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Karl Ludwig Bernays 18460407 Brief an Karl Marx

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Sarcelles, 7. April 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 529-531]

Lieber Freund

Aber auch gar nichts von sich hören lassen, das ist wahrhaftig nicht recht. Denke doch, dass ich außer mit Dir jetzt mit Niemand mehr in Verbindung bin; nicht mit Herwegh, er ist mir zu blasiert, er ist unerträglich; nicht mit meiner Familie, sie hat Herzen wie Stein, sie ist fürchterlich, nicht mit Grün, mit Ewerbeck, mit Niemand mehr. Lieber Freund, ich habe noch eine Forderu[ng] von 1000 frcs die in einem Prozess liegt, nach Abzug der Kosten bleiben vielleicht 600 frcs übrig; sobald ich das Geld habe, komme ich zu Dir. Dann will ich Dir die Geschichte eines Lebensjahres erzählen, und Dir sollen die Haare zu Berge stehen. Schreiben kann ich es unmöglich ... ein Wort das ich vergäße, oder das ich zu viel schriebe, könnte mich in Deinen Augen schänden, oder mich zu hoch in Ehren bringen, – ich will weder das Eine noch das Andere. Ich will weiter nichts, als eine Hand, an der ich mich wieder ins bewegte Leben schleudern kann, damit ich ein verlorenes Lebensjahr vergäße und einbringe. Wir sind noch jung, und wir müssen noch schönere Zeiten erleben. Von Frankreich hoffe ich alle Tage weniger. Es ist unbegreiflich, wie schnell das juste milieu auch in die untersten Volksklassen gedrungen ist: es ist so arg dass die Regierung der manchmal mit einem Skandal gedient ist, darüber unzufrieden ist. Die Proletarier sind s.g. arrangements viel weniger abgeneigt als sonst; die Regierung muss ex abrupto auf die armen Teufel in St. Etienne schießen, damit sie, als wäre ihre Gewalttat gerechtfertigt gewesen, ihre gewalttätigen Projekte rechtfertigen kann. Außerdem ist die Achtung vor dem Eigentum unter der niedersten Volksklasse noch gar zu groß, unendlich viel größer als in Deutschland, als selbst am Rhein. Du wirst in all den Arbeiteraufständen gefunden haben, dass die Verbesserung der Lage der Arbeiter nur mittelbar durch Lohnerhöhung gefordert wird, nirgends ein anderer unmittelbarer Modus. Dies Begehren ist nicht so wohl kommunistischen Prinzipien, als kommunistischen Gefühlen schnurstracks zuwider: der Arbeiter erscheint dabei nicht als Feind, sondern als Konventionslustiger; sein kommunistisches Gefühl müsste ihn treiben ein halb Dutzend Fabrikanten totzuschlagen – nicht aber zu tun, was ihm Niemand wehren kann, die Arbeit einstellen und mehr Lohn fordern. Geschähe dies auf einmal in ganz Frankreich, so wäre ohne Zweifel ein hartes Zusammentreffen vorauszusehen – allein es müssten andere Momente hinzukommen die ich am wenigsten in Paris voraussetze. Lache mich nicht aus, – aber mir scheint eher eine Bewegung der kleinen Bauern möglich als der Ouvriers. Die Zustände der kleinen Bauern gleichen viel mehr denen unter Carl V und VI als die der Ouvriers den Bourgeoisverhältnissen von 89; eine neue Jacquerie hat mehr Wahrscheinlichkeit für sich als eine kommunistische Arbeiterbewegung. Die Bauern zehn Meilen rings um Paris herum, sehen Paris nicht als einen ungeheuren Markt an, sondern als den Abgrund in dem all ihre Habe, all ihr Schweiß und ihre Arbeit spurlos verschwindet. Dieser Bauer hat absolut nichts was sein ist. Das Haus in dem er wohnt gehört einem Bourgeois in Paris, er wohnt in Miete; die Äcker die er baut, hat er alle um 60-80 frcs per Jahr den Arpent gepachtet. Er pachtet die Äcker nur, weil er vorzieht unter einer andern Form und mit etwas mehr Freiheit Tagelöhner zu sein, als er es ohne dies sein müsste. Er verdient ohngefähr 20 Sols im Durchschnitt per Tag. Den wahren Nutzen seiner Erzeugnisse zieht der Kleinhändler in Paris, dem er wegen der Ungeheuern Konkurrenz seine Produkte sehr wohlfeil verkaufen muss – denn die ganze Umgebung von Paris ist ein Gemüsegarten. Wenn ich sage der Kleinhändler in Paris bezieht die Vorteile so ist dies nur par apparence geredet; denn die Läden der fruitiers in Paris gehören nicht den fruitiers selbst, sondern wieder andern Bourgeois. Ich weiß dass die 12 fruitiers boutiquen in der Rue des martyrs einem einzigen Bourgeois gehören, einem Metzger in der Rue de l'enfer. Unter 600 Bauerfamilien in Sarcelles sind nur 32, denen die Häuser und Äcker angehören die sie bewohnen und anbauen. Diese kleinen Bauern hassen ihre Pachtherrn und die Unterhändler aufs Heftigste. Nach der schönen Einrichtung vermöge deren die Kontrahenten in keinerlei persönlichen menschlichen Verhältnisse mit einander stehen, muss aber der kleine Bauer den Zwischenhändler mehr hassen als seinen Verpächter; denn seinen Verpächter kennt er nicht; er sieht ihn nie, und weiß seinen Namen kaum – er bezahlt an den Notar seine Rente, bezahlt er sie nicht so verfolgt ihn der huissier, das auch alles sogar ohne Wissen des Verpächters, der sich seines Herzens gänzlich in der Schreibstube des Notars begeben hat. Er erhebt am Ende des Jahres beim Notar seine Rente, und fragt nicht darnach auf welche Weise dieser sie aus dem Bauern heraus torquierte. Der Pariser honnête homme, der mildtätige, tugendsame Bourgeois kann daher ein halb hundert Menschen auf die Straße geworfen und dem Elende preisgegeben haben – ohne dass er es nur je erfährt: zwischen die Möglichkeit seines Mitleids, seiner humanen Schwächen, seines unzeitigen Erbarmens hat er das Gesetz mit seiner Armee, den Notars und huissiers gestellt. Sollte einmal irgend ein zufälliger Grund, an bewusste Motive glaube ich nicht mehr, sollte ein ganzes Fehljahr z.B. mit einer politischen Aufregung zusammenkommen, dann ist es bestimmt der kleine Bauer der sich zuerst frei macht. Das Eine was dazu noch fehlte ist dann dass er seinen wahren Feind den großen Capitalisten und Grundeigner als solchen erkennt.

Ich hoffe Ihr habt Euch in Bezug auf die österreichischen Septembriseurs nicht täuschen lassen. Wie ich früher vermutete, und jetzt gewiss weiß, haben die Bauern aus freiem Antrieb ihre Gutsherrn totgeschlagen: dann erst hat die pfiffige österreichische Regierung die Sache zur ihrigen gemacht, und die Gutsherrn auf ihre Kosten würgen lassen. So wurde sie am leichtesten Herrin des Aufstandes. Grade so hat einst hier zu Lande Carl V die frères Jacques gegen den Prevost de Paris zu Hilfe genommen. Sich zum Demagogen machen, um unter dieser Form desto besser wüten zu können ist's ja ein ganz einfaches Manöver. Macht doch auch der Kaiser von Russland die Bauern frei, um den Adel im Schach zu halten. Ich bin der Alltagsjesuiterei dieser Hallunken so sicher als meines Lebens; Alles ist ihnen Mittel, und die albernen Deutschen glauben, die Mittel seien die Zwecke!

Sonst weiß ich für heute nichts zu schreiben. Habt Ihr ein wenig Geld für mich, so schickt mir's, ich bitte sehr darum. Ich habe mir diesen Winter einmal gar nicht zu helfen gewusst, da habe ich auf den 20 April einen Wechsel von 125 frcs ausgestellt; ich erwartete meine Familie würde doch etwas für mich tun – aber nein: nicht einmal eine Antwort auf ein Dutzend Briefe. Herwegh ist zu reich, und ich habe ihm bereits zu viel Dienste geleistet, als dass ich von ihm auf etwas hoffen könnte; ehe ich ihn anging ließ ich mich lieber einsperren. Könnt Ihr es machen so tut es. Habt Ihr einen Verleger für mein Buch? Wann erscheint Deine Sammlung?

Jetzt noch eine Bagatelle. Wenn Ihr wieder ein Kreuzkuvert zu schicken habt, so schickt es franco; es kostet dann so viele Sous als es Bogen sind; also für das kleine Päckchen 4 Sous. So machte ich's. Wahrscheinlich aus Unachtsamkeit habt Ihr das Kreuzkuvert nicht frankiert sondern in eine Boite aux lettres geworfen. Ich musste es daher wie einen gewöhnlichen Brief nach dem Gewicht mit 3 Franken 50 Ctms bezahlen. Ich vermutete – ehe es offen war, es wären vielleicht Briefe von Euch darin – da ich keine fand, ärgerte ich mich es angenommen zu haben.

Lebe wohl, grüße alle Freunde herzlich; schreib mir doch wer Herr Weydemeyer ist, und danke ihm herzlich für seine Gefälligkeit. Leider habe ich Weitlings Buch noch nicht bekommen.

Auch Eure Weiber grüßt – c'est si gentil les femmes, mais c'est bien … aussi

Dein treuer Freund

Bernays

Sarcelles. 7. April 46.

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