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Karl Ludwig Bernays 18460302 Brief an Karl Marx

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Sarcelles, 2. März 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 509 f.]

Sarcelles (Seine et Oise) am 2 März 1846.

Lieber Marx

Tausend Dank für Deinen freundlichen Brief und für das mir geschickte Geld. Meine Freundschaft hattest Du erworben, seit ich Dich kenne; dass ich Dir, wo es sein kann, dienstwillig zu sein bereit bin weißt Du, und ich bin glücklich in dem Gedanken, dass die Zeit nicht sehr ferne ist, wo es erklecklich geschehen kann. Heute bin ich noch ein armer, bedürftiger Tropf, in einem Jahr oder in zweien habe ich über viel Geld zu disponieren, bis dahin muss ich mich durchkämpfen. Die lebenden Anverwandten sind unmenschlich und hart, der Tod schüttelt die rückgehaltene Liebe aus ihnen heraus, und macht das lucrum cessans der Verwandtschaft liquid. Die Christen haben Recht, der Tod trennt Leib und Seele, d. h. das Geld von dem Beutel: das Geld wird „frei" und assimiliert sich mit wem Andern: Ich gestehe es, auf die Gefahr hin, einen schurkischen Gedanken zu gestehen: Ich erbe gern.

Dass Du so viel aus meinem Buch abdruckst beweist vielleicht mehr für Deine Freundschaft als für den Wert meiner Arbeit: lass mich glauben ihre Bedeutung selber sei auch daran schuld, der Glaube würde mich recht vergnügt machen.

Wäre es nicht möglich, dass dasjenige was Dir in meinem Buch gefährlich dünkt, es nur deshalb ist, weil die Stimmung in der es geschrieben wurde, es allzu bitter machte? Dass die Eitelkeit des Schmerzes (doch verstehe mich recht: denn ich habe in 6 Monaten mit keinem Menschen über meine Privatangelegenheiten und außer Herwegh mit gar Niemanden sogar über andere Dinge geredet) Eindrücke zu Grundsätzen erhob? Überzeuge Dich hiervon, ich bitte, und wenn Du siehst, dass dem so ist, so lass es passieren: die Menschen mit ihrem Tun und Denken sind nur dann wichtig und der Rede wert, wenn sie mit kochendem oder starrendem Blut schaffen: der Schmerz-Erfüllte zerstampft den Boden unter den Füßen, der Freudenreiche lockt mit jedem Fußtritte eine sprudelnde Quelle daraus hervor. Danton und Marat sind für mich zwei gleich herrliche Menschen.

Ist aber das „gefährlich", dem Du ansiehst, dass es mit ruhigem Blut, mit einer Art von Mäßigung geschrieben ist, so ändere entweder selber, oder schicke mir die Stellen, ich will sie ändern: was bloß der Verstand, das Nachdenken hervorgebracht haben, dass kann falsch sein; was das Herz ausgeplaudert ist es nie. – Dass Ihr von dem Streite zwischen dem alten Follen auf der einen, Feuerbach, Ruge und Freiligrath auf der anderen Seite nichts wisst, wundert mich; ich will Euch darüber nichts sagen, da Ihr notwendig die 2 Broschüren lesen müsst. Könnt Ihr sie nicht bekommen so schicke ich sie.

Ein sehr interessantes Buch sind die Fragmente aus dem Orient von Dr. Fallmerayer. Das Buch ist mit dem vollen Mut seiner (vielleicht nicht sehr fruchtbaren) Überzeugungen geschrieben. F. glaubt die Geschicke der Europäischen Staaten würden vor Stambul erfüllt. Ganz Europa meint er trachte sich vor dem Stabilismus, den er im Islam repräsentiert sieht, sicher zu stellen; dies könne ihm nur gelingen durch das komplette Auflösen des morgenländischen und slawischen Elementes in Europa. Das Rezept, das er hierfür diktiert ist großartig gefasst. Das Austreiben der Türken nach Kleinasien nützt nichts – das Teilen der Türkei nützt nichts: bis auf den letzten Stein muss Stambul zerstört, mit Menschen und Türmen und Palästen in die Dardanellen gestürzt werden, dann ist der letzte Strebepfeiler, den der Stillstand gegen die Revolution gestemmt, gefallen, und dann mag der Tanz losgehen. F. denkt immer nur an die Revolution auf der Basis des abendländischen Christentums; dafür ist er begeistert, wenn er auch frei ist von nationaler Faulheit, von germanisch-christlichem Fusel. Uns hasst er wie Gift, und weil er gar so schön und herzlich schreibt, wird er mancherlei Freunde von uns abwendig machen.

Gute Nacht für heute. Lass mich recht bald wissen, was mit meinem Buche geschieht. Nochmals, dort wo ich mit Überlegung, mit Kälte geschrieben, will ich ändern was und fast wie Du's verlangst; In solchen Fällen ist schwarz so gut als weiß – sonst tue mir die Liebe und lass mein Herz irren.

Eine liebe, herzige Frau, ein total ungelehrtes Wesen bittet mich, Dich zu grüßen. Ich habe ihr viel von Dir erzählt, und sie sagt mir wiederholt, einen solchen Menschen müsse sie lieb haben. Grüße alle Freunde, und arbeite so fleißig wie ich. Schlaf gut, und küsse Deine Frau für mich. Ich bin was ich immer war

Dein treuer Freund

Bs.

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