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Karl Marx 18421117 An den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Schaper

Karl Marx: [An den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Schaper1]

[Geschrieben am 17. November 1842. Nach der Handschrift. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 394-397]

Hochzuverehrender Herr Oberpräsident! Hochwohlgeborener Herr!

Ew. Hochwohlgeboren haben mir durch den Regierungspräsidenten Herrn v. Gerlach zu Köln am 12ten dieses Monats ein Reskript des Zensurministeriums und außerdem zwei Verfügungen vorlegen und mich darüber zu Protokoll vernehmen lassen. In Betracht der Wichtigkeit der mir abverlangten Erklärungen zog ich es vor, statt im Protokoll mich bestimmt zu äußern, mich heute schriftlich an Ew. Hochwohlgeboren zu wenden.

1. Was das Reskript des Zensurministeriums und insbesondere die Aufforderung betrifft, die „Rh[einische] Z[eitung]" solle ihre Tendenz ändern und eine der Regierung gefällige annehmen, so vermag ich diese Forderung nur in Bezug auf die Form zu deuten, deren Moderierung, soweit es der Inhalt erlaubt, nachgegeben werden kann. Die Tendenz einer Zeitung, welche wie die „Rheinische" nicht bloß ein gesinnungsloses Amalgam von trocknen Referaten und niedrigen Lobhudeleien ist, sondern mit einer eines edlen Zwecks bewussten2 Kritik die staatlichen Verhältnisse und Einrichtungen des Vaterlandes beleuchtet, scheint uns nach den in der jüngst erlassenen Zensurinstruktion3 und auch anderwärts oft geäußerten Ansichten Sr. Majestät nur eine der Regierung genehme Tendenz sein zu können. Dem verantwortlichen Redakteur ist auch bis jetzt niemals eine Missbilligung dieser Tendenz zu erkennen gegeben worden. Da die „Rh. Z." überdem der strengsten Zensur unterworfen ist, wie ließe sich ihre Unterdrückung als erste Warnung rechtfertigen?

Die „Rh. Z." wird, dies kann ich Ew. Hochwohlgeboren versichern, auch fernerhin, soviel an ihr liegt, den Weg des Fortschritts, auf welchem Preußen dem übrigen Deutschland vorangeht, bahnen helfen. Ebendeshalb aber muss ich den mir im Reskript gemachten Vorwurf zurückweisen, als suchte die „Rh. Zeit." französische Sympathien und Ideen im Rheinlande zu verbreiten. Die „Rh. Z." hat es sich vielmehr4 als Hauptaufgabe gestellt, die Blicke, welche noch bei so vielen auf Frankreich hafteten, auf Deutschland zu richten und statt eines französischen einen deutschen Liberalismus hervorzurufen, der der Regierung Friedrich Wilhelm des Vierten gewiss nicht ungenehm sein kann. Die „Rh. Z." hat hierbei stets auf Preußen, von dessen Entwicklung die des übrigen Deutschlands abhängt, hingewiesen. Den Beweis dieser Tendenz liefern die polemisch gegen die antipreußischen5 Bestrebungen der Augsburger Zeitung gerichteten Artikel über die „Preußische Hegemonie".6 Den Beweis liefern alle Aufsätze über den preußischen Zollverein gegen die Artikel des Hamburger „Correspondenten" und anderer Zeitungen, worin die „Rh. Z." den Beitritt von Hannover, Mecklenburg und der Hansastädte mit der größten Ausführlichkeit als das einzig Ersprießliche dargestellt hat. Den Beweis liefert vor allem das stete Hinweisen auf norddeutsche Wissenschaft im Gegensatz zu der Oberflächlichkeit nicht nur der französischen, sondern auch der süddeutschen Theorien. Die „Rh. Zeitung" war das erste rheinische und überhaupt süddeutsche Blatt, welches den norddeutschen Geist7 in die Rheinprovinz und Süddeutschland einführte, und wodurch könnte man die getrennten Stämme unzertrennlicher binden, als durch geistige Einheit, welche die Seele und die einzige Garantie der politischen Einheit gegen alle äußeren Stürme ist!

Was die angeblich irreligiöse Tendenz der „Rh. Z." betrifft, so kann es den höchsten Behörden nicht unbekannt sein, dass ganz Deutschland und vorzugsweise Preußen über den Gehalt eines bestimmten positiven Glaubens – und nur von diesem, nicht von der Religion, die wir nie angetastet haben und nie antasten werden, handelt es sich – in zwei Heerlager geteilt ist, die beide in Wissenschaft und Staat hochgestellte Männer unter ihre Verfechter zählen. Soll eine Zeitung in einem unentschiedenen Zeitkampf keine oder nur eine ihr auf amtlichem Wege vorgeschriebene Partei ergreifen?8 Zudem haben wir nie das Zeitungsterrain überschritten, sondern Dogmen wie kirchliche Doktrinen und Zustände überhaupt nur insofern berührt, als9 andere Zeitungen die Religion zum Staatsrecht machen und aus ihrer eigenen Sphäre in die Sphäre der Politik versetzen wollten. Es wird uns sogar ein leichtes sein, jeden unserer Aussprüche durch ähnliche und stärkere Aussprüche eines preußischen Königs, Friedrichs des Großen, zu decken, und wir halten diese Autorität für eine Autorität, auf die sich preußische Publizisten wohl berufen dürfen.

Die „Rheinische Zeitung" darf also glauben, den in der Zensurinstruktion niedergelegten Wunsch Sr. Majestät nach einer unabhängigen, freisinnigen Presse vorzugsweise realisiert und hierdurch nicht wenig zu den Segenssprüchen beigetragen zu haben, mit welchen gegenwärtig ganz Deutschland Sr. Majestät unsern König auf seiner emporstrebenden Laufbahn begleitet.

Die „Rh. Z.", Ew. Hochwohlgeboren, ist nicht auf Buchhändlerspekulation, nicht in Aussicht irgendeines Gewinnes gegründet. Eine große Anzahl der angesehensten Männer Kölns und der Rheinprovinz haben in gerechtem Unwillen über den jammervollen Zustand der deutschen Presse den Willen Sr. Majestät des Königs nicht besser ehren zu können geglaubt, als indem sie in der „Rh. Z." ein Nationaldenkmal gründeten, ein Blatt, welches charaktervoll und furchtlos die Sprache freier Männer führe und, allerdings eine seltene Erscheinung, den König die wahre Stimme des Volkes vernehmen lasse. Die beispiellos schnelle Verbreitung dieses Blattes beweist, wie sehr es die Volkswünsche verstanden hat. Zu diesem Zweck haben jene Männer ihre Kapitalien hergegeben, zu diesem Zweck kein Opfer gescheut, und nun mögen Ew. Hochwohlgeboren selbst entscheiden, ob ich als das Organ dieser Männer erklären kann und darf: Die „Rheinische Zeitung" werde ihre Tendenz ändern, ob ihre Unterdrückung an einer einzelnen Privatperson und nicht vielmehr an der Rheinprovinz und dem deutschen Geist überhaupt Gewalt üben werde?

Um übrigens der Regierung zu beweisen, wie sehr ich ihre Wünsche, soweit sie mit dem Beruf eines unabhängigen Blattes vereinbar sind, zu erfüllen bereit bin, will ich, wie es schon seit einiger Zeit geschehen ist, möglichst von allen kirchlichen und religiösen Gegenständen abstrahieren, wo nicht andere Zeitungen und die politischen Verhältnisse selbst eine Bezugnahme auf dieselben notwendig machen.10

2. Was nun zweitens die Forderung Ew. Hochwohlgeboren betrifft, den Dr. Rutenberg sofort zu entlassen, so habe ich schon am 14. Febr. dem Regierungspräsidenten v. Gerlach erklärt, dass derselbe keineswegs Redakteur der „Rheinischen Zeitung" sei, sondern nur als Übersetzer bei derselben fungiere. Auf die mir durch den Präsidenten Herrn v. Gerlach mitgeteilte Drohung, im Falle der nicht alsbaldigen Entlassung Rutenbergs die Zeitung sofort zu unterdrücken, habe ich, der Gewalt nachgebend, ihn einstweilen von jeder Teilnahme an der Zeitung entfernt. Da mir aber keine gesetzliche Bestimmung bekannt ist, wonach dieser Punkt des Reskripts sich rechtfertigen ließe, so ersuche ich Ew. Hochwohlgeboren um Namhaftmachung einer solchen Bestimmung, eventualiter um schleunige Entscheidung, ob es bei dem gefassten Beschluss verbleiben solle oder nicht, damit ich auf instanzmäßigem Wege mein gesetzliches Recht in Anspruch nehmen kann.

3. Was den dritten Punkt, die Präsentation eines Redakteurs betrifft, so sind nach dem Zensurgesetz vom 18. Okt. 1819, § [IX], nur die obersten Zensurbehörden berechtigt, die Präsentation eines Redakteurs zu verlangen. Eine Bestimmung, die diese Berechtigung auf die Oberpräsidenten übertrüge, ist mir nicht bekannt. Ich bitte daher um Bezeichnung derselben, eventualiter um eine dies verordnende Verfügung des Zensurministeriums. Sehr gern, aber nur in diesem Falle, werde ich einen Redakteur zur Genehmigung präsentieren.

1 Mitte November 1842 entstand ein scharfer Konflikt zwischen der preußischen Regierung und der „Rheinischen Zeitung". Marx als ihr leitender Redakteur bemühte sich sehr, das drohende Verbot der Zeitung abzuwenden.

Am 12. November 1842 wurden dem Buchhändler und Verleger der „Rheinischen Zeitung" Joseph Engelbert Renard (die „Rheinische Zeitung" erschien mit dem Vermerk: „Redigiert unter J. E. Renards Verantwortlichkeit") vom Regierungspräsidenten von Gerlach ein Ministerialreskript und zwei Verfügungen vorgelegt, zu denen Marx eine Erklärung schrieb, die, von Renard abgeschrieben und unterzeichnet, dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Schaper zugestellt wurde.

Die erhalten gebliebene Handschrift weist Streichungen in Tinte von Marx' Hand und Bleistiftstreichungen von anderer Hand auf. Die eingereichte Eingabe stimmt mit dem korrigierten Marxschen Text überein (siehe „Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830-1850". Hrsg. von Joseph Hansen. l. Bd. Essen a.d. Ruhr 1919. S. 377-380).

In den Fußnoten werden die wichtigsten Streichungen ausgewiesen.

2 Nach „bewussten" gestrichen: (wenn auch scharfen)

3 Die Zensurinstruktion wurde am 24.Dezember 1841 erlassen und am 14. Januar 1842 in der halbamtlichen „Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung" veröffentlicht.

4 Nach „vielmehr" gestrichen: nicht wenig dazu beigetragen

5 nach „antipreußischen" gestrichen: Tendenzen

6 Die „Rheinische Zeitung" brachte u.a. die Artikel „Auch eine Stimme über eine ,Hegemonie in Deutschland'" (im Beiblatt vom 15. Mai 1842), „Hegemonie in Deutschland" (im Beiblatt vom 26. Mai 1842), „Weitere Verhandlungen über die Hegemonie Preußens" (im Beiblatt vom 21. Juni 1842) und „Über Preußens Hegemonie" (14. Juli 1842).

7 nach „den norddeutschen Geist" mit Bleistift gestrichen: den protestantischen Geist

8 mit Bleistift gestrichen: Wenn es Luthern nicht verdacht wird, trotz Kaiser und Reich die damalige alleinige Daseinsweise des Christentums, die katholische Kirche, in einer sogar zügellosen und alles Maß überschreitenden Form angegriffen zu haben, soll es in einem protestantischen Staat verboten werden, eine dem jetzigen Dogma entgegenstehende Ansicht nicht durch einzelne frivole Ausfälle, sondern durch konsequente Ausführungen einer ernsten und vorzugsweise deutschen Wissenschaft zu vertreten?

9 Nach „als" gestrichen: man sie zu politischen Lehren. Axiomen und Vorschriften verwendete

10 dieser Absatz wurde von Marx mit dem Verweis** nachträglich eingefügt; er befindet sich am Schluss der Handschrift

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