Furcht vor einem Kampfe oder die Verständnislosigkeit für die Bedeutung dieser Position, dass die Gehilfenvertreter diese, die wichtigste und entscheidendste, kampflos preisgaben und mit den augenblicklichen Interessen der Maschinensetzer zugleich die dauernden der gesamten Setzerschaft verrieten. Sie stimmten der Einführung der Akkordarbeit an der Maschine beim Zeitungssatz zu, der Festsetzung einer Mindestleistung für die Ausbildung der Maschinensetzer, sowie einer Bestimmung über das Putzen der Maschine, das von jetzt an außerhalb der Arbeitszeit geschehen darf, einer Bestimmung, die die Maschinensetzer einer Verlängerung der täglichen Arbeitszeit um eine halbe Stunde gleichsetzen (vergleiche zum Beispiel in der Beilage des „Korrespondent" vom 30. Oktober den Artikel von C. N.: „Das Berechnen an der Setzmaschine"). Damit haben sie nicht bloß die Lage der Maschinensetzer erheblich verschlechtert. sondern auch den Profit erheblich vermehrt, den die Setzmaschine dem Unternehmer abwirft und damit den Antrieb verstärkt, Handsetzer durch Setzmaschinen zu verdrängen. Die „kluge Realpolitik" des Friedens um jeden Preis hat also dahin geführt, gerade in der für die Entwicklung des Arbeitsverhältnis wichtigsten Frage die Interessen der Arbeiterschaft völlig preiszugeben. Und das ist der dritte Grund, warum man von einem Bankrott der bisherigen Verbandstaktik reden kann. Nun tröstet sich Genosse Backhaus damit, dass, was diesmal versäumt worden, das nächste Mal nachgeholt werden wird. Wenn man inzwischen die Organisation ausbaue, werde sie bei der nächsten Tarifberatung schlagfertiger sein als jetzt. Ja, ist vom Ausbau der Organisation noch viel zu erwarten? Genosse Backhaus berichtigt mich, nicht 87 Prozent der Buchdrucker seien organisiert, „die Zahl dürfte 80 Prozent kaum überschreiten". Das ist gerade nicht sehr präzis ausgedrückt. Aber darüber möge er sich mit meiner Quelle auseinandersetzen. der Schrift von L. Brunner über „Die deutschen Gewerkschaften 1891 bis 1904" (Berlin, Verlag der Generalkommission), wo auf Tafel Ill angegeben ist, dass von je 100 Berufsangehörigen bei den Buchdruckern samt den Hilfsarbeitern 87,08 in Zentralverbänden organisiert waren. Man kann doch nicht annehmen, dass die Hilfsarbeiter prozentuell bester organisiert seien als die eigentlichen Buchdrucker. Aber auch wenn die Zahl der organisierten Buchdrucker wirklich nur 80 Prozent betrüge, so wäre diese Zahl schon eine so hohe, dass eine erhebliche Stärkung der Organisation nicht mehr zu erwarten ist. Um so sicherer aber darf man etwas anderes erwarten: die Krise. Nach fünf Jahren sind die fetten Zeiten der Hochkonjunktur längst vorbei und stecken wir wahrscheinlich tief im Sumpfe der Depression. Und inzwischen ist der technische Fortschritt auch nicht stehen geblieben und hat die Setzmaschine weitere Fortschritte gemacht: und unter solchen Umständen will man im Kampfe das erobern, wofür man heute von vornherein jeden Kampf wegen angeblicher Aussichtslosigkeit ausgeschlossen hat? Was man in dem Jahre nicht wagt, wo 84 Prozent aller Lohnbewegungen erfolgreich verliefen, wo die Zahl der Arbeitslosen auf ein Minimum reduziert war, soll errungen werden in Zeiten stärkster Arbeitslosigkeit. die jeden Angriffsstreik unmöglich macht.. Indes mehr noch als durch Krise und Setzmaschine wird in den kommenden Jahren die Kampfesfähigkeit des Buchdruckerverbandes bedroht durch den Geist, der in ihm gehegt und gepflegt wird. Der Geist ist in allen Kämpfen der entscheidende Faktor, nicht irgend ein gespenstischer Geist, sondern der durch bestimmte Bedingungen naturgesetzlich erzeugte Wille. Die Bedingungen zur Erzeugung von Kampfesfähigkeit sind aber im Buchdruckerverband zurzeit die denkbar ungünstigsten Zur Kampfesfähigkeit gehört vor allem die Erkenntnis, dass der Kampfpreis den Kampf lohnt. Nun, der „Korrespondent" redet seinen Lesern systematisch ein, dass unter den gegebenen Umständen nicht mehr zu erreichen sei, als die Unternehmer ohnehin geben, dass diese ruiniert würden, wenn sie mehr bewilligten. Er redet ihnen aber auch ein, dass die Unternehmer schon ohne Kampf alles zugeständen, was sie geben könnten, dass also selbst durch einen siegreichen Kampf nicht mehr zu erreichen sei als durch friedliche Vereinbarung. Wer wollte unter solchen Umständen die Opfer und Gefahren eines Kampfes auf sich nehmen? Der „Korrespondent" erzeugt aber überdies systematisch in seinen Lesern das Gefühl, dass nicht bloß der Preis einen Kampf nicht lohne, sondern auch, dass der Verband einem Kampfe nicht gewachsen sei, dass ein solcher naturnotwendig zur Niederlage führe. Wenn Genosse Backhaus das leugnet, so verweise ich ihn auf die in meinem ersten Artikel darüber vorgeführten Zitate, die die sichere Niederlage für die Buchdrucker im Falle eines Streikes prophezeien. Natürlich wäre es eine Torheit, den Streik um jeden Preis zu predigen. Man darf ohne Not keinen Streik unter ungünstigen Verhältnissen beginnen und man kann unter Umständen auch ohne Streik viel erreichen. Nie aber wird eine Gewerkschaft nennenswerte Konzessionen erlangen ohne die Streikfähigkeit, ohne die Entschlossenheit ihrer Mitglieder zum Kampfe, ohne die Zuversicht ihrer Mitglieder, dass sie dem Gegner im Kampfe gewachsen sind, und ohne die Überzeugung der Gegner, dass sie einen verderblichen Kampf heraufbeschwören, wenn sie den Bogen zu straff spannen. Wohl muss ein General bei der Verwendung seiner Truppen jede denkbare Vorsicht anwenden, er darf sie nicht leichtfertig und ohne Not ins Feuer schicken und muss, wenn sich sein Ziel durch Unterhandlungen erreichen lässt, diese vorziehen. Aber bei alledem muss er stets darauf bedacht sein, in seinen Truppen das Bewusstsein ihrer Schlagfertigkeit und der Notwendigkeit der Überwindung des Gegners wach zu halten. Was immer er durch Manöver und Unterhandlungen erreichen mag, er kann es nur erreichen au der Spitze eines schlagfertigen und entschlossenen Heeres, das in die Schlacht zu schicken er bereit ist, wenn die Unterhandlungen nicht ein befriedigendes Resultat ergeben, er kann es nur erreichen, wenn die Truppen mit Freuden bereit sind, jedes Opfer für den Sieg zu bringen. Der „Korrespondent" hat aber systematisch in den Führern und den Massen des Buchdruckerverbandes das Gefühl genährt, dass ein Kampf unter allen Umständen vermieden werden müsse, da er nur mit einer Niederlage endigen könne, und hat so einen Geist erzeugt, der allerdings von vornherein zu jedem Kampfe untauglich machte. Mit diesem Geist lassen sich allerdings keine Schlachten schlagen und keine Streiks gewinnen. Da muss man sich mit dem zufrieden geben, was die Herren Prinzipale gewähren, und um Siege zu bringen, bleibt nichts übrig, als Niederlagen als Siege zu preisen und jeden als einen Feind der Buchdrucker zu beschimpfen, der dieses sinnreiche Verfahren nicht mitmacht. Da verschwindet aber auch jede Möglichkeit künftiger Siege. Denn die Unternehmer kennen nun diese Stimmung selbst aufs Genaueste, sie wissen, dass sie, solange der heutige Geist des „Korrespondent" herrscht, keinen Kampf zu fürchten haben, dass sie dem Verband alles bieten dürfen, dass dessen geistige Vertreter Mut und Entschiedenheit nicht zum Kampfe gegen die Unternehmer, sondern nur zur Verleumdung der Sozialdemokratie finden. Und das ist die vierte und schlimmste Seite des Bankrotts der gewerkschaftlichen Taktik des Buchdruckerverbandes. Werden die Buchdrucker aus dem unbefriedigenden Ergebnis der diesjährigen Tarifverhandlungen erkennen, dass der jetzt verfolgte Weg in den Sumpf führt, dass sie eine andere Richtung einschlagen müssen, die sie nicht von der allgemeinen Arbeiterbewegung entfernt, sondern der großen Armee des gesamten kämpfenden Proletariats zuführt? Wer vermöchte das heute zu sagen. Sehr ermutigend ist es aber nicht, wenn selbst Parteigenossen unter den Buchdruckern, wie Backhaus, kein Empfinden für das verächtliche Treiben Rexhäusers haben und dessen infame Beschimpfungen des kämpfenden Proletariats und seiner großen Ziele gelassen hinnehmen, dagegen jede Kritik, die von Parteiorganen am „Korrespondent“ oder am neuen Tarif geübt wird, als eine Beleidigung der Buchdrucker entrüstet abwehren. Das ist ebenso zu bewerten, wie wenn das deutsche Volk sich mit seinem „Führer“ Podbielski solidarisch erklärte und jede Brandmarkung des biederen Pod als eine Beschimpfung der deutschen Nation empfände, die gerochen werden muss. Aus jeden Fall haben die Buchdrucker, solange der Verband seine bisherige Taktik weiter verfolgt. keine Aussicht. etwas anderes in stetig wachsender Progression zu erlangen, als – Bescheidenheit – jene verdammte Bedürfnislosigkeit, gegen die Lassalle bereits wetterte. Die Zufriedenheit so mancher unter ihnen mit ihrem „Erfolge" zeigt, dass nicht wenige es aus diesem Gebiete schon unglaublich weit gebracht haben. Indes Bescheidenheit ist eine Zier, Doch weiter kommt man ohne ihr. |
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