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Karl Ludwig Bernays 18460326 Brief an Karl Marx

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Sarcelles, 26. März 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 520 f.]

Sarcelles, Seine et Oise

26. März 46.

Lieber Freund

Ich ersuche Dich dringend mir die paar Druckschriften unter Kreuzkuvert wieder zu schicken. Sie gehören, wie gesagt nicht mir, und ich bin schon wiederholt darum gemahnt worden.

Neues weiß ich nichts, wenigstens Gutes nichts – ich speie Blut und habe Augenentzündung, denn die Nachtwachen und vieler Kummer hören nicht auf. Seit 7 Wochen war ich in keinem Bette, und habe ich die Kleider nicht vom Leibe gebracht! Doch ruht tief in meinem Herzen Hoffnung und Bewusstsein, – die Krise geht auch vorüber. Wie weit seid Ihr mit dem Drucke? Ist Hoffnung da, dass mein Buch gedruckt werde. Lass mir darüber etwa von Hess schreiben, wenn Du keine Zeit hast, und solltet Ihr Geld bekommen, so vergesst mich nicht!

Thiers Rede hast Du gelesen. Der alte König ist krank, und wie ich von Beaumont weiß fürchten alle Parteien dass er noch in diesem Jahre stirbt. So versteht sich Thiers Rede viel besser. Man sagte mir, der Calembourg: Guillaume l'Angleterre voulait être le maitre, lui aussi, habe die ganze Kammer fast versteinert, denn Thiers sprach das lui deutlich wie Louis aus. Was mich in der Rede stutzen machen, ist der wahrhafte Zynismus unter der dünnen Decke von Phrasen und Sticheleien. Bien sot qui s'en etonne, bien fou qui s'y soumet – aber was tue denn ich Thiers? Ich will Euch selber tyrannisieren – das ist der Sinn jedes seiner Worte.

Direct kann uns der Tod eines Königs sei es auch der des einflussreichsten nichts nützen; ich glaube selbst wenn ein Pole den Nikolaus erdrosselte, diese würden dadurch wenig gewinnen.

Trotzdem aber halte ich es für gut nicht vom Tage auf den Tag zu leben, sondern jetzt schon einen Plan vorzubereiten, wie etwa die kommende Krise zu nützen sein möchte.

In dieser Beziehung mache ich Dich nur auf einen Punkt aufmerksam, der die Haltung Europas gegen Frankreich schon jetzt für den eintretenden Todesfall vorhersagen lässt, nämlich das würgende Temporisieren. Louis Philipp so versichern mich sehr unterrichtete Männer hat die Disposition getroffen; dass in seiner Todesstunde das Ministerium aufgelöst werde, und dass Nemours ein Ministerium aus den Chefs sämtlicher Fraktionen der jetzigen oder der neu erwählten Kammer bilde. Er hofft sie dadurch alle zu vernichten, und Europa zugleich eine hinreichende Garantie zu geben. Je nachdem es gelingt die radikalen und dynastischen Opponenten aus dem Ministerium auszumerzen, oder herüber zu ziehen wird die Politik der andern Großmächte sich modifizieren. Mache mit dieser Notiz, was Du willst, für ihre Herkunft aus der besten Quelle bürge ich.

Schreibe recht bald, und denke dass ein Wort von Dir immer eine Erquickung für mich ist. Grüße alle Freunde herzlich

Dein

Bernays

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