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Karl Marx 18420518 Die Zentralisationsfrage

Karl Marx: Die Zentralisationsfrage

in Bezug auf sich selbst und in Bezug auf das Beiblatt der „Rheinischen Zeitung" zu Nr. 137, Dienstag, 17. Mai 18421

[Geschrieben nach dem 17. Mai 1842. Nach der Handschrift. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 379 f.]

Deutschland und Frankreich in Bezug auf die Zentralisationsfrage" mit dem Zeichen -:- -:- „Ob die Staatsmacht2 von einem Punkte ausgehen3 oder ob jede Provinz, jede Gemeinde sich selbst verwalten und die Zentralregierung erst da als die Macht des Ganzen auch die einzelnen Teile des Staates beherrschen soll, wo der Staat nach außen zu vertreten ist – über diese Frage sind die Ansichten noch sehr geteilt."

Eine Zeitfrage teilt mit jeder durch ihren Inhalt berechtigten, also vernünftigen Frage das Schicksal, dass nicht die Antwort, sondern die Frage die Hauptschwierigkeit bildet. Die wahre Kritik analysiert daher nicht die Antworten, sondern die Fragen. Wie die Lösung einer algebraischen Gleichung gegeben ist, sobald die Aufgabe in ihren reinsten und schärfsten Verhältnissen gestellt ist, so ist jede Frage beantwortet, sobald sie zur wirklichen Frage geworden ist. Die Weltgeschichte selbst hat keine andere Methode, als alte Fragen durch neue Fragen zu beantworten und abzutun. Die Rätselworte einer jeden Zeit sind daher leicht zu finden. Es sind die Zeitfragen, und wenn in den Antworten die Absicht und die Einsicht des einzelnen Individuums eine große Rolle spielen und ein geübter Blick dazu gehört zu trennen, was dem Individuum und was der Zeit gehört, so sind dagegen die Fragen die offenen, rücksichtslosen, über alle einzelnen Individualitäten übergreifenden Stimmen einer Zeit, es sind ihre Mottos, es sind die höchst praktischen Ausrufe über ihren eigenen Seelenzustand. Die Reaktionäre jeder Zeit sind daher ebenso gute Barometer für ihren geistigen Zustand als die Hunde für die Witterung. Dem Publikum erscheint dies so, dass die Reaktionären die Fragen machen. Es glaubt daher, wenn dieser oder jener4 Obskurant eine moderne Richtung nicht bekämpft, wenn er nicht eine Sache in Frage gestellt hätte, so existiert die Frage nicht. Das Publikum selbst hält daher die Reaktionären für die wahren Männer des Fortschritts.

Ob die Staatsmacht von einem Punkt ausgehe", d.h. ob ein Punkt regieren soll oder ob jede Provinz etc. sich selbst verwalten und die Zentralregierung erst nach außen als die Macht des Ganzen „gegen außen" sich zeigen soll, so kann unmöglich die Zentralisationsfrage gefasst werden. Der Verfasser versichert uns, dass

diese Frage, von einem hohem Gesichtspunkt betrachtet, in sich selbst zerfalle als eine nichtige", denn „wenn der Mensch wirklich ist, was er seinem Wesen nach sein soll, dann ist die individuelle Freiheit von der allgemeinen gar nicht geschieden." „Setzt man also ein Volk von Gerechten5 voraus, so kann die in Rede stehende Frage gar nicht aufgeworfen werden." „Die Zentralmacht würde in allen Gliedern leben etc. etc." „Wie aber überhaupt jedes äußere Gesetz, jede positive Institution etc., so wäre auch jede zentrale Staatsmacht etc. überflüssig. Eine solche Gesellschaft wäre nicht Staat, sondern Ideal der Menschheit." „Man kann sich's erstaunlich leicht machen, die schwierigsten Staatsprobleme zu lösen, wenn man von einem hohen philosophischen Standpunkt herab auf unser soziales Leben blickt. Theoretisch6 ist eine solche Lösung der Probleme auch ganz richtig, ja die einzig richtige. Aber es handelt sich hier nicht um eine theoretische etc., sondern um eine praktische, allerdings nur empirische und relative Beantwortung der Zentralisationsfrage etc."

Der Verfasser des Artikels beginnt mit einer Selbstkritik seiner Frage. Von einem höheren Gesichtspunkt her betrachtet, existiere sie nicht, aber zugleich erfahren wir, dass von diesem hohen Gesichtspunkt her alle Gesetze, positiven Institutionen, die zentrale Staatsmacht und schließlich der Staat selbst verschwindet. Mit Recht rühmt der Verfasser die „erstaunliche Leichtigkeit", mit welcher dieser Gesichtspunkt sich zu orientieren weiß, aber mit Unrecht nennt er eine solche Lösung der Probleme „theoretisch ganz richtig, ja die einzig richtige", mit Unrecht nennt er diesen Standpunkt „einen philosophischen". Die Philosophie muss ernstlich dagegen protestieren, wenn man sie mit der Imagination verwechselt. Die Fiktion von einem Volk der „Gerechten" ist der Philosophie so fremd als der Natur die Fiktion von „betenden Hyänen". Der Verfasser substituiert „seine Abstraktionen" der Philosophie.7

1 Der nachstehende unvollendet gebliebene Aufsatz ist gegen Moses Hess, den Verfasser des von Marx kritisierten Artikels „Deutschland und Frankreich in Bezug auf die Zentralisationsfrage", gerichtet.

2 Hervorhebung von Marx

3 Hervorhebung von Marx

4 in der Handschrift: jeder

5 Hervorhebung von Marx

6 Hervorhebung von Marx

7 hier bricht das Manuskript ab

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