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Karl Marx 18421129 Die polemische Taktik der Augsburger Zeitung

Karl Marx: Die polemische Taktik der Augsburger Zeitung

[Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 399-404]

[„Rheinische Zeitung" Nr. 334 vom 30. November 1842]

Es ist nur ein Gelüst des Bluts,

eine Nachgiebigkeit des Willens!"1

* Koln, 29. Nov.

Die Augsburger „Allgemeine Zeitung" beobachtet bei ihrer gelegentlichen Polemik gegen die „Rheinische Zeitung" eine ebenso eigentümliche als lobenswerte Taktik, welche, mit Konsequenz durchgeführt, ihren Eindruck auf den oberflächlichen Teil des Publikums nicht verfehlen kann. Bei jeder Zurechtweisung, die ihren Attacken auf Prinzip und Tendenz der „Rhein. Ztg." galt, bei jeder wesentlichen Streitfrage, bei jedem prinzipiellen Angriff von Seiten der „Rheinischen Zeitung" hüllte sie sich in die vieldeutige Toga des Schweigens, indem es immer unentschieden bleibt, ob dies Schweigen dem Bewusstsein der Schwäche, die nicht antworten kann, oder dem Bewusstsein der Überkraft, die nicht antworten will, sein unscheinbares Dasein verdankt. Wir hätten in dieser Beziehung der Augsburgerin keine besonderen Vorwürfe zu machen, denn sie behandelt uns, wie sie Deutschland behandelt, dem sie ihre Teilnahme durch ein tiefsinniges Schweigen, das nur selten von Reisenotizen, Gesundheitsbulletins und paraphrasierten Hochzeitsgedichten unterbrochen wird, am gedeihlichsten dartun zu können glaubt, und die Augsburgerin mag recht haben, wenn sie ihr Schweigen als einen Beitrag zur öffentlichen Wohlfahrt betrachtet.

Allein die Augsburgerin handhabt neben der Taktik des Schweigens noch eine andere Manier der Polemik, die in ihrer breiten, selbstgefälligen und hoch beteuernden Redseligkeit gleichsam die aktive Ergänzung zu jener passiven und melancholischen Stille bietet. Die Augsburgerin schweigt, wo es den Prinzipienkampf, den Kampf um das Wesen gilt; aber sie lauscht im Versteck, sie beobachtet von weitem, sie erlauert den Augenblick, wo ihre Gegnerin die Toilette vernachlässigt, einen faux pas beim Tanze verbricht, ihr Schnupftuch fallen lässt, und – „sie spreizt sich tugendlich und dreht sich weg"2, sie schmettert den lang verhaltenen, wohlmeinenden Arger mit imperturbablem Aplomb, mit dem ganzen Zorn der Toilettenprüderie in die Luft und ruft Deutschland zu: „Da seht ihr's, das ist der Charakter, das die Gesinnung, das die Konsequenz der ,Rheinischen Zeitung'!" „Dort ist Hölle, dort ist Nacht, dort ist der Schwefelpfuhl, Brennen, Sieden, Pestgeruch, Verwesung, – pfui, pfui, pfui! – Pah! Pah! – Gib etwas Bisam, guter Apotheker!"

Bei Gelegenheit solcher Basen-Impromptus weiß die Augsburgerin nicht nur ihre verschollene Tugend, ihre Ehrbarkeit und gesetztes Alter dem vergesslichen Publikum in das treulose Gedächtnis zu rufen, nicht nur mit abgelebten und verwelkten Erinnerungen die eingefallenen Schläfen zu schmücken, sondern außer diesen kleinen und harmlosen Erfolgen der Koketterie noch andere praktische Erfolge zu erschleichen. Sie steht, quasi re bene gesta3, der „Rheinischen Zeitung" gegenüber, polternd, verweisend, provozierend, eine rüstige Kämpferin, und die Welt vergisst über der petulanten Provokation das altersschwache Schweigen und die eben erst erfolgte Retraite. Zudem entsteht der geflissentlich gehegte Schein, als drehe sich der Kampf der Augsburger „A. Z." und der „Rheinischen Ztg." um dergleichen Erbärmlichkeiten, skandalöse Histörchen und Toilettensünden. Das Heer der Geist- und Gesinnungslosen, das den wesentlichen Kampf, indem wir sprechen und die Augsburgerin schweigt, nicht versteht, dagegen in den mäkelnden Häkeleien und kritischen Kleinigkeiten der Augsburger „A.Z." seine eigene schöne Seele wiederfindet, klatscht dann Beifall und huldigt der ehrbarlichen Frau, die in ebenso gewiegter als gemessener Weise ihre ungestüme Gegnerin züchtigt, mehr um zu erziehen, als um zu verletzen. In Nr. 329 der Augsburger „A.Z." findet sich wieder eine Probe dieser altklugen, widerlichen und kleinstädtischen Polemik.

Ein Korrespondent vom Main berichtet, die „Allg. Augsb. Ztg." habe Julius Mosens politischen Roman „Der Kongress von Verona" gelobt, weil er im Verlage von Cotta erschienen sei. Wir gestehen, dass wir auf den literarisch-kritischen Teil der Augsburger „A. Z." seiner Nichtigkeit wegen nur gelegentlich einen Blick werfen, auch ihre Kritik über Mosen nicht kennen, hierin dem Gewissen des Korrespondenten uns a discretion anvertrauten. Den Tatbestand als richtig vorausgesetzt, fehlte es der Korrespondenz nicht an innerer Wahrscheinlichkeit, da nach neueren mit Schikanen, aber nicht mit Gründen widerlegten Aufklärungen die Unabhängigkeit des kritischen Gewissens der „Allg. A.Z." von dem Druckorte zu Stuttgart wenigstens bezweifelt werden darf. Bleibt also übrig, dass wir den Druckort des politischen Romans nicht kannten, und enfin, es ist keine politische Todsünde, den Druckort eines Romans nicht zu kennen.

Später auf die irrtümliche Angabe des Druckorts aufmerksam gemacht, erklärte die Redaktion in einer Note:

Wir erfahren soeben, dass der „Kongress von Verona" von dem Dichter Julius Mosen keineswegs bei Cotta erschien und bitten daher unsere Leser, die in Nr. 317 d. J. befindliche Korrespondenz vom Main hiernach berichtigend zu beurteilen."

Da der Hauptvorwurf des Mainer Korrespondenten wider die Augsburger „Allgemeine Zeitung" einzig auf der Prämisse beruhte, der „Kongress von Verona" sei bei Cotta erschienen, da wir erklärten, er sei nicht bei Cotta erschienen, da jedes Räsonnement durch Aufhebung seiner Prämisse von selbst fällt, so dürften wir allerdings an die Urteilskraft der Leser die überschwängliche Anforderung stellen, nach dieser Erklärung jene Korrespondenz zu berichtigen, und wir konnten glauben, unser Unrecht gegen die Augsburger „A. Z." gesühnt zu haben. Aber die Augsburger Logik! Die Augsburger Logik interpretiert unsere Berichtigung folgendermaßen:

Wäre Mosens ,Kongress von Verona' bei Cotta erschienen, so wäre er von allen Freunden des Rechts und der Freiheit als ein schlechter Krebs und Ladenhüter zu betrachten; da wir aber nachträglich erfahren, dass er in Berlin herausgekommen, so bitten wir unsere verehrten Leser, ihn nach des Dichters eigenen Worten als einen der Geister der ewigen Jugend zu begrüßen, die auf strahlensprühender Bahn einherschreiten und dem alten Gelichter eisern aufs Genick treten."

Der Bursch führt seinen Bogen wie eine Vogelscheuche: Spannt mir eine volle Tuchmacherelle4! – Ins Schwarze, ins Schwarze! – Hui!"5

Das ist", ruft die Augsburgerin triumphierend, „das ist, was die ,Rheinische Zeitung' ihre Gesinnung, ihre Konsequenz nennt!"

Hat die „Rheinische Zeitung" jemals die Konsequenzen der Augsburger Logik für ihre Konsequenz oder gar die Gesinnung, auf welcher diese Logik basiert, für ihre Gesinnung erklärt? Die Augsburgerin hätte nur schließen dürfen: „Das ist die Art und Weise, wie man zu Augsburg Konsequenz und Gesinnung missversteht!" Oder glaubt die Augsburger „A[llgemeine] Zeitung" im Ernst, wir hätten in Mosens Trinkspruch einen berichtigenden Kommentar zur Beurteilung des „Kongresses von Verona" liefern wollen? Wir haben das Schillerfest weitläufiger im Feuilleton besprochen, wir haben auf Schiller „als den Propheten der neuen Bewegung der Geister" (Nr. 326, Korrespondenz aus Leipzig) und auf die daraus sich ergebende Bedeutung des Schillerfestes hingewiesen, und warum sollten wir Mosens Trinkspruch, der diese Bedeutung hervorhob, zurückweisen?6 Etwa, weil er einen Ausfall auf die Augsburger „Allgemeine Ztg." enthält, den sie schon wegen ihrer Beurteilung Herweghs verdient hat? Das alles hatte aber doch nichts mit der Mainer Korrespondenz zu tun, wir hätten denn, was die Augsburgerin uns unterschiebt, schreiben müssen: „Der Leser beurteile die Korrespondenz vom Main in Nr. 317 nach Mosens Gedicht in Nr. 320." Diesen Unsinn bringt die Augsburger Logik exprès zustande, um ihn nachher uns an den Kopf werfen zu können. Das Urteil der „Rheinischen Zeitung" im Feuilleton zu Nr.317 über Mosens „Bernhard von Weimar" beweist, was keines Beweises bedarf, dass sie bei Mosen von ihrer gewohnten sachlichen Kritik sich um kein Haar entfernt hat.

Wir geben übrigens der Augsburgerin zu, dass selbst die „Rheinische Zeitung" kaum die literarischen Kondottieris von sich abzuwenden vermag; dies zudringliche und widerwärtige Geschmeiß, das in jener Zeitungsära, deren Inkorporation die Augsburger „A. Z." ist, – allerorten in Deutschland – empor wucherte.

Schließlich erinnert uns die „Augsburger Zeitung" an das Wurfgeschütz, das

mit großen Worten und Phrasen um sich wirft, welche die Wirklichkeit unberührt lassen".

Die Augsburger „A.Z." berührt allerdings alle mögliche Wirklichkeit, mexikanische Wirklichkeit, brasilianische Wirklichkeit, aber keine deutsche, aber nicht einmal bayrische Wirklichkeit, und wenn sie dergleichen einmal berührt, so gilt ihr unfehlbar der Schein für Wirklichkeit und die Wirklichkeit für Schein. Handelte es sich um die geistige und wahre Wirklichkeit, die „Rheinische Zeitung" könnte der Augsburgerin mit Lear zurufen: „Tu dein Ärgstes, blinder Amor. Sieh nur die Schriftzüge!", und die Augsburgerin würde mit Gloster antworten: „Wär'n alle Lettern Sonnen, ich sah' keine."7

[„Rheinische Zeitung" Nr.3 vom 3. Januar 1843]

*Die Augsburgerin ist in jenes Stadium getreten, wo das schöne Geschlecht die Jugend selbst nicht mehr zu heucheln wagt und nun den Schwestern nichts Erschrecklicheres vorzuwerfen weiß als eben die Jugend. In Nr. 360 hat indessen der Altersthermometer die ehrwürdige Sibylle wunderlich irregeführt. Sie spricht von der Kühlung des „jungen Mütchens" der „Rheinischen Zeitung" bei Gelegenheit eines Korrespondenten, der zufälligerweise ein Sechziger ist und ein Testimonium seiner Jugend schwerlich in den Spalten der Augsburger „Allg. Zeitung" zu finden gedachte. Aber so geht's! Bald ist die Freiheit zu alt, bald ist sie zu jung, niemals ist sie an der Tagesordnung, wenigstens nicht an der Tagesordnung der Augsburger „Allg. Ztg.", von der das Gerücht immer entschiedener behauptet, dass sie zu Augsburg erscheint.

[„Rheinische Zeitung" Nr. 12 vom 12. Januar 1843]

Wollte die Redaktion der „Rhein. Ztg." nun ein Nachwort in der Weise der „Allg. A. Ztg." vorstehender Korrespondenz hinzufügen, so könnten wir ihr selbst, die so gütig war, in der „Rheinischen Zeitung" den Fähnrich „Pistol" wiederzufinden, nur die Wahl lassen zwischen dem „Dorchen Lakenreißer" und der „Witwe Hurtig". Ihr männliches Glaubensbekenntnis aber würden wir bei dem Freund jener Damen, bei Falstaff, suchen: „Ehre beseelt mich vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein! Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Nahrung! Wer hat sie? Er, der vergangenen Mittwoch starb! Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung8 gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. – Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus."9 Und so endigt der politische Katechismus der Augsburger „A.Z.", so erinnert sie die Presse, dass man in kritischen Zeiten Arm und Bein verlieren könne, so verleumdet sie die Ehre, weil sie auf jede Ehre verzichtet hat, die verleumdet werden könnte.

Die Augsburger „A.Z." versprach, mit uns auf einen Prinzipienkampf einzugehen, und sie hat dies Versprechen gelöst. Sie hat keine, also ihre Prinzipien gegen uns in den Kampf geschickt; sie hat hier und da ihre Indignation uns zugesichert, kleine Verdächtigungen ausgestreut, kleine Berichtigungen versucht, große Miene zu ihren kleinen Leistungen gemacht, eine Altersherrschaft in Anspruch genommen, und in Bezug auf diesen Punkt, auf ihre Feteranentitel, können wir ihr zurufen, was Herr Dézamy dem Herrn Cabet zuruft:

Que monsieur Cabet ait bon courage: avec tant de titres, il ne peut manquer d'obtenir bientôt ses invalides!"10

Die Augsburgerin lebt von einem Rechnungsfehler, von einem Anachronismus. Die Form, das einzige, was sie in früheren Tagen besaß, selbst die Form, den partum litteraire, hat sie eingebüßt, eine spießbürgerliche, breite und anmaßende Formlosigkeit ist an die Stelle getreten, und niemand wird die Platitüde von „Herrn Puff" und das Gleichnis von „einem Frosche, der sich zum Ochsen aufgeblasen hat", elegant finden, weil er dergleichen in der Augsburger „A.Z." findet.

1 Shakespeare, „Othello", 1. Akt, 3. Szene.

Marx zitiert hier und im folgenden nach der Schlegel-Tieckschen Ausgabe der Werke Shakespeares.

2Shakespeare, „König Lear", 4. Akt, 6. Szene.

3 als wäre alles wohl getan

4 In der Zeitung: Tuchmacherrolle

5Shakespeare, „König Lear", 4. Akt, 6. Szene.

6 Am 24. November 1842 brachte die „Rheinische Zeitung" einen ausführlichen Bericht über das in Leipzig am 11 .November stattgefundene Schillerfest und über die sich daran anschließende Festtafel. Bereits am 16. November hatte die „Rheinische Zeitung" den Trinkspruch des Schriftstellers Julius Mosen auf dieser Festtafel veröffentlicht. In diesem Trinkspruch heißt es u.a.: „Doch duckt sich die Kluge, die Feine" (d.h. die alte Zeit),/ „Ungreifbar schleicht sie vorbei / Nach – Augsburg – in die Allgemeine –/ Als Literatur-Polizei."

7Shakespeare, „König Lear", 4. Akt, 6. Szene.

8

9 Shakespeare, „König Heinrich der Vierte". Erster Teil. 5. Akt, 1.Szene. In der Schlegel-Tieckschen Shakespeare-Ausgabe statt „Eine feine Nahrung": „Eine feine Rechnung".

10 „Monsieur Cabet sei guten Muts: mit so vielen Titeln kann es nicht anders sein, als dass er bald seinen lnvalidensold bekommt!" [T[héodore] Dezamy, „Calomnies et politique de M. Cabet. Réfutation par des faits et par sa biographie", Paris [1842], p.7, Note.]

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