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Jenny Marx 18460325 Brief an Karl Marx

Jenny Marx: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Trier, 24. März 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 517-519]

Trier den 24ten

Habe Tausend Dank, mein lieber Herzens-Karl für Deinen lieben, langen Brief von gestern. Wie hatte ich mich in diesen bangen Schmerzenstagen, wo das Herz kaum mehr zu hoffen wagte, nach Kunde von Euch gesehnt und wie lange, lange blieb sie der sehnenden Brust aus. Jede Stunde enthielt eine Ewigkeit von Angst und Sorge in sich. Deine Briefe sind die einzigen Lichtblicke in meinem jetzigen Leben. Lieber Karl, lass sie mir öfter leuchten und mich erheben. Vielleicht bedarf ich auch ihrer nicht mehr lange, denn der teuren Mutter Zustand hat sich wieder so zum Bessern gewandt, dass jetzt aus der Möglichkeit der Genesung fast Wahrscheinlichkeit geworden ist. Wir hoffen alle, dass die eingetretene Besserung diesmal keine trügerische ist, die dies tückische Leiden der Nervenkrankheiten mit sich bringt. Die Kräfte erholen sich und der Geist erliegt nicht mehr unter dem Druck wirklicher und selbstgeschaffener Sorgen und Ängsten. Ich hatte mich auf alles gefasst und hätte für das Schlimmste Trost und Beruhigung genug gefunden, aber dennoch jubelt jetzt mein Herz wie lauter Frühlingslust und Wonne. Es ist ein eigen Ding ums Leben geliebter Personen. Man kann es nicht so leichten Kaufs aufgeben. Man hängt doch so mit allen Fasern daran und glaubt sie plötzlich durchschnitten, wenn der fremde Atem stockt. Ich glaube, dass jetzt die Genesung kommen und raschen Schrittes zum Ziele führen wird. Jetzt gut es nun alles Trübe zu entfernen und immer heitere Bilder vor ihrer Seele auftauchen zu lassen. Ich muss jetzt Märchen ersinnen aller Art, die doch noch mit Wahrheit scheinbar geschmückt sein müssen. Das ist alles sehr schwer und wird mir nur leicht in der Liebe zu der Teuren in der seligen Hoffnung nach dieser Zeit wieder in Deine geliebte Nähe zu meinen lieben süßen Kleinchen eilen zu können. Haltet Euch Alle Ihr Lieben nur wohl und frisch auf und wacht recht sorglich über den kleinen lieben Häuptchen. Wie freue ich mich die Kinderköpfchen wiederzusehen!

Bei Euch ist ja Mord und Totschlag ausgebrochen! Lieb ist es mir, dass der radikale Bruch erst während meiner Abwesenheit geschah. Es wäre doch vieles davon auf die intriguante ehrgeizige Frau, die Macbethen, gekommen, und auch nicht ohne Grund. Denn lange genug hab' ich freilich wieder an den Verhältnissen herumgenörgelt und petite critique geübt. Besser aber ist es so. Was nun diese kritische Frau betrifft, so hat der Engels Euch gegenüber vollkommen Recht, ein solches Weib „wie es sein soll", als ewigen Gegensatz sehr arrogant zu finden und sich desto mehr auf little zu capritionieren. Ich selbst komme mir bei dieser abstrakten Musterstellage wirklich selbst ganz eklig vor und möchte gewiss sein alle Fehler und Schwächen dagegen hervor zu suchen. Zudem ist es ganz falsch, jedenfalls dem Engels gegenüber sehr verfehlt, von so einem „seltenen Exemplar" zu sprechen. Da hat er Recht zu sagen „die findet man nicht". Aber das ist eben das Falsche an der Sache. Es wimmelt von schönen, liebenswürdigen tüchtigen Weibern, in allen Ecken der Welt gibt es solche, sie harren bloß des Mannes der sie befreien, erlösen soll. Jeder Mann kann der Erlöser eines Weibes werden.

Grade die jetzigen Frauen sind empfänglich für Alles, sind sehr der Aufopferung fähig. Allerdings muss man etwas mehr Materialkenntnis entwickeln wo nicht allen Geschmack verleugnen, was bei einem Commis, der doch lange in diesen Artikeln gemacht hat, am meisten verargen muss. Wer vermöchte es den Rabbi Rabuni eines Schnitzers, einer Unkenntnis im Warengeschäft zu zeihen! Für den sind allerdings alle Kühe grau und ihm ist wohl dabei. Er sieht dafür Rosenfarben im fernen Polen auftauchen und vergisst dass diese Blutrosen nicht echt in der Farbe sind. Sie sind schön fürs Auge und nötig und haben viel gewirkt „trotz alledem und alledem" aber wie es möglich ist an diesen Versuch, Versuche zum Versuche eines Versuchs, anknüpfen zu wollen; das begreife wer's kann. Das ist so schlimm, dass mit dem ganz gerechtfertigten Sinn und Streben den wirklichen, leibhaftigen Menschen, mit all' seinen Bedürfnissen und Wünschen, als das Einzige und Wahre aufzufassen, den Menschen als die Menschheit zu fassen, dass damit nun auch fast aller Idealismus entschwunden, und nichts als Phantasterei an die Stelle getreten ist. Jetzt herrscht wirklich wieder der Wahnsinn des Praktischen Realen vor und wenn nun Menschen wie Hess, die wirklich reine Ideologen sind, die eigentlich kein echtes Fleisch und Blut, nur so eine Abstraktion davon haben, wenn diese plötzlich die Messer und Gabel Frage als Lebensberuf aufstecken, dass sie dann gezwungen sind in Phantasterei hinten und vorn auszuschlagen. Hess wird ewig in falschen Plänen sich wiegen; aber stets geheimen unerklärlichen, magischen persönlichen Einfluss auf schwache Menschen ausüben. Das ist auch sein Beruf – so etwas als Prophet und Hohepriester zu agieren. Lasst ihn drum ruhig Gen Babel Jerusalem Elberfeld ziehen. Auch Weitlings Aufrauschen phantastischer Pläne ist sehr erklärlich. So wie er notwendig aus dem Handwerkerstand hervorgehend, nichts Höheres kennt als in der Volkspoesie, Commersstunden verkünden, so auch nichts Höheres als verunglückte Unternehmungen, die Tollkühn aussehen und standen. Für das ridicul entgeht ihm der Sinn und welche Blamage wäre das diesmal gewesen. Die liegt doch jetzt auf der flachen Hand. Ich freue mich unendlich, dass Du mein teurer Karl immer den Kopf oben behältst und Herr Deiner Ungeduld und Sehnsucht bleibst. Wie lieb' ich Dich um dieser Tapferkeit willen. Du bist mein Mann! Das lob' ich mir noch! Mitten im Wirrwarr klar und ruhig bleiben und mit der Zeit zufrieden sein! Das Ekligste bei der unglücklichen Insurrektion ist, dass das erbärmliche Preußen in seiner Schwachmattigkeit und seinem scheinbaren Humanismus, dem rohen brutalen Österreich gegenüber von den erzdummen Franzosen und allen Anbetern von neuem proklamiert wird. Dieses Fortschrittsgedusel ist ordentlich eklig. Doch nun mein lieber Karl, will ich beim Fortschritt bleiben und dieses beliebte Thema auf Dich, meinen lieben Herrn weiter fortspinnen. Wie sieht es mit Stirner aus und [wie] ist der Fortschritt. Vor allem gib Dich an Dein Buch. Die Zeit drängt unaufhaltsam dahin. Ich werde hier selbst darum bestürmt. Schleicher hat mich schon zweimal danach gefragt und sich bitter über die Literatur beklagt, die ihnen in die Hände fällt. Wahr ist es, übel sind sie daran.

Da müssen sie sich alle mit Grün und Ruge herumschlagen und wissen nicht wo aus wo ein. Schleicher fragte, ob der Rabi etwa Hess wäre. Selbst Schleicher ist allem zugänglich. Aber der Mangel an Wissen ist gar zu groß. Die falschen Propheten haben das Feld so unrein gemacht

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