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Karl Marx 18420427 Brief an Arnold Ruge

Karl Marx: Brief an Arnold Ruge

in Dresden

[Nach Marx Engels Werke, Band 27, Berlin 1963, S. 402 f.]

Bei Maschinenmacher Krämer

Bonn, den 27.April [1842]

Lieber […]1

Sie müssen nicht ungeduldig werden, wenn meine Beiträge sich noch einige Tage, aber nur wenige Tage noch verziehen. Bauer wird Ihnen vielleicht mündlich mitteilen, wie sehr dieser Monat durch allerlei äußeren Wirrwarr mir das Arbeiten fast unmöglich machte.

Dennoch bin ich beinahe fertig. Ich werde Ihnen vier Aufsätze einsenden: 1. „über religiöse Kunst", 2. „über die Romantiker", 3. „das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule", 4. „die positiven Philosophen", die ich ein wenig gekitzelt habe. Die Aufsätze hängen dem Inhalt nach zusammen.2

Den Aufsatz über religiöse Kunst erhalten Sie in einem Duodezauszug, da die Sache unter der Hand beinahe zu einem Buch herangewachsen ist und ich in allerlei Untersuchungen hineingeraten bin, die noch längere Zeit hinnehmen werden.

Meinen Plan, in Köln zu residieren, habe ich aufgegeben, da das Leben mir dort zu geräuschvoll ist und man vor lauter guten Freunden nicht zur bessern Philosophie kommt.

Der „Rheinischen Zeitung" habe ich einen langen Aufsatz über unsren letzten rheinischen Landtag mit einer frivolen Introduktion über die „Preußische Staats-Zeitung" zugesandt. Bei Gelegenheit der Pressdebatten komme ich wieder auf Zensur und Pressfreiheit zurück von andren Gesichtspunkten aus.

Einstweilen wird also Bonn meine Stätte bleiben, und es wäre auch schade, wenn niemand hierbliebe, an dem die Heiligen ein Ärgernis nehmen.

Gestern kam der Hasse aus Greifswald an, an dem ich nie etwas andres als seine großen Landpfarrerstiefel bewundert habe. Er sprach auch ganz wie ein Landpfarrerstiefel, wusste von Gott und der Welt nichts, präpariert die Ausgabe eines mehrbändigen Buchs über den langweiligen Anseimus von Canterbury, woran er 10 Jahre gesessen3, meint, die jetzige Kritik sei ein Moment, was überwunden werden müsse, spricht von der Religiosität als einem Produkt der Lebenserfahrung, worunter er wahrscheinlich seine gedeihliche Kinderzucht und seinen dicken Bauch versteht, denn dicke Bäuche machen allerlei Erfahrungen und, sagt Kant, wenn's nach hinten geht, wird's ein F., wenn nach oben, eine religiöse Inspiration. Der fromme Hasse mit seinen religiösen Verstopfungen!

Was wir hier aus Ihren Briefen über den Vatkeschen Mangel an „vollem Herzen" erfahren haben, war uns höchst ergetzlich. Dieser superkluge diplomatische Vatke, der so gern der größte Kritiker und der größte Gläubige wäre, der es immer am besten weiß, hat nun für die eine Partei kein Herz und für die andre keinen Kopf. Hic jacet4 Vatke, ein denkwürdiges Beispiel, wohin die Sucht zum Kartenspiel und zur religiösen Musik führt.

Der Fichte, der sich hier in den Mantel seiner Unpopularität einhüllt, hat das halb zweideutige Gerücht verbreitet, dass er nach Tübingen berufen. Die Fakultät entspricht seinem Wunsche nicht, ihn durch Gehaltszulage zu fesseln.

Sack reist in aller Frömmigkeit nach Berlin, um auf die Verrücktheit seines Bruders zu spekulieren und dessen Stelle zu rogieren5.

Nichts als Krieg und Liederlichkeit, sagt Thersites, und wenn man der hiesigen Universität keine Kriege vorzuwerfen hat, so fehlt's wenigstens an Liederlichkeit nicht.

Wollen Sie Ihre Reise an den Rhein nicht einmal durchführen?

Ihr

Marx

1 Der Name ist im Original von unbekannter Hand unkenntlich gemacht

2 Von den hier von Marx aufgezählten Aufsätzen wurde nur die Arbeit „Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule" veröffentlicht. Sie erschien außer dem „Kapitel über die Ehe" in der „Rheinischen Zeitung" Nr.221 vom 9.August 1842 (siehe Band I unserer Ausgabe, S.78 -85). Der Aufsatz „Die positiven Philosophen" stellte offenbar eine Analyse und Kritik der sog. „positiven Philosophie" dar.

3 Der erste Teil des Buches „Anselm von Canterbury" von Friedrich Rudolf Hasse erschien 1843, der zweite 1852.

4 Hier ruht

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