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Karl Kautsky 19060726 P. Krapotkin, Memoiren eines russischen Revolutionärs

Karl Kautsky: P. Krapotkin, Memoiren eines russischen Revolutionärs

Mit Vorwort von Georg Brandes. Volksausgabe. Stuttgart. Robert Lutz. 4 Mark.

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 24.1905-1906, 2. Band (1905-1906), Heft 44 (26. Juli 1906), S. 615 f.]

In höchst anziehender und fesselnder Weise wird man an der Hand dieser Memoiren in das alte Russland eingeführt. Und wer dieses kennen lernen will, ohne mühsames und trockenes Studium, auf belletristisch amüsante und doch zuverlässige Weise, dem ist das Krapotkinsche Buch sehr zu empfehlen.

Das heutige Russland und dessen heutige sozialistische Bewegung lernt man daraus freilich nicht kennen. 1876, also gerade damals, als das moderne Russland sich zu entwickeln begann, verließ Krapotkin sein Vaterland. Von der ganzen ungeheuren Umwälzung der Dinge und der Köpfe, die seitdem in Russland stattgefunden, findet sich nicht der leiseste Reflex in dem Buche. Dem großen russischen Befreiungskampf, der in den letzten drei Jahrzehnten mit steigender Wucht schließlich zu dem riesenhaften Heldendrama unserer Zeit anwuchs, steht Krapotkin verständnislos, ja man kann sagen fast teilnahmslos gegenüber. Der Name dieses „russischen Revolutionärs" gilt heute nichts in der russischen Revolution.

Aber auch, was Krapotkin über seine Erfahrungen während der letzten dreißig Jahre in der Schweiz, Frankreich und England mitzuteilen weiß, ist äußerst unbedeutend. Wenn spätere Jahrhunderte über unsere Zeit nichts wüssten, als was in den Memoiren dieses Revolutionärs enthalten ist. sie hätten von dem ganzen revolutionären Ringen des Proletariats unserer Zeit kaum eine Ahnung.

Die geistige Bedeutung Krapotkins zeigt sich in dem, was er uns über die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens erzählt. Da ist alles interessant, anziehend, anregend. Die Bedeutungslosigkeit und Unfruchtbarkeit des Anarchismus zeigt sich in dem, was uns Krapotkin über die Zeit zu erzählen weiß, in der er, nach seiner Flucht auf Russland, zum anarchistischen Theoretiker wurde. Zum Glück für das Buch umfasst das nur dessen letzte Kapitel.

K. K.

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