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Karl Ludwig Bernays 18460307 Brief an Karl Marx

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Sarcelles, 7. März 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 511 f.]

Sarcelles ce 7 Mars 46

Lieber Marx

Du denkst Dir, dass ich augenblicklich alle Anstalten getroffen habe um Dir so schnell als möglich die beiden Broschüren zukommen zu lassen. Sie gehen morgen unter Kreuzkuvert von Paris ab. Zugleich erhältst Du noch 2 Schweizer Blätter die dazu gehören. Da die Sachen nicht mir gehören, so verlange ich sie alsbald unter Kreuzband zurück. –

Scheint mir, dass ich also wieder, wie mir das so oft passiert, das beste verschwiegen habe. Wie sollte ich glauben, das Recht sei eine Art Gott oder Teufel, das die Menschen beherrscht? Das Recht ist das System der Gewalt, die Literatur der Prügel, der heuchlerische Entschuldigungsgrund für alle Niedertracht derer die sich darauf berufen. Wie Ihr das in Eurer Weise ausdrückt, verstehe ich nicht, und werde es nie verstehen. Es ist das wahrhaftig nicht Eitelkeit der Ignoranz, oder Glauben an die Popularität meiner Schreibweise, oder an deren unmittelbare Wirksamkeit: Es ist bloß Selbstkenntnis: Ich denke z.B. gerade in dieser Beziehung wie Du, aber sage es anders. Ein Vater bevormundet sein Kind bis zu 21 Jahren. Eine Masse von Gesetzen und Gewohnheits-Rechten von Familien- und Volks-Vorurteilen oder Urteilen moduliert diese Bevormundung. Sie alle zusammen passen zu der Erwerbungsart, zur Lebensweise, zu den Geschlechtsverhältnissen überhaupt zur ganzen Existenz des Menschen. Warum sollten sie was apartes sein? Wer tut was, ohne es in einer gewissen hergebrachten Form zu tun? Wir müssen ja sogar Messer und Gabel halten, wie es vorgeschrieben steht. Der Vater schlägt also das Kind: das Herkommen erlaubt es ihm: das Herkommen ist wahrlich keine palpable Existenz: die andern taten und tun es eben auch, drum darf sich's der besondere Vater auch erlauben. Das Gesetz erlaubt ihm dem Sohn eine Heirat zu verbieten: d.h. sein und anderer Interesse ist es die Kinder und somit das Vermögen zusammen im Haus zu behalten. Die Form in der sich die Familienväter dieses Interesse wahren bildet einen Teil des Familien-Rechtes.

Drum ist es unmöglich dass sich die Menschen „den Gedanken des Rechts aus dem Kopfe schlagen", ehe sie anders zu leben beginnen: und wenn sie anders zu leben anfangen, dann wird das Lebensgesetz eben ein anderes sein. Ist die Lebensweise dann eine freie, eine heitere, mir fehlen die Worte: eine durchaus zwanglose so ist der Begriff des Gesetzes und des Rechts im hergebrachten Sinne verschollen, und es bleibt nichts mehr als Grenze der Freiheit – wie die Notwendigkeit unserer tellurischen Organisation: dass wir sterben müssen, und dass ein gewisses Gleichgewicht zwischen Leben und Sterben existiert; dass das Maß unserer Bedürfnisse mit der höheren Intelligenz wächst; u. s. w. Gesetze, die eben Notwendigkeiten sind.

Dass die Notwendigkeit für uns weit in das Bereich dessen ragt, was ihr entrückt, was fessellos sein sollte, das ist das Unglück; ein Teil dieser künstlichen, geschaffenen Notwendigkeit ist das Recht, oder die unter ihm verstandene Fronfeste, die heuchlerisch durch es maskierte Gewalt. Mehr weiß ich nicht zu sagen, mehr und anders fühle ich es nicht. Recht nenne ich die in ein System gebrachte Gewalt; Voltaire nannte es die zeremoniöse Gewalt, die zeremoniöse Quälerei.

Ich habe Dir schon vorher gesagt, Du möchtest ändern wie und was Du willst – mache von dieser Erlaubnis nach Gutdünken Gebrauch, gegen diese Art der Zensur kann kein Mensch was sagen.

Willst Du mir einen Gefallen tun, so korrigiere meine Sachen selber, oder lass sie wenigstens von einem verständigen Menschen korrigieren.

Lass bald hören, was es unter Euch Neues gibt, und grüße alle Freunde und Deine Frau herzlich.

D[ein]

Bernays.

NB. Die Einwendung ist von Ruge, Heinzen und Feuerbach. –

Monsieur

Monsieur Charles Marx.

5. Rue de l'Alliance hors la porte de Louvain

à

Bruxelles.

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