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Karl Marx 18420900 Noch ein Wort über: „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit von Dr. O. F. Gruppe. Berlin 1842"

Karl Marx: Noch ein Wort über: „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit von Dr. O. F. Gruppe. Berlin 1842"1

[„Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst" Nr. 273 vom 10. November 1842. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 381-384]

Wollte man in Deutschland die Komödie des Dilettantismus schreiben, so wäre Herr Dr. O. F. Gruppe die unentbehrliche Person. Das Schicksal hat diesen Mann mit jener eisernen Zähigkeit ausgerüstet, deren die großen Männer nicht entraten können, am wenigsten die großen Männer des Dilettantismus. Enden auch seine meisten Abenteuer, wie die des Sancho Pansa, mit zweideutigen Zeichen der Anerkennung, so wird diese Monotonie des Erfolgs mannigfach gehoben und variiert durch die komische Unbefangenheit und die rührende Naivität, womit Herr Gruppe seine Lorbeeren entgegennimmt. Man kann sogar eine Art von Seelengröße nicht verkennen in der Konsequenz, die den Herrn Gruppe schließen lehrt: Weil ich aus der Schulstube der Philologie herausgeworfen worden bin, so wird es mein Beruf sein, auch aus dem Ballsaal der Ästhetik und aus den Hallen der Philosophie herausgeworfen zu werden. Aber das ist viel, es ist nicht alles. Meine Rolle ist erst durchgespielt, wenn ich aus dem Tempel der Theologie herausgeworfen werde: und Herr Gruppe ist gewissenhaft genug, – seine Rolle durchzuspielen.

Allein Herr Gruppe hat bei seinem letzten Auftreten einigermaßen die Höhe seines Standpunkts verleugnet. Wir zweifeln zwar keinen Augenblick, dass seine letzte Schrift: „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit" keineswegs „im Dienst einer Partei oder unter einem Einfluss" geschrieben ist. Herr Gruppe empfand die Notwendigkeit, aus der Theologie herausgeworfen zu werden, aber die Weltklugheit griff hier seinem komischen Instinkt unter die Arme. Herr Gruppe hat, wie es komischen Charakteren ziemt, bisher mit dem ergötzlichsten Ernst und seltsamster Wichtigtuerei gearbeitet. Die Halbheit, die Oberflächlichkeit, die Missverständnisse waren sein Schicksal, aber sie waren nicht seine Tendenz. Der große Mann spielte seine Natur, aber er spielte sie für sich und nicht für andere. Er war Hanswurst aus Beruf: wir können nicht zweifeln, dass er in seinem letzten Auftreten Hanswurst auf Bestellung und Rekompens ist. Die böse Absicht, die gewissenlose Entstellung, die gemeine Perfidie werden auch den Leser nicht zweifeln lassen.

Es wäre wider unsre Ansicht von den komischen Naturen, weitläufigen kritischen Apparat an Herrn Gruppe zu verschwenden. Wer verlangt eine kritische Geschichte Eulenspiegels? Man verlangt Anekdoten, und wir geben von Herrn Gruppe eine Anekdote, welche die Anekdote seiner Broschüre ist. Sie betrifft Bauers Auslegung des Matthäus 12, V. 382-42. Der gütige Leser wird sich einen Augenblick mit theologicis behelligen müssen, aber er wird nicht vergessen, dass Herr Gruppe und nicht die Theologie unser Zweck ist. Er wird es billig finden, dass die Charakteristik von Bauers Gegnern vor das Zeitungspublikum gebracht wird, nachdem man Bauers Charakter und Lehre zu einer Zeitungsmythe gemacht hat.

Wir setzen die fragliche Stelle des Matthäus in ihrem ganzen Umfange her.

Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehen."

Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jonas." „Denn gleichwie Jonas war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch; also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein." „Die Leute von Ninive werden auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jonas. Und siehe, hier ist mehr denn Jonas." „Die Königin von Mittag wird auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde her, Solomons Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Solomon."3

Den protestantischen Theologen fiel der Widerspruch auf, dass Jesus hier die Wunder verwirft; während er sonst Wunder verrichtet. Ihnen fiel der größere Widerspruch auf, dass der Herr in demselben Momente, wo er die Forderung der Wunder von sich weist, ein Wunder verspricht, und zwar ein großes Wunder, seinen dreitägigen Aufenthalt in der Unterwelt.

Da nun die protestantischen Theologen zu gottlos sind, um einen Widerspruch der Schrift mit ihrem Verstande, da sie zu scheinheilig sind, um einen Widerspruch ihres Verstandes mit der Schrift zuzugeben, so verfälschen, entstellen und verdrehen sie die klaren Worte und den einfachen Sinn der Schrift. Sie behaupten, dass Jesus hier nicht seine Lehre und seine geistige Persönlichkeit der Forderung der Zeichen entgegenstellt; sie behaupten, dass

er von dem Ganzen seiner Erscheinung spreche, die mehr sei als die Erscheinung Salomons und des Jonas, und wozu ,insbesondere' auch seine Wunder gehörten."4

Bauer weist ihnen nun durch die gründlichste Exegese das Ungereimte dieser Auslegung nach.5 Er zitiert ihnen dann den Lukas [11, V. 29-30], wo die störende Stelle von dem Walfisch und dem dreitägigen Aufenthalt in der Erde fehlt. Es heißt dort:

Dies Geschlecht ist böse: ein Zeichen fordert es, und ein Zeichen wird ihm nicht gegeben werden, außer dem Zeichen des Jonas. Denn wie Jonas ein Zeichen war den Niniviten, so wird es des Menschen Sohn diesem Geschlecht sein",

worauf Lukas den Herrn sagen lässt, wie die Niniviten auf die Predigt des Jonas Buße getan und die Königin des Mittags von den Enden der Erde hergereist sei, um Salomons Weisheit zu hören. Noch einfacher, zeigt Bauer, findet sich der Kern bei Markus [8, V. 12-13].

Was", sagt Jesus, „was fordert dies Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich, ich sage euch, es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben. Da ließ sie Jesus stehen."

Gegen die falsche Deutung und die willkürliche Schriftentstellung der Theologen erhebt sich nun Bauer und verweist sie auf das, was geschrieben steht, indem er noch einmal den Sinn der Rede Jesu zusammenfasst in folgenden Worten:

Hole dich Weg von mir, Theologe! denn es stehet geschrieben: hier ist mehr als Jonas, mehr als Salomo, d.h. die Niniviten haben auf die Predigt des Jonas Buße getan, die Königin des Mittags kommt von dem Ende der Erde, um die Weisheit Salomons zu hören, ihr aber habt meinen Worten, meiner Rede keinen Glauben geschenkt, und dennoch sind diese Worte der Ausdruck einer Persönlichkeit, deren geistiger Umfang unendlich ist, während Jonas und Salomo noch beschränkte Persönlichkeiten waren. Es soll aber dabei bleiben, nur das Zeichen des Jonas soll euch gegeben werden, ein anderes Zeichen sollt ihr nicht sehen als diese meine Person und ihren, wenn auch unendlichen Ausdruck im Wort."

Nachdem Bauer dergestalt die Rede Jesu erklärt, fügt er hinzu:

Wo bleiben also insbesondere die Wunder?"

Und Herr Gruppe? Herr Gruppe sagt:

Das Sonderbarste ist es dabei, dass B[auer] in seiner barocken Weise sich selbst als einen Propheten darstellt. S. 296 lesen wir die emphatische Stelle: Hebe dich Weg von mir, Theologe!" etc. (S.20.)

Herrn Gruppes Schamlosigkeit will dem Leser aufbürden, Bauer rede von sich selbst, er gebe sich selbst für die unendliche Persönlichkeit aus, während Bauer die Rede Jesu exegesiert. So sehr wir auch wünschen, wir können dieses Quiproquo, diese Eulenspiegelei, nicht mit der notorischen Verstandesschwäche und dilettierenden Ignoranz des Herrn Gruppe entschuldigen. Der Betrug liegt auf der Hand. Nicht nur, dass Herr Gruppe dem Leser verschweigt, wovon es sich handelt! Wir könnten immer noch glauben, der Dilettant habe zufällig S. 296 in Bauers Schrift aufgeschlagen und in der muntern Flüchtigkeit seiner Buchmacherei keine Zeit gehabt, die vorhergehende und die nachfolgende Entwicklung zu lesen. Aber Herr Gruppe unterschlägt den Schluss der „emphatischen Stelle", den über alles Missverstehen erhabenen Schluss:

Es soll aber dabei bleiben, nur das Zeichen des Jonas soll euch gegeben werden, ein anderes Zeichen sollt ihr nicht sehen als diese meine Person und ihren, wenn auch unendlichen Ausdruck im Wort. Wo bleiben also ,insbesondere' die Wunder?"

Herr Gruppe sah ein: auch den befangenen Leser, den Leser, der so töricht wäre, Bauer nicht in Bauers Schriften, sondern in den Schriften des Herrn Gruppe zu suchen, auch ihn müssten diese Worte überzeugen, dass Bauer nicht von sich, dass er von dem spreche, was geschrieben steht. Abgesehen von allen anderen Abgeschmacktheiten, was sollten sonst die Worte: „Wo bleiben also insbesondere die Wunder?"

Wir zweifeln, ob die deutsche Literatur eine ähnliche Schamlosigkeit aufzuweisen hat.

Herr Gruppe sagt in der Vorrede:

Mir ist während meiner Arbeit immer anschaulicher geworden, dass wir in einer Zeit der Rhetoren und Sophisten leben." (S. IV.)

Soll dies ein Selbstbekenntnis sein, so müssen wir ernstlich dagegen protestieren. Herr Gruppe ist weder ein Rhetor noch ein Sophist. Er war bis zur Epoche der Broschüre über Bauer ein komischer Charakter, er war ein Schelm im naiven Sinn, er hat seitdem nichts verloren als seine Naivität und ist also jetzt – doch das sage ihm sein Gewissen. Übrigens mag es Bauer als Anerkennung seiner geistigen Überlegenheit betrachten, dass man nur Männer gegen ihn schicken kann, die unter allem Geist und außer jeder Überlegenheit sind, die er also nur treffen könnte, wenn er sich fallen ließe.

K. M.

1 Dieser Artikel ist der einzige Beitrag von Marx, der in der Zeitschrift der Junghegelianer „Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst" veröffentlicht wurde.

2 In den „Deutschen Jahrbüchern": 39

3 alle Hervorhebungen von Marx

4 Marx zitiert hier mit eigenen Worten eine Stelle aus Bruno Bauers Schrift „Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker", 2.Bd., Leipzig 1841, S.296. Diese Stelle gibt ein Zitat aus dem Buch des protestantischen Kirchenhistorikers August Neander „Das Leben Jesu Christi in seinem geschichtlichen Zusammenhange und seiner geschichtlichen Entwickelung dargestellt" (Hamburg 1837, S.265) wieder.

5 Marx zitiert im Folgenden aus dem Neuen Testament nach der Schrift von Bruno Bauer „Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker", 2. Bd., Leipzig 1841, S.297, 299 und 296.

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